Samstag, 18. Juni 2016

Die Mauer in Jerusalem (Teil II)

Keine Emotionen, dafür aber verschiedene Gedanken kamen mir in den Sinn. Warum ausgerechnet immer wieder die Mauer in Israel? Um wie viel aktueller wäre es, die wohl auch vom deutschen Geld gebaute und teilweise mit Selbstschussanlagen (viel perfekter als die einstigen der DDR) versehen, Kriegsflüchtlinge abweisende Mauer zwischen der Türkei und Syrien darzustellen? Wie viele martialische Grenzbefestigungen gibt es auf der Welt, sei es zwischen Indien und Pakistan, zwischen Iran und Pakistan oder etwa die Schutzanlagen um die spanischen Enklaven Melilla und Ceuta in Nordafrika. Es gibt keine andere Erklärung dafür, als dass sich die Welt auf Israel fokussiert, um in ihm all das Böse sehen zu wollen, was an anderen Stellen auf der Welt geschieht, und wovon man ablenken will.

Im Heft, welches mich auf die Installation aufmerksam gemacht hatte, wurden zwei eng bedruckte Seiten dem Event gewidmet. Wie es allgemein üblich ist, hatte der Journalist es geschafft, mit scheinbar neutralen Worten, haarscharf das zu vermerken, was Israel in ungünstigem Licht erscheinen lässt. Beispielsweise wird angemerkt, dass die Mauer fast dreimal so hoch ist wie die einstige Berliner Mauer, es fehlt aber der Hinweis, dass die Berliner Mauer und die Grenzbefestigungen quer durch Deutschland mit Selbstschussanlagen und breitem Sperrgürtel versehen waren, was den Vergleich anders erscheinen lässt. Oder es wird in der „neutralen“ Berichterstattung über den: „Krieg, der 1948 zwischen Israel und den Arabern begann“ verschwiegen, dass in diesem Krieg allein die arabischen Staaten die Angreifer waren. Das scheint für den Leser erst einmal nicht so bedeutsam zu sein, trotzdem ist es ist immer wieder erstaunlich und schwerwiegend, wie in solch „nebensächlichen“ Berichten Fakten verdreht, nicht genannt und mit traumwandlerischer Sicherheit ausschließlich die Delegitimierung Israels zu belegen haben.

Meine letzte Reise nach Israel fiel mir ein. Einen 10 Seiten langen Bericht hatte ich damals darüber geschrieben, eine Menge von Erlebnissen, wovon ein einziges Erlebnis am Grenzzaun spielte. So sind die Relationen. Leicht kann ich mir vorstellen, welche Unzahl interessanter Ausstellungen man über Israel zu mannigfaltigen Themen machen könnte. Wenn Menschen nichts Besseres einfällt, als sich anlässlich Israels immer wieder speziell mit der Mauer zu befassen, die im Gegensatz zur Berliner Mauer immerhin den Tod vieler Menschen verhindert hat, kann ich in Abwandlung dessen, was als Leitspruch an der Installation steht, nur sagen: Die Fokussierung auf Israel ist ein Symbol für die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit. Nur im Geist können wir dieses Denken überwinden.

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Aufschrift: Die Mauer ist ein Symbol für das Unüberwindbare.
Nur im Kopf können wir diese Wirklichkeit überwinden.

Montag, 13. Juni 2016

Die Mauer in Jerusalem (Teil 1)

