Dienstag, 11. September 2012

zum 11. September

Im Deutschlandradio hörte ich ein Gespräch mit einem Herausgeber von Dichtungen der Taliban. Wahrscheinlich wollte der Sender den 11.9. würdig begehen. Das war interessant, weil das Gespräch ein gutes Beispiel dafür gab, wie aus Lüge Wahrheit wird. Wie man die größten Verbrecher in einem Licht erscheinen lassen kann, so dass sie wie Helden und tolle Menschen da stehen. Alles verläuft nach einer zielgerechten Logik, schwer zu widerlegen, vielleicht sogar überzeugend. Nur stehen hinterher alle mit einem dummen Gesicht da und sagen: Da stimmt doch irgendetwas nicht. Es kann doch nicht sein, dass die Taliban ein sympathisches Völkchen sind, auch wenn dieser Mann das überzeugend dargelegt hat.

Nun versuche ich, das Gespräch zu rekapitulieren. Der Radioreporter versuchte immer wieder, dem Talibankenner Felix Kühn eine Falle zu stellen. Allerdings hatte ich den Eindruck, dass der Verlauf des Gesprächs ein wenig vorprogrammiert war, einschließlich leicht provokanter Fragen. Aber ob vorprogrammiert oder auch nicht, der Talibanexperte gab seine Antworten wie aus der Pistole geschossen, fast ohne nachzudenken in vollendeter Sprache (das wieder erinnert mich an den jungen Verschwörungsexperten, den ich letztes Jahr auf der Buchmesse erlebte). D-Radio zitierte erst einmal ein etwas blutrünstiges Gedicht, und fragte, ob das nicht ein Gewalt verherrlichendes Gedicht sei.

"Ein Gewehr und einen Dolch in der Hand, so ziehe ich in die Schlacht, ich bin ein afghanischer Mujahedin ... Vielleicht werde ich hundert Mal für meine Heimat sterben
Ich habe meine Religion, ich habe meinen Glauben, und das Recht des heiligen Koran,
Jeder, der mich falsch anschaut, wird für immer verloren sein.
Ich bin ein afghanischer Mudschaheddin"

Herr Kühn gab zur Antwort, dass dieses Gedicht wenig über die Taliban aussage, gegebenenfalls über eine Nuance ihres Wesens. Es sei lediglich eines von 200 Gedichten der Taliban. Man müsse ja schließlich auch diese Seite der Taliban bringen, so etwas dürfge man nicht weglassen. Die meisten der Gedichte der Taliban seien lebensvoll. Wenn man die Gedichte herauslassen würde, die das Kämpferische der Taliban betonen, könnte man den Gedichtband für unglaubwürdig halten. Es soll zum Ausdruck kommen, dass Taliban Menschen wie du und ich sind, sehr dem Leben und der Kunst zugewandt. Der Kunst? - sie haben doch so viel Kunst zerstört? meinte der Redakteur. Ja, aber diese Gedichte sprechen vom Gegenteil. Besonders wichtig zu betonen war, dass diese Gedichte davon zeugen sollen, dass Taliban Menschen sind, mit verschiedenen Schicksalen und mit differenzierten Gründen für ihre Teilnahme am Kampf der Muhajeddin.

So ungefähr und immer weiter, bis wir alle "Vorurteile" über Taliban ablegen konnten und den kämpferischen Duktus entweder als Folklore, oder als Ausdruck tiefster religiöser Überzeugung oder der Hinwendung zum lebensvollem Tun interpretieren konnten.

Schon oft hörte ich in den Medien Gespräche, in denen "Finsterlinge" durch Aufzählen ihrer positiven Eigenschaften zu Lichtgestalten umgewandelt werden sollten. Immer klammerten sich die Gesprächsführer an dieses und jenes "Gute" in demjenigen. Unterschlagen wird dabei nur, was diejenigen bei anderen Menschen angerichtet haben und wie es diesen Menschen ergangen ist.

