Samstag, 4. November 2023

Eine Kundgebung (Teil 2)

Dann sprach der israelische Botschafter in Deutschland, Ron Prosor. Von ihm war mehr Klartext zu hören als von seinen offiziellen Vorgängern. Er sagte klipp und klar, dass es nicht etwa „normal“ wäre,wenn muslimische Horden durch die Stadt laufen und Sprechgesänge gegen Juden rufen oder Häuser, in denen Juden wohnen, mit Davidstern gekennzeichnet werden, und dass man sich so einem Tun entgegen stellen muss. Und dass es im Kampf gegen die Hamas kein „Ja - Aber“ geben darf und dass es fatal wäre, etwa Hamas und Israel auf eine Ebene zu stellen. Und man solle nicht denken, Israel wäre weit weg: der Terror wird sich überall hin ausbreiten, wenn man in nicht energisch bekämft. Hamas ist eine Gefahr für uns alle. Wenn wir zu diesen Untaten schweigen, lassen wir das Böse gewinnen. Er
sagte auch offen, dass er das Schweigen zu den Untaten von manchen Seiten wahrnimmt, das wäre besonders das Schweigen der Muslime und das Schweigen der linken Szene.
Es sprachen weitere Vertreter von Organisationen, z.B. der Geschäftsführer der jüdischen Verbände. Dieser forderte, Menschen, die auf der Straße den Terror der Hamas bejubeln, wenn sie keine deutsche Staatsbürgerschaft haben, die sollten ausgewiesen werden. Darauf setzte heftiges Klatschen von Seiten der Kundgebungsteilnehmer ein. Und ich dachte so bei mir: „Ja, wenn solch sichtbare Zeichen gesetzt würden, wie die Ausweisung wenigstens einiger gewaltaffiner und gewaltverherrlichender Ausländer, dann könnte man glauben, dass hinter den wohltönenden Worten ein echter Wille steckt, ansonsten erschien mir vieles Reden als aufgesetzt und hohl. „Wir stehen an der Seite Israels“, das war immer wieder zu hören! (und darum verstärken „wir“ unsere „Hilfe“ für Palästinenser gleich um einige zig-
Millionen Euro, ziehen aber nicht in Betracht, oder vielleicht doch, dass diese Gelder direkt bei der Hamas landen, diese benötigt ja viel Geld um die (in deutschen Medien so genannten) „Kämpfer“ für ihre Untaten vom 7. Oktober zu entlohnen. Und Treibstoff für ihre Raketen auf Israel! Zwischendurch gab es Musikeinlagen, das berühmte „Halleluja“ wurde gesungen und das ebenso berühmte „Jerusalem aus Gold“

Der Bundesvorsitzende der Grünen Omid Nouripur, ein iranischer Muslim, forderte energisch die Freilassung der Geiseln und machte den Teilnehmern noch einmal sehr klar, dass es tatsächlich so etwas wie „das Böse“ gibt, gegen das man sich zur Wehr setzen muss, die Taten der Hamas wären inder Art ihres Bösen mit der Naziherrschaft zu vergleichen. Und wenn man sie gewähren ließe, dann würde sich der Terror nach Europa ausbreiten (was er ja bereits kräftig getan hat). Besonders bejubelt wurde Nouripur von den Teilnehmern der
iranischen Kommunität, die sich an einerStelle des Zuges versammelt hatte. Sie hatten
große iranische Fahnen bei sich, die sie gleichzetig mit israelischen Fahnen heftig
schwenkten.

Iraner

Die Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche, Anette Kurschuss, beteuerte, dass die
evangelische Kirche auf der Seite Israels steht und gab zerknirscht zu, dass der
Antisemitismus seine Wurzeln auch in der
christlichen Kirche habe. Ihre Kernaussage war: Massenmord ist Gottlosigkeit. Sie klagte
besonders an, dass diese betialischen Mörder ihre Taten im Namen ihres Gottes
begingen.