Diese Mauer muss eine ungeheure Faszination auf viele Menschen ausüben. Sie beeindruckt sie mehr als alle anderen Mauern und Grenzanlagen auf der Erde, obwohl es davon viele gibt. Sie inspiriert zu Poesie, Prosa und Kunstinstallationen. So las ich einmal eine rührselige, offensichtlich frei erfundene Weihnachtsschmonzette darüber, wie eine Palästinenserin namens Miriam zwischen den „Check Points“ an der Mauer ein Kind gebiert. Als ich dann an die Zeitung schrieb, dass es mir seltsam erscheint, wenn deutsche Zeitungen Rührstücke über die israelische Mauer schreiben, haben sie doch selbst 28 Jahre mit einer solchen gelebt und sich mit ihr recht bequem eingerichtet, man solle doch wahrhaftigerweise schreiben, wie ein Kind zu Weihnachten am „Check Point Charly“ geboren wurde, oder wenigstens eine Schamfrist von 28 Jahren für Geschichten dieser Art einlegen, da wurde mir die Zuschrift offensichtlich übel genommen, denn sie wurde so zusammengestrichen abgedruckt, dass ihr Sinn perfekt entstellt war. Dieselbe Zeitung hat dann später zum Bericht über eine Gruppenreise nach Israel nur ein einziges Foto abgebildet: Die Mauer! Was für ein gewaltiger Eindruck muss es sein, wenn dahinter alle anderen Erlebnisse in Israel verblassen! Mir scheint es, dass Deutsche durch einen Blick auf die Mauer zu Israel die lange Existenz ihrer eigenen Mauer vergessen lassen wollen!

Darum war ich neugierig, als ich bei einem Besuch in Aachen erfuhr, dass eben jene Mauer in Israel einen Fotokünstler zu einer größeren Arbeit inspiriert hat, und dass eine „gewaltige Fotoinstallation“ (so im Mitteilungsblatt) am belgisch-deutschen Grenzübergang zu sehen, ja zu begehen sei. Der Fotograf Willi Filz aus Eupen hat ein Panorama der Mauer erschaffen, das die Mauer von zwei Seiten darstellt. Die palästinensische ist bunt bemalt und besprüht, und die israelische Seite ist schmucklos und kahl. In einem in der Nähe liegenden Kulturzentrum gab es aus gegebenem Anlass ab und zu ein Rahmenprogramm: Führungen zur Installation, Filme, Musik und Essen, das mit dem Thema irgendwie Berührungspunkte hatte.

Zweimal musste ich den Grenzübergang aufsuchen, ehe ich begriff, dass ein unscheinbarer, ca. 10 m langer Korridor, ähnlich wie bei Straßenbauarbeiten Übergänge über Gräben gelegt werden, das Kunstwerk sein sollte. Von außen war gar nichts zu erkennen, denn die „Mauern“ befanden sich innerhalb des Kunstwerks und zwischen den „Mauern“ war ein schmaler Verbindungsgang. Vielleicht lag es an mir, dass dieser Durchgang keine Emotionen bei mir hervor rief, weder positive noch negative, und den Eindruck einer Grenze geschweige einer unüberwindbaren Mauer konnte dieser Tunnelgang nicht evozieren, denn man ging bequem und einfach hindurch. (Fortsetzung folgt)

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Samstag, 4. Juni 2016

Sabatina James

Dieses Interview im Sender Phoenix ausgestrahlt, zeigt exemplarisch, wie es aussieht, wenn Realität auf Ideologie trifft. Frau James Anliegen ist es, auf die Situation von Christen, die in einem islamischen Milieu, sei es in Syrien oder hier in Asylantenheimen, aufmerksam zu machen. Diese interessieren den Interviewer, Michael Hirz, überhaupt nicht, denn seine große Sorge gilt: Nimmt denn Frau James etwa alle Muslime unter Generalverdacht?

Dass in unserer Gesellschaft Straftaten von Asylbewerbern gar nicht oder nur sehr zögerlich geahndet werden, das kann Herr Hirz nicht so recht glauben und bringt es auch zum Ausdruck. Wenn Frau James konkrete Geschehnisse benennt, z. B. dass auf Demonstrationen gerufen wurde: „Juden ins Gas!“ oder dass ein konvertierter Muslim Videos von Steinigungen ins Internet stellte, oder dass ein christlicher Libanese schnellstens nach Italien abgeschoben wurde, offenbar weil seinen islamischen Mitbewohnern im Asylantenheim missfiel, das nahm Herr Hirz zwar zur Kenntnis, wollte sich aber damit nicht näher befassen. Alle seine Fragen sind so gestellt, dass man merkt, dass er der Interviewten eigentlich nicht glauben mag: „Wenn Sie das so sehen……“, „Sie zeichnen ein düsteres Gemälde!“

Ich kann mir diese Ignoranz nur so erklären, dass es gewisse Denkverbote gibt, die so verinnerlicht sind, dass sie stärker als alle Realität sind.

