An die Redaktion der Tagesthemen, am 11.2.2013:
Sehr geehrte Damen und Herren,
in den gestrigen Tagesthemen berichteten Sie unter "Fanatische Fans" über nationalistisch gesinnte Anhänger eines israelischen Fußballclubs.
Wenn man Ihren Bericht mit diesem (nur als Beispiel aus einer möglichen Reihe) vergleicht, muss man zwangsläufig nach Ihren Beweggründen fragen, dem im Vergleich harmlosen Tatbestand aus Israel (vermutlich in jedem deutschen Stadion findet man vergleichbare Fans) eine prominente Stelle in Ihrer Sendung einzuräumen, während wirklich dramatische Fußballereignisse in Deutschland eher außer Acht gelassen werden.
Meinem Eindruck nach ist es bezogen auf Israel (das Land scheint der alleinige Grund für Ihren Bericht zu sein) eine verzerrte Berichterstattung. Man bedenke dabei, und das macht Ihren Beitrag ausgesprochen zweifelhaft, dass weit vor dem ausgiebig diskutierten Jakob Augstein kaum beachtet auf der Skala des Simon-Wiesenthal-Zentrums die europäischen Fußballfans als Antisemiten eingereiht wurden.
Die angeführten Zusammenhänge wären es wert, journalistisch bedacht zu werden, dazu möchte ich Sie zumindest anregen.
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Es ist vielleicht keine weltbewegende Meldung, aber sie zeigt genau und beispielhaft den Mechanismus nachdem nicht irgendwelche "Hetzblätter", sondern unsere seriösen Medien, in diesem Fall die Tagesthemen, nicht einfach etwas berichten, sondern Politik machen - auf ihre Weise, versteht sich. Ein sichtlich beunruhigter Tom Burow gab bekannt, wie schlimm und rassistisch sich die Fans in Israel verhalten. Es fiel aber auf, dass nicht einmal ein tatsächlicher Übergriff zu berichten war.
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Jetzt ein anderer Bericht, zum gleichen Thema, ich zitiere aus Uris Tagebuch aus Israel:
Heute Abend, am 11.2., spielte Beitar Jerusalem gegen Bnei Sachnin, einen arabischen Nationalligaklub aus dem Galil. Wie verhielten sich die im Teddy Kollek-Stadion anwesenden Zuschauer? Es gab eine Überraschung: Die Beitar Jerusalem Fans verhielten sich vorbildlich. Es waren Transparente zu sehen mit den Worten: „Wir lieben euch alle, wir sind keine Rassisten“. Von den gegen neuntausend Zuschauern seien nur 35 rabiate Beitar-Fans aus dem Stadion geführt worden, wie auch 35 Fans von Sachnin, die die Sicherheit gefährdet hätten. Der Reporter erzählte, es habe einige rassistische Demonstrationen gegeben, die von der Fernsehkamera nicht aufgenommen worden seien. Diese Ausbrüche seien nur von einer winzigen Gruppe verursacht worden. Von all dem war nur eine Szene zu sehen: Als vor Spielbeginn einige Sachnin-Fans von Wächtern der Ordnung aus dem Stadion geführt wurden.
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Auf den Zuschauerbrief gab es wie gewohnt keine Reaktion. Schade.
anne.c - 13. Feb, 17:40
Der 27. Januar ist vorbei, der 30. Januar auch, an dem der Bundestag in diesem Jahr "gedachte". Nun sind die Juden "abgehakt", und Israel ist d´ran. In DR-Kultur wurde ein israelischer Schriftsteller interviewt. Ein "israelkritischer", wie kann es anders sein? Nir Baram, der die Welt nicht in Opfer- und Täterperspektive aufgeteilt sehen will, wie man es wohl gemeinhin tut. In seinem Roman gibt es eine jüdische Kollaborateurin, und "Nazitäter werden nicht mehr dämonisiert" (Das Bild des "verrückten Nazis", sagt der Schriftsteller, sei eine Erfindung der Popkultur). Die gleichberechtigte israelische Gesellschaft, die aus Juden, Palästinensern und Gastarbeitern bestehe, die liege ihm am Herzen. Sein Kernsatz war: Israel ist ein jüdisches Ghetto, das von den eigenen Leuten, d. h. von Netanjahus Leuten, geschaffen wird, und Netanjahu instrumentalisiere dazu den Holocaust. Juden hätten in Israel nicht die Leitkultur vorzugeben. Mauern dürfe es nicht geben und keine Angst. Kurz gesagt Banalitäten, die alles und nichts besagen und bei uns unheimlich beliebt sind.
