Dienstag, 17. Juli 2012

Reisen

Es ist Urlaubszeit. Ein beträchtlicher Teil des privaten Interesses gilt dem Reisen. Wenn Leute zusammen kommen, ist es immer ein Thema, wer wo gewesen ist oder wer wo noch hinfahren will. Ich staune oft, welche entlegene Teile des Globusses dieser und jener, dessen Fehlen ich manchmal noch gar nicht bemerkt hatte, seit dem letzten Zusammentreffen bereist hat. Das Reisen ruft jedenfalls große Begeisterung hervor.

In diesem Teil Deutschlands, der einmal DDR war, ist die Begeisterung fürs Reisen wahrscheinlich besonders groß. Angeblich versuchten die Leute nach der Wende, all das an Reisen nachzuholen, was ihnen bis jetzt verwehrt war zu sehen. Auch ich besuchte einen großen Teil der Nachbarländer und auch noch weitere Länder. Dabei sagte ich mir oft: Eigentlich müssten die ehemaligen DDR-Bürger doch voller Wut und Erbitterung denen gegenüber sein, die ihnen bis November 1989 das Reisen verwehrt haben. Um welche Lebenserfahrungen sie gebracht worden sind! Man hörte zwar in der Wendezeit manchmal die Aussprüche: "Wir sind 40 Jahre lang betrogen worden!" oder sogar: "40 Jahre lang umsonst gelebt!". (Was sich schnellstens wandelte in den Spruch: "So haben wir uns die Einheit nicht vorgestellt!") Von direkten Vorwürfen oder einer Auseinandersetzung mit denjenigen, die diese Reisegesetze ausgearbeitet hatten, habe ich nicht gehört.

Samstag, 7. Juli 2012

Der Einzelne und die Allgemeinen

Neulich las ich einen Bericht, in dem ein Mann schrieb, dass seine Mutter gestorben ist, eine Holocaustüberlebende, die in Frankfurt sehr geehrt worden war, u. a. mit dem Bundesverdienstkreuz.

Darüber wundere ich mich immer: Die e i n z e l n en Juden werden geehrt. Wenn über jemanden aus Israel berichtet wird, war das meistens ein interessanter oder beeindruckender Mensch. Die Leute, die in Schulen oder öffentliche Einrichtungen gehen und über ihr Leben erzählen, werden als beeindruckend empfunden. Manchmal ist es sogar so, dass die Gesellschaft sich mit ihnen schmückt: wir waren auf der und der „Holocaust“-Veranstaltung, der und der hat gesprochen, es war sehr bewegend! (Obwohl ich auch bei solchen Gelegenheiten erlebte, dass diese Menschen sehr unverschämt angesprochen wurden und sich für irgendetwas aus Israel verantworten sollten, aber meistens – je nach Gelegenheit – wird das von den anderen irgendwie unterdrückt).

Ein Beispiel: wie der Herr Mannheimer, der schon jahrzehntelang in Schulen geht und über Dachau berichtet erst für sein Engagement gelobt wurde und ihm unmittelbar darauf von denselben, die ihn lobten, gesagt wurde: Das zu viel „darüber“ reden, schüre die Abneigung. (siehe 18.4.2012)

Das ist typisch. Den Juden im Allgemeinen wird unterstellt, sie gäben keine Ruhe, sie wollen kassieren, wir müssen wegen ihnen „immer noch bluten“ (der Phantasie sind im Erfinden grotesker Metaphern in dieser Hinsicht keine Grenzen gesetzt). Die gesamte Bevölkerung von Israel wird als wahres Monster dargestellt, das einen „neuen Holocaust an den Palästinensern“ durchführen möchte. Außer dem Einzelnen, den man gerade traf: Das war ein interessanter Mensch, ganz anders als die anderen. Je nach Bildung und bei welcher Gelegenheit und je nachdem wie öffentlich es ist und wer zuhört, wird das mehr oder weniger stark zum Ausdruck gebracht.

Inzwischen hat man eine hervorragende Lösung gefunden, wie man gleichzeitig "Versöhnung" betreiben, von sich selbst ein gutes Gefühl haben kann, dazu seine Abneigung gegen Juden zum Ausdruck und das noch alles unter einen Hut bringen kann: Man ehrt "israelkritische" Juden. Gibt ihnen Preise, lässt sie Reden halten: Man weiß ja, was zu sagen ihre Obsession ist und demütigt dazu noch die Juden, die damit nicht einverstanden sind, also die "bösen" Juden.