Mittwoch, 1. Juni 2016

Kampf gegen Windmühlen

oder:
Warum wende ich mich ausgerechnet gegen eine unscheinbare Notiz in der berlin-brandenburgischen Kirchenzeitung?

Bei der Feststellung gesellschaftlicher Phänomene habe ich einen Leitspruch, und der heißt:
“In unscheinbaren Episoden ist ein Kennzeichen einer komplexen gesellschaftlichen Realität zu erkennen.“ Allerdings soll in einer solchen Betrachtung keine Beliebigkeit herrschen, und man sollte in der Lage sein, die Kennzeichen zu deuten.
Wenn in einer Zeitung (Die Kirche Nr.20), die immerhin einen speziellen Leserkreis in einem breiten Einzugsgebiet hat, solch „unscheinbare“ Notiz zu lesen ist: „Jüdische Gemeinde: Dialogbeauftragter der bremischen Kirche ist Antisemit“, dann kann ich darin tatsächlich Antisemitismus erkennen.

Der Philosoph und Sozialforscher Theodor W. Adorno bezeichnet den Antisemitismus auch als „das Gerücht über die Juden". Genau dieses Phänomen ist in dieser Zeitungsnotiz zu erkennen: Eine Begebenheit, die nur unzureichend geschildert wurde, die aber beim Leser ein unbestimmtes, unangenehmes Gefühl den Juden gegenüber hervorruft. Darum habe ich mir die Mühe gemacht und ein zweites Mal an die Zeitung geschrieben. Denn ich möchte wissen, warum sie dieses und nicht etwas anderes in ihrer Rubrik schrieb oder ob es sowieso gleichgültig ist, womit sie ihre Seiten füllt.


An die Redaktion „die kirche“
Sehr geehrte Damen und Herren,

Am 15.5.2016 schickte ich einen Leserbrief an Sie. Es handelte sich um die Notiz in der Rubrik „Vermischtes“, die davon kündete, dass die „jüdische Gemeinde“ den Dialogbeauftragten der Bremischen Kirche für einen Antisemiten halte. In meinem Leserbrief habe ich mich dagegen ausgesprochen.

Nun erwarte ich nicht, dass jeder Leserbrief abgedruckt wird, also auch nicht der meinige. Das Thema Antisemitismus, das in der Rubrik etwas flapsig, dafür verschwommen angesprochen wird, sollte aber von Ihnen sensibel behandelt werden. Ich stelle es noch einmal fest: in der Rubrik wird ohne die geringste Hintergrundinformation unterstellt, dass die „jüdische Gemeinde“ - wen auch immer man sich darunter vorstellen mag -, einen „bremischen Dialogbeauftragten“, also einen honorigen kirchlichen Vertreter, als einen Antisemiten bezeichnet. Dass jener Dialogbeauftragte sich zuvor selbst in einem Brief als Antisemiten bezeichnet hatte, verschweigen Sie. Für mich ist so eine unscharfe Information selbst ein Stück Antisemitismus. Denn als Reaktion wollen Sie beim die Zusammenhänge nicht kennenden Leser hervorrufen: Was sich die Juden schon wieder erdreisten!

Falls es andere Beweggründe für die betreffende Notiz in Ihre Zeitung gibt, lassen Sie es mich bitte wissen. Ansonsten möchte ich Sie bitten, etwas vorsichtiger mit dem Thema Antisemitismus umzugehen, das Sie immerhin in diesem Fall selbst herauf beschworen haben.

Mit freundlichen Grüßen

Freitag, 20. Mai 2016

Unterwerfung

Als ich im NDR-Kulturradio einen Bericht über den französischen Journalisten Antoine Leiris hörte, der nach dem gewaltsamen Tod seiner Frau im Pariser Bataclan einen Aufruf unter dem Motto „Meinen Hass bekommt ihr nicht!“ schrieb, fiel mir nur ein: ´Müssen sie den Terror nun auch noch zu einem Pop-Ereignis umwandeln!?´

Im Kultursender wurde die Mitteilung nicht vorenthalten, wieviel mal dieser Aufruf, ob bei Facebook oder wo auch immer, schon „angeklickt“ gewesen sei. Und dass das Heftchen mit dem entsprechenden Text nun auch schon ein Bestseller wäre.

