Donnerstag, 20. Mai 2021

Hysterie Teil 2

Lew Tolstoi "Hadschi Murat" (Kap. 15) : Zar Nikolaus 1 sollte bei einer Audienz über die Bestrafung eines polnischen Studenten urteilen, der einem Professor eine (unbedeutende) Wunde zugefügt hat: „Nikolaus runzelte die Stirn. Er hatte den Polen schweres Unrecht zugefügt, und um dieses Unrecht zu rechtfertigen, musste er sich in der Überzeugung erhalten, dass alle Polen Schurken seien. Und er hielt sie in der Tat dafür und hasste sie: er hasste sie in dem Maße, wie er ihnen Unrecht getan hatte". Zitat: Lew Tolstoj
(Die gewähte Strafe führte zu einem qualvollen Tod)

Als ich heute das vorhergegangene Zitat las, musste ich unwillkürlich an das bekannte Zitat des österreichisch-israelischen Psychologen Zwi Rex denken: „Die Deutschen werden den Juden Auschwitz nie verzeihen“ (Zvi Rex) (Ob wohl Zwi Rex durch Lew Tolstojs psychologische Überlegungen zu diesem Zitat inspiriert wurde? Allen großen Gedanken geht Inspiration durch andere Gedanken voraus)

Auf jeden Fall ist das Zitat fast eine einfache psychologische Weisheit, man sollte sich nur Rechtfertigungen, Schuldzuweisungen in der persönlichen Erfahrung überlegen. Da denke ich an einen, so nebenbei, getätigten Ausspruch eines Pfarrers in einer Bibelstunde: „Die Juden halten sich für das erwählte Volk Gottes, darum hat Israel eine Mauer quer durch sein Land errichtet!“ Ich fragte darauf, ob sie die Mauer vielleicht wegen der Abwehr von Terroristen errichtet hätten. Und, wie es die Zeit gerade wollte: die Bibelstunde war vorbei, die Zeit reichte nicht zur Beantwortung.

Diese Bibelstunde fand, wie es normal ist, in einem sehr kleinen Kreis statt. Das bestätigte meine Meinung zum Thema Hysterie (wie ich schon schrieb, halte ich Antisemitismus für die schwerste Form von Hysterie): Offiziell und im großen Kreis weiß jemand, jedenfalls wenn er eine gewisse Bildung und sich selbst unter Kontrolle hat, sehr wohl zu unterscheiden, ob er – politisch korrekt - von „unserer tiefen Schuld“ spricht oder die strikte Trennung „Juden“ (gut) und „Israel“ (schlecht) vornimmt. Im kleineren Kreis können solche verschwommenen Ungenauigkeiten wie die Gleichsetzung des „erwählten Volks“ mit dem Staat Israel durchaus vorkommen, und sie kommen mehr als genug vor.

Freitag, 14. Mai 2021

Hysterie

Meine Definition für Hysterie: „Ein Hysteriker hat auf alles eine Antwort“, sei die Antwort noch so verdreht, aus der Luft gegriffen, mit Lüge durchsetzt. Oder auch „er glaubt selbst, was er sagt, sei es auch noch so abwegig“ Ein Hysteriker - ich weiß nicht, ob es bewusst oder unbewusst ist – weiß aber genau, was er sagt, was er weglässt, unterschlägt, verdreht, umdeutet. So habe ich den Eindruck, Antisemitismus ist - zumindest in Deutschland -, eine Art Hysterie, die auf immer mehr und immer weiter verdrehte Art mit Israel vermischt wird.

Ich gebe ein Beispiel aus eigenem Erleben: Es war noch zu Ariel Sharons aktiven Zeiten: „Sharon ist wie Hitler“, erzählte mir jemand. Bei Aussagen jener Art kann ich nicht still sein, und ich fragte: „Baut er Gaskammern, in denen er tausende Menschen auf einmal vergasen lässt?“ Die Antwort war: „Er würde es aber gern!“ Auf so etwas antworte ich dann nicht mehr, denn Dummheit, bzw. Hysterie muss man im Raum stehen lassen, dann entlarvt sie sich am besten.

