Dienstag, 18. Juli 2017

Bericht über eine Tagung: „Antisemitismus in den Medien“ (Teil 7/Ende)

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Der nächste Vortrag war „antisemitischen Kommentaren in sozialen Medien“ gewidmet, wobei besonders die Verquickung von Antisemitismus und Israelfeindlichkeit heraus gestellt wurde. Ähnlich wie zuvor seine Kollegen vermittelte ein junger Wissenschaftler vom „Institut für Sprache und Kommunikation“ der Technischen Universität Berlin Denkmuster, Aussprüche, Stereotypen, die diese Ressentiments bedienten. Ebenfalls wie bei seinen Kollegen war Kompetenz zu erkennen, aber nicht die Fähigkeit, den Zuhörern etwas zu vermitteln, was bei ihnen selbst einen Erkenntnis- oder sogar einen Handlungsprozess in Gang hätte setzen können. So kam es zu kuriosen Situationen, wo der Verfassungsrichter in seinem Drang, seine Mitseminaristen über die Unrechtmäßigkeit des Staates Israels aufzuklären, teilweise genau die Sätze sagte, die unser Vortragender zuvor als „dämonisierende Stereotype“ bezeichnet hatte. Man hätte also einen hervorragenden Ansatzpunkt zur Veranschaulichung dieser Denkweisen gehabt, was aber wohlweislich vermieden wurde. Ob die Kongruenz in der Gruppe bemerkt wurde, war nicht zu erkennen. An Bemerkungen anderer Seminarteilnehmer erkannte man eher Hilf- und Ratlosigkeit. Man war bemüht, sich mit dem Antisemitismus, der „doch überwunden werden müsse, aber wie?“, auseinander zu setzen. Trotzdem sagte ein Mann, der sich als Therapeut vorgestellt hatte: er möchte nicht auf die antisemitische Schiene geraten, aber einige Sätze von Jakob Augstein hätte er (selbst) ebenso sagen können. Und das nach drei wissenschaftlichen Vorträgen über Antisemitismus, an denen wenig zu beanstanden war!

Vielleicht um eine vorauszusehende aufgeheizte Stimmung etwas zu neutralisieren und weil wir uns eben in dem schönen Städtchen Güstrow befanden, wo Uwe Johnson in die Schule gegangen war, hielt der Leiter des Seminars einen Vortrag über die Thematisierung des 9. Novembers in dem berühmten Roman „Jahrestage“. Wenn dieser Vortrag auch nicht ganz auf das Seminarthema zugeschnitten war, so gab es Berührungspunkte und auch Ansätze zum Nachdenken. So spielten Schuld, sogar Schuldbesessenheit, Rassenunruhen in New York, die Nachkriegsexistenzen von Nazimördern und das Reflektieren über die deutsche Vergangenheit in den 60-ger Jahren eine Rolle.

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Juri Rosow, K-D. Kaiser, Michael Wuliger beim Seminar „Antisemitismus in den Medien“

Der Sonntagvormittag brachte die Begegnung mit zwei jüdischen Persönlichkeiten: Juri Rosow, Leiter der jüdischen Gemeinde Rostock und Michael Wuliger, Redakteur der „Jüdischen Allgemeinen“. Hier trafen Männer mit sehr unterschiedlichen Lebensläufen aufeinander, die durch das „Jüdische“ verbunden waren. Juri Rosow hatte seine Jugend in der Sowjetunion verbracht. Michael Wuliger berichtete über seine Jugendzeit als Spartakist in der deutschen Studentenbewegung. Beide hatten genügend Erfahrungen in Deutschland mit Antisemitismus gemacht. Sie sagten, diese Erscheinung träte in „Wellen“ auf und sei stark mit Konflikten in und um Israel verbunden. Und berichteten von „Hassmails“, die sie regelmäßig erhalten und deren Zahl rasant in die Höhe steige, wenn in oder um Israel eine Eskalation eintrete. Sie selbst kannten kein Mittel dagegen, als dass sie ihren e-Mail Verkehr vorprüfen lassen, um ein bisschen besser schlafen zu können. Meine Interpretation der Fragestunde und vielleicht des gesamten Seminars war: Man hört es immer wieder, die Antworten sind immer wieder die gleichen. Nutzen bringt es nicht, aber man muss es doch immer wieder tun.

Zum Abschluss nutzte der Verfassungsrichter noch die Gelegenheit, um auf ein Buch: „Das zionistische Israel“ hinzuweisen. Da fand ich, dass der Toleranz gegenüber Teilnehmern doch hätten Grenzen gesetzt werden sollen. Denn es war eine Konterkarierung des gesamten Seminars. Aber im Getümmel des Abschieds ging es unter, und die Freude aufs gesponserte Mittagessen war schon groß.

Mein letzter Gedanke bevor ich mich auf den Heimweg machte war: In diesem Haus bin ich vorher einmal im Leben gewesen, etwa 15 Jahre sind es her. Genau in diesem Raum, in dem ich jetzt die Vorträge, Diskussionen, Fragestunden erlebt hatte, war ich Zeugin davon, wie eine junge mecklenburgische Pastorin ohne die geringste Hemmung und zum Entsetzen anderer Anwesender zur jüdischen Religionswissenschaftlerin Ruth Lapide sagte: „Die Juden haben Jesus umgebracht“. Frau Lapide war um eine treffende Antwort nicht verlegen. So fürchte ich, werden noch viele Seminare und Tagungen abgehalten werden, oft mehr Verschwommenheit als Klärung gestiftet, viele Symptome für eine Krankheit entdeckt, die man doch nicht diagnostizieren kann. Was jeder im Einzelnen mit seinen gewonnenen Eindrücken anfängt, muss er sowieso selbst entscheiden, und so sehe ich in den Veranstaltungen auf jeden Fall einen Wert an sich.

Im Luftreich des Traums

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