Mag der junge Schriftsteller es so sehen, und mag das seine Einstellung sein. Unsere Radiosender, die so innig im "Gedenken" sind, werden immer ganz närrisch, wenn ihnen jemand vor´s Mikrofon kommt, der ein ideales Israelbild malt, das nicht Realität wird, was wiederum angeprangert wird. Ich denke manchmal an meine christliche Reisegruppe, mit der ich einmal auf Israelfahrt war. Da wurde oft davon gesprochen, wie wenig gleichberechtigt die Araber in Israel sind. Wenn man dann aber in Akko entdeckte, dass die malerischen Hinterhöfe an der Hafenmole voller Abfall lagen, zückte man sofort die Kamera, um diese Schandflecke zu dokumentieren. Die aufdringlichen Kinder, die uns hinterherliefen um für ein Foto zu posieren, und die, wenn man in die Kamera schaute, ihre Hand zum V-Siegeszeichen erhoben, fand man ausgesprochen lästig.
Wenn doch nur die Menschen, die so genau wissen, wie es in der idealen Welt auszusehen hat, wenigstens in der Lage wären, die Realität zu erkennen!
anne.c - 5. Feb, 21:43
Dieser Tag bescherte mir einige Eindrücke zum Nachdenken über Sinn oder Nichtsinn solch eines Gedenktages. Morgens war im DLF, in der Sendung des evangelischen Rundfunks ein einfühlsames Lebens- und Sterbensbild des Dichters Katzenelson, der in Auschwitz umgebracht wurde, zu hören. Unwillkürlich fielen mir dabei die Interviews des DLF mit "Israelkritikern" oder Palästinensern ein, die so redeten wie ihnen der Schnabel gewachsen war - der DLF kann ja nichts dafür, er lässt nur Andere zu Wort kommen. Ebenso kann ich die Diskrepanz zwischen dem evangelischen Gedenken und den Handlungsweisen innerhalb der evangelischen Kirche (über die ich in diesem Blog schrieb), wenn es um Israel geht, nicht überbrücken. Der toten Juden wird gedacht, die lebenden werden dämonisiert. Jedenfalls das Land, in dem viele von ihnen leben, und wer ist das Land, wenn nicht die Summe seiner einzelnen Bewohner?
Der nächste Eindruck war eine Predigt eben auch zu jenem Gedenktag, die eine Aneinanderreihung von einigen Schlagworten war und unvermittelt in die Einsicht mündete, dass Gott barmherzig sei. Die Logik des Ganzen war nicht zu durchschauen, und so eilten wir zu dritt in eine kleine Stadt, wo sich etwa 50 Personen vor dem großen, etwas baufälligen Mahnmal am Stadtrand versammelt hatten, das an die vielen KZ-Häftlinge erinnerte, die hier, in einem Außenlager von Ravensbrück, den Tod gefunden hatten.
Hier trafen Kirchenmitglieder, Angehörige der Partei "die Linke", Gymnasiasten und ihre Lehrer zu einer bunten Mischung zusammen. Viele Leute kannten sich und begrüßten sich freudig, manche treffen nur an dieser Stelle zusammen. Vorne am Mahnmal begleitete eine Bläsergruppe alles Geschehen mit recht anspruchsvollen Stücken: Klezmermelodien, Chorälen, modernen getragenen Musikstücken. Der Bürgermeister und die Stadtpastorin hielten eine Rede, Schüler rezitierten und erzählten, was sie über Auschwitz erfahren haben. Die Reden waren sprachlich schlicht gestaltet, man merkte, dass die Vortragenden es sich nicht einfach gemacht hatten. Blumen wurden niedergelegt, die Kapelle spielte. Und die winterliche Kulisse an diesem stillen Sonntagmittag, der Ernst und die Ernsthaftigkeit der Menschen ließen ein Gemeinschaftsgefühl aufkommen. Allerdings hätte ich mir gewünscht, dass sich Tuvia Tenenbom unter die Gruppe gemischt hätte und unter den Teilnehmern mit seinen arglos provokanten Fragen für ein wenig Verunsicherung gesorgt hätte.