Sonntag, 9. September 2012

Teddy Kollek

Nach seinem Tod 2007 sah ich ein Lebensbild Teddy Kolleks in "Phoenix". Es war nicht so schlimm. Es wurde seiner Persönlichkeit gerecht, trotzdem floss eine Menge Ideologie ein. So unterschwellig. Eigentlich war sein segensreiches Wirken für Jerusalem nur Augenwischerei, denn die Araber wurden unterdrückt – nur eben „mit einer Faust mit Handschuh drüber“, wie man es im Film nannte. Mir fiel ein, wie Reuven Moskovitz (der sich als der einzige Israeli ausgibt, der wirklich Frieden will) Teddy Kollek als „Einäugigen unter Blinden“ bezeichnet hatte. (Bescheidenerweise erwähnte er nicht, dass es einen "Sehenden" gibt). Nach deren rassistischen Weltbild hat Teddy Kollek wirklich alles falsch gemacht. Er hätte entweder sich selbst und die Juden abschaffen müssen oder alle Araber aus Jerusalem vertreiben müssen.

(Das rassistische Weltbild: Araber und Juden sind unfähig miteinander zu leben, der eine ist der "Unterdrücker", egal, was er macht, der andere das "Opfer", egal was es macht)

Samstag, 1. September 2012

Das Sonnenblumenhaus,

in Rostock Lichtenhagen: Daran fahre ich mehrmals im Jahr vorbei. Jedes mal kommt mir der Gedanke: "Ach, hier ist es ja. Wie harmlos und alltäglich sieht es nun wieder aus". Es wurde für einige Tage vom Hauch der Geschichte, wenn auch nicht erhabener Geschichte gestreift. Warum wohl ausgerechnet der zwanzigste Jahrestag der "Lichtenhagen-Pogrome" so feierlich "begangen" wurde? Worauf sollten die Leute aufmerksam gemacht werden? Vielleicht sollte die Aufmerksamkeit der Leute darauf gelenkt werden, wie Neonazis aussehen. Die sehen so aus wie diejenigen, die damals Steine und Brandsätze warfen. Oder wie die, die heutzutage in martialischer Aufmachung Märsche durch Städte veranstalten.

Die Zeremonie in Lichtenhagen kann keinesfalls "von unten" gekommen sein. Dazu war das Programm zu perfekt gestaltet. Als ich die tribünenartige Ansammlung der "Ehrengäste" sah, schoss mir spontan der Gedanke durch den Kopf: "Genauso war es in der DDR." Damals waren Ehrengäste und das gemeine Volk auch immer hermetisch voneinander getrennt. Da stellte sich auch ein gutwilliges Volk für allerhand Aktionen zur Verfügung, und allesamt wurde beteuert, vom gleichen Anliegen beseelt zu sein, nämlich von dem, das die von der Tribüne vorgegeben hatten. "Ich nehme teil, damit so etwas nie wieder passiert!" oder "Wir wollen ein Zeichen gegen Rechtsradikalismus setzen.", so hörte man im Fernsehen. Ich möchte keinesfalls den guten Willen derjenigen, die an der Friedenssternfahrt oder an der Aktion "Bunt statt Braun" teilnahmen, in Frage stellen. In Frage stellen möchte ich die Lauterkeit der Anliegen derjenigen, die in der abgeriegelten Ehrengalerie saßen.

