Auch mich,so wie unzählige Menschen berühren und erschrecken die Fotos der am 7.10. brutal aus ihrem Leben gerissenen Shiri Bibas, die ihre beiden kleinen Söhne im Arm hält. An jenem Tag gab es in Israel viele Mütter, die mit ansehen mussten, wie ihre Kinder gequält, geköpft, verbrannt und umgebracht wurden. Für all diese Mütter steht Shiri Bibas. In den Fotos der Bibas-Familie steckt so viel Authenzität, so viel Ausdruck: Entsetzen, Verzweiflung, Angst, Flehen um Hilfe, Mütterlichkeit. Dazu die beiden Jungs, die sich an die Mutter kuscheln. So dass diese Familie gleichzeitig zu dem eigenen schrecklichen Erleben zum Symbol für die Schrecken des 7. Oktober geworden ist. Man sagt sich beim Sehen der Bilder: das ist kein Film, das ist furchtbare Wirklichkeit! Wie es weiter ging, das wissen wir auch.
Nicht nur als Symbol für die Schrecken des 7.10. kann ich sie sehen. So haben unzählige Mütter ihre Kinder an sich gedrückt, bevor sie ermordet wurden. Ich stelle mir – um nur ein Beispiel zu nennen – die gut 30 000 Menschen in Babi Yar vor, die in langen Reihen darauf warteten, erschossen und in die Schlucht gestoßen zu werden. Darunter waren viele Mütter, die ebenso wie Shirin Bibas ihre Babys und Kleinkinder auf dem Arm hatten. So angstvoll, so erschrocken, so verzweifelt war ihr Blick, so wie der von Shirin Bibas.
Sowohl die Umstände des Todes der Bibas-Familie als auch die groteske Inszenierung der Rückgabe von Geiseln und der toten Kinder, die „verwechselte“ Mutter, die verschlossenen Särge usw. haben der Welt vor Augen geführt, was für ein abscheulicher Verein die Hamas ist. Die Einwohner von Gaza veranstalten Freudenfeste, vor einem Podium mit den Särgen ermordeter Kleinkinder. Die „Welt“ (z.B. die UNO) stellt sich auf die Seite der grotesken Mörder. Man lese nur einige Sätze von der Sonderberichterstatterin der UNO für den nahen Osten Francesca Albanese, oder man stelle sich vor, welch horrende Summe unsere Regierung nach Gaza schickt, damit dort Terrortunnel gebaut werden. Und wie oft unsere Außenministerin in den nahen Ostern reiste, um den Israeli ins Gewissen zu reden. Oder man stelle sich Papst Franziskus vor, der vor einem Jesuskind betet, das auf einem Palästinensertuch liegt.
Ob die Bilder und Videos von Shirin Bibas einigen Menschen die Augen geöffnet haben? Ob sie den Unterschied serkennen, zwischen der vor Entsetzen erstarrten Frau, die ihre Kinder schützt und der Menge von Leuten, die ihre Kinder zu einer Bühne mit ermordeten Menschen bringt, damit sie vor der Bühne Freudentänze aufführen?
anne.c - 22. Feb, 19:01
Ein oft gehörter Satzanfang, meistens eine Plattitüde, eine Floskel. Man hört sie immer wieder einmal, oft im politischen Betrieb oder im Journalismus. Oft ist er in Leserbriefen zu lesen, oft in Politikerreden zu hören. Das Ende des angefangenen Satzes kann dann so oder so ausfallen. Meistens hat dieser Satzanfang etwas mit der deutschen Vergangenheit zu tun, und meistens weist er in die Zukunft. Seltsamerweise wird das: `gerade wir als Deutsche` nie erklärt, man weiß wohl schon, was es zu bedeuten hat.
Was ist mit dem Satzanfang ´Gerade wir als Deutsche ´ gemeint? Eigentlich, so sollte man denken: ´Wir Deutschen haben einst unsägliche Verbrechen an Juden begangen, nun sollte das Einzige sein, was wir jetzt tun können, dafür zu sorgen, dass die Juden, die jetzt da sind, sicher und geschützt sind, dass wir uns für die Sicherheit des Staates, den sie sich nach dem Holocaust aufgebaut haben, einsetzen und helfen, diesem Staat eine friedliche Existenz zu gewährleisten.