anne.c - 28. Jan, 22:47
Vor langer Zeit, also in kommunistischer Zeit, gab es in der Tschechoslowakei zwei Denkmäler, die für mich sinnbildliche Bedeutung hatten. In der kleinen Stadt K. hatten nach 1968 die Altkommunisten eine seit längerer Zeit ausgemusterte Stalinbüste aus den Kellerverliesen hervorgekramt und sie im Stadtpark wieder auf einen Sockel gestellt. Ich war entsetzt als ich sie 1974 das erste mal erblickte: In der DDR hatte es keine Stalinrenaissance gegeben, so war ich diesen Anblick nicht gewöhnt. Bis ans Ende der kommunistischen Herrschaft stand Stalin im Park, oft ging ich an ihm vorbei, immer mit Widerwillen.
Dann gab es noch ein zweites Denkmal, es stand in einem Dorf in den Bergen. Es war ein Denkmal Tomáš Garrigue Masaryks. Es stand auf dem Dorfplatz. Der Sockel war umringt von steinernen Gestalten der ruhmreichen tschechischen Geschichte, und hoch ragte darüber die eindrucksvolle Gestalt des ersten tschechischen Präsidenten empor. In der kommunistischen Zeit galt er fast als nicht existent. Immer war ich von der Sorge erfüllt, ob die Kommunisten doch nicht auf die Idee kommen könnten, dieses Denkmal zu entfernen. Wenn ich es damals auch nicht formulierte, so kann ich meine Empfindungen diesen Denkmälern gegenüber so ausdrücken: „Solange das Masarykdenkmal in S. noch steht, ist noch nicht alles verloren, doch so lange das Stalindenkmal in K. noch steht, ist es mit dem Kommunismus noch nicht vorbei!“
Inzwischen gibt es nur noch ein Denkmal, die Statue Masaryks, die den tschechischen Wahlspruch aus den Hussitenkriegen bestätigt: "Die Wahrheit siegt!"
(Wenn es manchmal leider auch lange dauert).
anne.c - 22. Jan, 09:43
Mir ist aufgefallen, dass es bestimmte Institutionen und Begriffe gibt, die man tabuartig für sakrosankt erklärt. Und geschehe unter deren Deckmantel was es will, man darf nicht daran rühren.
Und die so genannten seriösen Medien sind solche unter „moralischen Schutz“ gestellte Institutionen. Wenn solch eine Institution unmoralisch handelt, darf man sie nicht angreifen, weil ihr Handeln statusgemäß als moralisch gilt.
Mir fällt ein, wie ich an den Rundfunkrat schrieb, in welcher Weise der DLF über Israel berichtet und illustrierte das an dem Beispiel, als in einer Folge der Sendung "Politische Bücher" zuerst ein Buch von Tom Segev vorgestellt wurde, der als Israeli kritisch über die ersten Jahre des Staates schrieb. Er behauptete, dass es im frühen Staat Israel auch Massaker an Arabern gegeben habe. Unmittelbar danach kam ein Buch über Bin Laden, bei dem Originalzitate von Bin Laden über Massaker Israels an Arabern gelesen wurden. In blutrünstigen Reden stellte Bin Laden Israel als bestialisches, mörderisches Gebilde hin, das vernichtet werden muss.
Der DLF benutzte Bin Laden also als Zeugen für Tom Segevs Buch und hielt sich selbst neutral heraus. Ich benutzte in meinem Protest den Ausdruck, dass solch ein Handeln "der Zeitschrift „Der Stürmer“ würdig sei…“, und bekam weder Antwort vom DLF noch vom Verwaltungsrat und auch keine Bestätigung meines Schreibens. Ich nehme an, dass man es ungeheuerlich fand, diesen seriösen Sender und „den Stürmer“ in einem Atemzug zu nennen. Handeln darf der DLF im Sinne des „Stürmers“ schon, aber so bennenen darf man es nicht.
