Zwei Episoden aus der DDR (Teil 1)
Unsere Familie hatte es als einzige einer großen Familie in die DDR verschlagen. Wie beneidete ich meine zahlreichen Cousins und Cousinen aus der BRD, dass sie im Westen aufwachsen durften Ich lebte hinter einer Mauer versteckt, während für meine Cousins und Cousinen die Welt offen stand. Es zog mich nicht unbedingt in die weite Welt, wie es bei DDR-Jugendlichen der Fall gewesen sein soll. Aber was konnten sie alles lesen, erfahren, sich Bildung aneignen! Es war die Zeit der „68-ger“. Sie konnten fortschrittlich und revolutionär sein, sie konnten die Vergangenheit bewältigen (ein damals oft benutzter Ausdruck), sie konnten die Welt aufbauen! Bei kirchlichen Jugendtreffen begegnete ich Jugendlichen jener Art, wie ich sie beneidete: eloquent diskutierende Jugendliche, die von sich überzeugt waren, die alles wussten, die politisch informiert waren. (Nur ihr ununterbrochenes Rauchen störte mich). Zwar war ich mit der Literatur von Alexander Solschenizyn, Lew Kopelew, Boris Pasternak und anderen aufgewachsen. Max Frisch war damals aktuell und wurde diskutiert, aber das sah ich nicht als die echte Bildung an, das waren sozusagen die Brocken, die ich abbekommen hatte. (Die Westbücher hatten oft einen Waschmittelgeruch an sich, denn es war üblich, Bücher in Geschenksendungen in Waschmittelpackungen zu verstecken, was in der Regel gut klappte).
Ja, und dann hielt ich eines Tages eine besondere literarische Kostbarkeit in der Hand: die Mao Bibel. Auf welchen Wegen sie hierher geraten war, weiß ich nicht mehr. Meine vage Erinnerung ist, dass sie rot und etwa die Hälfte einer DIN A 5-seite stark war. Etwas ganz Besonderes sollte sie sein. Fast so etwas wie eine Leitschnur, eine Art Talisman für denjenigen, der sie bei sich hatte.
Nur ein Blick hinein genügte um zu erkennen, dass der Inhalt kompletter Unsinn war, nicht Wert, überhaupt angesehen zu werden. (Durch meine verschiedene Lektüre wusste ich allerdings, dass auch kompletter geistiger Unsinn ungeheure Schäden anrichten kann). Ich nahm diese Mao Bibel nicht ernst, ich hielt sie für einen Scherzartikel. Es dauerte Jahrzehnte bis ich begriff, dass es im Westen tatsächlich Jugendliche gab, die diese Mao Bibel als etwas sehr Wichtiges und als eine Art Richtschnur zum Handeln ansahen. Es gibt auch Leute, die damals mit der Maobibel in der Hand umher zogen und sich heute nicht davon distanzieren! Vielleicht war das der erste Baustein zu erkennen, dass es nicht nötig ist, sich mit Dingen zu befassen, weil sie gerade von einer bestimmten Zeit hervor gebracht und weil sie modisch sind, sondern sich seine eigenen Gedanken über die Dinge zu machen.
Ja, und dann hielt ich eines Tages eine besondere literarische Kostbarkeit in der Hand: die Mao Bibel. Auf welchen Wegen sie hierher geraten war, weiß ich nicht mehr. Meine vage Erinnerung ist, dass sie rot und etwa die Hälfte einer DIN A 5-seite stark war. Etwas ganz Besonderes sollte sie sein. Fast so etwas wie eine Leitschnur, eine Art Talisman für denjenigen, der sie bei sich hatte.
Nur ein Blick hinein genügte um zu erkennen, dass der Inhalt kompletter Unsinn war, nicht Wert, überhaupt angesehen zu werden. (Durch meine verschiedene Lektüre wusste ich allerdings, dass auch kompletter geistiger Unsinn ungeheure Schäden anrichten kann). Ich nahm diese Mao Bibel nicht ernst, ich hielt sie für einen Scherzartikel. Es dauerte Jahrzehnte bis ich begriff, dass es im Westen tatsächlich Jugendliche gab, die diese Mao Bibel als etwas sehr Wichtiges und als eine Art Richtschnur zum Handeln ansahen. Es gibt auch Leute, die damals mit der Maobibel in der Hand umher zogen und sich heute nicht davon distanzieren! Vielleicht war das der erste Baustein zu erkennen, dass es nicht nötig ist, sich mit Dingen zu befassen, weil sie gerade von einer bestimmten Zeit hervor gebracht und weil sie modisch sind, sondern sich seine eigenen Gedanken über die Dinge zu machen.
anne.c - 18. Dez, 21:45