Montag, 4. März 2019

Die Klima-Ikone

In der Zeitung las ich einen Artikel, in dem beschrieben wurde, wie die „Klima-Ikone Greta“ mit Hamburger Schülern demonstriert. Zwar weiß ich nicht, was die Schüler normalerweise für eine Lebensweise haben, aber mir schien das so unecht, wie mir vieles unecht erscheint. Wie die Hamburger Schüler Greta wie einen Popstar umkreisten, und sie auch darauf schon die entsprechenden Allüren eingeübt hatte. Mögen die Allüren und ihre Ansichten Gretas Wesen entsprechen. Dem Wesen der Schüler entsprechen sie sicher nicht. Ich würde brennend gern wissen, wohin jeder einzelne Schüler mit den Eltern in die Ferien fährt, was für einen Lebensstandart er hat und mit wie viel Jahren er den Führerschein macht. Vorstellen kann ich mir, dass etwa der eine oder andere Schüler jetzt auf einmal auf Mülltrennung achtet oder kein Fleisch mehr isst. Aber die Illusion: „ich bin Multiplikator“, durch mein Vorbild rege ich 10 zur Nachahmung an, und die regen auch wieder je 10 an“, glaube ich nicht. Potenzierung erfolgt sehr schnell, und dann dürfte inzwischen niemand mehr mit einem Kreuzfahrtschiff fahren oder Langstreckenflüge und auch Kurzflüge unternehmen oder sich für die Formel 1 interessieren.

Die Medien propagieren den Stopp des Klimawandels mittels Vernunft und Enthaltsamkeit, aber wenn ich mich umschaue, dann sieht die Wirklichkeit anders aus. Hier im Kurort kann man oft Gespräche verfolgen, die sich darum drehen, wie Geld möglichst gewinnträchtig angelegt wird durch Errichten von billig hochgezogenen Ferienwohnungen. Da spricht niemand mehr vom Klimawandel, auch derjenige nicht, der gerade noch Greta und ihre Mitstreiter bewundert hat. Greta ist da für das „Moralische“, auf die man sich beruft. Wenn man sich solch eine Ikone wie Greta schafft, muss man unbedingt ein Gegenbild zu Greta haben, das für die Unmoral zuständig ist. Denn sonst müsste man ja die Unmoral bei sich selbst suchen.

Montag, 18. Februar 2019

Holocaustgedenktag 2019

Wie an jedem 27. Januar war in der benachbarten Kleinstadt am Mahnmal der KZ-Ge
denkstätte eine Schar von Leuten zum Gedenken an den Holocaust zusammen gekommen. Das Wetter war, wie fast immer bei dieser Veranstaltung, ungemütlich: diesmal durchzog ein sachter Nieselregen die Luft. Die Zusammensetzung der Teilnehmer, es waren etwa 50, ist jedesmal ähnlich: Schüler des Gymnasiums und der Realschule, pensionierte Lehrer, Pfarrer und Bürgermeister, kirchlich engagierte Menschen, Angehörige der Stadtverwaltung und einige nicht identifizierbare Teilnehmer. Heute war eine Gruppe Jugendlicher vom Technischen Hilfswerk in Blau und Gelb gekleidet, zusätzlich dabei, ich vermute, dass sozial engagierte Menschen die Veranstaltung vervollkommnen sollten.

Jeder wird seine eigene persönliche Motivation für seine Teilnahme an der Veranstaltung haben, und jede Motivation, so man sie kennen sollte, ist auf ihre Art ernst zu nehmen. Schließlich sind es etwa 50 aus einem Einzugsbereich von 12 000 Menschen, die ihren Vormittag auf diese Weise verbringen. Sie kennen sich, manche sehen sich genau zu dieser Veranstaltung einmal im Jahr, man fühlt sich wie eine Familie. Sogar die Abwesenheit einzelner wird bemerkt.

