Sonntag, 15. Mai 2016

Wieder einmal ein Leserbrief

Warum schreibe ich ab und zu einmal einen Leserbrief?

In erster Linie einfach, damit er geschrieben ist. Bei der Inflation des Geschriebenen und Nicht-Gelesenen müsste ich mir die Mühe nicht machen. Vielleicht ist schon die Mühe des Nachdenkens „ein Wert für sich“. Auch denke ich, dass das formulierte Wort immer noch mehr bedeutet als ein nicht formuliertes.

Auch, damit diejenigen die ihn erhalten bemerken, dass das, was sie tun, wahrgenommen wird. Und weil sie sich beim Erhalt des Briefes Gedanken machen müssen, ob sie ihn abdrucken oder auch nicht. Und so machte ich mir die Mühe und dachte über eine unscheinbare Randnotiz in der brandenburgischen Kirchenzeitung nach und schrieb folgenden Brief:

„Eine Notiz in der Rubrik „Vermischtes“ der „Kirche“ Nr. 20 fiel mir auf. Die Überschrift besagt, dass die „jüdische Gemeinde“ behauptet, der „Dialogbeauftragte der bremischen Kirche ist Antisemit“. Darunter ist ein kurzer Text, den nur halbwegs verstehen kann, wer die Geschichte des Pastors Volker Keller kennt, der seinen Brief an einen jüdischen Journalisten selbst mit „Antisemit“ unterschrieben hat. Die Geschichte ist im Internet zu verfolgen, einschließlich der Artikel des Publizisten Arn Strohmeyer, die er im „Palästina Portal“ regelmäßig veröffentlicht, und der von Pastor Keller gefördert wird. Die Überschrift beinhaltet eine grobe Irreführung, weil von einer ominösen „Jüdischen Gemeinde“ die Rede ist, die einem sehr konkreten, nämlich „bremischen Dialogbeauftragen“ des Antisemitismus bezichtigt. Überhaupt nicht erhellend ist die Notiz die folgt, im Gegenteil, sie verwischt Tatsachen. So etwas bezeichnet man als: Das Gerücht über die Juden verbreiten.

Vorn in der „Kirche“ ist vom Heiligen Geist die Rede, hinten wird ein ganz anderer Geist bemüht. Da sollten sich die verantwortlichen Redakteure der „Kirche“, wenn sie die Auswahl, auch in einer nicht so bedeutenden Rubrik wie „Vermischtes“ treffen, die Frage stellen. „Prüfet die Geister, ob sie von Gott sind“ (1.Joh. 4.1)“

Samstag, 7. Mai 2016

Lügenpresse?

Wenn ich gezwungen wäre, diese Frage mit nur einem Wort zu beantworten, dann wäre die Antwort „Ja“. Wenn die Ansicht darauf etwas komplexer ausfallen sollte, dann würde ich zuerst einmal Lügenpresse etwa so definieren: Die öffentlich rechtlichen Medien, die von Gebühren finanzierten Medien, die relevanten meinungsbildenden Medien: Sie geben mit unsauberen journalistischen Mitteln ein verzerrtes Bild von der Wirklichkeit wieder und versuchen gleichzeitig, die Wirklichkeit nach ihrem Weltbild zu beeinflussen. Ob dabei Ideologie eine Rolle spielt, ob Medien die Hoffnung haben, stärker beachtet zu werden, wenn sie polarisieren und sogar Menschen gegeneinander aufhetzen, ob sie sich in der Rolle der Politikmacher wähnen wollen? Wer weiß das schon? Es wird eine Mischung aus allem sein.