Es sprach noch eine ganze Reihe von Menschen, auch der regierende Bürgermeister
von Berlin Kai Wegner. Dass es in Berlin keinen Platz für Antisemitismus gäbe
und wie froh er darüber sei, dass eine jüdische Gemeinde in Berlin ist, und dass er alles dafür
tun wolle, dass Juden in Berlin in Sicherheit und Frieden leben, das waren seine Aussagen. Sein Reden nahm er in diesem Augenblick tatsächlich ernst, denn die Berliner Polizei sorgte zum gleichen Zeitpunkt dafür, dass eine propalästinensische Demonstration ganz in der Nähe, am Potsdamer Platz, aufgelöst wurde.

Die Reden hörte ich mir wohlwollend an, allerdings mit dem Hintergedanken: „Die Botschaft hört ich wohl, allein mir fehlt der Glaube“. Wie wird der Bundespräsident lavieren, wenn dann tatsächlich ein heftiger Krieg in Gaza stattfinden wird, mit welchen Worten wird er seine muslimischen Untertanen besänftigen? Wo werden sie alle sein, die immer wieder behaupten: „Wir stehen an der Seite Israels?“.

Tatsächlich bewahrheiteten sich nur einige Tag später meine skeptischen Gedanken: Hat ein deutscher Diplomat etwa protestiert, als der Generalsekretär der UNO Guterres die Meinung kund tat, Israel wäre selbst Schuld an seinem Unglück? Im Gegenteil, ein anderer deutscher Diplomat Heusgen gab Israel Anweisungen, wie es sich verhalten solle.

Wie ich von anderen Demonstrationsteilnehmern hörte, gab es zum Abschluss der Veranstaltung einfeierliches Kerzenanzünden an einem anderen Ort. Ich empfand mein „Kundgebungsabenteuer“ als anregend und lohnend: die vielen Menschen zu erleben, die in dem gleichen Sinn zusammen gekommen waren, die Art und Weise, wie so eine Kundgebung organisiert und durchgeführt wird. Solche kleinen Erlebnisse „am Rande“, wie der Mann, der wie ein „Alt-68-ger“ aussah und der eine sorgfältig gestaltete Tafel trug mit der Aufschrift (u.a.): „Stop Hamas and Bibi“ oder das Zusammentreffen mit solchen Spezies wie „Omas gegen rechts“.
(Fortsetzung folgt)

Montag, 30. Oktober 2023

Eine Kundgebung

Berlin

Am Sonntag, den 22.10. nahm ich an einer Demonstrtation „gegen Antisemitismus“ in Berlin am Brandenburger Tor teil. Mir wurde abgeraten, dorthin zu fahren, 300 km mit dem Zug: „was willst du dahin fahren, da kommen doch genug, ob du nun da als Einzelne bist oder nicht, ist doch egal!“ Doch da ich an der ersten, spontanen Demonstration am Brandenburger Tor, gleich am Sonntag nach dem Massaker in Israel nicht hatte teilnehmen können, war es mir wichtig, diese erneute Gelegenheit wahrzunehmen. „Auch wenn ich da als Einzelne keine Rolle spiele, ich werde mich besser fühlen, wenn ich dabei gewesen bin“.

Mir gefiel die Ausrichtung der Kundgebung nicht so sehr, sie war allzu offiziell organisiert: hochrangige deutsche Politiker und Kirchenvertreter standen auf der Rednerliste. Der Bundespräsident Steinmeier: da fällt einem natürlich sofort seine Verneigung vor dem Grab des Palästinenserführers Arafat ein, also vor einem Menschen, der für Mord und Terror an vielen Juden verantwortlich ist, sowie Steinmeiers Glückwünsche an den Iran zum
40. Jahrestag der „Revolution“, einem Land, in dem eine „Uhr“ steht, welche die Tage bis zum
Untergang Israels zählt. Vielleicht wird der 7.Oktober 2023 ja auf der Uhr als ein besonders
erfolgreicher Tag markiert. Dass Herr Steinmeier weder den Kranz an Arafats Grab noch die iranische Uhr auf seiner Rede erwähnen würde, das war mir klar, denn es scheint mir, dass Herr Steinmeier einen Hang zur Beliebigkeit hat. Weiterhin war die höchste Repräsentantin der evangelischen Kirche angesagt, die zwar nicht verantworten kann, was jeder einzelne ihrer
untergebenen Pfarrer sagt, mir gingen aber leider allzu viele Szenen durch den Kopf, bei denen evangelische Pfarrer sich nicht nur „israelkritisch“, sondern israelfeindlich geäußert haben. Und so machte ich mich mit meiner Israelfahne auf den Weg. Da man wirklich kaum etwas tun kann, was den Schmerz der Israeli über das furchtbare Gemetzel, das über sie gekommen ist, auch nur im Geringsten lindern könnte, dachte ich: ich werde das machen,was bei solchen Gelegenheiten pathetisch oft gefordert wird: symbolisch handeln, Zeichen setzen, ja – Flagge zeigen! Welche Funktion hat eine Flagge? Sie ist Symbol, und sie setzt Zeichen. Also befestigte ich meine israelische Fahne am Rucksack und trug sie weit sichtbar 1 ½ Tage durch Berlin. (Davon später mehr).

