Sonntag, 22. Juli 2012

Heydrich hat es nicht gewollt!

In einem tschechischen Gästezimmer fand ich einen Stapel Zeitschriften. Ausgerechnet die oberste davon hatte auf dem Titelbild den ehemaligen stellvertretenden Reichprotektor von Böhmen und Mähren, Reinhard Heydrich, der auch als "Schlächter von Prag" bezeichnet wird. Er war umgeben von zwei goldigen blonden Jungen, und das gesamte Foto zierte ein großer goldener Rahmen.

Die Überschrift des Titelbildes dieser Zeitschrift REFLEX Nr. 43-2011 (man könnte sie mit dem STERN vergleichen) lautete: Mein Papa, Reinhard Heydrich. Als ich diese Zusammenstellung sah, dachte ich: "Wenn wir schon einen Schlächter hatten, dann sollte er wenigstens ein Pop-Star gewesen sein!", also ein interessanter Mann, schillernd, mit vielen Gesichtern, eins davon das des liebenden Vaters. Mir fiel mein Blogeintrag vom 6.10.2011 ein, und ich fand, dass er ganz lebensecht war.

Wie es bei Illustrierten oft der Fall ist, hielt der Inhalt nicht, was die reißerische Überschrift versprach. Der Sohn mit dem Vornamen Heider, der einer tschechischen Journalistin ein Interview gegeben hatte, worauf diese ungeheuer stolz war, sprach so gut wie gar nicht über seinen Vater, sondern erzählte seine Kindheitserinnerungen an das glückliche Leben im tschechischen Schloss Panenské Břežany. Illustriert war der Artikel mit herzigen Familienfotos, dabei fehlte nicht der Heiders Bruder tätschelnde Adolf Hitler.

Die Schlussfolgerung aus dem gesamten Interview war, dass ein Kind nichts für seinen Vater kann, und dass er, Heider Heydrich, nun als Erwachsener eine strenge Trennung ziehe zwischen seinen glücklichen privaten Erinnerungen an seinen liebevollen Vater und seinem Vater als politische Person, dessen Verhalten er missbillige. Ansonsten entpuppte er sich als freundlicher Durchschnittsbürger, der sein erwachsenes Leben als Flugzeugingenieur in der Bundesrepublik verbracht hatte, und dem nichts geschenkt wurde. Außerdem war er ein guter Großvater und überhaupt ein Mensch, der nie jemanden etwas zuleide getan hatte, ja er organisierte sogar Hilfstransporte nach Polen.

Diese umwerfende "Neuigkeit", dass Menschen, die sich anderen Menschen gegenüber wie Bestien verhalten, zu ihren eigenen Kindern nett waren, ist in Wirklichkeit so geläufig, dass der Journalistin da keine große Enthüllung gelungen ist. Interessanter ist, was sich hinter und zwischen den Zeilen erkennen lässt. Heiders Mutter habe noch im Alter davon erzählt, wie herrlich die Zeit, 1941-1945 in Schloss Břežany gewesen sei, obwohl sie ja in diesen Jahren ihren Mann durch das Attentat und einen weiteren Sohn bei einem Verkehrsunfall verloren hatte. Also muss das Leben als Schlossherrin, umgeben von Dienstpersonal und Sklaven, die aus dem KZ Theresienstadt rekrutiert wurden, diese Verluste aufgewogen haben (später musste sie eine Weile ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten, bis sie dann ihre Pension als "Generalswitwe" erstritten hatte). Auch erwähnte Heider, dass seine Mutter den Tod keines einzigen Menschen verschuldet habe, und trotzdem sei sie von den Tschechen in Abwesenheit zu "lebenslänglich" verurteilt worden. Sie selbst sah Zeit ihres Lebens das Wirken ihres Mannes im Protektorat als positiv. Dem schloss sich Heider nicht unbedingt an, sondern beklagte mehr, wie das wunderschöne Schloss Břežany nach dem Krieg verkommen sei. Dass dieses zuvor einem jüdischen Fabrikanten abgenommen worden war, ließ er dagegen lieber unerwähnt. Auch befanden es der junge Heydrich und ebenfalls die Journalistin für unfair, dass sein geheim gehaltener Besuch auf Břežany im Frühjahr, der ja nur dem Grab seines Bruders gegolten habe, an die Öffentlichkeit geraten sei und einige Zeitungen in nicht freundlicher Weise darüber geschrieben haben.

Inmitten von Rührseligem und Privatem erhielten die Leser aber zusätzlich eine wichtige Botschaft. Die alte Mutter hatte es erst ganz zuletzt dem Sohn erzählt: Reinhard Heydrich habe ihr noch auf dem Sterbebett den Wunsch anvertraut, dass er keinesfalls Racheakte für seinen gewaltsamen Tod wolle. Dieser Wunsch sei auch fast respektiert geworden. Karl Hermann Frank, nach dem Tod Heydrichs der mächtigste Mann im Protektorat, habe dafür noch einen handfesten Streit mit Hitler in Kauf genommen - doch vergeblich. So sind Lidice und Ležáky und die Leben unzähliger Menschen ganz umsonst vernichtet worden: Heydrich hat es nicht gewollt. Wieder war der Führer an allem allein Schuld!

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