So war der NDR, der immerhin für „Tagesschau“ und „Tagesthemen“ verantwortlich ist, durch Umfragen zu dem Eindruck gekommen, dass die Menschen den Medien immer weniger vertrauen. Das hat den NDR so sehr betrübt, dass er der Frage nachgehen wollte, ob es denn wirklich so wäre. Es entstand der Film: „Der NDR, seine Zuschauer und die Medienkrise“, der am 02.05. um 22 Uhr im NDR ausgestrahlt wurde. Anschließend gab es einen Chat, bei dem den Zuschauern Fragen beantwortet wurden. Dass dabei praktisch diejenigen, denen die Vorwürfe gelten, sich selbst entlasteten, so wie es in guten geschlossenen Gesellschaften der Fall ist, machte die Sache nicht besonders glaubwürdig und bestätigte den Verdacht, dass an dem Vorwurf „Lügenpresse“ doch etwas daran ist. Für den Film hatte man sich einen Redakteur außer Dienst, H. J. Börner, der dem NDR nahe steht, als moralischen Beistand geholt. Ausgerechnet die Tagesthemen-Modeartorin Pinar Atalay, deren unvergessliches Interview mit dem ehemaligen ukrainischen Ministerpräsidenten Jazenuk nicht gerade zur Vertrauensbildung in politische Sendungen beigetragen hat, führte durch die 45-minütige Recherchesendung. (Dieses Interview habe ich selbst gesehen, und meine Verblüffung darüber, wie Herr Jazenjuk Frau Atalay kumpelhaft erzählen konnte, dass wir uns ja noch gut daran erinnern können, wie die Russen damals (1944/45) erst in die Ukraine, dann in Deutschland einfielen, und über Frau Atalays erstauntes Schweigen dazu hat noch nicht nachgelassen.)

In der NDR-Entlastungssendung besuchten Frau Atalay und Herr Börner verschiedene Medienkonsumenten und versuchten der Frage nachzugehen, warum öffentliche Medien unglaubwürdig sein könnten. Man gab sich zwar redliche Mühe, aber grobe journalistische Fehler im Mediengeschehen konnten in der gesamten Sendung nicht aufgedeckt werden. Auch die befragten NDR-Konsumenten konnten keine rechte Antwort finden. Interessant war das aufgeführte Beispiel: „Köln-Silvester“. Da gab es nicht etwa die Beschwerde, dass die Ereignisse von Köln einige Tage lang verschwiegen und marginalisiert wurden, sondern dass der NDR keine Sendung darüber gemacht ha,t um aufzuzeigen, „dass es nicht überall so wie in Köln war“. Kurzum: Wir haben alles richtig gemacht, könnten unsere Arbeit aber noch verfeinern und noch sorgfältiger gestalten, so lautete das schon vorprogrammierte Ergebnis der Recherche.

Ein viel beachteter Tagesthemen Kommentar von Anja Reschke wurde als Beispiel für die gute Arbeit des NDR angeführt. Dieser Kommentar galt damals „rechten Hasskommentaren gegen Einwanderer im Internet“. Der Kommentar vom 05.08.2015 begann mit der fiktiven Vorstellung: „Was würde wenn...“ und folgerte: „dann würde das und das…“. Es war ein Beitrag voll von drastischen Zitaten absurder Redewendungen, wie „Schmarotzer, Scheiß-Kanaken sollen vergast werden, anzünden, …“, die dem unteren primitiven Spektrum des Sprachgebrauchs entnommen waren und die fiktiv den ebenfalls fiktiven Hasskommentatoren unterstellt wurden. Umgehend forderte Frau Reschke die „sachliche Diskussion“, die ihr aber, ebenfalls fiktiv, nicht gewährt wurde. Dieser Kommentar hätte Ausgangspunkt einer Auseinandersetzung sein können, was Polarisieren bedeutet, wie man von Problemen ablenkt und wie man die Zuschauer vom hohen Ross aus in Moralisch und Unmoralisch einteilt. In der Diskussion fiel Frau Reschkes Satz: „Das sind grundrassistische Gefühle, das ist in den Leuten drin!“, was für sich schon eine Art Rassismus bedeutet.