Das hört sich gut an. In der Realität ist das Ende dieses Satzes oft ganz anders. Der Phantasie sind bei den Schlussfolgerungen aus dem Satzanfang keine Grenzen gesetzt. Z.B. „Gerade wir als Deutsche haben erfahren, zu welch bösen Dingen der Mensch fähig ist. Wir haben daraus gelernt, und darum lassen wir jetzt nichts Böses zu, schon gar nicht, dass Juden etwas „Böses“ anstellen“ (Oder, wie Henryk Broder sagen würde: …..gerade wir als Deutsche müssen Bewährungshelfer dafür sein, dass der Jude nicht rückfällig wird…“)
Oder: „Gerade wir als Deutsche sind die Ursache davon, dass so viele Juden in das „Land der Palästinenser“ „eingefallen“ sind, und darum haben wir die moralische Verpflichtung, den Palästinensern zur Seite zu stehen“.
Mir selbst wurde dieser Satz auf einer Israelreise gesagt, nämlich: „Gerade wir als Deutsche dürfen uns nicht auf die eine oder auf die andere Seite stellen. Wir haben gleich gemerkt, dass Sie auf der anderen Seite stehen! “, nachdem ich eine kritische Frage stellte nach einem Vortrag, der die „Unterdrückung“ der Palästinenser zum Inhalt hatte. Das war ausgerechnet in der deutschen evangelischen Gemeinde von Jerusalem. Schon seltsam, was deutsche Christen für Anliegen haben.
Jedenfalls wurde ich belehrt, dass „gerade wir als Deutsche“ da ganz neutral sein müssen. Aber warum? Ich konnte die Logik nicht erkennen, außer wenn man schon oft unlogische Sätze jener Art gehört hat. Es ist die Logik des Antisemitismus, der mehr oder weniger in manchen Leuten schlummert.
anne.c - 16. Feb, 19:12
Der Almanach „7. Oktober – Stimmen aus Israel“ wurde zum ersten Jahrestag des Überfalls der Hamas zusammengestellt und von der Professorin am Europäischen Forum der Hebräischen Universität Jerusalem Gisela Dachs herausgegeben. Die Publizisten des Almanachs bieten ein breites Spektrum an Berufen: Journalisten, Professoren, Schriftsteller, Religionswissenschaftler und andere geben ihre Gedanken zu den Geschehnissen des 7. Oktobers und des darauffolgenden Kriegs Israels gegen die Hamas wieder.
Die Themen, die sie anreißen und ihre Einstellung zu diesen geschichtlich brisanten Ereignissen sind ebenfalls breit gefächert. Gleich ist allen, dass sie den 7. Oktober als eine Zäsur für den Staat Israel und seine Bewohner ansehen, der schwerwiegende Folgen für die Zukunft hat. Viele schildern als erstes, wie sie selbst diesen Schreckenstag erlebt haben, ob zu Hause in Israel, oder z.B. in Dänemark bei einer Gedenkfeier zum 80. Jahrestag der Rettung der dänischen Juden oder sogar in einem Bunker in einem Kibbuz. Manche befassen sich mit der Einstellung der UNO-Organisationen, mit den antisemitischen Ausschreitungen im Ausland.
Bei manchen spielt das Verhältnis der Israeli zu Arabern und zu Einwohnern von Gaza eine Rolle.
Daniel Mahla untersucht, wie das innerisraelische Verhältnis zwischen den Volksgruppen gelitten hat und stellt mit Erleichterung fest, dass es nach den ersten Irritationen keine Ausschreitungen an der Universität Haifa und auch sonst im Land gegeben hat. Gideon Reuveni macht sich Gedanken, ob es trotz der Schrecklichkeit des Geschehens nicht vielleicht eine Annäherung zwischen den Völkern geben könnte, analog wie sich das deutsch-israelische Verhältnis nach dem 2. WK entwickelt hat. Ghilad Shenhav setzt sich mit einer Rede eines radikalen Rabbiners auseinander, der ein „Groß Israel“ gefordert hatte, die Shenhav ablehnt, aber der Meinung ist, mit radikalen Vorstellungen muss man sich auseinandersetzen. Assaf Uni schildert, wie er sich als Korrespondent nach dem Massaker den Kibbuz Be´eri angesehen hat, seine Eindrücke und seine Erschütterung.