Genau zur Eröffnung der Kundgebung traf ich am Brandenburger Tor ein. Es schien große Aufregung unter den Veranstaltern zu herrschen, die U-Bahn-Station am Tor war geschlossen, ebenso war der direkte Weg dorthin gesperrt, man musste eine Umleitung gehen. Dazu unzählige Polizisten. Ausgeschildert war nichts. Doch es war einfach, der Masse der Menschen zu folgen. Zuerst stellte ich mich in eine nicht enden wollende Schlange, wo jeder Mensch gründlich abgetastet wurde, bis ich merkte, dass die untersuchten Leute nur diejenigen waren, die direkt vor der Tribüne sein wollten. Auf einen Platz an der Tribüne verzichtete ich lieber, und ich mischte mich in Menge der Menschen ein. Diese Menge war ziemlich groß, sie staute sich noch weit in den Tiergarten hinein. Allerdings wie die
Veranstalter angaben: 25 000 Teilnehmer, das halte ich für übertrieben, so weit ich es überblicken konnte, schätze ich, waren es 10 000 Teilnehmer. Die Beschallung war ausgezeichnet, man konnte an jeder Stelle alles gut verstehen.

Die Conférenciére eröffnete die Veranstaltung mit den Worten: „Wie können wir schweigen?........“ (zum Massaker der Hamas an Juden), und sie sagte auch, dass wir „keine Chance für Relativierung lassen…. (was mich skeptisch werden ließ). Das Wort wurde an Volker Beck, Präsident der deutsch-israelischen Gesellschaft erteilt. Er betonte Israels Recht auf Selbstverteidigung und die Notwendigkeit unserer Solidarität, zuletzt schilderte ziemlich entsetzt die Art und Weise, wie ein in Deutschland lebender Imam mit ihm über das Massaker gesprochen hat.

Dann übernahm Dr. Frank-Walter Steinmeier das Wort. Er sprach über das Grauen, das in Israel herrscht, rief den Juden bzw. Israeli zu: „Ihr seid nicht allein!“ und mahnte, die Geiseln frei zu lassen. Er betonte auch, dass jeder, der „neu“ hierher kommt, wissen müsse, was „Auschwitz“ gewesen sei. Er fand es schade, dass in diesen Tagen der Schutz jüdischer Einrichtungen in Deutschland verstärkt werden müsse, denn in Wirklichkeit wäre Deutschland doch ein vielfältiges und freies Land. Auch beschwichtigte er eventuelle Wut auf Palästinenser, denn es gäbe auch unschuldige Palästinenser.

Letzteres rela􀆟vierte die Conférenciére, als sie verkündete, dass sicher noch mehr Teilnehmer hierher gekommen wären, aber es gäbe in Berlin Menschen, die Angst hätten, zu so einer Veranstaltung zu kommen. Sie konkretisierte die Aussage nicht, aber man hatte das Gefühl, das müssten muslimische Menschen sein, die Angst vor ihren Glaubensbrüdern haben.