Sonntag, 1. Juli 2012

Diese unselige Anekdote von Heinrich Böll,

die Lieblingsgeschichte in Predigten: Einmal habe mir vorgenommen künftig zu schreien, wenn ich sie im kirchlichen Zusammenhang noch einmal vorgetragen bekomme. Wie oft ich sie in Predigten hörte oder in Gemeindebriefen las, weiß ich gar nicht. Anfang der Ferien erscheint sie mit Sicherheit in kirchlichen Ferienratgebern. Sie wird mit Eifer und in humoristischem Duktus vorgetragen. Sie schildert einen Fischer am Mittelmeer, der nach seinem Fischfang dösend am Strand liegt, und ein Tourist versucht ihn vergeblich zu überreden, dass er mehrmals am Tag zum Fischen fahren und sich dann eine Fischereiflotte zulegen solle, durch deren Arbeit er so einen Gewinn habe, dass er viel Zeit hätte, um beispielsweise im Hafen herumzusitzen. "Aber das tue ich doch jetzt auch", belehrt ihn der Fischer.

Als ich diese als "Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral" bezeichnete Erzählung das erste Mal im Gottesdienst hörte, war ich befremdet. Mir schien, dass zu viel Missachtung von Arbeit darin lag. Als ich dann aber erlebte, was für große Begeisterung sie in kirchlichen Kreisen auslöst - sie war gut genug dafür, in beliebige Predigten eingebaut zu werden -, wurde ich ungehalten. Ich sah mir genauer an, was für ein Mensch es ist, der diese Geschichte vorträgt. Es waren kirchliche Beamte, die egal ob sie einmal oder mehrmals am Tag "hinausfahren" oder auch gar nicht, pünktlich ihre Besoldung oder ihre Pension beziehen, die weit mehr beträgt als der Lohn eines Fischers. Die Anekdote spricht - wenn sie vom Pfarrer in einer Predigt angeführt ist - von Ignoranz und Missachtung der Arbeit einfacher Menschen. Jeder Pfarrer, der diese Geschichte vortrug, machte den Eindruck, als hätte er eine einmalige Entdeckung gemacht. Er weidete sich am Lachen und Schmunzeln einiger Leute, die das hörten. So sah ich Kirchenmitglieder, die schwer arbeiten, und die nach getaner Arbeit nicht dösen, sondern bei anderen Leuten sauber machen, um über die Runden kommen zu können. Möglicherweise saß sogar ein Fischer der nach dem Fang noch seine Netze flickt oder seine Fische ausfährt, unter den Zuhörern (es gibt hier noch Fischer). Falls ich diese Geschichte noch einmal im kirchlichen Zusammenhang erlebe, werde ich vielleicht doch nicht schreien. In welcher Diskrepanz der Vortragende zu der Welt seiner Zuhörer lebt, das weiß ich dann aber genau.

Sonntag, 24. Juni 2012

Ein Hörerbrief von Dezember 2008

Ihre Berichterstattung über Israel

Sehr geehrte Redaktion des DLF,

bereits mehrere Male habe ich mich an Sie gewandt, um auf Missstände in Bezug auf Ihre Sendungen hinzuweisen, die den Staat Israel betreffen. Auf meine letzten Zuschriften habe ich von Ihnen zwar keine Antwort erhalten, ich höre aber weiterhin aufmerksam Ihre Sendungen und erlaube es mir, ggf. darauf hinweisen, wenn die von mir nicht in Frage gestellte „Israelkritik“ sich in das wandelt, was meiner Meinung nach als „Israelhetze“ zu bezeichnen ist. Dass diese Haltung für Ihren Sender durchaus symptomatisch sein könnte, ergibt sich daraus, dass sie in Sendungen verschiedenster Art anzutreffen ist, z. B. im „Politischen Buch“, in der allgemeinen Berichterstattung (mein Schreiben vom 21.05.2008) sowie heute wieder in der Sendung „Aus Religion und Gesellschaft“ (08.12.2008, gegen 10 Uhr).