Einige Publizisten machten sich Gedanken, ob Israel auch genug Empathie für die Gaza-Einwohner habe. Es wurde angemerkt, dass israelische Medien – in Umkehrung der Weltmedien – den Krieg einseitig darstellen und unangenehme Bilder nicht senden. Arad Nir übertreibt es meiner Meinung nach, denn er hat den Verdacht, nein er behauptet sogar, dass nicht etwa Politiker auf die Medien einwirken, sondern dass reine Geldgier die Medien in Israel dazu bringt, genau das zu zeigen, was das Publikum sehen will, damit die israelischen Konsumenten sich als Opfer empfinden können. Wenn man bedenkt, wie viele Israeli tatsächliche Leiden in vieler Hinsicht durch den Krieg hatten, ist diese Behauptung schon eine Frechheit.
Gershon Baskin ist ein Friedensaktivist, der schon immer Kontakt mit Palästinensern hatte. So hatte er nach dem 7.10. private Verhandlungen über die Befreiung von Geiseln geführt, erfolglos wie bekannt ist. Die Schilderung seiner Telefonate mit seinem palästinensischen Bekannten zeigt ein recht gutes Bild von der Denk- und Handlungsweise von Palästinensern.
Ein wenig unfair kam mir die Meinung von Ayelet Gundar-Goshen vor, die der israelischen Regierung unterstellte, dass sie die Bevölkerung bewusst in einem Zustand der Hysterie, Wut und Rachgier halten wollte, um einer nüchternen Debatte über die Kriegsziele aus dem Wege zu gehen. Musste jemand nach diesem Massaker und diesen Verwerfungen künstlich Gefühle schüren?
David Grossmann zeigt eine ambivalente Haltung, er ist praktisch hin und hergerissen. Er ist erschüttert über das Ausmaß der Grausamkeiten, das die Opfer des 7.10. erlitten haben, er bewundert die jungen Leute, die aus aller Welt nach Israel zurück strömten, um für ihr Land zu kämpfen, er beklagt, dass man es in vielen Teilen der Welt für legitim hält, zur Vernichtung Israels aufzurufen. Aber er beklagt auch das Leiden der Menschen in Gaza, empfindet Schuld angesichts des Sterbens unschuldiger Gaza-Bewohner, und kann sich nicht vorstellen, dass es keine Zweistaatenlösung geben sollte, wenn auch nach Verzweiflung und Erschöpfung.
Insgesamt sind es 20 Schriftsteller, die in dem Almanach zu Wort kommen. Mir erscheint die Sprache und die Denkweise einiger Publizisten etwas zu gewollt intellektuell. Die Schilderung von Amir Tibon, wie er 9 Stunden im Kibbuz im Bunker eingeschlossen mit seiner Familie auf die Befreiung wartete ist dem direkten Erleben geschuldet und deshalb am meisten authentisch. Es ist auf jeden Fall interessant, ein breites Spektrum von Ansichten und Denkweisen aus Israel zu erfahren.
anne.c - 7. Feb, 22:26
Im Internet fand ich den Hinweis auf eine Veranstaltung in Berlin unter der Bezeichnung „Stimmen aus Israel nach dem 7. Oktober“. Da ich mich gerade in Berlin befand, beschloss ich, die Veranstaltung zu besuchen. Wie ich dann feststellte, war es eine Buchbesprechung und Buchvorlesung eines nach dem 7. Oktober zusammengestellten Almanachs, herausgegeben von Gisela Dachs, Professorin an der Hebräischen Universität von Jerusalem. In manchen Zeitschriften hatte ich schon ihren Namen über Artikeln gelesen.