Sie übergab das Wort an zwei Bürger Israels, deren nahe Angehörige jetzt Geiseln der Hamas sind, und die durch ihren Einsatz im Ausland für ihre Nächsten die Chance für eine Freilassung erhöhen wollen. Sie erzählten von ihren Angehörigen, von ihrem Schmerz, dass sie von ihnen nichts wissen, von ihrer Angst um sie. Es war ein Vater, dessen Frau und kleine Kinder in den Händen der Hamas sind und eine Frau, deren Schwester gefangen ist. Die gefangene Schwester hatte gerade heute Geburtstag, und deshalb sang die Menge der Kundgebungsteilnehmer „Happy Birthday“ für sie.
Fortsetzung folgt

Auf ein Neues!

Meinen letzten Blogbeitrag schrieb ich vor 2 ¼ Jahren. Der Grund war eine Erkrankung, und ich hatte vor, es bei 12 Jahren Blogschreiben zu belassen. Manchmal überlegte ich, ob ich den Blog fortsetze. Aber ich hatte mehrmals Blogs erlebt, wo der Autor nach einer längeren Pause wieder Anlauf genommen und dann nicht lange durchgehalten hatte. So etwas soll mir nicht passieren! In letzter Zeit ist aber einiges in der Welt geschehen, und manches hat mich zum Schreiben gebracht. So möchte ich, in der Absicht, nicht schnell wieder nachzulassen, nach einer gut zweijährigen Pause meinen Blog fortsetzen.

Sonntag, 5. September 2021

Nachbetrachtung zu "Kultur in der Kirche"

Das ästhetisch aufgearbeitete Foto des brennenden Flüchtlingslager Moria ließ meine Gedanken zu dem kleinen ertrunkenen Kurdenjungen Aylan Kurdi schweifen. Das Bild des ertrunkenen Jungen hatte damals angeblich Europa sensibilisiert für das Leid der Flüchtlinge. Ästhetisch war auch dieses Fotos gewesen: Blau und rot, wie drapiert, wie komponiert lag er da am Strand, man sah nur seinen Rücken, er hätte auch schlafen können. Später wurde in Variationen diese Szene von anderen nachgestellt, angeblich auch um „aufzurütteln“.

Schon damals, als es aktuell in den Medien war, sagte ich: „Wenn das Kind als Wasserleiche gezeigt wäre, das schon 3 Tage im Wasser getrieben hätte, dann wäre Europa wohl nicht so erschüttert gewesen, die Welt hätte sich angewidert abgewandt. Mir fielen Reaktionen ein, auf Fotos von der Befreiung der KZs. Man sah „Leichenberge“. Man konnte solche Fotos in Schulbüchern oder auch zu „Aufrüttlungszwecken“ hier und da erblicken. Die Reaktion der Zuschauer war in den meisten Fällen: angewidert sein, dass ihnen so ein Anblick zugemutet wurde. Mir schien es oft, dass das die Verstimmung den „Leichenbergen“ galt, nicht etwa denjenigen, die diese produziert hatten. Diese „Leichenberge“ hatten nichts Ästhetisches, jede Leiche lag da, wie sie durch die Umstände irgendwie zusammen gestapelt war. (Was man sich nicht dazu vorstellen wollte, war der Gestank, das Stöhnen hier und da, der Schrecken derjenigen, die lebend um sie herumstanden). Ob diese Fotos Menschen „aufgerüttelt“ haben?

Ich fürchte, dass man sich heutzutage schon gar nichts mehr anderes vorstellen kann unter „Menschen aufrütteln“, indem man ihnen einen so genannten ästhetischen Genuss vor die Augen setzt. Unicef mit seinen Preis gekrönten Fotos beweist es (ich stelle mir nebenbei noch die festlichen Banketts anlässlich solcher Preisverleihungen vor). Mein kleines Erlebnis anlässlich der „Kultur in der Kirche“ spricht auch dafür.

Mittwoch, 1. September 2021

Kultur in der Kirche

Vor Kurzem befand ich mich anlässlich eines kulturellen Ereignisses in einer Kirche. Dass Kirchen inzwischen von Kult- zu Kulturstätten umgewandelt werden, kann man an vielen Orten erleben – so auch in dieser. Außer, dass man schöne Musik hören konnte, hingen die Wände voll kulturvoller Bilder. Meistens weiß man nicht, wozu sie da hängen, aber einen triftigen Grund kann man immer angeben: Die Menschen aufzurütteln.