So werden in unserer offiziellen Propaganda, damit meine ich Medien, die staatlich finanziert werden, wie der öffentliche Rundfunk oder auch viele Zeitungen, die staatliche Unterstützungen bekommen, Geschehnisse in Israel und die hier lebenden Juden möglichst fein säuberlich voneinander getrennt. Oft gelingt es nicht, ich denke aber, es wird ein „unterschwelliges Einstreuen von antisemitischen Botschaften“ sein. SPIEGEL Panorama verkündete am 13.5.: „In Gelsenkirchen hatten sich 180 Menschen versammelt und antisemitische Parolen skandiert“. und: „Polizei stoppt antiisraelischen Demonstrationszug“ Der "antiisraelische Demonstrationszug" griff eine Synagoge an, Sprechchöre skandierten: „Scheißjude!“

Das kann man doch nichts anderes als eine Spielart von Hysterie nach meiner Definition bezeichnen.

Mittwoch, 12. Mai 2021

"Niemand hat größere Liebe ........"

Am Sonntag, während ich Obstsalat für meine Familie zubereitete, hörte ich nebenbei Radio. Es lief gerade ein katholischer Gottesdienst. Der Text zur Predigt war eine bekannte Bibelstelle, Johannes 15:13, die besagt: “ Niemand hat größere Liebe denn die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde.“ Jesus hat dieses zu seinen Jüngern gesprochen, bevor er in den Garten Gethsemane ging, also bevor er zu seiner Hinrichtung ging.

Der Spruch war mir gut bekannt, da ich ihn in vielen Kirchen auf Gedenktafeln gesehen habe. Ich war immer sehr irritiert, bzw. auch erschrocken von der Eindeutigkeit dieser Aussage auf Gedenktafeln, gerade in Kirchen, die nach außen ihren Pazifismus zur Schau tragen. Deshalb beschäftigte ich mich mit dem Vers. Jesu Tod – immerhin ist Jesus für Gläubige gottgleich -, wäre also Sinnbild für den Tod von Soldaten auf dem Schlachtfeld, mögen sie mit oder auch wider ihren Willen auf´s Schlachtfeld gezogen sein. Sie haben in der Regel auf dem Schlachtfeld auch getötet, sie sind ja nicht durch böse Hand einfach so gefallen. Ich erinnere an das Lied vom „guten Kameraden“, das auch heute noch zu militärischen Anlässen gespielt wird. In diesem Lied konnte der eine Kamerad dem sterbenden Kameraden die Hand nicht reichen, weil er gerade Munition nachladen muss.

Jetzt habe ich fast die Predigt schon gehalten, die ich beim Priester vermisst habe. Seine Aussage von der „größeren Liebe“ konkretisierte er nicht, er fand die Liebe einfach nur das Beste auf der Welt. Die Predigt war so seicht und nichtssagend, dass mir bewusst wurde, warum Predigten in der Regel nicht nur langweilig, sondern auch geisttötend sind. An dem konkreten Beispiel der Kriegertafeln, die viel Liebe beinhalten, hätte der Priester sicher eine interessante Predigt zustande bekommen. Ich denke, so eine Tafel könnte direkt vor seinen Augen hängen, er würde sie nicht bemerkten, geschweige als Beispiel zu inspirierenden Worten benutzen.

Mittwoch, 5. Mai 2021

Ein Schülervortrag über den Nahostkonflikt

Vor nicht langer Zeit wurde ich um Hilfe für einen 15-jährigen Schüler gebeten, der in der Schule einen Vortrag über den Nahostkonflikt halten sollte. „Du weißt doch so viel über Israel und Palästina, kannst du uns ein paar Hilfestellungen geben?“, wurde ich gefragt. Ein kleines Team von Erwachsenen und natürlich der Schüler mühte sich nun um die Aufgabe. Ich sagte dem Jungen: „Du musst erst mal ´rauskriegen, ob dein Lehrer für oder gegen Israel ist“, damit wir nichts falsch machen. Das meinte ich etwas ironisch, aber mir wurde bewusst, dass in diesem Hinweiseine interessante Tatsache steckt. Es wird angenommen, jeder Mensch wäre entweder „für“ oder „gegen“ Israel und umgekehrt „für“ oder „gegen“ Palästinenser. Man geht irgendwie davon aus, dass ein Lehrer, also ein Mensch, der studiert hat, „gegen“ Israel und „für“ Palästinenser ist. Warum eigentlich? Das sollte man näher ergründen. Ich dachte auch so bei mir: Eigentlich sollte ein Schülervortrag doch so gestaltet sein, dass er die Fakten und deren Auswirkungen bringt und nicht eine emotionale Stellung einnimmt, schon gar nicht die des Lehrers.