Der Ort und die Art der Veranstaltung waren überraschend und interessant. Der Saal, in dem ich mich befand, war der Sitz der Eberhard Ossig Stiftung. Davon hatte ich noch nie etwas gehört, und ich fand es interessant zu erleben, was im Verborgenen so alles existiert. Das Publikum, ca. 50 Menschen im mittleren Alter, schien eine eingeschworene Gemeinschaft zu sein, und sie schienen sich zu freuen, wieder zusammenzukommen. Der verstorbene Eberhard Ossig, ein Wirtschaftsprüfer, hatte die Stiftung gegründet mit der Intention, ein tieferes Verstehen des Judentums unter den Christen und des Christentums unter den Juden zu fördern. Sie will erreichen, dass Christen und Juden aufeinander hören und Glaubens- und Lebenserfahrungen miteinander teilen. Ich hatte allerdings den Eindruck, dass weniger religiöse oder geschichtsaufarbeitende Aspekte die Stiftung prägen, sondern vorwiegend kulturelle Aspekte. Und das auf einem hohen Niveau. Die Hauptaktivität der Stiftung ist eine Buchlesung einmal im Monat. Die wird von anspruchsvoller Musik umrahmt. Die Schriftsteller, die z.T. aus ihren eigenen Büchern gelesen haben, waren hochkarätig, z.B. Barbara Honigmann, André Herzberg, Lena Gorelik und viele andere.
So las diesmal eine bekannte Radiopastorin und Sprecherin aus dem Almanach „7. Oktober - Stimmen aus Israel“. (Buchbesprechung im nächsten Blogbeitrag). Der Almanach wurde nach dem 7.10. 23 zusammengestellt. In ihm schreiben ausschließlich israelische Publizisten ihre Erfahrungen, Gedanken, Gefühle, die sie zu diesem Schreckenstag hatten. Das Buch spiegelt viel von der israelischen Gesellschaft wider, wenn es auch etwas eine Schieflage nach „links“ hat, also zur anti-Netanjahu Seite. Nach der Lesung hörten wir noch ein Musikstück. Da die Lesungen recht lange gedauert hatten, gab es keine Zeit für eine eventuelle Diskussion, aber das Publikum ging zufrieden nach Hause.
anne.c - 4. Feb, 19:03
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„Der Holocaust dient Israel als Lehre der Unmenschlichkeit“
»Die Unfähigkeit, die Realität als das zu sehen, was sie ist, kann Israel selbst sehr schaden«
„Israel hat die Erzählung verbreitet, dass jede Kritik an Israel antisemitisch ist. Israel kann also tun und lassen, was es will“.
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Pünktlich, zwischen dem internationalen Holocaustgedenktag und dem Gedenken im Bundestag erschien im „Spiegel“ ein Artikel mit einem Foto, das das zerstörte Gaza zeigte mit der Bildunterschrift: Zerstörung in Gaza: »Israel hat die Erzählung verbreitet, dass jede Kritik an Israel antisemitisch ist. Israel kann also tun und lassen, was es will.«
Das ist so perfide und niederträchtig und spiegelt direkt den Geist des Antisemitismus wider. Wie kommt der „Spiegel“ darauf, dass Israel so eine „Erzählung“ verbreitet hat? Gibt es dafür Belege? Was wäre das für eine „Erzählung“? Etwa die „Erzählung“ von der Verfolgung der Juden in der Geschichte durch die Jahrhunderte, vom Holocaust, von der Vernichtung von 6 Millionen Juden?
Diese „Erzählung“ über Mord und Vertreibung, die sich durch die Geschichte zieht, würden also die Juden dazu benutzen, damit sie auf der Welt tun und lassen können, was sie wollen. Es gab auch schon „die Erzählung“, dass Juden den Holocaust selbst inszeniert haben, damit sie „Palästina kolonialisieren“ können. Dem Antisemiten ist keine noch so abwegige Logik verdreht genug . Das hier ist das altbekannte Stereotyp vom Juden als eigentlichem Weltbeherrscher. Dank dessen, dass er mit dem Erinnern an den Holocaust die Welt erpresst. Ob die Juden den Bundestag und allerhand Staatsführer in Auschwitz auch zum Holocaustgedenken genötigt und erpresst haben?