Oft frage ich mich, ob die starke mediale und politische Verurteilung der in der Tat sehr unangenehmen Neonazis nicht auch eine Abwendung, wenn nicht Vertuschung anderer Vorkommnisse, die von ähnlichem Geiste sind, einschließt. Um es deutlicher zu sagen: Ein Geist, der Menschen oder Gruppen von Menschen auf Grund ihres Daseins erniedrigt und diskriminiert und andere Maßstäbe an sie anlegt als an alle anderen. Es mag Zufall sein, aber ein Zufall, der zu meiner Skepsis gegenüber denen "auf der Tribüne" beiträgt. Gerade in diesem Sommer verhinderte die Rostocker Universität, dass in ihren Räumen eine Veranstaltung zu dem Thema: "Wie steht es um die Israel-Solidarität?" stattfinden konnte. Die Hochschulgruppe der Deutsch-Israelischen Gesellschaft wollte diese Veranstaltung zum Abschluss des Sommersemesters durchführen. Nach langem Nachfragen über den Grund dafür bekamen die Studenten eine Antwort: Die Hochschule möchte nicht, dass in ihren Räumen eine Veranstaltung stattfindet (wohlgemerkt eine Veranstaltung einer universitären Gruppe), bei der es eventuell zu Tumulten kommen könnte oder wo verfassungsfeindliche Äußerungen getätigt werden könnten. Der Verfassungsschutz, der zwar keine Anzeichen vorweisen konnte, hätte vorsorglich gewarnt, dass es bei einer Veranstaltung jener Art nicht ausgeschlossen wäre, dass solcherlei Dinge geschähen. Ob man den Studenten, die Mitglieder der DIG sind, die verfassungsfeindlichen Äußerungen unterstellte, blieb im Dunklen.

Das muss man sich vorstellen: Eine Universität des Staates, den viele von denen "auf der Tribüne" repräsentieren, behindert Studenten bei der Ausübung ihrer studentischen Rechte, im vorauseilenden Gehorsam gegen diejenigen, denen Israel ein Dorn im Auge ist… Ein Land, mit dem, das kann niemand leugnen, die Rechten ein Problem haben. Das ist schon als das Gegenteil von Zivilcourage zu bezeichnen. Und Zivilcourage ist das, was sich "die auf der Tribüne" immer wieder von den Bewohnern ihres Landes wünschen.

Die von der Universität abgewiesene Veranstaltung hat dann doch in den Räumen der Heinrich-Böll-Stiftung stattgefunden, und zwar in friedlicher Atmosphäre und ohne Tumulte.

Sonntag, 26. August 2012

Praxis in der DDR: Militärlager und Theologiestudium

Noch kann ich mich an meine Empörung erinnern, als ein Bekannter mir schilderte, wie die Studenten während ihres Theologiestudiums durch ein raffiniertes und ausgeklügeltes System von Nötigungen dazu gebracht wurden, dass sie alle an militärischen Ausbildungslagern teilnehmen und sich dabei noch um gute Leistungen bemühen mussten.

Bei der militärischen Ausbildung, die während jedes Studiums obligatorisch war, vermischte man Theologiestudenten mit den Studenten anderer Fächer. Für die militärische Ausbildung gab es eine Abschlusszensur, die sich unmittelbar auf die Endzensur des Studiums auswirkte. Diese Zensuren wurden aber nicht jedem einzelnen verpasst, sondern diese Zensur wurde in der Ausbildungsgruppe, - die ja zudem noch gemischt war – erarbeitet. Ein einzelner Renitenter hätte das gesamte Studium von ganz fremden Kommilitonen gefährden können. Die Theologiestudenten - die ja an sich den Anspruch der Menschenfreundlichkeit stellten -, hätten also (in diesem Sinne) ganz besonders gute militärische Leistungen erbringen müssen, um ihre fakultätsfremden Kommilitonen zu unterstützen. Die Praxis sah natürlich so aus, dass keiner das besonders ernst nahm, dass nur zum Schein alles Geforderte durchgeführt wurde. Dass alles an ihnen abglitt, keiner davon besonders berührt war, auch die Ausbilder selbst nicht.

Trotzdem bin ich der Meinung, dass sich dabei eine Lebenseinstellung herausgebildet hat, die fatal war, und die sich auch heute katastrophal auswirkt. Man hat ihnen die Einstellung vermittelt, dass es ziemlich egal ist, was man macht, wenn man nur keinen unmittelbaren Schaden anrichtet. Möglicherweise hat man ihnen damit das Unterscheidungsvermögen genommen, was Richtig, Falsch, Gut oder Böse ist.