Aber zurück zum Vortrag. Ich gab dem Schüler zum Nahostkonflikt eine Reihe geschichtlicher Fakten, aus denen er sich ein Bild machen sollte: die Vorgeschichte vom osmanischen Reich, 1. WK, Balfourerklärung, britisches Mandat, Gründung des Staates Israel durch UNO_Beschluss und gleichzeitig Überfall der arabischen Staaten auf Israel, das dreifache „Nein!“ der Araber in Khartum, die Weigerung der Palästinenser, einen Staat zu gründen und Kompromisse einzugehen usw. Ich erlebte viel Verwunderung, besonders bei den mitwirkenden Erwachsenen. „Das war mir überhaupt nicht bewusst, dass Palästina nie ein Staat war!, ich dachte Israel hätte Palästina besetzt.“

All die Fakten, die ich übermittelte, stehen in Lexika, Wikipedia usw., sie sind überall einsehbar. Darum bin ich immer wieder überrascht über die Diskrepanz zwischen Nicht-Wissen und ´eine Meinung haben`, wenn es um den Nahostkonflikt geht.

Mittwoch, 28. April 2021

Allesdichtmachen (Alles dicht machen)

Unter dieser Bezeichnung kam vor Kurzem ein Video heraus, auf dem sich 53 Schauspieler zur augenblicklichen Coronabekämpfung äußern. Als ich einiges davon sah, sagte ich „Oh, das wird große Wellen schlagen. Da sprechen ja Schauspieler! In unserem Land sind Schauspieler das Höchste, was es überhaupt gibt!“ Was ich danach noch lernte: je mehr ein Schauspieler in die Sendung „Tatort“ involviert ist, desto höher ist seine Bekanntheit. Es kam wie vorausgesagt, ausgerechnet die Statements der Schauspieler regten die Bevölkerung, aber viel mehr noch die Journalisten, besonders auf. Nicht nur, dass ich manche der Schauspieler überhaupt kennen lernte (denn einen „Tatort“ anzuschauen, könnte ich nicht übers Herz bringen alle Szenen daraus, die mir hier und da vor Augen kamen, empfand ich als abstoßend), die Reaktion auf das Video ist interessanter als das Video selbst
.
Ich weiß, dass Schauspieler oft am Existenzminimum leben (wenn sie nicht gerade in Tatorten mitspielen) Das ist es nicht allein, sie sind darauf angewiesen, dass man sie sieht, dass sie sich anderen Menschen präsentieren. Auch ihre Fähigkeiten und ihre Motivation verlieren sich mit der Zeit. Sie sind besonders hart durch die Coronamaßnahmen getroffen. Man kann sich vorstellen, dass einige sehr verzweifelt sind, vor allem durch die Ungewissheit, die ständig verlängert wird. Sie haben zu jedem Protest ihr Recht, der in diesem Fall ja eher humorvoll und zugespitzt ist und niemanden beleidigt.

Im Zuge der Diskussion darüber, hörte ich manchmal die Meinung, die Situation erinnere an die Proteste von DDR-Prominenten nach der Biermann-Ausbürgerung. Genau dieser Gedanke kam mir auch. Damals ging es auch ständig darum, wer – sehr Böses – unterschrieben hat, und wer seine Unterschrift wieder zurück genommen hat. Wer Selbstkritik geübt hat. Aber die Schauspieler von heute können nicht in die Bundesrepublik ausreisen.

Schauspielermilieus sind, glaube ich, fast immer „links“. Da ist es bemerkenswert, dass dem Berufsstand vor Augen geführt wird, wie eng ihm die Grenzen gesetzt sind (es weist auch darauf hin, wie es ihnen geschieht, wenn sie weiter aufmucken), Wenn einige von ihnen sich wagen sich zu beklagen und auf ihre Situation hinzuweisen, werden sie als Coronaleugner, Querdenker oder wer weiß was beschimpft. Sie werden beschuldigt, auf den Tod von Menschen hinzuarbeiten. Das würde bedeuten, dass alle „Coronamaßnahmen“ 100 %-ig stimmig sind. Wenn man nur an einigen Maßnahmen Kritik übt, müsste man mit der Anschuldigung leben: „Du willst den Tod von Menschen!“