Aber noch perfider, ekelhafter und antisemitischer ist der Satz, dass die Juden durch den Holocaust gelernt haben, sich unmenschlich zu verhalten. Diese Aussage ist so schlimm, dass sie gar nicht kommentiert werden kann. Warum ist dieser Satz nicht bei der Rede von Präsident Steinmeier gesagt worden? Traute er es sich nicht? Stand er unter dem Vorbehalt, für einen Antisemiten gehalten zu werden, wenn er diese Aussage aufgegriffen hätte? Mir hätte es gefallen, wenn er diesen Satz tatsächlich in seiner Rede aufgegriffen hätte, nämlich um den „Spiegel“ zu demaskieren und bloß zu stellen.
Stattdessen wurde „würde- und pietätvoll“ gedacht. Mit stocksteifen Worten. Immer darauf bedacht, das Wort „Juden“ nicht im Zusammenhang mit Israel zu gebrauchen. Vor jeglichem Antisemitismus und vor der Verleugnung der Vergangenheit wurde gewarnt. Vergessen wurde zu sagen, dass ein beträchtlicher Teil des hiesigen Antisemitismus von Leuten kommt, die in großer Zahl freigiebig ins Land gelassen werden. Vergessen hatte er zu sagen, dass ein beträchtlicher Teil des Antisemitismus solchen Artikeln wie dem des „Spiegels“ geschuldet ist, der sich gern als „Sturmgeschütz der Demokratie“ bezeichnet, und der angeblich von vielen Intellektuellen gelesen wird, und der ihnen beibringt, wie man auf möglichst verdrehte Art denkt.
Noch etwas zu dem im „Spiegel“ gedruckten Satz des israelischen „Völkermordforschers“ Omer Bartov, einer der vielen nützlichen Idioten, die gern hinzugezogen werden, wenn Israel diskreditiert werden soll. (Denn wenn man selbst etwas Kritisches zu Israel schreiben würde, egal was, dann würde man nach „israelischer Doktrin“ als Antisemit gebrandmarkt werden, also sucht man sich jüdische Kritiker zum Kritisieren). Z.B. »Die Unfähigkeit, die Realität als das zu sehen, was sie ist, kann Israel selbst sehr schaden«
Was meint er damit? War es Realität, was am 7. Oktober geschah oder Fiktion?. Hätte man die vielen Geiseln für immer der Hamas überlassen sollen, weil man sich mit der Realität: Unbesiegbarkeit der Hamas abgefunden hat? Hätte man die Grenzen für neue Überfälle öffnen sollen, weil die Realität so aussieht, dass sowieso weitere Überfälle bevorstehen? Hätte man die unablässige Bombardierung des Nordens vom Libanon aus als lästige Realität hinnehmen sollen?
Dass der „Spiegel“ diese Auswürfe gerade zum Holocaustgedenktag in sein Blatt stellt, zeigt, dass er wirklich besessen von diesem Gipfel der Besessenheit ist: jetzt gerade, und wenn man uns dafür rügt, ist es der Beweis, dass jede Kritik als antisemitisch gewertet wird. Der Geist seines Gründers Rudolf Augstein zieht sich durch die Jahrzehnte.
anne.c - 29. Jan, 19:53
In der jüdischen Rundschau war ein Artikel über die Wanseekonferenz 1942. Nicht, dass darin etwas ganz Neues stand, die Konferenz, ihr Inhalt und die dabei Mitwirkenden sind bekannt. Doch war es wieder beklemmend, sich vorzustellen, was diese Leute sich ausdachten, was für ein Vokabular sie benutzten und sich gleichzeitig vorzustellen, wie die Verwirklichung ihrer perversen Gedanken für die einzelnen Menschen, Gemeinden, Orte ausgesehen hat.
Immer wieder einmal bekommt man zu hören, dass Deutschland ein unheimlich tolles Land ist mit höchst aufregender Geschichte und einer beeindruckenden Kultur. Bis eben auf diese 12 Jahre. Wie Alexander Gauland verkündet hat, die wären ein „Fliegenschiss“ im Vergleich mit der übrigen Geschichte. Da frage ich mich, wie aus dieser tollen Geschichte Menschen wie Heydrich, Himmler, Eichmann usw. hervor gehen konnten. In ihrem Gespräch in der Villa benutzten sie Ausdrücke wie „natürliche Verminderung“, „entsprechend behandelt“, „praktische Durchführung der Endlösung“ „entfernt werden“. Und man muss sich vorstellen, wie das – aus der Forschung und aus Büchern von Überlebenden weiß man es – aussah. Und man muss sich vorstellen, dass die Witwe von Heydrich, den man als den „Architekten des Holocaust“ bezeichnet, sich eine lebenslange Rente (incl. Nachzahlungen) für diese „Architektur des Holocaust“ erstritten hat, d.h. es gab in dem „schönen Deutschland, außerhalb der 12 Jahre“ dann immer noch eine Belohnung für die Menschen, die am Holocaust beteiligt waren (ebenso wie die Witwe von Freisler eine hohe Pension bezog, und welche Witwen noch alle etwas bekamen, das weiß ich nicht).