Dem französischen Journalisten will ich keine unehrenhaften Absichten unterstellen. Mag er diesen anrührenden Text so geschrieben haben, wie es ihm sein Herz diktierte. Es sprach vielleicht auch ein verinnerlichter Geist des Edelmuts aus ihm. Er hätte aber genauso schreiben können: „Meinen 17-Monate alten Sohn werdet ihr nicht bekommen, dafür werde ich sorgen. Wenn er erwachsen ist, soll er unbeschwert in ein Konzert gehen können!“

Ob Terroristen sich den Hass der Menschen überhaupt wünschen, ist gar nicht so sicher. Es ist ihnen wahrscheinlich egal, ob sie Menschen zum Hass bewegen oder nicht, denn als Menschen sehen sie ihr Gegenüber nicht an. Was sie verlangen, ist Unterwerfung. Diese fängt bei Gesten des Alltags an. Und Beides spielt hervorragend zusammen: Eine Weltanschauung, die ihren Vernichtungsdrang ungestört auslebt und die andere Weltanschauung, die da versucht, jedes beliebige Geschehen zu einem Pop-Ereignis zu stilisieren.

Sonntag, 15. Mai 2016

Wieder einmal ein Leserbrief

Warum schreibe ich ab und zu einmal einen Leserbrief?

In erster Linie einfach, damit er geschrieben ist. Bei der Inflation des Geschriebenen und Nicht-Gelesenen müsste ich mir die Mühe nicht machen. Vielleicht ist schon die Mühe des Nachdenkens „ein Wert für sich“. Auch denke ich, dass das formulierte Wort immer noch mehr bedeutet als ein nicht formuliertes.

Auch, damit diejenigen die ihn erhalten bemerken, dass das, was sie tun, wahrgenommen wird. Und weil sie sich beim Erhalt des Briefes Gedanken machen müssen, ob sie ihn abdrucken oder auch nicht. Und so machte ich mir die Mühe und dachte über eine unscheinbare Randnotiz in der brandenburgischen Kirchenzeitung nach und schrieb folgenden Brief:

„Eine Notiz in der Rubrik „Vermischtes“ der „Kirche“ Nr. 20 fiel mir auf. Die Überschrift besagt, dass die „jüdische Gemeinde“ behauptet, der „Dialogbeauftragte der bremischen Kirche ist Antisemit“. Darunter ist ein kurzer Text, den nur halbwegs verstehen kann, wer die Geschichte des Pastors Volker Keller kennt, der seinen Brief an einen jüdischen Journalisten selbst mit „Antisemit“ unterschrieben hat. Die Geschichte ist im Internet zu verfolgen, einschließlich der Artikel des Publizisten Arn Strohmeyer, die er im „Palästina Portal“ regelmäßig veröffentlicht, und der von Pastor Keller gefördert wird. Die Überschrift beinhaltet eine grobe Irreführung, weil von einer ominösen „Jüdischen Gemeinde“ die Rede ist, die einem sehr konkreten, nämlich „bremischen Dialogbeauftragen“ des Antisemitismus bezichtigt. Überhaupt nicht erhellend ist die Notiz die folgt, im Gegenteil, sie verwischt Tatsachen. So etwas bezeichnet man als: Das Gerücht über die Juden verbreiten.

Vorn in der „Kirche“ ist vom Heiligen Geist die Rede, hinten wird ein ganz anderer Geist bemüht. Da sollten sich die verantwortlichen Redakteure der „Kirche“, wenn sie die Auswahl, auch in einer nicht so bedeutenden Rubrik wie „Vermischtes“ treffen, die Frage stellen. „Prüfet die Geister, ob sie von Gott sind“ (1.Joh. 4.1)“

Samstag, 7. Mai 2016

Lügenpresse?

