Ein Erlebnis in Israel: Auf dem Berg der Seligpreisungen

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Der Berg der Seligpreisungen bescherte uns ein eigenartiges Erlebnis: Oben am Parkplatz, gleich neben einer Klosteranlage trafen wir auf eine süddeutsche christliche Reisegruppe. Wir schlossen uns an und folgten ihnen auf versteckten Wegen, die die Bergkuppe hinunterführten zu einer Stelle, wo man einen besonders schönen Blick auf den See hat. Dort ist eine Gruppe Olivenbäume malerisch auf dem Hügel verteilt, und unter einem der Bäume gab es, wohl für pastorale Zwecke, einen Sitz mit einem altarähnlichen Stein davor – dort soll Jesus die Bergpredigt gehalten haben. Wir trafen gerade wieder auf die Gruppe, als ihr Reiseleiter zur Auslegung der Bergpredigt anhob: Die Seligpreisungen überging er „da sie ja allgemein bekannt sind“, und er konzentrierte sich auf die Auslegung der auf die Seligpreisungen folgenden „Gesetzesverschärfungen“. Das führte er in der Weise aus, dass er immer gegeneinander stellte: die hohe moralische Überlegenheit der christlichen Religion gegen die niedere Geisteshaltung des Judentums, das nicht zur Vergebung fähig wäre. Seine Schäfchen hörten ihm schweigend und ergriffen zu. Ich war überrascht: wie in deutschen, christlichen Reisegruppen geredet wird, wenn der israelische Fremdenführer gerade nicht dabei ist, das weiß ich gut, sowohl aus eigenem Erleben als auch aus Berichten christlicher Reisender. Dass man sich allerdings auf den Berg der Seligpreisungen zurückzieht, um ungestört die Regungen des eigenen schlechten Gewissens ins Gegenteil zu ziehen, das war mir neu. Zwei Tage später saßen wir 50 km südlich im Kibbuz E.H. beim Kaffeetrinken. Wir lernten J.s zweite Frau kennen. Nur um wenige Jahre jünger als er, war sie alt genug, dass sie auf ihrem Arm das Brandmal einer Auschwitz-Nummer hatte. Beide bewirteten uns freundlich und führten uns durch den Kibbuz. Und ich dachte: „Das sollen also die sein, die nicht vergeben wollen, und die da auf dem Berg das sind die moralischen Überlegenen!“ Ich bezeichnete unser Erlebnis da oben als „pastorale Groteske“ und war in meinem Misstrauen gegen „Idyllen“ bestätigt.

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