So ein Aufrütteln erlebte ich also in dieser Kirche, in der eine Ausstellung der von Unicef im Jahr 2020 preisgekrönten Fotos zu sehen waren. Mehrere kleine Fotoserien gehörten zu der Ausstellung, so auch die eines jungen griechischen Fotografen über den Brand im Flüchtlingslager Moria. Ein Foto hob sich von den anderen ab, denn es wirkte von weitem wie ein altes holländisches Gemälde. Im Vordergrund sah man verschwommen verschreckte Menschen, in der Dunkelheit loderte der heftige Brand.

moria

Ich trat näher zu dem Bild (das im Gegensatz zu den anderen kein Passepartout hatte), um mich zu vergewissern, ob es wirklich ein Foto sei. „Sehr beeindruckende Bilder“, sagte eine mir bekannte Frau zu mir. „Ich finde es unmoralisch, aus dem Leid von Menschen ästhetischen Genuss zu ziehen“, antwortete ich. Die Frau war verunsichert. „Meinen sie das wirklich?“ Ich bestätigte meine Meinung, und der sie begleitende Herr wurde wütend. „Dann erklären sie mir bitte, wie man den Menschen das sonst nahe bringen könnte?“. „Verbrannte Menschen zeigen“, antwortete ich. Es erstaunte mich, dass die Frau sagte: „Da haben sie Recht“. Der Mann konnte zu keiner Antwort finden, was ihn wütender zu machen schien. Das Gespräch war dann aber beendet, weil die wahren wichtigen Dinge des Tages ausgesprochen werden mussten: „Heute hat bei dem schlechten Wetter doch eine Weile die Sonne geschienen, wir konnten tatsächlich eine ganze Weile am Weststrand verbringen!“. Ich verkniff mir die Frage, welcher Eindruck denn der stärkere gewesen wäre, die Erschütterung über das brennende Lager oder die Freude an der Sonnenstunde.

Donnerstag, 26. August 2021

„So habe ich mir die Einheit nicht vorgestellt!“,

war eine der meist benutzten Floskel in der Zeit nach der deutschen Vereinigung. Fast jeden Tag hörte man sie irgendwo, manchmal auch in Variationen (Ich dachte dann: „Wann und wie magst du dir die Einheit je vorgestellt haben?“.

Es war und ist üblich, dass für eine gewisse Zeit modische Floskeln im Schwang sind, die dann sehr schnell wieder vergessen werden. In meinem aktiven DDR-Leben kann ich mich nicht erinnern, dass jemand von der deutschen Einheit träumte, außer einigen „Ewiggestrigen“. Ich erinnere mich noch an das erschrocken-fragende Gesicht einer Freundin, als nach dem Mauerfall und den ersten Rufen nach „Einheit“ ich zu ihr sagte: „Na, nun wird es wohl nicht mehr lange mit der DDR weiter gehen“, und sie sagte „Meinst du wirklich?“. (Später bekundete sie fast täglich ihre Freude über die deutsche Einheit und mischte aktiv in der Kreispolitik mit).

Eine lustige Episode habe ich zu dem Thema noch. Am 3. Oktober 1990 war das ganze Land am Jubeln. Ich jubelte nicht mit, denn mir war es zwar nicht egal, was an dem Tag passierte, sah es aber als einen Schritt im Gang der Geschichte an, der mein privates Leben mehr mittelbar als unmittelbar berührte. Da bekam ich einen Brief von meiner Tante, die als konservativ galt. Sie schrieb mir: `Das ist für mich ein sehr trauriger Tag. Deutschland ist jetzt so klein geworden!` (Erst dann musste sie den Gedanken an das ganz große Deutschland beiseite legen).