Größeren Raum nahm im Film ein, was man den Zuschauern sagen darf und was nicht. Es ging um den so genannten Pressekodex, den ein Zuschauer fälschlicherweise als Ehrenkodex bezeichnete - diese Belehrung hat der Zuschauer mitgenommen. Jedenfalls versicherten alle Journalisten, dass sie außerordentlich behutsam und sensibel mit den Attributen und näheren Bezeichnungen umgehen, die zu schwer wiegenden Pauschalisierungen von Menschengruppen führen könnten. Den Beweis erhielt am Mittwoch, dem 04.05. zwar nicht vom NDR, sondern von der Berliner Zeitung (und anderen online-Zeitungen), die über den Mord mit einer Eisenstange an einer Putzfrau in Wien kultursensibel berichteten und die Nationalität des Kenianers, der die Tat ausführte, verschwieg. Wahrscheinlich hatte die BZ nicht mitbekommen, was der NDR mit seinen Zuschauern im Filmbeitrag erreicht hatte, dass man ihnen nämlich Einiges zumuten kann, weil sie schon über eine gewisse Aufgeklärtheit verfügten.

Was hat der NDR mit der BZ gemeinsam? Sicher, dass sie sich in ihrer Sicht von der feindlichen Umwelt als Lügenpresse diffamiert fühlen. Nun möchte ich trotzdem nicht den NDR für Unterlassungen der BZ anprangern. Aber wie sah es am 04.05 beim NDR aus, was wurde in den Tagesthemen und in der Tageschau, direkte Ableger des NDR, berichtet? Die Spatzen, d. h. viele renommierte Tageszeitungen pfiffen es von allen Dächern, es war an diesem Tag ein Hauptthema in der Berichterstattung: Die Türkei baut Selbstschussanlagen an der Grenze zu Syrien, massive Zäune und eine dichte Anlage von automatisch auf Grtenzverletzer schießenden Wehrtürmen sind im Entstehen. Weder in den Tagesthemen noch in der Tagesschau fiel darüber auch nur ein Wort. Vielleicht hat der NDR in seinem Rechtfertigungsfilm vergessen zu erwähnen, dass auch Unterlassung zum Eindruck von Lüge führen kann. Vielleicht gab es auch Wichtigeres, was wegen eines lästigen Politbeitrages der Tagesthemen-Sendung sonst hätte weichen müssen: Das Gesangstraining von Heavy Metal Sängern in New York war Frau Miosga einen ganzen Sendebeitrag wert.

Der Bau der Grenzsicherungsanlagen zwischen der Türkei und Syrien kann noch weniger vor der Welt verborgen werden als die Vorfälle in der Sylvesternacht in Köln. Die Tagesthemen werden eines Tages gezwungen sein, sich damit zu beschäftigen, sie dem Zuschauer zu offenbaren und eventuell Kommentare dazu abzugeben. Das Verschweigen bzw. Hinauszögern solcher Tatsache, die man gewiss nicht als „nicht relevant für das Verständnis des Weltgeschehens“ bezeichnen kann muss einen Grund haben, und ihn zu ermitteln, wäre ein Ansatzpunkt, wollte sich der NDR vom Verdacht der „Lügenpresse“ frei sprechen.

Donnerstag, 5. Mai 2016

Lügenpresse (Teil 1)

In den folgenden Tagen möchte ich mich mit dem in der letzten Zeit so oft bemühten Ausdruck „Lügenpresse“ auseinandersetzen. Vorab drucke ich zwei Leser/Hörerbriefe der letzten zwei Tage aus. Der eine ist eine direkte Illustration zum Ausdruck Lügenpresse, der andere behandelt das Thema Antisemitismus in den Medien, was einen engen Zusammenhang hat. Die Verbreitung von Antisemitismus hängt unmittelbar zusammen mit Lügen, dem Wiedergeben eines verzerrten Bildes der Wirklichkeit, bis hin zu den berühmten 3 D: Desinformation, Dämonisierung und Doppelte Standards. Wenn der DLF an dem Tag, da in Israel der 6 Millionen ermordeten Juden gedacht wird, einen Beitrag bringt, der Israel mit dem aufkommenden Nationalsozialismus vergleicht, der zu eben jener Ermordung geführt hat, dann ist das mit nichts anderem zu bezeichnen als Antisemitismus.