In dieser Sendung wurde ein Kommentar zu den Menschenrechtskonventionen ausgestrahlt, in dem darauf hingewiesen wurde, dass heutzutage diese Konventionen weiterhin gebrochen werden. Hierzu führte der Kommentator bezogen auf die ganze Welt nur drei Beispiele auf: 1. die „Menschenverachtung“ Israels gegenüber den Palästinensern, 2. Die Taten der „Hamas“, 3. die israelische Siedlungspolitik.

Eine solche Aussage kann den Eindruck entstehen lassen, dass 2/3 aller Menschenrechtsverletzungen vom jüdischen Staat ausgehen und das letzte Drittel eine Reaktion darauf ist. Selbst wenn man diese Assoziationen nicht hätte, so sollte sich der Kommentator vor Augen halten, wo überall in der Welt und in welchem Maße Menschenrechte verletzt werden und in welchem Verhältnis die Dinge, die er anprangert, dazu stehen. Welcher Eindruck bei den Hörern durch Herausfiltern der für ihn bedeutendsten „Verletzungen der Menschenrechte“ entsteht, dessen scheint sich der Kommentator bewusst zu sein, weil er damit der seit Langem bestehenden Tendenz des DLF folgt.

Ich rechne nicht damit, dass sich in absehbarer Zukunft an Ihrer Haltung etwas ändern wird, werde Sie aber weiterhin darauf hinweisen, wenn ich die Grenze zwischen „Israelkritik“ und „Israelhetze“ überschritten sehe und bin auch gern bereit, mich mit den jeweiligen Redakteuren oder Kommentatoren über dieses Thema auseinanderzusetzen.

Mit freundliche Grüßen


Anmerkung: Für diesen Hörerbrief ist das Datum nebensächlich, denn er ist zeitlos. Die Art der Berichterstattung des Deutschlandfunks ist auf stereotype Weise israel-feindlich, woran auch kein Hörerbrief etwas ändern wird.

Montag, 18. Juni 2012

Ein Bestseller

In einem Regal entdeckte ich ein Buch von Friedrich Schorlemmer. Da ich neugierig bin, studierte ich ein wenig darin. Es ist wohl so, dass diejenigen, die solche allgemein sich gut anhörenden Lebensfloskeln schreiben, überzeugt sind, dass sie auch so denken wie sie schreiben. Immer hat man bei Büchern dieser Art den Eindruck: Schon oft gehört, schon oft gelesen! Den Menschen klar machen, wie sie „gut“ leben sollen, aber in so allgemeiner Art, dass keine Konsequenzen für den Einzelnen gefordert werden, außer vielleicht einmal sieben Wochen etwas weniger essen. So versuche ich herauszufinden, was hinter den Zeilen steckt, was derjenige von sich zu erkennen gibt, ohne dass es ihm bewusst ist. Manchmal Harmloses, oft nichts Gutes, auch Menschenverachtung, denn „die Menschen“ sind ja so dumm, dass sie diese Zeilen nötig haben.

Als Beispiel für einen wahrhaft dem Hass abschwörenden Menschen hat FS Uri Avneri entdeckt: Der gute Jude, der kritisch zu den bösen Juden ist! Auch das kennt man zur Genüge.

Eine Szene aus dem Buch ist bezeichnend: In einer Podiumsdiskussion Anfang der 90-ger Jahre war FS auserwählt worden, um sich mit Hermann Kant auseinander zu setzen. Denn nur FS schien man rhetorisch und intellektuell in der Lage zu halten, diesem brillanten Schriftsteller Paroli bieten zu können.

Als erstes traf FS in Pankow zufällig den mit seinem Enkel spazieren gehenden Egon Krenz, und er entdeckte dabei, dass dieser - nun seiner Macht entledigt - einfach nur ein Mensch ist, und er konnte „keinen Hass“ auf ihn empfinden.

In der Podiumsdiskussion war das Publikum - in Pankow - ganz auf der Seite von Hermann Kant. FS, der die Aufgabe hatte, Kant irgendwie zu zähmen, hat sich in seiner Rolle sehr unwohl gefühlt Die Situation dieser Podiumsbegegnung wurde so schwammig beschrieben, dass man sich seine eigenen Gedanken dazu machen musste. Es schien so gewesen zu sein, dass das Publikum FS natürlicherweise als einen Gegner angesehen und ihn dementsprechend behandelt hat. Und das, obwohl FS sich Mühe gegeben hat, sein Gegnüber HK fair und als ihm ebenbürtig zu behandeln! Wie das genau verlief, konnte ich nicht heraus finden.