Noch einmal zu den Floskeln. Eine davon war: „Es war nicht alles schlecht!“. So war ich einmal, etwa um das Jahr 2008 herum, Gast auf einer Konfirmation. Das nachmittägliche Feiern fand in dem kleinen Dorf im jetzigen Dorfgemeinschaftshaus statt. Das war die frühere „Schulspeisung“ der inzwischen still gelegten Schule. Mit einer Tischnachbarin, die in der DDR eine gute Genossin gewesen war, unterhielt ich mich über das Ambiente des Gebäudes. Ich sagte: „Es hat für mich den Charme eines DDR-Kulturhauses“. Wie aus der Pistole geschossen, kam die Antwort: „Na und, es war nicht alles schlecht!“ Eine Weil musste ich über die Aussage nachdenken. Ich hatte ja keine Kritik an irgendetwas geübt. Mit meiner gewissen DDR-Nostalgie fühlte ich mich in diesem „Kulturhaus“ gar nicht einmal unwohl.

Inzwischen hört man d i e s e Floskeln nicht mehr, dafür aber andere. Wenn manches, was wie eine Floskel klingt, sich oft wie `so daher gesagt` anhört, so lohnt es sich doch immer, darüber nachzudenken und die Ursache für die Floskel versuchen zu ergründen.

Donnerstag, 19. August 2021

Zwei verschiedene Meinungen zu dem Thema: `Als Deutschland geteilt war`

Auf einer Fährüberfahrt nach Dänemark unterhielten sich zwei Freundinnen, was sie für Gedanken hatten, damals – als Deutschland noch in zwei Teile getrennt war. Man muss sich vor Augen halten, dass außer rund um Westberlin fast nicht einmal ein Blick auf „das andere Deutschland, bzw. den Westen“ möglich war. Doch die eine konnte von ihrem Heimatort an manchen Stellen die Türme Lübecks sehen – der Ort in dem ihr Vater einst in die Schule gegangen war. (Sie lebte kurz vor dem eigentlichen „Grenzgebiet“). Die andere konnte bei außergewöhnlich klarer Sicht von ihrem Heimatort die Kreidefelsen Moens erblicken. Oder man fuhr ins östliche Ausland, wo es Stellen gab, wo man direkt an die Grenze gelangen konnte, um einen Blick auf den „Eisernen Vorhang“ zu werfen. (Ich hatte einmal gehört, dass die DDR verlangt hatte, auch in der Tschechoslowakei eine Art unzugängliches Grenzgebiet zu errichten, aber das war wohl nur ein Gerücht). Jedenfalls war wohl fast in jedem DDR-Bürger der Gedanke an den Westen in irgendeiner Form übermächtig.

vorhang1
Blick auf den "Eisernen Vorhang in Mikulov (Nikolsburg)
(Grenzübergang am Ende des Sträßchens)

So erzählten sich die Freundinnen über die `damalige Zeit`. Die eine sagte, dass sie sich nie damit abfinden konnte, dass sie viele Stellen der Welt nicht erleben durfte. Dass sie die Ungerechtigkeit darüber empfand, dass sie nicht `auf den Spuren ihres Vaters` gehen konnte Und welche Wut sie überkam, wenn sie um Westberlin herumfuhr.

Die andere Freundin erzählte, wie sie es damals empfand: „Ich empfand gerade die Teilung Deutschland als interessant und geheimnisvoll. Wenn ich Westberlin sah, dann war mir bewusst, dass es so in der Nähe noch eine ganz andere Welt gibt, von der wir kaum etwas wissen. Dass sich da lebendiges Leben abspielt, und wir können es nur ahnen". (Als wir es dann selbst erlebten, erschien es eher als belanglos, das Interessante ergab sich ja gerade aus der Teilung).