Vor einem Jahr fand in einer Villa in Potsdam ein Treffen von Mitgliedern der AfD statt, das war einigermaßen harmlos, jedenfalls hatte es keine Reichweite und war von unbedeutenden Personen besetzt. Prompt bezeichneten einige Leute, z.B. Innenministerin Faeser das Treffen als eine „2. Wanseekonferenz“. Es hätte zumindest Parallelen dazu. Nun kann man sich durchaus Gedanken machen zu Absichten und Zielen der AfD und auch der Inhalt ihrer Gespräche wäre interessant. Aber überhaupt die Bezeichnung „Wannseekonferenz“ mit so einem Treffen zu assoziieren, das bezeugt eine Ignoranz, zur eigentlichen Konferenz. Das ist - wie man es oft erlebt-, eine Verniedlichung des Holocaust, das lässt die unzähligen Menschen, die auf barbarischste Weise zu Tode gebracht wurden, als Marionetten erscheinen, die auf einem Reißbrett der Geschichtsbewältigung hin und her geschoben werden.
anne.c - 17. Jan, 12:11
Die Gründung des Staates Israel wäre aus drei Säulen hervorgegangen, er bezeichnete sie als Sekundärfolge der Shoa: Die starken Einwanderungswellen während der Nazizeit und nach dem Krieg. Weiterhin dem schlechten Gewissen der Welt und einer „Überidentifikation“ mit dem Leiden der Juden. Was er unter Überidentifikation verstand, konnte ich mir nur so auslegen, dass es etwas übertrieben war, den Juden wegen des Holocaust einen Staat zu gewähren. Dass die Shoa (wie er es sagte) etwas ganz Schreckliches war, dieser Meinung war er, allerdings begrüßte er die Gründung Israels nicht. Denn die war mit einer Vertreibung der Palästinenser verbunden, nämlich der Nakba. Dass die Palästinenser überwiegend vertrieben wurden und nicht etwa von arabischen Führern zur Flucht aufgerufen worden waren, das würde der israelische Historiker Ilan Pappe belegen, auf andere wissenschaftliche Erkenntnisse stützte er sich nicht. Warum 20 % der israelischen Einwohner Araber sind, ging daraus nicht hervor. Den Juden, die aus den Gebieten vertrieben wurden, die vorher in dem Teil des Landes wohnten, das nicht zu Israel gehören sollte und die dort bedeutende Kulturleistungen erbracht hatten, wurde kein Begriff wie Nakba zugestanden – vielleicht weil sie schon den Holocaust für sich reklamieren konnten. Er war der Meinung, dass es ein Skandal sei, dass die palästinensischen „Flüchtlinge“ bis heute in Lagern leben und von ihren arabischen Brüdern nicht integriert wurden.
Der Bischof vermied es, allzu konkret auf geschichtliche Details einzugehen. Man bekam aber mit, dass dieser Teil der Erde vor dem 1. WK zum Osmanischen Reich gehörte und danach von den Engländern als „britisches Mandat“ verwaltet und beherrscht wurde. Die Engländer hätten nach ihrem Abzug 1948 die Grenzen der Staaten, die neu entstanden, sehr willkürlich gezogen ohne Rücksicht auf die Befindlichkeiten der dortigen Volksgruppen. Das kollidiert meiner Meinung nach mit seiner Aussage, dass Land sowieso keine Erlösung bringt. (In dieser Beziehung wundere ich mich – ebenso wie bei Vorträgen und Aufsätzen anderer -, dass die Gründung anderer Staaten wie z.B. Jordanien (am 25. Mai 1946) als selbstverständlich und nicht der Rede Wert angesehen, während die Gründung Israels (am 14. Mai 1948) mit dem Nimbus von etwas, was sich nicht gehöre umgeben ist. Das hat der Bischof allerdings nicht wörtlich gesagt).