Unsere Theologiestudenten lehnten das Militär ab. Sie hatten den Slogan „Frieden schaffen, ohne Waffen“. Dann lernten sie: Militärlager ist doch nur ein Jux, das schadet keinem. Andererseits hatten sie sich ein Studium gewählt, bei der es gerade darum geht, geistige Grundlagen zu schaffen, und da hätten sie wissen sollen, dass harmlose Sachen fatale Auswirkungen haben können, dass eine Teilnahme am Militärlager sie zu Dingen verpflichten könnte, die sie ablehnen. Besonders hätten sie sich aber gegen die in höchstem Maße unmoralische Koppelung von Dingen, die nichts miteinander zu tun haben und die eine Nötigung einschließen, auflehnen müssen: Sie hätten als gesamter Studiengang dagegen rebellieren müssen. Ich bin überzeugt, dass sie es geschafft hätten, dass die Vermischung von Zensuren von Militärausbildung und Studium, von Theologiestudenten und Studierenden anderer Fächer nicht zu halten gewesen wäre. Es war viel mehr in der DDR möglich, als man im Nachhinein Glauben machen will.

Samstag, 18. August 2012

Israelsonntag (2)

In jedem Jahr wird er in der evangelischen Kirche im August begangen. Und in jedem Jahr wird er ebenso schnell vergessen, wie er herbei gekommen ist. Ich habe noch nie erlebt, dass von solch einem Sonntag irgendeine Inspiration ausgegangen ist. Ähnlich ist es, wenn man die Publikationen dazu liest. Sie gleichen sich Jahr für Jahr, jedenfalls in unseren heimischen Wochenblättern. Vielleicht fällt den Schreibenden einfach nichts anderes ein. Trotzdem lassen sie sich die Gelegenheit nicht entgehen, hämische Anmerkungen über Israel zu machen, die mehr über sie selbst aussagen, als etwa über Jerusalem oder Israel. Da ich über längere Zeit schriftliche oder mündliche Ereignisse am Israelsonntag beobachte, scheint mir die Häme über Israel fast der eigentliche Zweck der Veranstaltung zu sein.

Warum ich mich solcherart Lektüre überhaupt hingebe? Nun, in unserem Haushalt hat jemand so ein Blatt abonniert, und ich komme nicht umhin, auch darin zu lesen. Außerdem ist es lehrreich zu erfahren, welcher Art Gedankengut es ist, das von kirchlichen Publikationen unter ihre arglosen Leser gestreut wird.

Die beiden Artikel, die in diesem Jahr zum Israelsonntag zu lesen waren, hatten folgende Aussagen:

Der erste: In Jerusalem kann man es nicht mehr aushalten, denn da bestimmen ultraorthodoxe Juden, die nur auf Kosten anderer leben, das Straßenbild. Sie wollen geschlechtergetrennte Busse einführen. Zwischen den Konfessionen herrscht Unfriede. Trotzdem sollten wir uns Jerusalem als Sehnsuchtsziel erhalten, denn man braucht Utopien.

Der zweite: Statt des zweiten Artikels hätte man Günter Grass´Gedicht "Was gesagt werden muss" einfach abdrucken müssen. Der Artikel war sozusagen eine Prosaversion davon. Es stand darin: Israel ist ein Pulverfass. Israel wird demnächst einen Präventivschlag gegen den Iran führen und die halbe Welt mit in den Krieg reißen. Wenn man so etwas aber sage, und wenn man die israelische Regierung, wie fragwürdig sie auch sein möge, kritisiert, werde man sofort verdächtigt, ein Antisemit zu sein. Wir können mit den Juden hier nicht freundschaftlich leben, denn zwei Generationen "danach" wird man immer noch oft unter Antisemitismusverdacht gestellt. Der Schreiber kam dann aus heiterem Himmel zu dem Ergebnis, dass Jesus ein Jude gewesen ist und als Jude gelebt hat. Darin wenigstens unterscheidet er sich von Pfarrer Mitri Raheb aus Bethlehem, der Jesus zu einem Palästinenser gemacht hat, und der auch Zuspruch in kirchlichen Blättern bekam.