Beide Meinungen kann ich als berechtigt ansehen. Gerechterweise muss man hinzufügen, dass die Trennung nicht ganz so hermetisch war, wie sie im Nachhinein dargestellt wird. Das Fernsehen, die Besuchsreisen der Rentner, und was diese alles mitbrachten und erzählten. Die Freunde und Verwandten aus dem Westen, die uneigennützig auf Auslandsreisen in den Ferien verzichteten und dafür ihre Ferien mit den Kindern in der DDR verbrachten (-eine Familie hatte an ihrer Pin-Wand immer ein Verzeichnis, wann sie einen Besuchsantrag rechtzeitig stellen muss, und wie die aktuellen Einreisebestimmungen waren). Von dem "kleinen Grenzverkehr", der für viele Menschen sehr wichtig war, ist kaum noch die Rede. (Er machte ab einer bestimmten Zeit spontane Reisen von Westlern ((die Bezeichnung Wessi und Ossi gab es damals nicht)) in die nähere DDR-Umgebung, ich glaube es waren 50 km ab Grenze, möglich. Die Besuchsreisen von DDR-Bürgern, die schon ab den 70-ger Jahren zu „dringenden Verwandtenbesuchen“ möglich waren. Über all das gäbe es unendlich viele Geschichten zu erzählen. Das war es, was die eine der Freundinnen an der Teilung Deutschlands interessant empfinden ließ und die heutige Zeit als recht trist empfinden lässt.

Sonntag, 15. August 2021

Eine andere Flüchtlingsgeschichte

erlebte meine Freundin Christina. Ihre Lebensumstände hatten dazu geführt, dass sie über längere Zeit allein in einem großen Haus wohnte, in dem noch bis vor Kurzem ihre ganze Familie gelebt hatte. Sie überlegte sich, dass sie mit ihrem zu vielem Wohnraum ein wenig dazu beitragen könnte, sich an der Hilfe für Flüchtlinge zu beteiligen. Sie wandte sich an die Kirchengemeinde und bot an, die Einliegerwohnung, in der einst die Kinder gewohnt hatten, etwa für ein halbes Jahr (bis das Haus verkauft werden sollte) an Flüchtlinge zur Verfügung zu stellen. Das Angebot wurde freudig angenommen, Christina bekam sogar eine kleine Miete vom Sozialamt dafür. Ihre Motivation für die Aufnahme fremder Menschen in ihr Haus war, dass sie etwas Gutes tun wollte. Daneben ging es ihr darum, nicht nach der Arbeit in das jetzt sehr leere Haus zu kommen, sich mit ihren Mitbewohnern ein wenig zu unterhalten und eine Beziehung aufzubauen. So war es gedacht.

Zwei Frauen aus Togo wurden ihr „zugeteilt“. Sie hatten keine Kinder (bei sich), und waren in der Situation, dass sie eine „richtige“ Wohnung in Aussicht hatten, dort aber noch nicht wohnen konnten. So passte alles gut zueinander. Christina war ein wenig ärgerlich, dass die Frauen verlangten, dass die Möbel aus der Einliegerwohnung herauskommen, denn die Togoerinnen hatten sich für ihre zukünftige Wohnung schon Möbel angeschafft und wollten lieber diese benutzen. Wie das Problem gelöst wurde, weiß ich nicht.

Die Möbel waren nicht das Problem, sondern das Problem waren die Frauen selbst. Von dem Augenblick an, in dem sie ins Haus gezogen waren, hörten sie auf, mit Christina zu sprechen. Die war für sie einfach nicht mehr vorhanden. Die Frauen hatten nicht das geringste Interesse an ihrer Umgebung. Sie gingen nicht einmal nach draußen, sondern hielten sich den ganzen Tag in ihren beiden Zimmern und im luxuriösem Bad auf. Nur etwa zwei Stunden am Tag waren sie aktiv. Vormittags kochten sie in der Küche, die sich in einer Nische des offenen Flurs befand. Sie kochten ein Gemisch aus Zwiebeln, Knoblauch, Wasser und irgendwelchen Bindelebensmitteln. Das gesamte Haus war von den Gerüchen durchzogen bis in den letzten Winkel. Christina versuchte trotzdem, mit den Frauen irgendwie ins Gespräch zu kommen. Diese konnten ein wenig Deutsch, Christina konnte Englisch, die Sprache wäre also kein Problem gewesen. Wenn Christina in ihre Nähe kam, wandten die Frauen sich schweigend ab. Sie verhielten sich keineswegs feindselig, sondern sie schienen die Situation so zu sehen: wir „überwintern“ hier so lange, bis wir in unsere eigene Wohnung ziehen werden. Sowohl die Menschen als auch die häusliche Situation gehen uns nichts an, und wir wollen auch nichts davon wissen.