Wenn ich gezwungen wäre, diese Frage mit nur einem Wort zu beantworten, dann wäre die Antwort „Ja“. Wenn die Ansicht darauf etwas komplexer ausfallen sollte, dann würde ich zuerst einmal Lügenpresse etwa so definieren: Die öffentlich rechtlichen Medien, die von Gebühren finanzierten Medien, die relevanten meinungsbildenden Medien: Sie geben mit unsauberen journalistischen Mitteln ein verzerrtes Bild von der Wirklichkeit wieder und versuchen gleichzeitig, die Wirklichkeit nach ihrem Weltbild zu beeinflussen. Ob dabei Ideologie eine Rolle spielt, ob Medien die Hoffnung haben, stärker beachtet zu werden, wenn sie polarisieren und sogar Menschen gegeneinander aufhetzen, ob sie sich in der Rolle der Politikmacher wähnen wollen? Wer weiß das schon? Es wird eine Mischung aus allem sein.

So war der NDR, der immerhin für „Tagesschau“ und „Tagesthemen“ verantwortlich ist, durch Umfragen zu dem Eindruck gekommen, dass die Menschen den Medien immer weniger vertrauen. Das hat den NDR so sehr betrübt, dass er der Frage nachgehen wollte, ob es denn wirklich so wäre. Es entstand der Film: „Der NDR, seine Zuschauer und die Medienkrise“, der am 02.05. um 22 Uhr im NDR ausgestrahlt wurde. Anschließend gab es einen Chat, bei dem den Zuschauern Fragen beantwortet wurden. Dass dabei praktisch diejenigen, denen die Vorwürfe gelten, sich selbst entlasteten, so wie es in guten geschlossenen Gesellschaften der Fall ist, machte die Sache nicht besonders glaubwürdig und bestätigte den Verdacht, dass an dem Vorwurf „Lügenpresse“ doch etwas daran ist. Für den Film hatte man sich einen Redakteur außer Dienst, H. J. Börner, der dem NDR nahe steht, als moralischen Beistand geholt. Ausgerechnet die Tagesthemen-Modeartorin Pinar Atalay, deren unvergessliches Interview mit dem ehemaligen ukrainischen Ministerpräsidenten Jazenuk nicht gerade zur Vertrauensbildung in politische Sendungen beigetragen hat, führte durch die 45-minütige Recherchesendung. (Dieses Interview habe ich selbst gesehen, und meine Verblüffung darüber, wie Herr Jazenjuk Frau Atalay kumpelhaft erzählen konnte, dass wir uns ja noch gut daran erinnern können, wie die Russen damals (1944/45) erst in die Ukraine, dann in Deutschland einfielen, und über Frau Atalays erstauntes Schweigen dazu hat noch nicht nachgelassen.)

In der NDR-Entlastungssendung besuchten Frau Atalay und Herr Börner verschiedene Medienkonsumenten und versuchten der Frage nachzugehen, warum öffentliche Medien unglaubwürdig sein könnten. Man gab sich zwar redliche Mühe, aber grobe journalistische Fehler im Mediengeschehen konnten in der gesamten Sendung nicht aufgedeckt werden. Auch die befragten NDR-Konsumenten konnten keine rechte Antwort finden. Interessant war das aufgeführte Beispiel: „Köln-Silvester“. Da gab es nicht etwa die Beschwerde, dass die Ereignisse von Köln einige Tage lang verschwiegen und marginalisiert wurden, sondern dass der NDR keine Sendung darüber gemacht ha,t um aufzuzeigen, „dass es nicht überall so wie in Köln war“. Kurzum: Wir haben alles richtig gemacht, könnten unsere Arbeit aber noch verfeinern und noch sorgfältiger gestalten, so lautete das schon vorprogrammierte Ergebnis der Recherche.