Plötzlich sprang noch eine dritte Person in die Bresche, die die Konfusion vollkommen machte: Henrik Broder trat auf - warum auch immer - und der schien es auf eine Konfrontation mit Hermann Kant abgesehen zu haben. Nach dem, was FS geheimnsivoll andeutete, ging Broder nicht fair mit HK um, was wohl das Publikum dann wieder auch Schorlemmer selbst angekreidet hat. FS schien bis heute - gut 15 Jahre danach! - diese Situation nicht verkraftet zu haben, jedenfalls brachte er sie aus unerfindlichen Gründen als Szene in dieses Buch. Da das gesamte Buch keinen ausgesprochen „roten Faden“ hatte, fiel das nicht weiter auf. FS schrieb sogar: Es war so eine unerfreuliche Situation für ihn, dass er danach für mehrere Wochen seiner Kreativität beraubt war.

Man muss FS immerhin zu Gute halten, dass er als ganz große Ausnahme damals nach der „Friedenspreisrede“ dem Martin Walser nicht applaudiert hat, wie die gesamte deutsche Elite. Trotzdem - lutherisch-protestantisch gibt er sich, und da ist Judenverachtung verinnerlicht: Die Einteilung in gute und schlechte Juden. Broder habe so viel Erlogenes und Gehässiges über diese Veranstaltung geschrieben, dass FS immer noch nicht darüber hinweg gekommen sei. Doch Konkretes gibt er nicht bekannt. Keinen einzige der "erlogenen" Sätze, keine Frage, keine konkrete Situationsschilderung. Nur so ein starkes Unbehagen, das Broder in ihm auslöste und das FS an die Leserschaft weiter gibt. FS eben in seiner ganzen Herrlichkeit!

Montag, 11. Juni 2012

Ausstellungen

Nachdem ich vor Kurzem (12.05.) in einer großen norddeutschen Kirche die Ausstellung "Der gelbe Stern" gesehen habe, fand ich in einer anderen Kirche dieser Region eine Ausstellung mit dem Titel "Auschwitz" vor. Die zweite Ausstellung war von Gymnasiasten der Stadt im Anschuss an eine Exkursion nach Auschwitz gestaltet worden. Sie bestand aus neun Tafeln mit Fotos und Informationen zu den Geschehnissen in Auschwitz. So stellte ich mir vor, dass die Schüler erschüttert über alles, was sie dort in Auschwitz an Ort und Stelle erfuhren, die Tafeln für den Geschichtsunterricht anfertigten. Wahrscheinlich waren sie dann auf der Suche nach einer geeigneten Stelle für eine öffentliche Präsentation an die Kirche geraten. Der Kirchenraum bietet sich für Ausstellungen geradezu an.

Den guten Willen der Schüler will ich keinesfalls infrage stellen. Aber wie wirkt es auf einen Besucher, wenn er in kurzer Zeit in zwei großen Kirchen Ausstellungen zu KZ - bzw. Judenvernichtungsthematik entdeckt? Er stellt zumindest einige Fragen: Ist die Kirche für Auschwitz zuständig? Sollen Schautafeln jener Art etwa auf die "böse Welt" hinweisen, die Auschwitz verschuldet hat, vielleicht sogar im Gegensatz zur Kirche? Welche Position nimmt die Kirche ein? Interessant ist, dass Ausstellungen jener Art meistens so konzipiert sind, als wäre Auschwitz etwa nicht in dieser Welt, sondern auf einem fernen Planeten angesiedelt. Zumindest haben diese Dinge mit der Gegenwart kaum etwas zu tun.