Einige Aussagen fand ich über der Grenze des Vertretbaren. Der Abzug von Gaza erfolgte 2005, und bis heute ginge die Abriegelung weiter! Kein Wort von Raketenbeschuss, kein Wort von der blutrünstigen Herrschaft der Hamas, von den Tunneln. Dann fiel der Ausspruch von den Bewohnern des Westjordanlandes, die nun schon 49 (!) Jahre unter Besatzung leben. Hatten sie vorher einen Staat, der ihnen vor 49 Jahren genommen wurde? Wer hat diesen Staat regiert, wer hat ihn ihnen genommen?
Dann folgte ein Überblick über die drei wichtigen Religionen der Region und ihre Geschichte. Der Islam gelte als antijüdisch, das wäre aber pauschal, denn der Islam hätte allerhand aus dem Judentum übernommen. Später wäre der Islam „kritisch“ gegen die Juden geworden. Ich weiß nicht ob er mit „kritisch“ das Abschlachten der gut 700 Juden durch Mohamed meinte oder die Passagen im Koran, dass man jeden Juden, dessen man habhaft werden kann, töten soll, denn davon wurde nichts gesagt. Dass im Alten Testament Verse stehen, die besagen, man solle alles Nichtisraelische ausrotten, das erwähnte er dagegen ausgiebig, las diese Verse vor und meinte, das Blut bliebe einem dabei stehen. Er sagte, dass später, bei den Propheten überhaupt nicht mehr so gesprochen wurde und dass das Judentum Fremdlinge als gleichberechtigt angesehen hatte. Es war also eine umgekehrte Entwicklung wie im Islam, aber das musste sich jeder selbst denken. Über die Christen im Heiligen Land gab er Auskunft, dass sie vor allen Dingen für ihre Gewaltlosigkeit bekannt wären.
Der Vortrag endete ziemlich abrupt. Der gastgebende Pfarrer dankte und lobte die Zuhörer für ihr stilles Zuhören. Die Zuhörer nahmen es sich zu Herzen und blieben weiterhin still, auch nachdem sie zu Fragen aufgefordert wurden. Ich hatte den Eindruck, die vielen Fakten haben sie erschlagen. So meldete ich mich zu Wort, fragte nach der Meinung zu den Gerüchten, dass bei palästinensischen Christen die Bestrebung bestehe, Jesus als einen Palästinenser für sich zu reklamieren. Das verneinte der Bischof kategorisch, er wusste nur, dass Jesus für einen Juden aus Palästina angesehen wird. Als die Zuhörerschaft weiter stumm blieb, fragte ich ob es wahr sei, dass christliche Palästinenser das Westjordanland verlassen und ob das auf Druck der israelischen Regierung geschehe. Der Bischof – immer lavierend – bestätigte die Fluktuation und meinte, dass die Christen starkem Druck von beiden Seiten, der jüdischen und der muslimischen ausgesetzt wären. Die übrigen Zuhörer waren weiterhin nicht zu Fragen animiert, und da ich kein Zwiegespräch halten wollte, enthielt ich mich weiterer Fragen.
Das Publikum klatschte brav und spendete ebenso brav für den Jerusalemverein.
(Ende)
anne.c - 8. Jan, 09:44
Da im letzten Beitrag die Links nicht funktionierten, werde ich den Beitrag, den ich schon vor einigen Jahren schrieb, noch einmal einstellen (in zwei Teilen). Ich empfand die Veranstaltung
damals als symptomatisch für die Einstellung vieler Kirchenvertreter in Deutschland. Der Artikel zeigt auch, dass es nicht der Gaza-Krieg ist, der in evangelischen Kirchen Abneigung gegen Israel hervor gerufen hat, sondern dass diese Abneigung verinnerlicht ist über Jahre, Jahrzehnte, Jahrhunderte.
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Wem gehört das Heilige Land?