(an die Berliner Zeitung)

Guten Tag,

soeben las ich in Ihrer Online-Ausgabe folgende Nachricht. Es fällt sofort auf, dass Sie nichts über den Angreifer sagen und es reicht ein Blick in die österreichischen Medien, um zu erfahren, dass es sich bei dem Mann mit der Eisenstange um einen abgelehnten und mehrfach straffällig gewordenen kenianischen Asylbewerber handelt, der sich illegal in Österreich aufhält. Diese Information ist für die Nachricht vom wesentlichen Wert, weil sie den ungewöhnlichen Vorfall für den Leser verständlicher macht.

Gerade in diesen Tagen gibt es aufgeregte Debatten darüber, wie die deutschen Journalisten zu recht oder unrecht fehlender Vertrauenswürdigkeit beschuldigt werden. Wenn Sie solch wesentliche Bestandteile einer Nachricht auslassen, ist es eine Anmaßung gegenüber dem Leser, den Sie offensichtlich nicht für fähig halten, sich anhand der Tatsachen ein eigenes Urteil zu bilden.

Und dadurch sind Sie direkt für die Pegida- und sonst welche Hetzer verantwortlich und tragen zum offensichtlich tatsächlichen Niedergang der deutschen Journalismus bei. Andere deutsche Medien berichten mit denselben Auslassungen.

Warum tun sie das?



(an den Deutschlandfunk)

Informationen am Mittag vom 05.05.2016:
„Israel -Top-Militär kritisiert zum Holocaust-Gedenken gesellschaftliche Entwicklung“

Sehr geehrte Redaktion,

wenn es in ihrem Sender an den Staat Israel geht, dann ist beim Zuhörer immer höchste Vorsicht angesagt. Leider sind Sie auch an dem heutigen israelischen Holocaustgedenktag ihren diesbezüglichen krankhaften Neigungen voll erlegen:
Ihr Bericht zu diesem Anlass befasst sich mit den Äußerungen eines israelischen Top-Generals, der die Entwicklungen im heutigen Israel mit denen in Deutschland in den 20-er und 30-er Jahren des vorigen Jahrhunderts verglich, also mit der sich etablierenden Nazizeit.

Lassen wir den General denken, was er mag, in einer innerisraelischen Auseinandersetzung kann seine Stimme von Bedeutung sein. Wenn aber der Deutschlandfunk am Holocaustgedenktag nichts Besseres zu tun hat, als diesen General zu zitieren, dann ist es eine völlig andere Angelegenheit.

Ihre Berichterstattung über Israel ist immer wieder antisemitisch oder Sie schrammen entlang der Grenze zum Antisemitismus wie ein Betrunkener, einmal darüber und einmal darunter schießend.

Was Israel betrifft, sind Sie peinliche journalistische Spießgesellen, mehr kann man dazu nicht sagen!