Die Ausstellungen in den Kirchen sollten Bezug zur Realität haben, und dazu könnte man z. B. die eigene Stellung unter die Lupe nehmen. Interessant wäre eine Ausstellung darüber, wie sich kirchliche Vertreter in der Nazizeit verhalten haben und wie nahtlos ihr Weg nach 1945 weiter ging. Ich denke da an den evangelischen Pfarrer, SA-Mann und NSDAP-Parteigenossen Karl Thiemel, der sich in der Nazizeit aktiv in Berlin für die Einrichtung einer "Kirchenbuchstelle" einsetzte und sie dann auch leitete. In dieser kirchlichen Behörde wurden die eigenen Kirchenmitglieder auf ihre Herkunft zur jüdischen "Rasse" untersucht. Alle "Nichtarier" wurden in einer so genannten Fremdstämmigenkartei registriert. So lieferte er den Nazibehörden direkte Informationen, die zu den Deportation in die Vernichtungslager führten. Andere Pfarrer denunzierte er, weil sie Juden zum Schutz getauft hatten. Nach dem Krieg wurde diesem tüchtigem Archivar in Berlin das Kirchenbuchwesen und die Archivpflege unterstellt. Gleichzeitig wurde er zum Konsistorialrat ernannt, und in dieser Funktion konnte er sich dann selbst beaufsichtigen. Seine wohlverdiente Pension genoss er in Westdeutschland.

Könnte man in Kirchen Schautafeln zu solcher Thematik besichtigen, dann würden diese Ausstellungen nicht so befremdlich wirken, die Leute würden sie mit etwas mehr Interesse betrachten und die Kirche würde nicht als lebensfremde Institution erscheinen.

(historische Informationen aus: "Evangelisch getauft, als Juden verfolgt",
herausgegeben vom Evangelischen Landeskirchlichen Archiv in Berlin 2008)

Dienstag, 5. Juni 2012

Ein Leserbrief (2)

In der Zeitung wurde ein Leserbrief von mir veröffentlicht. Doch ich habe wenig Freude daran, meinen Namen gedruckt auf Papier zu lesen. In dem Augenblick, wo ich das Geschriebene abgeschickt habe - und es muss schon sehr mein Interesse erregen, bevor ich mich dazu durchringe -, ist es mir ziemlich egal, sofort habe ich Distanz dazu. Interessant wurde es allerdings, als mich Frau H. nach Erscheinen des Briefes anrief, und mir allerhand über diesen Maler B. und andere Leute erzählte, auch über B.s Verhältnis zu jenen Malern, von denen in meinem Leserbrief die Rede war. Gleich entstanden Zusammenhänge, Querverbindungen, die lebende, mir aus ganz anderen Zusammenhängen bekannte Personen berührten. Allerdings hätte ich keine Lust, mich als moralischer Vermittler einzumischen. Eigentlich mische ich mih nur dann ein, wenn ich erlebe, wie Menschen, die sich nicht wehren können, schlecht behandelt werden, so erging es in diesem Fall den drei nicht mehr lebenden Malern, die als Denunzianten verdächtigt wurden.

In dem Leserbrief ging es darum, dass XX einen Maler wieder zu Ehren bringen wollte, der außer dass er publikumswirksame Heimatbilder geschaffen hatte, auch für seine Hitler-Portraits in der Nazizeit berüchtigt war. Ich unterstelle dem biederen XX nicht, dass er einen Nazimaler publik machen wollte. Er wollte etwas für seine Heimatstadt tun, und da diese nicht allzu viel vorzuweisen hat, kramte er diese Figur aus der Mottenkiste der Geschichte hervor. XX ist aktives SPD-Mitglied, und hat wahrscheinlich politische Schulungen hinter sich, wo man den Leuten u. a. auch die Kunstgriffe beibringt, die man anwendet, wenn man „brisante“ Themen aufgreifen will. Man darf Makel nicht verschweigen, sondern sie offensiv aufzeigen, so nimmt man potentiellen Gegnern den Wind aus den Segeln. Nur XX gab sich dabei selbst so viele Blößen, dass er angreifbar wurde, indem er im Zusammenhang mit diesem Nazimaler andere Maler denunzierte.

