Donnerstag, 26. August 2021

„So habe ich mir die Einheit nicht vorgestellt!“,

war eine der meist benutzten Floskel in der Zeit nach der deutschen Vereinigung. Fast jeden Tag hörte man sie irgendwo, manchmal auch in Variationen (Ich dachte dann: „Wann und wie magst du dir die Einheit je vorgestellt haben?“.

Es war und ist üblich, dass für eine gewisse Zeit modische Floskeln im Schwang sind, die dann sehr schnell wieder vergessen werden. In meinem aktiven DDR-Leben kann ich mich nicht erinnern, dass jemand von der deutschen Einheit träumte, außer einigen „Ewiggestrigen“. Ich erinnere mich noch an das erschrocken-fragende Gesicht einer Freundin, als nach dem Mauerfall und den ersten Rufen nach „Einheit“ ich zu ihr sagte: „Na, nun wird es wohl nicht mehr lange mit der DDR weiter gehen“, und sie sagte „Meinst du wirklich?“. (Später bekundete sie fast täglich ihre Freude über die deutsche Einheit und mischte aktiv in der Kreispolitik mit).

Eine lustige Episode habe ich zu dem Thema noch. Am 3. Oktober 1990 war das ganze Land am Jubeln. Ich jubelte nicht mit, denn mir war es zwar nicht egal, was an dem Tag passierte, sah es aber als einen Schritt im Gang der Geschichte an, der mein privates Leben mehr mittelbar als unmittelbar berührte. Da bekam ich einen Brief von meiner Tante, die als konservativ galt. Sie schrieb mir: `Das ist für mich ein sehr trauriger Tag. Deutschland ist jetzt so klein geworden!` (Erst dann musste sie den Gedanken an das ganz große Deutschland beiseite legen).

Noch einmal zu den Floskeln. Eine davon war: „Es war nicht alles schlecht!“. So war ich einmal, etwa um das Jahr 2008 herum, Gast auf einer Konfirmation. Das nachmittägliche Feiern fand in dem kleinen Dorf im jetzigen Dorfgemeinschaftshaus statt. Das war die frühere „Schulspeisung“ der inzwischen still gelegten Schule. Mit einer Tischnachbarin, die in der DDR eine gute Genossin gewesen war, unterhielt ich mich über das Ambiente des Gebäudes. Ich sagte: „Es hat für mich den Charme eines DDR-Kulturhauses“. Wie aus der Pistole geschossen, kam die Antwort: „Na und, es war nicht alles schlecht!“ Eine Weil musste ich über die Aussage nachdenken. Ich hatte ja keine Kritik an irgendetwas geübt. Mit meiner gewissen DDR-Nostalgie fühlte ich mich in diesem „Kulturhaus“ gar nicht einmal unwohl.

Inzwischen hört man d i e s e Floskeln nicht mehr, dafür aber andere. Wenn manches, was wie eine Floskel klingt, sich oft wie `so daher gesagt` anhört, so lohnt es sich doch immer, darüber nachzudenken und die Ursache für die Floskel versuchen zu ergründen.

Im Luftreich des Traums

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