Sonntag, 15. August 2021

Eine andere Flüchtlingsgeschichte

erlebte meine Freundin Christina. Ihre Lebensumstände hatten dazu geführt, dass sie über längere Zeit allein in einem großen Haus wohnte, in dem noch bis vor Kurzem ihre ganze Familie gelebt hatte. Sie überlegte sich, dass sie mit ihrem zu vielem Wohnraum ein wenig dazu beitragen könnte, sich an der Hilfe für Flüchtlinge zu beteiligen. Sie wandte sich an die Kirchengemeinde und bot an, die Einliegerwohnung, in der einst die Kinder gewohnt hatten, etwa für ein halbes Jahr (bis das Haus verkauft werden sollte) an Flüchtlinge zur Verfügung zu stellen. Das Angebot wurde freudig angenommen, Christina bekam sogar eine kleine Miete vom Sozialamt dafür. Ihre Motivation für die Aufnahme fremder Menschen in ihr Haus war, dass sie etwas Gutes tun wollte. Daneben ging es ihr darum, nicht nach der Arbeit in das jetzt sehr leere Haus zu kommen, sich mit ihren Mitbewohnern ein wenig zu unterhalten und eine Beziehung aufzubauen. So war es gedacht.

Zwei Frauen aus Togo wurden ihr „zugeteilt“. Sie hatten keine Kinder (bei sich), und waren in der Situation, dass sie eine „richtige“ Wohnung in Aussicht hatten, dort aber noch nicht wohnen konnten. So passte alles gut zueinander. Christina war ein wenig ärgerlich, dass die Frauen verlangten, dass die Möbel aus der Einliegerwohnung herauskommen, denn die Togoerinnen hatten sich für ihre zukünftige Wohnung schon Möbel angeschafft und wollten lieber diese benutzen. Wie das Problem gelöst wurde, weiß ich nicht.

Die Möbel waren nicht das Problem, sondern das Problem waren die Frauen selbst. Von dem Augenblick an, in dem sie ins Haus gezogen waren, hörten sie auf, mit Christina zu sprechen. Die war für sie einfach nicht mehr vorhanden. Die Frauen hatten nicht das geringste Interesse an ihrer Umgebung. Sie gingen nicht einmal nach draußen, sondern hielten sich den ganzen Tag in ihren beiden Zimmern und im luxuriösem Bad auf. Nur etwa zwei Stunden am Tag waren sie aktiv. Vormittags kochten sie in der Küche, die sich in einer Nische des offenen Flurs befand. Sie kochten ein Gemisch aus Zwiebeln, Knoblauch, Wasser und irgendwelchen Bindelebensmitteln. Das gesamte Haus war von den Gerüchen durchzogen bis in den letzten Winkel. Christina versuchte trotzdem, mit den Frauen irgendwie ins Gespräch zu kommen. Diese konnten ein wenig Deutsch, Christina konnte Englisch, die Sprache wäre also kein Problem gewesen. Wenn Christina in ihre Nähe kam, wandten die Frauen sich schweigend ab. Sie verhielten sich keineswegs feindselig, sondern sie schienen die Situation so zu sehen: wir „überwintern“ hier so lange, bis wir in unsere eigene Wohnung ziehen werden. Sowohl die Menschen als auch die häusliche Situation gehen uns nichts an, und wir wollen auch nichts davon wissen.

Die Frauen wohnten einige Monate in Christinas Haus. Christina erzählte mir, dass sie schon lange keinen so schönen Tag hatte wie der, an dem ihre Besucherinnen das Haus wieder verließen. Sie selbst wohnte auch nicht mehr lange dort. Man kann diese Episode als Partikel im System der gesamten Flüchtlingsproblematik bezeichnen.

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