Ein viel beachteter Tagesthemen Kommentar von Anja Reschke wurde als Beispiel für die gute Arbeit des NDR angeführt. Dieser Kommentar galt damals „rechten Hasskommentaren gegen Einwanderer im Internet“. Der Kommentar vom 05.08.2015 begann mit der fiktiven Vorstellung: „Was würde wenn...“ und folgerte: „dann würde das und das…“. Es war ein Beitrag voll von drastischen Zitaten absurder Redewendungen, wie „Schmarotzer, Scheiß-Kanaken sollen vergast werden, anzünden, …“, die dem unteren primitiven Spektrum des Sprachgebrauchs entnommen waren und die fiktiv den ebenfalls fiktiven Hasskommentatoren unterstellt wurden. Umgehend forderte Frau Reschke die „sachliche Diskussion“, die ihr aber, ebenfalls fiktiv, nicht gewährt wurde. Dieser Kommentar hätte Ausgangspunkt einer Auseinandersetzung sein können, was Polarisieren bedeutet, wie man von Problemen ablenkt und wie man die Zuschauer vom hohen Ross aus in Moralisch und Unmoralisch einteilt. In der Diskussion fiel Frau Reschkes Satz: „Das sind grundrassistische Gefühle, das ist in den Leuten drin!“, was für sich schon eine Art Rassismus bedeutet.

Größeren Raum nahm im Film ein, was man den Zuschauern sagen darf und was nicht. Es ging um den so genannten Pressekodex, den ein Zuschauer fälschlicherweise als Ehrenkodex bezeichnete - diese Belehrung hat der Zuschauer mitgenommen. Jedenfalls versicherten alle Journalisten, dass sie außerordentlich behutsam und sensibel mit den Attributen und näheren Bezeichnungen umgehen, die zu schwer wiegenden Pauschalisierungen von Menschengruppen führen könnten. Den Beweis erhielt am Mittwoch, dem 04.05. zwar nicht vom NDR, sondern von der Berliner Zeitung (und anderen online-Zeitungen), die über den Mord mit einer Eisenstange an einer Putzfrau in Wien kultursensibel berichteten und die Nationalität des Kenianers, der die Tat ausführte, verschwieg. Wahrscheinlich hatte die BZ nicht mitbekommen, was der NDR mit seinen Zuschauern im Filmbeitrag erreicht hatte, dass man ihnen nämlich Einiges zumuten kann, weil sie schon über eine gewisse Aufgeklärtheit verfügten.

Was hat der NDR mit der BZ gemeinsam? Sicher, dass sie sich in ihrer Sicht von der feindlichen Umwelt als Lügenpresse diffamiert fühlen. Nun möchte ich trotzdem nicht den NDR für Unterlassungen der BZ anprangern. Aber wie sah es am 04.05 beim NDR aus, was wurde in den Tagesthemen und in der Tageschau, direkte Ableger des NDR, berichtet? Die Spatzen, d. h. viele renommierte Tageszeitungen pfiffen es von allen Dächern, es war an diesem Tag ein Hauptthema in der Berichterstattung: Die Türkei baut Selbstschussanlagen an der Grenze zu Syrien, massive Zäune und eine dichte Anlage von automatisch auf Grtenzverletzer schießenden Wehrtürmen sind im Entstehen. Weder in den Tagesthemen noch in der Tagesschau fiel darüber auch nur ein Wort. Vielleicht hat der NDR in seinem Rechtfertigungsfilm vergessen zu erwähnen, dass auch Unterlassung zum Eindruck von Lüge führen kann. Vielleicht gab es auch Wichtigeres, was wegen eines lästigen Politbeitrages der Tagesthemen-Sendung sonst hätte weichen müssen: Das Gesangstraining von Heavy Metal Sängern in New York war Frau Miosga einen ganzen Sendebeitrag wert.

Der Bau der Grenzsicherungsanlagen zwischen der Türkei und Syrien kann noch weniger vor der Welt verborgen werden als die Vorfälle in der Sylvesternacht in Köln. Die Tagesthemen werden eines Tages gezwungen sein, sich damit zu beschäftigen, sie dem Zuschauer zu offenbaren und eventuell Kommentare dazu abzugeben. Das Verschweigen bzw. Hinauszögern solcher Tatsache, die man gewiss nicht als „nicht relevant für das Verständnis des Weltgeschehens“ bezeichnen kann muss einen Grund haben, und ihn zu ermitteln, wäre ein Ansatzpunkt, wollte sich der NDR vom Verdacht der „Lügenpresse“ frei sprechen.