Montag, 2. Mai 2016

Fernsehen am Sonntag (Ein Bericht in drei Teilen) Teil 3

Die nächste Sendung, die ebenfalls auf dem Sender Phoenix anlässlich des Besuchs von Barak Obama gezeigt wurde, führte endgültig in die Realität. Eben noch empfing Frau Merkel den mächtigen Präsidenten in Pracht und Pomp. Zuvor hatte ein Politikprofessor erklärt, dass das Volk in den USA nicht so angetan vom Präsidenten sei, denn es ginge der Bevölkerung schlechter als vor seinem Regierungsantritt. Das relativierte der Professor allerdings, indem er hinzufügte, dass ohne Obamas Wirken die wirtschaftliche Lage der Amerikaner eventuell noch schlechter sein könnte. Nun wurde den Zuschauern anlässlich des hohen Besuchs, ebenfalls in Phoenix, ein Film über die „amerikanische Mittelschicht und ihre Angst vor dem sozialen Abstieg“ gezeigt. Armut im Allgemeinen und Armut in den USA ist ein zu komplexes Thema als dass es hätte in einem ¾ Stunden Beitrag erörtert werden können. Es lohnt nicht, etwas über den Film zu schildern. Es war eine Reportage aus dem asozialen Milieu. Man kann diese Reportage als Gegenstück zu den vorher so glanzvoll „produzierten“ Bildern ansehen, und eigentlich hätte Obama, wenn es ihn denn interessiert hätte, über so einen Beitrag mindestens ebenso beleidigt sein dürfen wie die Angehörigen seiner Administration über ein zu niedrig klassifiziertes Hotelzimmer. Ob hier der antiamerikanische Reflex von Phoenix-Programmgestaltern zum Durchbruch kam oder ob der Glanz der Herrscherin durch den Gegensatz zum Reich des eben Empfangenen noch erhöht werden sollte oder ob man sogar Angela Merkel eins auswischen wollte indem man vorführte, woher dieser Präsident wirklich kommt, ist nicht einfach zu ermitteln.

Es spielt auch keine große Rolle.

Die drei Beiträge waren, wie schon erwähnt, zufällig. Zusammenhänge zwischen allen dreien kann man erkennen oder auch konstruieren. Ranking und die Pracht von Herrenhäusern spielen in Teil 1 und 2 eine Rolle. In Teil 2 und 3 erlebt man verschiedene deutsche Fernsehsichten auf die USA, je nachdem, welche Sicht gerade angesagt ist. Insgesamt scheint es mir, dass weder Herrenhäuser, noch Präsidentenbesuche, weder ein glanzvolles noch ein schäbiges Bild von Amerika die Zuschauer besonders interessiert, denn am nächsten Tag läuft ein neues Programm.

Samstag, 30. April 2016

Fernsehen am Sonntag (Ein Bericht in drei Teilen) Teil 2

Ins fast echte Leben holte mich der folgende Fernsehbeitrag. Kurioserweise spielte er im gleichen Milieu. Es war nur noch viel, viel weitläufiger und großartiger, als es in der voran gegangenen Sendung zu sehen gewesen war. Das war Schloss Herrenhausen in Hannover mit den Herrenhäuser Gärten in denen ich oft spazieren gegangen bin. Damals waren sie allerdings nicht hermetisch abgeriegelt wie heute, denn heute empfing die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel den US-Präsidenten Barak Obama. Hier war eine Kombination aus des „Kaisers neue Kleider“ und „potemkinsche Dörfer“ zu erleben. Potemkinsche Dörfer im übertragenen Sinne, denn es wurde „hohe Politik“ gezeigt, die eigentlich keine war. Mir schien, dass diese gewaltige Inszenierung, die eine Unmenge Geld gekostet haben muss, einzig dazu diente, um prächtige Bilder zu produzieren (wie man es heutzutage nennt), die wieder dazu führen sollten, dass Angela Merkel in der Ranking-Skala der beliebtesten Politiker um einige Punkte nach oben katapultiert wird. Ein Mini-Politik-Gipfel anlässlich der Eröffnung der Hannovermesse wurde abgehalten, wozu Oberhäupter verschiedener westeuropäischer Staaten heran geführt wurden. In Gedanken rechnete ich aus, wie viele Punkte die Umarmung des jeweiligen Staatsoberhauptes Wert sein könnte für die Verbesserung von Frau Merkels Ranking-Skala. Ein adliger Spezialist für diplomatisches Protokoll erklärte, dass ein Staatsbesuch eine so ausgeklügelte und komplizierte Angelegenheit sei, dass die geringste Nichtrücksicht auf Befindlichkeiten auch nur entfernt wichtiger Personen zu anhaltenden diplomatischen Verstimmungen führen kann. Auf den deutschen Außenminister war nicht so viel Rücksicht genommen worden, denn er durfte an diesem Glanzpunkt europäischer Politik nicht teilnehmen. Von einem Ergebnis des „Gipfels“ war nichts zu vermelden, das soll auch nicht vorgesehen gewesen sein, was meine Vermutung betreffs des Ranking erhärtete.