Nach gleichem Muster wird im derzeitigen Antisemitismusstreit um Jacob Augstein verfahren. Egal, wie sehr seine Ausführungen den antisemitischen Klischees entsprechen, nie kann die intelektuelle Gesellschaft es zulassen, dass einer der ihren als Antisemit bezeichnet wird, denn was das ist, das bestimmen immer noch "wir". Antisemiten sind die hässlichen braunen Gestalten am Rande der Gesellschaft, mit denen wir nichts zu tun haben, aber der Nachkomme "unserer" eigenen kulturellen Größe kann es nicht sein.
anne.c - 15. Jan, 11:39
So lautete kürzlich der Titel einer Unterhaltungssendung im Fernsehen. Ob die Vertreter der Tagesschau sich als schlauer, klüger oder gebildeter als das andere Rateteam erwiesen haben, kann ich nicht sagen. Die Bezeichnung "schlau" trifft auf die Tagesschau allemal zu, wie sie es in den Abendnachrichten am 4. Januar bewiesen hat.
In den 20-Uhr Nachrichten konnten die Zuschauer an einer Feier im Gazastreifen Anteil nehmen. Trotz der bisherigen Feindschaft zwischen Fatah und Hamas durfte die Fatah-Partei hier ihren 48. Gründungstag begehen. Unzählige gelbe Fahnen wehten über einem großen Platz, und Parteiführer Mahmūd Abbas hielt per Großleinwand eine Rede aus dem Westjordanland und kündigte die baldige Versöhnung zwischen Hamas und Fatah an. In dem das Bildmaterial begleitenden Kommentar wurde den Zuschauern gerade erklärt, dass dies eine Kundgebung der "als gemäßigt geltenden Fatah-Organisation" und als Ausdruck für eine Verbesserung der Beziehungen zwischen Fatah und Hamas anzusehen wäre.
Das Timing war perfekt: Unmittelbar nachdem "als gemäßigt geltende Partei" ausgesprochen war, erschien im Bild ein kleiner Junge, sitzend auf der Schulter eines Mannes. Bekleidet in eine Uniform trug er eine Sonnenbrille und eine große Raketenattrappe. Ein Mann war gerade dabei, dem Jungen noch eine Palästinenserstirnbinde anzulegen. Die Rakete wurde fröhlich in der Luft geschwenkt, so als wolle er den Sprecher der Tagesschau bestätigen: "Ja seht, wir sind gemäßigt!"
Aber die Tagesschau erwies sich eben als schlau. Gut zwei Stunden später, in den Tagesthemen, wollte wir uns bei der Feier der "Gemäßigten" noch einmal an dem fröhlichen Jungen erfreuen. Aber er war nicht mehr da, sondern er war verschwunden, als wäre er nie da gewesen. Das Video der Feier wurde abrupt vor dem Erscheinen des Jungen geschnitten, obwohl es sonst genau derselbe Film war wie in der Tagesschau.
Muss eine Tagesschau schlau sein? Sollte sie nicht stattdessen authentisch und der Wirklichkeit gemäß ihre Nachrichten darbringen? Wenn die Szene mit dem Jungen auf irgendeine Weise kommentiert worden wäre, z. B. dahingehend, was in Gaza unter gemäßigt zu verstehen sei, anstatt dass man sie einfach unterschlagen hätte, da fühlte sich der Zuschauer nach der Sendung sicher besser informiert, ganz besonders darüber, was in Gaza als gemäßigt anzusehen ist.
anne.c - 6. Jan, 09:34
Der jüdisch-amerikanische Journalist und Theatermacher Tuvia Tenenbom war mir durch seine Kolumne und einige Artikel in der "Zeit" aufgefallen. Es gefällt mir an ihm, wie er seine Beobachtungen in einer scheinbar naiven Weise schildert und mit seinen Schlussfolgerungen genau ins Schwarze trifft. Nun ist im Dezember ein erstes Buch von ihm erschienen. Die kontroversen Rezensionen, die ich schon im Voraus darüber las, versprachen ein unterhaltsames und lesenswertes Werk und ich bestellte ich es sofort. Es traf ein und es war mit seinen 426 Seiten ein Lesevergnügen, wenn auch manchmal ein bitteres, für viele Stunden.