So kenne ich einige ältere oder nicht gesunde Menschen, die seit langem sehr zurück gezogen leben und in ständiger Sorge vor Corona sind. Dazu haben sie ihr gutes Recht und auch auf die Tatsache, dass sie vor Erkrankung geschützt werden. Wenn aber jemand von ihnen behauptet: wenn im Stadtpark von Düsseldorf ein Läufer eine Verschnaufpause macht (Verweilverbot), dann will dieser meinen Tod – Verweilen in einem Park muss unterbunden werden! Oder eben, wenn Schauspieler auf ihre Notlage aufmerksam machen, nähmen sie den Tod anderer in Kauf. Das hat etwas Absurdes.

Mich erinnert im Umgang mit Corona wirklich vieles an die DDR. Als die Bauern sich zu Genossenschaften zusammen schließen mussten, da wurde hier und da Folgendes veranstaltet: Die Bauern, die ihre Eintrittserklärung in die LPG unterschrieben, durften den Raum durch eine Tür verlassen, über der geschrieben stand: ICH BIN FÜR DEN FRIEDEN, während diejenige, die die Unterschrift verweigerten, den Raum durch eine Tür verlassen mussten, auf der stand: ICH BIN FÜR DEN KRIEG.
Da sind durchaus Parallelen zu erkennen!

Mittwoch, 24. März 2021

Reiseimpressionen

Auf einer Autoreise quer durch Ostdeutschland geriet ich per Zufall (weil ich aus Versehen von der Umgehungsstraße abgekommen war) direkt vor die Jacobi Kirche in Perleberg. Da ich nun schon vor der Kirche stand, wollte ich sie mir ansehen. Mein Augenmerk gilt den Kriegerdenkmälern in den Kirchen, da diese meiner Meinung nach einen hohen Stellenwert in kirchlichen Räumen haben. Dabei befremdet mich mehr als die Anwesenheit dieser Tafeln die Anhänglichkeit mit der in der Regel Kirchenvorstand und Gemeinde an ihnen festhalten und sie unter keinen Umständen infrage stellen, trotz der nach Außen heftig demonstrierten Friedfertigkeit der evangelischen Kirche. In Perleberg suchte ich lange, denn das Kriegerdenkmal war direkt in das bunt verglaste Fenster, direkt hinter dem Altar eingelassen mit folgender Inschrift: "Zum ehrenden Gedächtnis der im Weltkrieg gefallenen Heldensöhne dieser Gemeinde Perleberg - des kurmärkischen Feldartillerie Regimentes 39 und der Ulanenregimenter 11 und 15". So bestätigte sich wieder meine Vermutung: Wenn in einer Kirche kein Heldendenkmal zu finden ist, so liegt es daran, dass man nicht lange genug danach gesucht hatte.

Auf der Fahrt nach Hause freute ich mich - wie jedes Mal - an den übergroßen Holzmedaillons, die schon seit ewigen Zeiten, also etwa seit 20 Jahren, an einem Waldrand weit auf die Autobahn mit der Aufschrift mahnen: "Rettet den Wald, schützt die Bäume" und so überlegte ich wieder, ob sie den Autofahrern einfach ein schlechtes Gewissen einjagen sollen oder ob sie animieren sollen, nach der Reise an die Ostsee zu Hause einen Baum zu pflanzen. In regelmäßigen Zeitabständen sind diese beiden Schilder nicht mehr zu erkennen (wie auch diesmal), weil sie mit jungen Bäumen zugewachsen sind. Und regelmäßig werden die Bäume vor den Schildern abgeholzt, damit sie ihre Mahnung zur Rettung der Bäume weiter verkünden können.

Montag, 15. Februar 2021

Der Professor aus Heidelberg (Teil 2)

Dem Referat anschließend erfolgte eine Auswertung in kleineren Gruppen. Der Zufall führte mich in eine Gruppe von 8 Personen. Das Resümee, um es vorweg zu nehmen, würde ich so bezeichnen: „Die Botschaft hört´ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube“.