Was des „Kaisers neue Kleider“ betrifft: womit anders sollte man das Winken der beiden „mächtigsten Personen der Welt“ auf einem Balkon bezeichnen, wobei jeder Fernsehzuschauer weiß, dass der Platz vor dem Balkon leer ist?

Donnerstag, 28. April 2016

Fernsehen am Sonntag (Ein Bericht in drei Teilen) Teil 1

An einem Sonntagnachmittag, auch wenn er krankheitshalber im Bett verbracht werden muss, kann man viel Interessantes erleben. So sah ich am Sonntag, 24.4. drei verschiedene Sendungen im Fernsehen. Diese Sendungen suchte ich nicht gezielt aus, sie haben sozusagen mich ausgesucht. Als erstes blieb ich an einem überlangen Bericht im NDR über Schlösser und Herrenhäuser in Norddeutschland hängen. Es war keine Reportage, sondern ein Ranking. Ich fragte mich, wieso man solch verschiedenartige Objekte, das jedes auf seine Art einmalig ist, in ein Ranking bringen muss und ob etwa Gräfin X noch einen selbst geschnittenen Sonnenblumenstrauß neben das Portal hätte stellen sollen, damit sie mehr Punkte bekommt, um im Ranking höher zu liegen. Ohne Ranking wäre aber wohl die Rolle der Adels- und Schlossexperten, die die Übergänge zwischen den einzelnen Herrenhauspräsentationen sachkundig kommentierten, weniger bedeutend gewesen. Es fiel auf, dass die Schlösser in Mecklenburg-Vorpommern die hinteren Ränge belegten, was damit zu erklären ist, dass sie noch zu wenig Zeit hatten, um ihre Pracht voll zu entfalten und weil die Kameras nicht diese vollendeten Luftaufnahmen wie etwa in Schleswig Holstein hätten zustande bringen können, weil direkt neben dem betreffenden Schloss garantiert einige verrumpelte DDR-Ställe oder etwa dörfliche Plattenbauten zu sehen gewesen wären.

Die Schicksale der Herrenhäuser und ihrer Besitzer waren vielfältig, auch die Art und Weise, wie Lebens- und Schlossunterhalt erarbeitet wurde. So gut wie alle Besitzer lebten vorwiegend auf ihren Gütern und betonten ihr einfaches ländliches Leben. Gemeinsam war allen, dass Pracht und Reichtum sehr dezent zur Schau gestellt wurden, und dass alle sehr zufrieden mit ihrem Leben und ihrem Wohnambiente waren. Kritisches gab es nicht zu bemerken – wie sollte es auch, es war ja eine Unterhaltungs- und keine sozialkritische Sendung. Mehrmals dachte ich, dass die Landschaft trauriger wäre ohne diese vielfältigen und stolzen Anwesen mit ihrer interessanten Geschichte. Und dass sie ein Kultur- und Arbeitsfaktor in ihrer Gegend sind und in Wirklichkeit wohl nicht ganz so steril und vollkommen, wie sie sich hier darstellten.

Freitag, 22. April 2016

Hommage an Hans Koschnik

Oder: Gespräche eines älteren Ehepaars beim Frühstück sind nicht immer ganz so trocken, wie man es in Sketchen von Loriot erleben kann.

