Donnerstag, 14. Juli 2016

Der Delinquent entlastet sich selbst

In diesem Sommer hat sich schon so viel Stoff für Beiträge gefunden, dass ich meine Blogpause abbreche und nach und nach ein paar neue Texte einstelle:


Wie sollte man es anders bezeichnen, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen, genauer gesagt der NDR, schon in kurzer Zeit zwei mal einen längeren Beitrag ausstrahlte, um zu untersuchen, warum die Medien so einen schlechten Ruf hätten und sogar unter der Bezeichnung Lügenpresse diffamiert würden? Nach der letzten Ausstrahlung am 11.7. um 23 Uhr in der ARD konnte der arglose Zuschauer zu keinem anderen Schluss kommen, als dass die Bezeichnung Lügenpresse durch eine Mischung aus Missverständnissen, Bösartigkeit von Verleumdern, fragwürdiger Rücksichtsnahme, die aber wiederum verständlich ist und Ignoranz des Publikums, das vieles nicht versteht, zustande gekommen ist.

Die Methoden, die in diesem Entlastungsfilm angewandt wurden, führten wiederum dazu, dass beim Zuschauer die Assoziation zum Begriff Lügenpresse tatsächlich aufkommt. Der Film fängt damit an, dass zwei wackere Kämpferinnen aus dem Fernsehen unflätige Hassmails vorlesen, die sie auf ihre Beiträge hin bekamen. Die Inhalte waren vulgär und drastisch. Das ist wohl eine neue Methode, hässliche Mails zu entlarven, aber ich fragte mich, ob diese Damen, wenn ihnen z.B. ein bösartiger Mensch einen Haufen Scheiße in den Briefkasten legte, sie diesen auch jedem unter die Nase reiben würden um zu zeigen, wie schlecht man an ihnen gehandelt hat. Es wurde suggeriert, dass die beiden Frauen, Anja Reschke und Dunja Hayali, diese Hassreaktionen von den gleichen Subjekten bekamen, die auch „Lügenpresse“ rufen. Denn solche waren unmittelbar darauf zu sehen.

Ein Beispiel, das zweimal erwähnt wurde, ist ein Vorgang auf der schwäbischen Alb, wo augenscheinlich nur Hinterwäldler leben, und wo groteske Gerüchte über Flüchtlinge kursierten über abgeschlagene Köpfe, Supermärkte, die wegen zu vieler Klauerei von Flüchtlingen schließen mussten u.ä. Dass die Medien diese haltlosen Unterstellungen nicht berichteten, führte in diesem Fall dazu, dass sie der Lügenpresse verdächtigt wurden.

Immer wieder traten Herren aus der Medienlandschaft auf, die sich entlasteten, indem sie selbst Verständnis für manches Versäumnis aufbrachten: z.B. Kai Gniffke, Chefredakteur von ARD-aktuell: Dass wir nur Fotos von „Promis“, die für die Flüchtlinge öffentlich aufgetreten waren, zeigten, war nicht anders möglich, denn es gab einfach keine Promis, die gegen Flüchtlinge waren. Wir wollten (erzieherisch) auf das Publikum einwirken, denn es sollten im Land keine Bilder wie in Rostock dazumal entstehen! Selbstkritik war allenthalben zu hören, vom „Spiegel“, von der ARD, ja selbst ein dänischer Chefradakteur gab große Versäumnisse zu. Da war herauszuhören, dass sie im Grunde für ihre Anständigkeit, die kleinere Versäumnisse einschließt, bestraft werden. Z.B. „Wir haben nicht über das Ereignis gesprochen, sondern darüber, ob uns die Sichtweise des Ereignisses gefällt, das war verkehrt“.

Es folgten Beispiele von Berichten über den Ukrainekonflikt, wo gewisse schwarz-weiß Malerei zugegeben wurde. Manchmal erklärte man einen Fehler so, dass man durch vorauseilendes Berichten aus Angst, etwas falsch zu machen, eine Zeitungsente produziert hätte. Auch über Arbeitslose, die sich gedemütigt fühlten, weil die Medien eine Zeit lang (vor fünf Jahren) das schmarotzende Original Arno Dübel hofierten.

Wenn man es bei rechtem Lichte besieht, wäre das Vertrauen in die öffentlichen Medien in Wirklichkeit gar nicht gesunken, entsprechende Statistiken beweisen es. Weiterhin zeigte man, dass es viel, viel Schlimmere gibt, als die öffentlich-rechtlichen Medien. Man verwies auf besonders unangenehme Zeitgenossen wie Jürgen Elsässer gegen den man im Vergleich doch recht gut da stand. Ken Jebsen, einst vom RBB lange gehätschelt, wurde als unangenehmes Beispiel im Gefolge von Elsässer gezeigt. Den Spagat, wie man Menschen, die Elsässer folgen, „wieder mitnehmen“ wolle, gelang nicht so recht, aber man nahm sich vor, diese Menschen zu „ermuntern, dass sie Ängste aussprechen dürfen“. Dazu sollten die Journalisten mehr „herausgehen und sich umschauen und mehr Differenzieren als Pauschalieren“. „Die Menschen wollen gehört und wahrgenommen werden“, solche Floskeln wurden immer einmal eingesprenkelt. Was einiges über die Arbeitsweise von Journalisten aussagt. Dass eine ausgewogene, der Wahrheit entsprechende Berichterstattung Vertrauen schaffen kann, auf die Idee kam in dem Film niemand.

Zum Schluss kam Neues, Spektakuläres: Die jungen Leute wären in Wirklichkeit besessen von Nachrichten! Diese müssten nur so präsentiert werden, dass sie authentisch wirken. An Ort und Stelle soll besonders Aufregendes gezeigt werden, hautnah: z.B. schwärende Wunden und darüber weinende Reporter. Ein weinender Reporter hat den deutschen Fernsehpreis bekommen! Oder man soll einfach nur Menschen zeigen, so wie sie sind. Dann würde keiner mehr die Bezeichnung Lügenpresse in den Mund nehmen.

Es scheint mehr an der Dummheit und Ignoranz des Publikums zu liegen, seiner Unfähigkeit, Sensationsberichte richtig einordnen zu können und dem Wunsch, Sensationsberichte vorgesetzt zu bekommen unabhängig von deren Wahrheitsgehalt, dem Drang, anständigen Reporterinnen Hassmails zu schreiben, dass ein Begriff wie Lügenpresse umher geistert. Man kann es auch anders herum sagen: Die Medien sind zu anständig, und das Publikum ist ihrer nicht Wert!

Im Luftreich des Traums

gegen Ideologien

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