Die Frauen wohnten einige Monate in Christinas Haus. Christina erzählte mir, dass sie schon lange keinen so schönen Tag hatte wie der, an dem ihre Besucherinnen das Haus wieder verließen. Sie selbst wohnte auch nicht mehr lange dort. Man kann diese Episode als Partikel im System der gesamten Flüchtlingsproblematik bezeichnen.

Montag, 9. August 2021

Giselas Sohn

Vor einiger Zeit schrieb ich über meine Freundin Gisela, über ihre „Miss-Behandlung“ von Seiten ihres Arbeitsgebers und ihre Beerdigung. Eine Unmenge Menschen waren zu ihrer Beerdigung gekommen. Einige haben geweint, aber niemand hat so geweint, wie ihr Ziehsohn Faisal.

Gisela und ihr Mann standen der Einwanderung 2015 positiv gegenüber. Sie sahen darin eine Chance, ihre christliche Lebenseinstellung in die Tat umzusetzen. Bald schon nach der großen Einwanderung schauten sie sich im Flüchtlingsheim in einer nahe gelegenen Kleinstadt um. Sie versuchten einen Kontakt mit den Flüchtlingen herzustellen und freundeten sich mit einem jungen Syrer namens Faisal an. Ich denke, dabei waren sie von dem Gedanken getragen: wenn auch nur ein Teil der deutschen Bevölkerung die „Patenschaft“ für jeweils einen oder wenige Menschen – so wie die jeweiligen Kräfte und Umstände es hergeben -, übernehmen würde, dann wäre die Flüchtlingsproblematik nicht mehr so ein Problem und eine Integration von vielen Menschen in die Gesellschaft möglich. (Sie waren Idealisten).

Als wir nach einer längeren Pause dort wieder einmal einen Besuch machten, gab es in der Familie ein neues Familienmitglied namens Faisal. Gisela und ihr Mann hatten alles, was ihnen möglich war unternommen, um Faisal beim Start in die Gesellschaft zu helfen. Sie erledigten mit ihm Behördengänge, sie halfen ihm, dass er in einer nahen Stadt eine kleine Wohnung erhielt, sie besorgten für ihn eine Arbeit in einer Wäscherei. Als er nach einiger Zeit das Bedürfnis hatte, mehr zu lernen und sich zu qualifizieren, womit auch ein Umzug in eine weit entfernte Gegend verbunden war, legten sie ihm keine Steine in den Weg, so schwer es ihnen war, dass sie ihn nun weniger sehen konnten. Wer ihm Steine in den Weg legte, das waren die Behörden, denn Faisals Wunsch, eine Ausbildung zum Physiotherapeuten zu beginnen, haben sie ihm sehr schwer gemacht. Immer stimmte etwas in der Ausbildungsbürokratie oder anderes Formelles nicht. Faisal zog in eine Stadt in Süddeutschland, und selbst da hatte Gisela Kontakte, die ermöglichten, dass Faisal in eine kleine Einliegerwohnung ziehen konnte. (Wie die Sache mit der Ausbildung weiter ging, weiß ich jetzt nicht).

Dreimal habe ich Faisal gesehen. Bei einem großen Familienfest habe ich ihn kennen gelernt und über die Geschichte seiner Aufnahme in die Familie erfahren. Das nächste mal war ich zur Kirschenernte auf den kleinen Bauernhof gefahren. Meine Wanne für die Kirschen stand auf einem Schuppendach, von dem aus ich gut an die Unmengen Kirschen am Baum gelangen konnte. Kaum war ich zum Pflücken auf´s Dach gestiegen, da stand auch schon Faisal neben mir und pflückte etwa drei Stunden lang mit mir Kirschen. Ja, und dann sah ich ihn auf Giselas Beerdigung. Sie, von der ich auch einmal den enthusiastischen Ausspruch gehört hatte: „Er ist für mich wie mein fünftes Kind!“, die wurde von allen ihren Kindern beweint, aber von keinem so, wie von ihrem Ziehsohn Faisal.

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