Da die Stadt klein ist, kein Fernsehteam anwesend ist, sind die Statements, die von den Vortragenden gegeben werden, oft etwas unbeholfen, zum Teil konfus, aber der Darbietung merkt man ein persönliches Engagement an. Seit einigen Jahren schleicht sich in die Gedanken an die damals Ermordeten Werbung für ein Engagement für „Geflüchtete“. Ich wünschte, dass man den Jugendlichen diese Verknüpfung austreiben könnte, denn es ist nicht nur kontraproduktiv für die Entwicklung ihres Denkens, sondern wertet die Veranstaltung ab. Diesmal fiel der Satz: „nationale Identitäten sind nicht hilfreich“, wobei verschwiegen wurde, wofür diese hilfreich sein könnten. Den Jugendlichen solche Grundgedanken einzugeben, ist in meinen Augen schon Indoktrination.

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Der Vertreter vom Stadtrat hielt eine längere Rede, in der er davon sprach, dass man Ausländer akzeptieren soll, die Ausländer dürfen aber keine israelischen Flaggen verbrennen und nebenbei kam die Floskel: „Hetze und Gewalt darf nicht sein“ Er wäre dankbar, dass jüdische Kultur in unserem Land wieder aufblüht. Keinen einzigen Juden konnte man in unseren Reihen entdecken, und wie sollte man auch: es soll ja keine Identitäten geben.
(Ob national, kulturell, religiös ist egal, denn jede ausdrückliche Identifizierung schließt andere aus)

Der Pfarrer brachte uns auf den Boden des Lebens zurück. Er sagte, dass man durch Freude am Leben dem Tod trotzen könne, diese Freude aber in der Zuwendung zu anderer läge. Von Eli Wiesel zitierte er den Ausspruch, dass nicht Hass, sondern Gleichgültigkeit der Antipode der Liebe wäre.

Dann wurden Kränze nieder gelegt. Ich bemerkte, dass eine Frau, die mit großem persönlichem Engagement die Geschichte dieses KZ-Außenlagers dokumentiert hat, zu einer abseitigen Stele ging, in die viele Namen eingraviert sind. Sicher hat sie an einige Menschen gedacht, deren Lebenslauf sie recherchiert hat und die hier verzeichnet sind.

Zum Abschluss trugen zwei Schülerinnen im Wechsel das ziemlich lange Gedicht „Kinderschuhe aus Lublin“ vor. Dann ging die Veranstaltung bis zum nächsten Jahr auseinander. Für mich ist sie etwas, was unter die Rubrik fällt: „Ein Wert an sich“.

Sonntag, 13. Januar 2019

"Merkel am Ende"

Warum die Methode Angela Merkels nicht mehr in unsere Zeit passt
von Ferdinand Knauß, erschienen im Finanzbuchverlag
Teil II

Die Darstellung Angela Merkels als Politikerin führt der Autor mit einer kuriosen Beispielsgeschichte darüber ein, wie eine Frau, die ihren Unmut über die Bundeskanzlerin kundtat, von „Linken“ drangsaliert wird. Er versucht sich vorzustellen, wie es gewesen wäre, wenn vor 35 Jahren linksgerichtete Studenten sich etwa für Helmut Kohl eingesetzt hätten, und er kann diese Vorstellungskraft nicht aufbringen. Über die Stellung Angela Merkels im Gesellschaftsspektrum sagt es einiges, es scheint nämlich, dass was früher rechts stand, heute weit nach links gerutscht ist. So weit, dass zwangläufig am rechten Rand der frei gewordenen Raum ausgefüllt werden und eine neue Partei entstehen musste. Der Autor meint entschieden, dass die AfD – nebenbei gesagt, auch der Brexit -, durch Frau Merkels Handeln entstanden ist.