Vor dem Erscheinen hatte das Buch schon für Aufregung gesorgt. Der Rowohlt-Verlag hatte mit Tuvia Tenenbom vertraglich vereinbart, er werde nach eigenem Ermessen ein Buch über die Deutschen schreiben. T. T. reiste im Sommer 2010 durchs Land, beschrieb eigene Erlebnisse und siehe da - der Rowohlt-Verlag war not amused, denn s o hatten sie sich das Ganze nun wohl nicht vorgestellt! Und das machte wiederum den Konkurrenten Suhrkamp neugierig, so dass das Buch schließlich dort verlegt wurde.
Das Buch erzählt, wie sein Autor, dieser beleibte, freundliche, arglose, neugierige und sich unbedarft gebende Amerikaner durch die deutschen Lande zieht und mit Menschen ins Gespräch kommt. Die Interviewten unterschiedlichsten Typus haben immer wieder eins gemeinsam: Egal, was der Anlass des Gesprächs ist, egal wie harmlos die Unterhaltung beginnt, fast wie Marionetten gelenkt kommen die Gesprächspartner bald auf ein Thema, nämlich Juden, Holocaust und Israel zu sprechen. Dabei verheddern sie sich in ihren jeweils eigenen Logiken und beim Versuch, diese zu entwirren werden ihre Statements meist immer absurder. Das Buch schildert fast ausschließlich Szenen solcher Art, so dass man sich fragt: Hat Tenenbom das wirklich alles so erlebt? Ist doch nicht manches konstruiert? Das fragte ich mich also, und dann fielen mir, je länger ich nachdachte, desto mehr ähnliche Szenen ein, die ich in verschiedenen Varianten und in verschieden Milieus selbst erlebt habe. Schließlich fragte ich mich: Woher weiß Tuvia Tenenbom das alles, ich habe ihm doch gar nichts erzählt? Woher weiß er, dass auf meine harmlose Frage nach einem Erlebnis in Israel, sofort als Antwort kommt, wer alles aus der eigenen Familie im Widerstand war? Oder dass jemand aus heiterem Himmel erzählt: Am 11.9.2001 mussten die Terror-Flugzeuge zwangsläufig ihr Unternehmen vormittags durchführen, denn ab 12 Uhr kamen ja "die ganzen Juden" in die Büros im World Trade Center.
Tuvia Tenenbom musste nur aufschreiben, was er erlebt hat. Etliche der Rezensenten fanden seine Erlebnisse "erschreckend". Es ist erschreckend, dass das was TT beschreibt, so verbreitet ist und so wenig wahrgenommen wird. Vielleicht soll es nicht erkannt werden, hat vielleicht das den Rowohlt Verlag zu der Absage bewogen? Wer meint, es wäre nicht verbreitet, dass die Leute unterschwellig an Juden, Holocaust, Israel denken, der sollte sich regelmäßig die Nachrichtensendungen anhören bzw. anschauen. Dort kann man beobachten, in welchem Maße z. B. Israel in Frage gestellt wird. Nie habe ich über ein anderes Land, das auf einen Angriff reagierte, gehört, dass ihm dann in diesem Zusammenhang "Rache" oder "Vergeltung" unterstellt wurde, wie es chronisch krankhaft geschieht, wenn Israel auf palästinensischen Beschuss antwortet. Man kann auch in jedem beliebigen Leserforum beobachten, was für mehr oder weniger antisemitische Zuschriften zu einem Thema mit jüdischem oder israelischem Bezug erbracht werden und mit welchem Eifer sie geschrieben sind. Das ist ein Geist, der ständig unter die Oberfläche gedrückt werden muss, damit er nicht gar so zum Vorschein kommt. Oft können diejenigen, die den Geist "unter die Oberfläche drücken", sich doch nicht zurückhalten, um ihn selbst weiter zu verbreiten. Tuvia Tenenbom hat das beschrieben, so wie er es erlebt hat.