Später erfuhr ich von Frau H. interessante Details dieser Geschichte, nämlich dass dieser Maler B., da er wie das üblich war, nicht von der DDR verstoßen wurde (was XX als einen Beweis ansieht, dass es ja mit ihm nicht so schlimm gewesen sein konnte), sich mit der Zeit so bestätigt fühlte, dass er dann in der DDR-Zeit andere Maler, die mit ihm aus irgendeinem Grund im Clinch lagen (ich vermute eher aus künstlerischen als aus politischen Gründen) nun denunzierte, indem er verlautbarte, sie haben ja schon immer „entartete Kunst“ hergestellt, also wieder in die Nazisprache zurück fiel, was auch typisch ist für Leute, die sich eine Zeit geduckt hatten, und als sie feststellten, dass es doch so schlimm nicht gekommen ist, ohne Scham wieder ihre alte Denkweise aufnehmen und sie auch verkünden. So etwas erleben wir auch heutzutage überall.

Donnerstag, 31. Mai 2012

Die Kapelle

Das Kernstück des großen Krankenhausgebäudes, zugehörig zu einer evangelischen Stiftung, in dem ich eine Zeit zubrachte, war eine Kapelle. Sie lag im ersten Stock genau zwischen zwei Stationen, von denen sie jeweils durch das Treppenhaus getrennt war. Um sich den Weg zu einem der beiden Fahrstühle ein wenig abzukürzen, konnte man direkt durch die Kapelle gehen. Diese Abkürzung benutzte ich gern, weil ich die Stimmung in der altertümlichen Kapelle als angenehm empfand. Später erfuhrt ich, dass dort einmal in der Woche eine Andacht für die Bewohner des zur Stiftung gehörenden Altersheims stattfand. Nicht, dass ich mich nach Andachten sehne, aber dass auf unserer Station nicht der leiseste Hinweis mit einer Einladung zu diesen Andachten auslag, wunderte mich, denn ich hatte immer mal gehört, dass die Kirche auf Menschen zugehen und um sie werben will.

Außer mir habe ich niemals einen Menschen durch die Kapelle gehen sehen. Ich wollte meiner Zimmernachbarin den kürzeren Weg zum Fahrstuhl zeigen, aber sie war außer sich: "Da gehst du durch? Da würde ich niemals durchgehen!" Eine Begründung für ihre Kirchenphobie konnte sie mir nicht geben, sondern es erfasste sie nur ein entsetztes Erschauern: "Mir reicht, dass ich zu Hause nur ein paar Schritte von der Kirche entfernt wohne!" (Später staunte ich nicht schlecht, als ich auf ihrer Familienfotografie entdeckte, dass einer der Söhne ein überdimensioniertes Kreuz um den Hals trug). Wieder andere Mitpatienten erlebte ich vor dem Stationsfernseher. Die Männer sahen sich gern am Vorabend Geschichten aus dem "wahren Leben" an. Wenn dabei ein Pfarrer auftrat, oder wenn zufällig etwas Kirchliches vorkam, hörte ich unwilliges Raunen und sarkastische Bemerkungen meiner Mitpatienten, die mich an die abwehrende Einstellung meiner Nachbarin erinnerte. Nichts ist der DDR so gut gelungen, wie die Leute vom Christentum abzubringen und sie zu echten und überzeugten Atheisten zu machen.

Das passende Gegenstück zur Einstellung meiner Mitpatienten lieferte mir die Leitung des kirchlichen Krankenhauses. Kaum glaube ich, dass es außer mir einen Menschen gab, der die Kapelle als Abkürzungsweg benutzte. Jedenfalls sah ich nie jemanden zur Tür hinein oder zur anderen Tür heraus treten. Und doch hing eines Abends ein großer computergeschriebener Zettel an der Tür mit der Aufschrift: Bitte die Kapelle nicht als Durchgang benutzen! Dafür hatte ich zwar Verständnis aus Sicht eines Gebäudeverwalters. Aber wie steht es mit der "Kirche an sich", deren hohes Anliegen es ist, um Menschen zu werben, sich ihnen zu zeigen, Mitglieder zu gewinnen? Die gleiche Landeskirche, der das Krankenhaus gehört, hat eigens zur Mitgliederwerbung ein universitäres "Institut für Evangelisation" gegründet, mit hoch dotierten Professoren an der Spitze. Die Kirche schreit geradezu nach Steuerzahlern. Sollte sie nicht jede Gelegenheit wahr nehmen, den kirchenfernen Leuten ein wenig von sich zu zeigen und sei es die Atmosphäre einer Kapelle, durch die dieser oder jener beim Durchgehen vielleicht ein wenig auf die Kirche neugierig werden könnte?

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