Knauß erläutert, dass die Zeitumstände für Angela Merkel außerordentlich günstig waren. Gerade zu Ende des 20. Jahrhunderts kam die These vom „Ende der Geschichte“ auf, die in Deutschland vielfach gern und willig angenommen wurde. Es sollte nichts Trennendes mehr zwischen den Menschen geben, fundamentale Gegensätze sollte verschwinden und die Lebensweise eines aufgeklärten Europäers sollte ausgeweitet und zur Weltkultur werden, man werde sich auf einen humanitären und konsumistischen Konsens für alle einigen. Hier müssten eigentlich die Alarmglocken schrillen: Denn das ist tatsächlich genau die Welt, die von Kommunisten als Ziel der Entwicklung der Weltgemeinschaft gesehen und anstrebt wurde: „Jedem nach seinen Leistungen, jedem nach seinen Bedürfnissen.“, dann ist der Kommunismus da.



Spätestens seit Ende 2015, und zwar durch die so genannte Flüchtlingskrise, so meint der Autor, meldet sich die Geschichte zurück. Es gibt Widersprüche, die nicht zu überbrücken sind, wenn eine unbegrenzte Zahl von Menschen aufgenommen werden soll, die große Forderungen stellen. Dass die Sozialsysteme überfordert werden, zumal sich die Wirtschaftskraft allen Voraussagen nach verringern wird, scheint offensichtlich. In der Folge wird es zu Verteilungskämpfen kommen. Diesen echten politischen Aufgaben wird Angela Merkel, die „alternativlos“ und „unpolitisch“ zu regieren gewohnt ist, nicht mehr gewachsen sein.

Zum Schluss noch einige markante Beispiele aus dem Buch:

„In Angela Merkels Amtszeit ging die Zustimmung der Bürger kontinuierlich zurück: 2007 hatte die „Groko“ 70 %, 2017 53 % der Wählerstimmen.“

„Deutschland nahm die ´unpolitische´ Kanzlerin gern an, denn ihr ´unpolitisches Handeln´ sollte die Schrecken der bösen politischen Vergangenheit vergessen lassen und den Deutschen zur „Wiedergutwerdung“ helfen. Die „Wiedergutwerdung“ gestattet es den Deutschen, jetzt mit einer Hypermoral aufzutreten und die früher von Deutschland drangsalierten Völker zu maßregeln.“

„Immer wieder hörte man A.M. verkünden, dass sie im Herbst 2015 alles richtig gemacht hat, dass sich Herbst 2015 aber nie wiederholen darf. Wo bleibt die Logik?“

Freitag, 11. Januar 2019

„Merkel am Ende

Warum die Methode Angela Merkels nicht mehr in unsere Zeit passt“ von Ferdinand Knauß, erschienen im Finanzbuchverlag
Teil 1

Das Buch fand ich in einer Buchhandlung und kaufte es, weil mir der Titel auffiel und ich den Vertrieb so eines Buches honorieren wollte. Es ist in einer klaren, nicht zu wissenschaftlichen Sprache geschrieben, so dass ich das ganze Buch schnell und mit Genuss las. Mit Genuss: weil überzeugend dargestellt wird, was viele Menschen intuitiv erkannt haben, aber nicht so gut zum Ausdruck bringen können. Der Autor unterzieht die Politik Angela Merkels einer sachlichen Analyse. Es werden Zitate der Politikerin aufgeführt und mit anderen entsprechenden früheren Zitaten derselben Politikerin konfrontiert, die oft das Gegenteil des später Gesagten sind. Im Buch ist dabei keine Häme zu finden, und für die taktischen Leistungen zollt der Autor Frau Merkel sogar Respekt. Wenn er kritisch wird, dann kritisiert er was Angela Merkel tat und sagte.