So schildere ich jetzt einen Dialog an einem zufälligen Tag, dem 21. April, beim Frühstück. Die Protagonisten werde ich der Einfachheit halber X und Y nennen. Die Logik des Gesprächs stimmt nicht immer 100 %-ig, und ein gender spezialisierter Mensch wird wohl herausfinden, wer der Mann und wer die Frau ist:

Im Hintergrund laufen die Nachrichten:
X: „Was, der Koschnik ist gestorben? Der war doch Bürgermeister in Bremen. Ich kann mich an nichts Nachteiliges von ihm erinnern, der war in Ordnung!“
Y: „Ja, außer dass er Bürgermeister von Bremen war, das ist schon eine Unanständigkeit für sich. Ein Bürgermeister von Bremen kann nur anständig werden, wenn er daran arbeitet, sich und seinen Regierungsapparat abzuschaffen. Was meinst du, was es an Steruergeldern kostet, wenn man den Staat Bremen mit seinem Senat, Parlament, Staatsgerichtshof etc. finanzieren muss!“
X: „War nicht Dohnany auch Bürgermeister von Bremen?“
Y: „Niemals, der würde sich mit so einem vermickerten Bremen nicht zufrieden geben, denn der ist ein echter Hanseat!“
X: „Aber Bremen gehört doch auch zur Hanse, und außerdem war die Hanse ein reputierliches und wirtschaftlich erfolgreiches Unternehmen.“
Y: „Ein echter Hanseat kann nur aus Hamburg kommen. Und der wirtschaftliche Erfolg eines Hanseaten funktioniert so: Er spaltet am liebsten jeden Cent noch dreimal auf, und aus dem, was er dabei einspart, baut er sich die Elbphilharmonie“
X: „Das mag wohl so sein, aber der Koschnik, der war doch auch in Bosnien und hat da so viel gemacht, und ich habe nur Gutes über ihn gehört“.
Y: "Das stimmt, da hat er seine bremischen Sünden gut gemacht."

Nachtrag 1: Hans Koschnik war nicht nur in Bosnien aktiv, sondern er wurde dort auch tätlich angegriffen, er hat also nicht nur aus der Ferne für und mit den Bosniern gebetet, sondern stand mit seiner ganzen Person für sein Werk ein.

Nachtrag 2: Abends in den Tagesthemen holt die Frühstsücksteilmehmer die Realität ein. Das Leben von Hans Koschnik wird, mit schwarz-grauem Portrait abgebildet, blitzschnell gewürdigt. Danach darf der Zuschauer erfahren, welche nun wirklich bedeutende Persönlichkeit unsere Welt dank übermässigen Drogenkosums - dieses wurde aus Pietätsgründen verschwiegen -, verlassen hat, nämlich der Popsänger Prince. Dazu lieferte man einen Extrabeitrag mit viel Bunt und Glitter. Nicht verschwiegen wurde, dass er auch einmal unter widrigsten Bedingungen gesungen hat, dass er kompromisslos war, und dass er nach eingehender innerer Prüfung herausgefunden hat, dass seelisches Wohlbefinden für ihn viel wichtiger als Ruhm wäre. Der Beitrag endete mit: „Gänsehaut pur!“

Anschließend dachte ich darüber nach, ob die Tagesthemen diese beiden Persönlichkeiten in der geschilderten Weise gewichtet hatten, weil sie entweder davon überzeugt waren, dass die Wichtung stimmt oder weil sie meinten, ihr Publikum wolle das so sehen oder um die Menschen auf diese Weise vom Nachdenken abzuhalten. Oder weil sie es einfach nicht besser wussten. Oder weil ihnen alles egal ist, hauptsache Posten und Finanzen stimmen, was oft kein unerheblicher Gesichtspunkt des Handelns ist?

