Vor Kurzem lud mich eine Bekannte zu einem kulturellen Dorfereignis ein. Vor dem zum Ereignis gehörenden Gottesdienst unterhielten wir uns ein wenig, und da unsere Bekanntschaft nicht so eng ist, plauderten wir über neutrale Themen. Beruf, Garten und Familie. Bei dieser Gelegenheit fiel der für mich erstaunliche Satz von meiner Bekannten: „Ja, die Welt ist jetzt so offen. Ich find´s gut, dass die Flüchtlinge hier sind!“, und mich wiederum durchzuckte der Gedanke: Das muss Gehirnwäsche sein!
Lange konnte ich nicht überlegen, ob diese Aussage das Ergebnis eines abwägenden Erkenntnisprozesses sei oder das Resümee aus anrührenden Erlebnissen in einer Flüchtlingsinitiative oder vielleicht doch einer Gehirnwäsche entsprungen, denn es begann ein kultureller Gottesdienst, der hauptsächlich die Liebe zur Natur beinhaltete. Einige Passagen über Flüchtlinge wurden kunstvoll in die Predigt eingebaut in dem Sinne, dass es gut sei mit anderen zu teilen. Bezeichnenderweise war kein Flüchtling in der Kirche, dafür aber Hunde.
In letzter Zeit hörte ich mehrmals, unvermutet, im Bekanntenkreis Bemerkungen, die von einer positiven Einstellung Flüchtlingen gegenüber zeugten. Interessant dabei war, dass diese Bemerkungen meist spontan kamen, so als lauere das Thema dicht unter der Oberfläche und müsse einen Ausgang finden. Auch fielen diese Bemerkungen immer in einer Situation, die eine weitere komplexe Erörterung ausschloss. In habe den Eindruck, dass die Gesellschaft ein Bild von sich hat, das die Einzelnen in die Kategorien: „dafür-moralisch-gut“ oder „dagegen-unmoralisch-schlecht“ einteilt, also Ideologie pur. (Es erinnert mich an die im frühen Sozialismus in der DDR übliche Praxis, die Bauern, die in die Genossenschaft gepresst werden sollten, zwischen zwei Türen wählen zu lassen, auf denen stand: Ich bin für den Frieden, also Genossenschaft, oder Ich bin für den Krieg, also Einzelbauer bleiben). Meine Erlebnisse im kulturellen und anderen Gottesdiensten verstärken diesen Eindruck. Da wurde den „Schäflein“ bekannt gegeben, dass sie solidarisch teilen müssen, oder gar „zu neuen Ufern aufbrechen“ und ähnliches. Eine weitere Erörterung findet der Gelegenheit entsprechend nicht statt. Den ergriffenen Zuhörern wird klar gemacht, dass sie hoffentlich auf der Seite der Guten stehen, und der Pastor – in diesem Fall war es ein Bischof - eilt in seine durch eine dicke Schicht von Pensionsansprüchen und Zusatzversorgunden gesicherte Existenz zurück.