Ferdinand Knauß setzt sich mit Angela Merkels Taktiken zur Machterlangung und zum Machterhalt auseinander (er hält ihre Beherrschung für die größte Stärke der Politikerin). Und er beschäftigt sich mit den Besonderheiten ihrer Anhänger und zeigt, wie sehr sie im „System Merkel“ verquickt sind. Er zieht Bilanz, wie Deutschland nach 13 Jahren Merkel-Regierung da steht. Seine These ist es, dass Angela Merkel als eine „unpolitische“ Politikerin anzusehen ist, die die CDU inhaltlich in ihrem Kern entleerte. Das belegt er mittels überzeugender Beispiele. Im letzten Kapitel erklärt der Autor, warum Angela Merkel überhaupt nicht mehr in die heutige Zeit passt und warum eine Neuauflage ihres Regierungsstils nicht mehr möglich sein wird.

Das Buch beginnt im November 2017, als ein Kreisvorstand der Jungen Union revoltierte und den Rücktritt Angela Merkels forderte, was sofort abgeschmettert wurde. Weitere Beispiele von Aufständen gegen Merkel wurden aufgezeigt, die weniger über die „Aufständischen“ sagen, als über die gekonnte Strategie Merkels zu ihrer Niederschlagung. Der Autor meint, dass niemand in der CDU den Mut zu zeigen wagte, den Merkel einst hatte, als sie Helmut Kohl stürzte. Hohe analytische Intelligenz und einen starken Willen zur Macht werden ihr attestiert. Beim CDU-Parteitag im Dezember 2016, als das ganze Chaos der Flüchtlingsbewegung längst offensichtlich war, erhielt Merkel von ihren Parteifreunden 11 Minuten tosenden Applaus, und Knauß kann sich nicht genug darüber wundern, wie ergeben die CDU-Mitglieder diese „teils banale, teils abstruse Rede“ hinnahmen. Das erinnerte wirklich vieles an die DDR.



Weiter beschäftigt sich Knauß umfassend mit den verschiedenen Krisen, die während Merkels Kanzlerschaft durchlaufen wurden: Finanzkrise, Energiewende und Flüchtlingskrise. Auffällig ist, dass Angela Merkel alle wesentlichen Entscheidungen in den Krisen selbstständig (man kann auch sagen selbstherrlich) getroffen hat, ohne dass je eine parlamentarische Debatte darüber stattfand. Die Entscheidung zur sofortigen Energiewende bezeichnet der Autor als „Wiedervereinigung mit dem Zeitgeist“. Den Zeitgeist ordnet er der grünen Bewegung zu, die heute in Gesellschaft und Medien meinungsbildend ist. So nimmt er heutzutage zwei große gesellschaftliche Ängste wahr: es ist einerseits die Angst vor Atom und vor Klimawandel und andererseits die Angst vor der großen Anzahl von Flüchtlingen. Hier offenbart sich die heute viel beklagte Spaltung der Gesellschaft. Angst vor Klimawandel, Naturzerstörung und Atomkraft bewegen die tonangebende Klasse, die selbst eher unter sich abgeschottet lebt und - nebenbei gesagt - auch besonders gern im Flugzeug reist. Diese Schicht von Menschen wird lautstark und einseitig von den relevanten Medien unterstützt, deren Vertreter selbst dieser Klasse angehören. Die Sorge vor den Flüchtlingen, die ins Land strömen und vor den Folgen der Flüchtlingspolitik haben mehr die „Abgehängten“, also jene Menschen, die die Folgen dieser Politik unmittelbar erfahren, weil sie mit den Flüchtlingen um billige Wohnungen und einfache Arbeitsplätze konkurrieren müssen und auch direkter mit ihnen im Alltag konfrontiert sind.
(Fortsetzung folgt)

Samstag, 30. Dezember 2017

Geschichten aus der DDR

Aufnahme in die Organisation der „Thälmann Pioniere“ (Teil 2)

Nachdem die Singeprobe stattgefunden hatte, wohnten Mutter und Tochter etwas verlegen dem rituellen Treiben auf dem Schulhof bei. Dort spielte sich eine gespenstische Szene ab. In Blöcken zusammengestellt standen da die Klassen umgeben von Fackelträgern. Direkt unter dem Ernst-Thälmann-Relief zitierte eine Lehrerin mit raunender, verstellter Stimme Gedichte. Reden wurden gehalten und ein feierlicher Umtausch der blauen in nun rote Pionierhalstücher wurde vollzogen. Pioniere der höheren Schulklasse banden den „neu Aufgenommenen“ die Tücher um.