Die Gespräche waren interessant. Eine junge Pastorin nutzte die Gelegenheit, um die Idee vom bedingungslosen Grundeinkommen vorzustellen. Die Idee wurde als interessant empfunden, weil man der Meinung war, dass Menschen auf jeden Fall sinnvoll tätig sein möchten, das Grundeinkommen also nicht zum Nichtstun verleite. Ein andere Frau sagte, dass ihr der Vortrag gut gefallen habe, eigentlich wäre sie gleicher Meinung wie der Professor (von der in Zukunft nötigen Abschaffung der Geldwirtschaft), sie könne sich aber nicht vorstellen, wie das verwirklicht werden solle. Ein Pfarrer beklagte, dass er erst nach der Wende das Wort „Besitzstandswahrung“ kennen gelernt hatte. Denn die westdeutschen Pfarrer hatten, um eben jenen zu wahren, es abgelehnt, einen Teil ihres Gehaltes zu opfern, um ostdeutschen Pfarrern ein ebenso hohes Gehalt wie sie selbst es hatten, zu ermöglichen. Ob unser Moderator, ein Pfarrer mit „Westsozialisation“ darüber beschämt war, weiß ich nicht, zum Glück war er in einem Alter, wo damals seine Besitzstände noch nicht allzu hoch gewesen sein können.

Im Stillen dachte ich an eine Episode von vor gut 25 Jahren, als mir ein Synodaler lebhaft geschildert hatte, wie auf einer pommerschen Synode ein Pfarrer den Vorschlag gemacht hatte, 5 % des Gehaltes, auch wenn es leider nur 80 % des Westgehaltes betrug, für einen Fond bereit zu stellen, der dem damaligen Abbau von Pfarrstellen hätte entgegenwirken können. Die Empörung seiner ostdeutschen Amtsbrüder war nicht geringer als zuvor die der westdeutschen. Gern hätte ich auf meinen Zettel – denn wir spielten ein in kirchlichen Kreisen unvermeidliches Zettelspiel – geschrieben: „Eher wird ein Kamel durch ein Nadelöhr gehen, als dass ein Pastor, egal ob Ost oder West, von seiner Besitzstandswahrung ablässt“, aber ich wollte niemanden verunsichern.

So behielt ich meine Gedanken für mich, sagte aber, dass ich nichts gegen Geld habe, denn ich hätte diese Tausch- und Beziehungswirtschaft in der DDR immer als sehr umständlich gefunden. Und dass ich der Meinung sei, es wäre eine persönliche Entscheidung jedes einzelnen Menschen, wie er zum Geld stehe und wie er damit umgehe. Und dass der Zwang, sein Leben mit finanziellen Mitteln zu bestreiten, zwar oft mit Unannehmlichkeiten verbunden sei, aber dass es auch in unserem Land Menschen gäbe, die sich die Freiheit nähmen, z.B. in Kommunen zu leben, von datumsverfallenen Lebensmitteln zu leben oder sich auf ein ausgeklügeltes Tauschsystem einzulassen. Ab und zu werden solche Menschen sogar in den Medien vorgestellt. Fast jeder in der Runde hatte schon von solchen Menschen gehört, und so wurden meine Ausführungen mit Erstaunen zur Kenntnis genommen, und es wurde ihnen nicht widersprochen. Zum Schluss meinte man, dass das bedingungslose Grundeinkommen eines Versuches Wert sei. Da ich danach zu einem Termin eilen musste, der ausgerechnet dem Geld verdienen diente, konnte ich an der allgemeinen Endauswertung nicht teilnehmen.

So holte mich diese Auswertung auf den Boden der Realität zurück und bestätigte, dass Menschen interessanter sind als Theorien und dass man zwar mit einer Theorie „im Luftraum des Traums“ schweben kann, aber dass Träume von der Realität eingeholt werden.

Mittwoch, 10. Februar 2021

Der Professor aus Heidelberg (Teil 1)

Ob Heidelberger Professoren eine besondere Affinität zur Beschäftigung mit den Auswirkun-gen der Finanzwirtschaft entwickelt haben? Der als der „Professor aus Heidelberg“ bekannte Paul Kirchhof, Finanz- und Steuerrechtler, war 2005 für den Posten des Finanzministers vor-geschlagen und wollte das deutsche Steuerrecht radikal reformieren. Der andere, seines Zeichens ebenfalls Professor aus Heidelberg und zwar im Fach Theologie, Ulrich Duchrow, möchte am liebsten das Geld überhaupt abschaffen und sieht in ihm die Wurzel allen Übels in der Welt. Zu einem Studientag, den dieser hier in der Nähe in einem kirchlichen Bildungszent-rum hielt, fuhr ich trotz Warnungen von verschiedener Seite hin.