Nun ja, die Bestimmung des Israel Sonntags scheint im Wesentlichen darin zu liegen, den Juden die Leviten zu lesen.

Donnerstag, 9. August 2012

Der olympische Geist

Die umstrittene Ruderin Nadja Drygalla kommt ausgerechnet aus unserem Bundesland. Demzufolge ist in den Regionalzeitungen noch mehr über sie zu lesen als in anderen Zeitungen. Man setzt sich intensiv mit der Weltanschauung ihres Freundes auseinander und macht sich Gedanken, ob man sie dafür in "Sippenhaft" nehmen dürfe. (Das Wort Sippenhaft bleibt mir rätselhaft, sie kommt doch nicht etwa ins Gefängnis? Angebracht wäre wohl der Ausdruck "Sippenhaftung"). Die arme Frau Drygalla hat Pech gehabt, und deshalb gibt es für sie kein Pardon. Sie hat eine wichtige Funktion. Sie soll den Blick von anderen Dingen ablenken. Dass z. B. der Funktionär Walter Tröger gesagt hat: Was vor 40 Jahren in München geschah, damit können die jungen Sportler nichts anfangen, und eine Schweigeminute für die ermordeten israelischen Sportler hätte es ja schon einmal gegeben.

Das muss man sich einmal vorstellen: Bei olympischen Spielen, ausgerechnet in Deutschland, dringen Terroristen ins olympische Dorf ein und ermorden 11 Sportler und einen Polizisten. Wo, wenn nicht dort wurde der olympische Geist, von dem ja immer einmal die Rede ist, mit Füßen getreten, bzw. mit Gewehren erschossen? Das war in der Frühzeit des internationalen Terrorismus, und der ist inzwischen zur Blüte gelangt und treibt weitere Blüten. Genau 10 Olympiaden später findet man es überflüssig, an das Morden vor 40 Jahren zu denken.

Und ein Sportfunktionär aus Deutschland denkt sich so eine seelenlose, man könnte schon sagen, den olympischen Geist mit Füßen tretende Ausrede aus. Anstatt zu sagen, dass er den Nötigungen der Funktionäre aus arabischen Ländern nicht hat widerstehen können, die wahrscheinlich die Ermordung von Spielern während olympischer Spiele ganz gut mit ihrer Art von olympischem Geist vereinbaren können. In den Geist der Spiele schleicht sich das Gift ein, Israel und seinen Menschen eine pariaartige Sonderstellung zu geben. Wie anders sollte man es bezeichnen, wenn arabische Sportler (in diesem Fall war es ein Libanese), sich weigern, mit israelischen Sportlern zu trainieren, und es wird ihnen Recht gegeben? Es wurde sogar ein Sichtschutz zwischen die Sportler gestellt, damit der Libanese auf keinen Fall auch nur den Anblick des Israeli ertragen muss. Wie bringt man solch eine Handlungsweise mit dem olympischen Geist, der angeblich Völkerverständigung beinhaltet, in Einklang?

So lange skandalöse Aussprüche von Sportfunktionären und die Hinnahme der Diskriminierung von Sportlern durch andere Sportler kein Thema für die Zeitungen sind, interessiert mich die Geisteshaltung von Frau Drygalla nicht, insbesondere wenn sie sich nichts hat zuschulden kommen lassen. Man sollte sich vorstellen, Frau Drygalla hätte sich geweigert, Boote zu besteigen, in denen schon vorher ein farbiger Sportler gesessen hätte, und die Veranstalter hätten sofort ein neues Boot herausgerückt. So könnte man es vergleichen, dass der Libanese nicht mit dem Israeli auf eine Matte wollte. So anständig und ernsthaft die Auseinandersetzungen um die deutsche Ruderin sich anhören: Sie verbergen, was die wirklichen Skandale im olympischen Sport sind, und man schafft sich so selbst ein Gefühl moralischer Erhabenheit.