Mutter und Tochter fühlten sich etwas unbehaglich, hielten aber tapfer beim Zuschauen durch. Die Mutter überlegte, welche Situation für sie schlimmer wäre: ihr Kind in dieses unwirkliche Treiben verwickelt zu sehen oder als Außenseiter, von den anderen getrennt, abseits zu stehen. Sie hatte sich für Letzteres entschieden.

Im Anschluss an das Aufnahmeritual stürmte ein Teil der Schüler nach Hause, und die Schule füllte sich mit Eltern, die an der jeweiligen Elternversammlung teilnahmen. Einige Schüler blieben noch zu Beginn der Versammlung in der Schule, und so sang das Mädchen im Duett mit einem Mitschüler das Lied: „Wenn der Topf aber nun ein Loch hat…?“, bevor es dann in die normale Welt entlassen wurde.

Heute, dreißig Jahre später ist sich die Mutter in ihrer damaligen Entscheidung nicht mehr so sicher. Es ist auch eine Art Ideologie, sich Ideologien entgegen stellten zu wollen. Wahrscheinlich wären ihr jetzt die Gefühle ihres Kindes wichtiger gewesen und sie hätte es das Zeremoniell mitmachen lassen. Zu Hause hätten sie ordentlich darüber gelacht: „Mit welch verstellter Stimme die Lehrerin geraunt hat, war das nicht komisch!?“

Haben heutige Veranstaltungen, bei denen auf Bühnen unartikuliertes Geraune vorgetragen wird, zu dem Menschen mit hoch gehaltenen Taschenlampen sich im Takt wiegen, nicht einen ähnlichen Charakter? Man könnte einwenden, es ist kein Zwang hinter den jetzigen Veranstaltungen, aber der Zwang, in einer Masse aufgehen zu wollen, ist dahinter zu spüren.

Dass nur etwas 1 ½ Jahre später das „Thälmann-Denkmal“ während der Schulzeit - weil es terminlich angeblich nicht anders möglich war - und in Anwesenheit eben jener Kinder, die vor ihm die höheren Weihen der „Thälmann Pionieren“ erhalten hatten, in Stücke zertrümmert wurde, steht auf einem anderen Blatt.

Mittwoch, 27. Dezember 2017

Geschichten aus der DDR

Aufnahme in die Organisation der „Thälmann Pioniere“ (Teil 1)

Vor meinem inneren Auge sehe ich eine Mutter mit einem 10-jährigen Mädchen an der Hand, das einen tieftraurigen Gesichtsausdruck hatte. Es war im September 1988. Sie waren gemeinsam auf den Schulhof der Schule des Kindes gekommen, um bei der Aufnahme seiner Klasse in die Organisation der „Thälmann-Pioniere“ dabei zu sein. Leider war es nicht die gesamte Klasse, die von den „Jungpionieren“ zu „Thälmann Pionieren“ aufsteigen sollte, sondern es war die gesamte Klasse minus ein Kind, eben jenes Mädchens. Nie im Leben würde sie so einer Zeremonie beiwohnen, hatte die Mutter gesagt, aber das Mädchen war brav. „Wir müssen davor noch ein Lied mit der Klasse proben, ich muss dabei sein, das hat die Lehrerin mir extra noch mal gesagt“.