Dienstag, 12. April 2016

Der Professor aus Heidelberg (Teil 2)

Dem Referat anschließend erfolgte eine Auswertung in kleineren Gruppen. Der Zufall führte mich in eine Gruppe von 8 Personen. Das Resümee, um es vorweg zu nehmen, würde ich so bezeichnen: „Die Botschaft hört´ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube“.

Die Gespräche waren interessant. Eine junge Pastorin nutzte die Gelegenheit, um die Idee vom bedingungslosen Grundeinkommen vorzustellen. Die Idee wurde als interessant empfunden, weil man der Meinung war, dass Menschen auf jeden Fall sinnvoll tätig sein möchten, das Grundeinkommen also nicht zum Nichtstun verleite. Ein andere Frau sagte, dass ihr der Vortrag gut gefallen habe, eigentlich wäre sie gleicher Meinung wie der Professor (von der in Zukunft nötigen Abschaffung der Geldwirtschaft), sie könne sich aber nicht vorstellen, wie das verwirklicht werden solle. Ein Pfarrer beklagte, dass er erst nach der Wende das Wort „Besitzstandswahrung“ kennen gelernt hatte. Denn die westdeutschen Pfarrer hatten, um eben jenen zu wahren, es abgelehnt, einen Teil ihres Gehaltes zu opfern, um ostdeutschen Pfarrern ein ebenso hohes Gehalt wie sie selbst es hatten, zu ermöglichen. Ob unser Moderator, ein Pfarrer mit „Westsozialisation“ darüber beschämt war, weiß ich nicht, zum Glück war er in einem Alter, wo damals seine Besitzstände noch nicht allzu hoch gewesen sein können. Im Stillen dachte ich an eine Episode von vor gut 25 Jahren, als mir ein Synodaler lebhaft geschildert hatte, wie auf einer pommerschen Synode ein Pfarrer den Vorschlag gemacht hatte, 5 % des Gehaltes, auch wenn es leider nur 80 % des Westgehaltes betrug, für einen Fond bereit zu stellen, der dem damaligen Abbau von Pfarrstellen hätte entgegen wirken können. Die Empörung seiner ostdeutschen Amtsbrüder war nicht geringer als zuvor die der westdeutschen und bewies, dass der Mensch lernfähig ist. Weil ich niemanden verunsichern wollte, behielt ich meine Gedanken für mich, sagte aber, dass ich nichts gegen Geld habe, denn ich hätte diese Tausch- und Beziehungswirtschaft in der DDR immer als sehr umständlich gefunden. Und dass ich der Meinung sei, es wäre eine persönliche Entscheidung jedes einzelnen Menschen, wie er zum Geld stehe und wie er damit umgehe. Und dass der Zwang, sein Leben mit finanziellen Mitteln zu bestreiten zwar oft mit Unannehmlichkeiten verbunden sei, aber dass es auch in unserem Land Menschen gäbe, die sich die Freiheit nähmen, z.B. in Kommunen zu leben, von datumsverfallenen Lebensmitteln zu leben oder sich auf ein ausgeklügeltes Tauschsystem einzulassen. Ab und zu werden solche Menschen sogar in den Medien vorgestellt. Fast jeder in der Runde hatte schon von solchen Menschen gehört, und so wurden meine Ausführungen mit Erstaunen zur Kenntnis genommen, doch es wurde ihnen nicht widersprochen. Zum Schluss meinte man, dass das bedingungslose Grundeinkommen eines Versuches Wert sei. Da ich danach zu einem Termin eilen musste, der ausgerechnet dem Geld verdienen diente, konnte ich an der allgemeinen Endauswertung nicht teilnehmen.

So holte mich diese Auswertung auf den Boden der Realität zurück und bestätigte, dass Menschen interessanter sind als Theorien und dass man zwar mit einer Theorie „im Luftraum des Traums“ schweben kann, aber dass Träume von der Realität eingeholt werden.

Im Luftreich des Traums

gegen Ideologien

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