Manche Rezensenten meinten, dass Tenenbom den Auftrag hatte, ein Buch über Antisemitismus in Deutschland zu schreiben. Das stimmt nicht, denn Tenenbom sollte ein Buch über die Deutschen und ihre Befindlichkeiten schreiben, und heraus gekommen ist dabei eine Schilderung, wie der Autor immer wieder auf mehr oder weniger unterschwelligen Antisemitismus stieß. Darum war der Rowohlt Verlag wahrscheinlich entsetzt.
Die Lektüre dieses Buches kann ich jedem empfehlen. Es ist locker und lustig geschrieben, und jeder kann sich Gedanken darüber machen, ober er irgendetwas in den beschriebenen Szenen aus seinem eigenen Erleben wieder erkennt.
anne.c - 1. Jan, 11:20
Vor einigen Tagen las ich einen Artikel über die Preisverleihung der Stadt Bremen an Yfaad Weiss, jüdische "Israelkritikerin" aus Israel. Hier in Deutschland sind Israelkritiker, besonders wenn sie aus Israel kommen, außerordentlich beliebt, und sie werden gern mit Preisen bedacht. Die Tatsache, dass es ein großes Arsenal an jüdischen Israelkritikern gibt, wird als Beweis dafür angesehen, dass das, was sie verkünden, die reine Wahrheit sein muss.
Wenn man einen Artikel von ihnen liest, wenn man die Gelegenheit hat, einen von ihnen an Ort und Stelle zu erleben, dann ist man hauptsächlich verblüfft, wie ähnlich sie sich und ihre Schlussfolgerungen sind. Mag der Anlass des Israelkritikers zum Kritisieren ein Ereignis in Israel sein, die Kritik ist trotzdem nur Anlass, und sie führt zielbewusst zur Delegitimierung Israels. Oft bin ich erstaunt, dass das, was die Kritiker fordern, eindeutig zu einer Selbstaufgabe Israels führen müsste. Oder man böte sich den Palästinensern direkt zum Ins-Meer-Treiben an. Das tut der Meinung der Israelkritiker keinen Abbruch, sie haben auf alles eine entwaffnende Antwort, die mit der Realität wenig, mit einem gewichtigen Steinchen aus dem Konstruktionsbaukasten des Friedensforschers aber viel gemeinsam hat.
Wenn ich das Phänomen der jüdischen Israelkritiker auf einfache Weise erklären sollte, würde ich sagen: Sie wissen, dass den Juden von vielen Seiten Unheil droht - das wurde in der Geschichte oft genug belegt -, und sie wollen sich schon vorbeugend in Sicherheit bringen. Diese Erklärung wäre verständlich, aber wohl zu einfach. Möglicherweise sind diese Israelkritiker eine Spielart der Hysterie. Ein Hysteriker: ein Mensch, der beharrlich eine Rolle spielt, die seiner eigenen Realität vollkommen widerspricht, der aber auf jede Frage eine überzeugende Antwort hat (es ist eine persönliche Definition).
Vor einer Weile hörte ich den anglikanischen Geistlichen Paul Oesterreicher in einem DLF-Interview. Es stellte sich heraus, dass P. O. ursprünglich ein deutscher Jude war, und er gebärdete sich in dem Interview dermaßen "israelkritisch", dass selbst dem beflissenen DLF-Redakteur etwas unwohl zu Mute wurde, weshalb er die Frage stellte (vielleicht war es auch eine für so einen Fall vorprogrammierte Frage): "Haben sie nicht Sorge, dass Rechtsradikale sich ihre Positionen zu Eigen machen können"?, und P.O. erwies sich als jemand, der auf jede Frage die passende Antwort parat hat: "Damit muss ich leben, wenn die Rechten diese Positionen übernehmen!"
Am Rande bemerkt: Es gibt tatsächlich viele sehr israelkritische Juden, aus welchen Gründen auch immer, die von ihren deutschen Bewunderern, ebenfalls aus welchen Gründen auch immer, hoch geachtet werden. Wo gibt es aber dieses Phänomen vice versa, also einen strengen deutschen Deutschlandkritiker, der von Juden hofiert wird?
anne.c - 28. Dez, 10:23