Donnerstag, 5. Mai 2016

Lügenpresse (Teil 1)

In den folgenden Tagen möchte ich mich mit dem in der letzten Zeit so oft bemühten Ausdruck „Lügenpresse“ auseinandersetzen. Vorab drucke ich zwei Leser/Hörerbriefe der letzten zwei Tage aus. Der eine ist eine direkte Illustration zum Ausdruck Lügenpresse, der andere behandelt das Thema Antisemitismus in den Medien, was einen engen Zusammenhang hat. Die Verbreitung von Antisemitismus hängt unmittelbar zusammen mit Lügen, dem Wiedergeben eines verzerrten Bildes der Wirklichkeit, bis hin zu den berühmten 3 D: Desinformation, Dämonisierung und Doppelte Standards. Wenn der DLF an dem Tag, da in Israel der 6 Millionen ermordeten Juden gedacht wird, einen Beitrag bringt, der Israel mit dem aufkommenden Nationalsozialismus vergleicht, der zu eben jener Ermordung geführt hat, dann ist das mit nichts anderem zu bezeichnen als Antisemitismus.

(an die Berliner Zeitung)

Guten Tag,

soeben las ich in Ihrer Online-Ausgabe folgende Nachricht. Es fällt sofort auf, dass Sie nichts über den Angreifer sagen und es reicht ein Blick in die österreichischen Medien, um zu erfahren, dass es sich bei dem Mann mit der Eisenstange um einen abgelehnten und mehrfach straffällig gewordenen kenianischen Asylbewerber handelt, der sich illegal in Österreich aufhält. Diese Information ist für die Nachricht vom wesentlichen Wert, weil sie den ungewöhnlichen Vorfall für den Leser verständlicher macht.

Gerade in diesen Tagen gibt es aufgeregte Debatten darüber, wie die deutschen Journalisten zu recht oder unrecht fehlender Vertrauenswürdigkeit beschuldigt werden. Wenn Sie solch wesentliche Bestandteile einer Nachricht auslassen, ist es eine Anmaßung gegenüber dem Leser, den Sie offensichtlich nicht für fähig halten, sich anhand der Tatsachen ein eigenes Urteil zu bilden.

Und dadurch sind Sie direkt für die Pegida- und sonst welche Hetzer verantwortlich und tragen zum offensichtlich tatsächlichen Niedergang der deutschen Journalismus bei. Andere deutsche Medien berichten mit denselben Auslassungen.

Warum tun sie das?



(an den Deutschlandfunk)

Informationen am Mittag vom 05.05.2016:
„Israel -Top-Militär kritisiert zum Holocaust-Gedenken gesellschaftliche Entwicklung“

Sehr geehrte Redaktion,

wenn es in ihrem Sender an den Staat Israel geht, dann ist beim Zuhörer immer höchste Vorsicht angesagt. Leider sind Sie auch an dem heutigen israelischen Holocaustgedenktag ihren diesbezüglichen krankhaften Neigungen voll erlegen:
Ihr Bericht zu diesem Anlass befasst sich mit den Äußerungen eines israelischen Top-Generals, der die Entwicklungen im heutigen Israel mit denen in Deutschland in den 20-er und 30-er Jahren des vorigen Jahrhunderts verglich, also mit der sich etablierenden Nazizeit.

Lassen wir den General denken, was er mag, in einer innerisraelischen Auseinandersetzung kann seine Stimme von Bedeutung sein. Wenn aber der Deutschlandfunk am Holocaustgedenktag nichts Besseres zu tun hat, als diesen General zu zitieren, dann ist es eine völlig andere Angelegenheit.

Ihre Berichterstattung über Israel ist immer wieder antisemitisch oder Sie schrammen entlang der Grenze zum Antisemitismus wie ein Betrunkener, einmal darüber und einmal darunter schießend.

Was Israel betrifft, sind Sie peinliche journalistische Spießgesellen, mehr kann man dazu nicht sagen!

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