Ulrich Duchrow, der mich im Aussehen und Duktus an einen gezähmten und geglätteten Hans Christian Ströbele erinnerte, bestritt seinen Vortrag in mehreren Abschnitten, die jeweils von kleinen Fragerunden aufgelockert wurden. Sein Status war der eines Befreiungstheologen. Das zentrale Wort Jesu im Neuen Testament sei, man könne entweder Gott oder dem Mam-mon dienen. Um diese These rankte sich der gesamte Vortrag.

Der Vortrag beinhaltete erst einmal eine Auseinandersetzung mit Luther und seiner 2-Reiche Lehre. Darüber hinaus spielte das Thema „Befreiung“ eine Rolle. Der Gedanke an Geld durchwob die gesamten Ausführungen mit Sätzen wie: „In der Bank regiert der Gott Geld!“ oder Luther habe gesagt „Die Thora ist heilig, Mammon ist tödlich.“ oder mit Begrif-fen wie „gierige Raubtiere des Kapitalismus“, „Herrschaft des Geldes“. Das Aufkommen des Geldes vor Jahrtausenden sei eng verquickt mit der Professionalisierung des Kriegswesens. „Gier ist in Geld institutionalisiert“, damit meinte er insbesondere das Geld, das verbunden ist mit den Banken, den Zinsen und der Finanzwirtschaft. In dieser Hinsicht fühle er sich dem Propheten Mohamed verbunden, der das Zinswesen angeprangert habe, und überhaupt - wir, die wir das Gute wollen (worunter wohl das Gute in verschiedenen Religionen gemeint war), sollten zusammen halten. Als Demonstration lag auf einem Tischchen neben der „Bibel in ge-rechter Sprache“ ein Koran aus. Außerdem lagen da verschiedene Bücher aus, die man ausgerechnet für Geld kaufen konnte, einige (wohl des Professors Habilitationsarbeit in mehreren Bänden) waren mit jeweils 24,90 € ausgepreist, während sein Buch „Gieriges Geld“ stark verbilligt angeboten wurde.

Manches, was ich vernahm, ließ in mir Erinnerungen an den Inhalt des Staatsbürgerkundeun-terrichtes meiner Schülerzeit aufkommen. Beispielsweise verkündete U. D. folgende These: Der Kapitalismus könne historisch überwunden werden, weil er ja auch historisch gewachsen sei. Die „antiimperiale Zuspitzung“ des Neuen Testaments wurde betont, was mich wiederum an den proletarischen Internationalismus erinnerte. Interessant war die Annahme, dass die Abschaffung des Geldes nicht radikal und auf einmal erfolgen könne, sondern dass sie ein Fernziel in mehreren Etappen sei (so dass er seine Bücher noch für Geld verkaufen müsse, schlussfolgerte ich). Auch so etwas hatte ich im Schulfach „historischer Materialismus“ gehört. Demnach befanden wir uns damals in der Vorstufe namens Sozialismus, der nach wissen-schaftlicher Erkenntnis zwangsläufig in den Kommunismus münden werde.

Die Bemerkung des Professors, dass er mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung (welche der Partei der „Linken“ sehr nahe steht) zusammen arbeite, ließ mich manches besser verstehen. Interessant fand ich die Tatsache, dass sich der Vortragende kritisch bis hin zu abfällig über die Partei der Grünen äußerte: Grüne Ökonomie sei verlogen, weil sie kurzfristige Verbesserungen anbiete, die Menschen dadurch von einer radikalen Umkehr abhalte und deshalb das System stabilisiere. Das waren genau die Argumente, die Kommunisten einst gegen Sozialdemokraten angewandt hatten und sie deshalb Sozialfaschisten nannten. Auch der Anstrich von Wissenschaftlichkeit im Vorgehen - immerhin war der Referent ein Professor - erinnerte mich an die Wissenschaftlichkeit, die wir über den Marxismus vernommen hatten.

Kurzum, die Ausführungen schienen mir wie pure Ideologie zu sein.
(Fortsetzung folgt)

Im Luftreich des Traums

gegen Ideologien

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