Mittwoch, 1. August 2012

Im Fernsehen

Es ist eine Weile her, da schaltete ich den Fernseher nicht aus, als eine alte Jüdin von ihrer Zeit im KZ erzählte (sonst schalte ich oft aus, weil mir die Motive, aus denen das Fernsehen die so genannte Geschichtsaufarbeitung bringt, fragwürdig erscheinen).

Eine mitfühlende Reporterin vom Bayrischen Rundfunk befragte die alte Frau. Fast hatte ich Mitleid mit der Reporterin, ihre Erleichterung, als dann endlich das Kriegsende da war, übertrug sich auch auf mich. Wenn so ein Mensch - fast emotionslos, anders geht es nicht - über diese Grausamkeiten berichtet, die nicht zu überbieten sind, weil sie in solcher Massenhaftigkeit geschahen und dann noch in einem nicht zu überbietenden perversen Geist, dann ist es nur schwer auszuhalten. Zu denken: das ist wirklich alles geschehen! Aber das sind nur vordergründige Gedanken, hinter denen sich ein unendlicher Hintergrund auftut: Dieser Geist ist weiter vorhanden. Man kann nicht so tun, als wäre das nicht geschehen, man hat nur die Wahl, sich damit auseinander zu setzen oder nicht. Man soll ihm nicht hinterher laufen, aber man soll ihn wahr nehmen. Er ist in der Gesellschaft vorhanden!

Wenn ich daran denke, so erzählte es die Frau, wie diese Massen von entkräfteten KZ-Häftlingen noch zu Kriegsende durch Europa getrieben wurden und sich täglich in Appellen abgleichen lassen mussten und in jeder Stadt wieder in irgendwelche Hallen zum Entlausen getrieben wurden: der Hygiene wurde Genüge getan. Mir fällt dann Uta R-H. ein, die ich in einer Diskussion sagen hörte: Hitler habe auch sympathische Seiten gehabt, er sei nicht einfach nur eine Bestie gewesen, z. B. sei ihr sehr sympathisch, dass er Nichtraucher war. Es war auch sehr sympathisch, wie die übrige Bevölkerung vor diesen verlausten KZ-Häftlingen geschützt wurde!

Sonntag, 22. Juli 2012

Heydrich hat es nicht gewollt!

In einem tschechischen Gästezimmer fand ich einen Stapel Zeitschriften. Ausgerechnet die oberste davon hatte auf dem Titelbild den ehemaligen stellvertretenden Reichprotektor von Böhmen und Mähren, Reinhard Heydrich, der auch als "Schlächter von Prag" bezeichnet wird. Er war umgeben von zwei goldigen blonden Jungen, und das gesamte Foto zierte ein großer goldener Rahmen.

Die Überschrift des Titelbildes dieser Zeitschrift REFLEX Nr. 43-2011 (man könnte sie mit dem STERN vergleichen) lautete: Mein Papa, Reinhard Heydrich. Als ich diese Zusammenstellung sah, dachte ich: "Wenn wir schon einen Schlächter hatten, dann sollte er wenigstens ein Pop-Star gewesen sein!", also ein interessanter Mann, schillernd, mit vielen Gesichtern, eins davon das des liebenden Vaters. Mir fiel mein Blogeintrag vom 6.10.2011 ein, und ich fand, dass er ganz lebensecht war.