In der DDR pflegte man Persönliches und Politisches unlösbar miteinander verknüpfen, denn das Politische war privat und das Private war Politisch, wie man es interessanterweise auch von linken westdeutschen Gruppierungen erfahren hat. So hatte man das Ritual der Aufnahme der Klasse in die Organisation der „Thälmann-Pioniere“ mit einer regulären Elternversammlung verquickt. Zu Beginn der Elternversammlung sollten die Kinder für die Eltern ein Programm darbieten, wobei das „Nichtpionier“-Mädchen eine Solopartie singen sollte. So wurde ihm eingeschärft, dass es vor Beginn der gesamten Veranstaltung noch einmal extra proben müsse. Danach würden alle Jungpioniere, also die gesamte Klasse minus das eine Mädchen in die Organisation der „Thälmann-Pioniere“ aufgenommen werden.

„Ach, wir gehen einfach nicht zur Chorprobe, sondern sind erst kurz vor der Elternversammlung da“, sagte leichtfertig die Mutter. Aber das Kind war pflichtbewusst. Es bestand auf der Teilnahme an der Chorprobe und war dadurch gezwungen, der anschließenden Zeremonie seiner Klassenkameraden beizuwohnen. Es war vielleicht das einzige mal, dass das Kind sich als Außenseiter empfand, weil es nicht zu den Pionieren gehörte. Damals, ein Jahr vor Ende der DDR war es nicht so wie in früheren Zeiten, dass man als „Nicht-Pionier“ stigmatisiert war. Im Gegenteil, es hörte manchmal den Ausspruch: „Du hast es gut, du musst da nicht hingehen!“. Es waren Erwachsene, die eine Stigmatisierung herbei reden wollten: „Sie machen ihr Kind zur Außenseiterin!“, wurde die Mutter angesprochen. Die Mutter, Ignorantin die sie war, hatte die Einstellung: zur Außenseiter macht man sich nicht selbst, zum Außenseiter kann man durch andere gemacht werden“.

Samstag, 23. Dezember 2017

Weihnachtliche Rührstücke der Kriegsgräberfürsorge

Wieder flatterte ein Schreiben des Volksbundes deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. ins Haus. Warum mache ich mir mehr als 72 Jahre nach Ende des zweiten Weltkrieges Gedanken über die Kriegsgräberfürsorge e.V.? Ja, warum flattern überhaupt zu diesem Zeitpunkt noch so viele dieser Schreiben in die Haushalte?

So überflog ich kurz den Inhalt der Schmonzetten, die die Bitte um Spenden oft begleiten. Inzwischen ist eine Zeitverschiebung eingetreten. Nicht mehr Rührstücke aus dem Krieg sind zu lesen, jetzt ist die Nachkriegszeit an der Reihe. Und so las man die Geschichten eines jungen Ehepaares, das in bitterster Not seinen Haushalt gründete und dabei „Weihnachtliches“ erlebte oder auch darüber wie die Lebendbotschaft eines im Krieg in Gefangenschaft geratenen Soldaten zu Weihnachten ins Haus seiner Eltern überbracht wurde.
Dass all diese Geschichten wahr sind, davon bin ich überzeugt, denn ich selbst bin mit ähnlichen Geschichten aufgewachsen. Damals waren sie noch recht frisch und lebendig. Auch ich könnte aus dem eigenen Bekanntenkreis gleicherweise Anrührendes beitragen.

Warum erscheinen mir nicht etwa die Geschichten, sondern die Weise, wie diese ausgenutzt werden, unwahrhaftig? Sie sind eine Instrumentalisierung des Lebens - denn in Extremsituationen sind die menschlichen Erlebnisse intensiver - für die Bagatellisierung des Krieges. Krieg - so wird als Botschaft überbracht -, ist etwas nebulös Böses von Außen Kommendes, in das Menschen unschuldig verwickelt sind. Krieg wird zum Kitsch oder zum romantischen Popanz gemacht.