Diese Frage stellte sich der norddeutsche Bischof Abromeit, und da er anderen Menschen seine Gedanken mitteilen wollte, hielt er in verschiedenen Kirchengemeinden Vorträge darüber. Dank meiner vielfältigen Erfahrungen über die zwiespältige Haltung deutscher Christen zum „Heiligen Land“ hatte ich den Verdacht, bei so einem Vortrag Interessantes zu erfahren und fuhr in den Nachbarort um ihn mir anzuhören.
Die Veranstaltung fand in einem kleinen Kirchlein statt. Es war gut gefüllt, überwiegend mit Urlaubern. Ein Gastpfarrer aus Chemnitz hielt die Begrüßung und erzählte, dass er zu Hause den Vorsteher der jüdischen Gemeinde gebeten hatte, einen Vortrag über Israel zu halten, und dieser hätte abgelehnt, denn er wäre als Chemnitzer Jude nicht für Israel zuständig. Der Bischof, obwohl ein deutscher Christ, hielt sich durchaus berufen, in Deutschland die Geschichte Israels zu beleuchten.
Sein Vortrag war rhetorisch gekonnt, systematisch aufgebaut und vermied jede emotionale Aussage zum „Heiligen Land“. Der Vortrag strotzte von Zahlen und Daten, was die Besucher etwas verwirrte und ermüdete. Ein Fazit, wem nun dieses Land gehören würde, gab es nicht, und das Publikum blieb mit der Erkenntnis zurück: Es gibt keine einfachen Lösungen.
Kontinuierlich schimmerte durch den Vortrag der Eindruck, dass der Vortragende es nicht für gut befindet, dass Juden in Israel leben und ihren eigenen Staat haben, denn „Land bringt keine Erlösung“ und „Gott bindet sich nicht an ein Territorium“, so war seine Aussage. Viele nebenher ausgesprochene Bemerkungen ließen den Eindruck entstehen, dass Juden in dieser Gegend nicht unbedingt zu Hause sein sollten, denn im 19. Jahrhundert lebten dort nur 17 000 Juden, dagegen 400 000 Araber. Nach mehreren Einwanderungswellen lebten bei der Staatsgründung 1948 600 000 Juden auf dem Gebiet. Dass zu Ende des 19. Jahrhunderts die Idee des Zionismus, den er offensichtlich missbilligte, aufkam, sah er in der Entfremdung zwischen Juden und Christen, in der Entfremdung der Ost- und Westkirche und in dem Aufkommen der Nationalstaaten. Ganz logisch waren der Inhalt des Vortrags und die Begründungen nicht. Der Begriff Antisemitismus wurde vermieden.
Der Bischof meinte, der Zionismus hätte einen Geburtsfehler, denn dieser strebe eine jüdische Parallelgesellschaft an in der nur Juden lebten, während in alter jüdischer Zeit, zur Zeit des alten Testaments, viele Völkerschaften auf dem Gebiet gelebt hätten. Wie viele Araber und andere Völkerschaften auch heute in Israel leben, wurde vorsichtshalber nicht erwähnt. Mehrmals fiel der Begriff: „Ein Land ohne Volk für ein Volk ohne Land“, er sagte aber nicht, dass dieser Satz von christlichen Autoren (höchstwahrscheinlich Lord Shaftesbury) geprägt wurde und nicht die Richtschnur für jüdische Einwanderer war.
Obwohl der Bischof seinen Vortrag systematisch mit Punkten und Untergliederungen aufbaute, herrschte innerhalb der Punkte wenig Logik, ja sogar Missverständliches. So erzählte er einfach mal zwischendurch, dass sich die jordanische Königin und Frau Netanjahu auf dem Nahostgipfel 1996 unterhielten, und die Königin meinte, die Israeli würden die Araber nicht anerkennen, worauf Frau Netanjahu antwortete: Wir brauchen doch die Araber als Arbeiter! Das sollte vielleicht eine Begründung dafür sein, dass viele Araber in Israel leben oder eine Begründung für etwaige Missachtung der Araber, uneingedenk der Tatsache, dass viele Araber in Israel freier leben als in jedem arabischen Land, und dort ihren Wohlstand und ihre Lebensgrundlage haben. (Fortsetzung folgt)
anne.c - 4. Jan, 19:15