Wie es bei Illustrierten oft der Fall ist, hielt der Inhalt nicht, was die reißerische Überschrift versprach. Der Sohn mit dem Vornamen Heider, der einer tschechischen Journalistin ein Interview gegeben hatte, worauf diese ungeheuer stolz war, sprach so gut wie gar nicht über seinen Vater, sondern erzählte seine Kindheitserinnerungen an das glückliche Leben im tschechischen Schloss Panenské Břežany. Illustriert war der Artikel mit herzigen Familienfotos, dabei fehlte nicht der Heiders Bruder tätschelnde Adolf Hitler.

Die Schlussfolgerung aus dem gesamten Interview war, dass ein Kind nichts für seinen Vater kann, und dass er, Heider Heydrich, nun als Erwachsener eine strenge Trennung ziehe zwischen seinen glücklichen privaten Erinnerungen an seinen liebevollen Vater und seinem Vater als politische Person, dessen Verhalten er missbillige. Ansonsten entpuppte er sich als freundlicher Durchschnittsbürger, der sein erwachsenes Leben als Flugzeugingenieur in der Bundesrepublik verbracht hatte, und dem nichts geschenkt wurde. Außerdem war er ein guter Großvater und überhaupt ein Mensch, der nie jemanden etwas zuleide getan hatte, ja er organisierte sogar Hilfstransporte nach Polen.

Diese umwerfende "Neuigkeit", dass Menschen, die sich anderen Menschen gegenüber wie Bestien verhalten, zu ihren eigenen Kindern nett waren, ist in Wirklichkeit so geläufig, dass der Journalistin da keine große Enthüllung gelungen ist. Interessanter ist, was sich hinter und zwischen den Zeilen erkennen lässt. Heiders Mutter habe noch im Alter davon erzählt, wie herrlich die Zeit, 1941-1945 in Schloss Břežany gewesen sei, obwohl sie ja in diesen Jahren ihren Mann durch das Attentat und einen weiteren Sohn bei einem Verkehrsunfall verloren hatte. Also muss das Leben als Schlossherrin, umgeben von Dienstpersonal und Sklaven, die aus dem KZ Theresienstadt rekrutiert wurden, diese Verluste aufgewogen haben (später musste sie eine Weile ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten, bis sie dann ihre Pension als "Generalswitwe" erstritten hatte). Auch erwähnte Heider, dass seine Mutter den Tod keines einzigen Menschen verschuldet habe, und trotzdem sei sie von den Tschechen in Abwesenheit zu "lebenslänglich" verurteilt worden. Sie selbst sah Zeit ihres Lebens das Wirken ihres Mannes im Protektorat als positiv. Dem schloss sich Heider nicht unbedingt an, sondern beklagte mehr, wie das wunderschöne Schloss Břežany nach dem Krieg verkommen sei. Dass dieses zuvor einem jüdischen Fabrikanten abgenommen worden war, ließ er dagegen lieber unerwähnt. Auch befanden es der junge Heydrich und ebenfalls die Journalistin für unfair, dass sein geheim gehaltener Besuch auf Břežany im Frühjahr, der ja nur dem Grab seines Bruders gegolten habe, an die Öffentlichkeit geraten sei und einige Zeitungen in nicht freundlicher Weise darüber geschrieben haben.

Inmitten von Rührseligem und Privatem erhielten die Leser aber zusätzlich eine wichtige Botschaft. Die alte Mutter hatte es erst ganz zuletzt dem Sohn erzählt: Reinhard Heydrich habe ihr noch auf dem Sterbebett den Wunsch anvertraut, dass er keinesfalls Racheakte für seinen gewaltsamen Tod wolle. Dieser Wunsch sei auch fast respektiert geworden. Karl Hermann Frank, nach dem Tod Heydrichs der mächtigste Mann im Protektorat, habe dafür noch einen handfesten Streit mit Hitler in Kauf genommen - doch vergeblich. So sind Lidice und Ležáky und die Leben unzähliger Menschen ganz umsonst vernichtet worden: Heydrich hat es nicht gewollt. Wieder war der Führer an allem allein Schuld!

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