Dass in anrührenden Geschichten stets unschuldige Menschen vorkommen, denen in harten Zeiten Gutes widerfährt, dafür habe ich ein gewisses Verständnis, wenngleich ich die Unwahrhaftigkeit nicht übersehen kann. Wer gibt schon aus dem eigenen Erleben und sei es aus dem „Volkserleben“ Unangenehmes Preis. Sollte man erzählen, wie damals hartherzige Hausbesitzer zu Weihnachten den aus dem Osten geflohenen Menschen ihr Haus verschlossen, wenn es irgendwie möglich war? Oder etwa sogar von einer weihnachtlichen Übermittlung einer Botschaft berichten, dass der Sohn des Hauses vom eigenen Kommandeur als Deserteur gehenkt wurde? Solche Dinge sind geschehen!

Welche Beweggründe stecken dahinter, dass ein großer materieller und ideeller Aufwand unternommen wird, den nun schon zwei Generationen zurückliegenden Krieg in eine Ansammlung von rührenden Geschichten voll von unschuldigen und leidenden Menschen umzustilisieren, die aus der sie umgebenden Welt herausgeschnitten sind? Das kann ich mir nur in dem dringenden Wunsch nach einer Eliminierung der Geschichte vorstellen, in der alle Menschen zu einer gleichförmigen Masse erklärt werden, deren persönliche Handlungen keine Rolle gespielt haben sollen, während sie einem von ihnen unabhängigen Schicksal ausgeliefert waren.

Montag, 11. Dezember 2017

Eine Episode aus der DDR

oder: als Walter Ulbricht abgesetzt wurde

In der DDR dachten nicht alle Menschen das Gleiche, und nicht jeder, der die „Staatsmeinung“ hatte, musste ein angepasster Mensch sein. Er konnte einfach mit den Gegebenheiten aufgewachsen sein, wie sie eben herrschten. So erinnere ich mich an den Tag, den 3. Mai 1971, als Walter Ulbricht „abgesetzt“ wurde. Er bedeutete das für uns, was für die Generation unserer Kinder Erich Honecker bedeutete: eben „der da oben“, der schon immer da war, und ohne den man sich „unseren Staat“ nicht vorstellen konnte. Für mich persönlich war die Absetzung Ulbrichts ein Triumph, da ich in einer Atmosphäre aufwuchs, die nicht staatskonform war. Aber meine Freundinnen und Mitschüler, sahen es anders. Tränen bemerkte ich zwar nicht, aber Erbitterung: „Das hat er nicht verdient! Er hat so viel für unser Land getan“. Zum Glück lebten wir gerade dank der künstlichen Politisierung der Gesellschaft letztlich unpolitisch. Darum taten die kontroversen Einstellungen unseren Freundschaften keinen Abbruch. Ich war einfach erstaunt, dass es Menschen gab, die tatsächlich vom Wirken Walter Ubrichts als etwas Wertvollem überzeugt waren.

Eine Generation später, 1989, als Erich Honecker „abgesetzt“ wurde, sahen die Dinge anders aus, da hörte man selbst in staatskonformen Milieus Triumph.

Wieder eine Generation später kann man durchaus Parallelen erkennen. Nicht zufällig ist an der Spitze unserer Regierung jemand, der sich wie eine „Staatsratsvorsitzende“ gebärdet. Eine, die „schon immer da war“, und ohne die sich manch junger Mensch unsere Regierung gar nicht vorstellen kann. Und nicht umsonst heißt es oft, dass die ewige Kanzlerin fast absolutistisch regiert. Noch in diesem Sommer hörte ich Menschen mit denen ich gut bekannt bin sagen, wie viel Angela Merkel für unser Land getan habe. Wir Älteren haben da die Erfahrung voraus, dass ein tiefer Fall manchmal sehr plötzlich kommen kann. Wie es nun im Fall der Kanzlerin Angela kommen wird, das bleibt vorerst der Zukunft vorbehalten.

Im Luftreich des Traums

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