anne.c - 12. Nov, 13:34
Was bringt jemanden dazu, als Fazit eines Buches, das recherchiert und beschreibt, wie amerikanische und alliierte Piloten den Krieg in Gefangenschaft verbracht haben, in den Raum zu stellen: die westliche, insbesondere die amerikanische Außenpolitik hält sich an den Grundsatz, vom Flugzeug aus Ort auf Ort zu verwüsten? Selbst wenn man der Meinung ist, dass die USA und die westliche Welt oft in Kriege verwickelt sind, in diesem Fall handelt es sich um ein Lager, das Deutsche errichtet haben um Menschen gefangen zu halten, die ihr Leben eingesetzt haben – und viele ihrer Kameraden haben es verloren -, um wie man so schön sagt: die westlichen Werte zu verteidigen. Die ominöse Schlussaussage lässt im Ungewissen, zu welcher Seite überhaupt Deutschland gehört, sei es vor oder nach 1945. Ob man die Geschichte dieser Zeit so sehen soll, dass amerikanische Bomber erst Deutschland verwüsteten und dann weiter zogen? Im Buch gibt es mehrfach Anklänge, dass in eben dieser Gegend zur gleichen Zeit Menschen ungleich mehr gelitten haben, KZ-Insassen, russische Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter. Auch wenn dieser Aspekt für Zeit- und Ortsgeschichte nicht unwesentlich ist, kann man das nicht den alliierten Gefangenen zum Vorwurf machen. Dann müsste sich jeder Mensch den Vorwurf machen, dass zur gleichen Zeit und oft nicht weit entfernt Menschen leiden. Ich stelle mir vor, was die Nachkommen der damals Gefangenen – falls ihre Deutschkenntnisse es ihnen erlauben und sie sich die Mühe machen, über diesen Absatz nachzudenken. – von so einer Einschätzung halten werden.
Dass dieser in meinen Augen unselige Absatz dieses ansonsten äußerst informative Buch beschließt, laste ich weniger den Autoren an, sondern dem Geist der Zeit. (Da ich die Autoren persönlich kenne, möchte ich Namen und Titel im Dunklen stehen lassen). Zufall ist der Satz nicht, aber ich erkläre ihn mit den Schwierigkeiten, die Autoren oft mit ihrem letzten Satz haben.
anne.c - 5. Nov, 15:33
Vor mir liegt ein wunderbares Buch. Es handelt über den zweiten Weltkrieg und dokumentiert die Geschichte eines großen und bedeutenden Gefangenlagers hier in der Gegend, in dem ein Großteil der Fliegeroffiziere der Westalliierten Armeen interniert war. Viele Menschen haben Mühe, viel Zeit und Arbeit investiert, um nach 1990 die Geschichte dieses Lagers zu erforschen. Die dort beschriebenen Ereignisse sind spannend, interessant und vielfältig. Man merkt es dem Buch an, wie wichtig die Arbeit für die Autoren, noch mehr für die noch lebenden ehemaligen Gefangenen, aber auch für die jetzt lebende Bevölkerung der Gegend ist. Mit wie viel Volumen die Landschaft und die Zeitgeschichte sich füllen! Das Buch ist recht erträglich zu lesen, weil es im Gegensatz zu anderen Büchern über den zweiten Weltkrieg wenig Tote beinhaltet. Aber es beschreibt auch das Entsetzen der alliierten Offiziere, als sie am 1. Mai 45 plötzlich frei waren und in wenigen Kilometer Entfernung die Reste eines KZ-Lagers entdeckten mit toten und sterbenden Menschen, denen sie so weit es möglich war, Hilfe leisteten.
Alles ist gut an dem Buch, aber dann gibt es den allerletzten Absatz. Dieser Satz ist dem kanadischen Autor Ondaatje in den Mund gelegt, und ich kann ihn einfach nicht begreifen. Darin heißt es: ……amerikanische Filme enden immer so: „Der Held steigt ins Flugzeug und hinterlässt einen verwüsteten Ort. Das sagt doch einiges über die westliche Zivilisation. Man lässt die Vergangenheit hinter sich und fliegt zum nächsten Kriegsschauplatz ……. Die amerikanische Außenpolitik hält sich oft an diesen Grundsatz…..“
anne.c - 2. Nov, 12:22
Sehr geehrte Redaktion,
Pinar Atalay berichtet über Gewalt in Israel/Palästina und gibt als einen der Faktoren, die dazu beitragen, die Gewalt eskalieren zu lassen an: Benjamin Netanjahu habe behauptet, dass ein palästinensischer Würdenträger Hitler zur Vernichtung der Juden angestiftet hat.
Gegen solche Art von geschichtsverfälschenden und klitterenden Anmoderationen, insbesondere in einem öffentlich-rechtlichen Medium, möchte ich Einspruch erheben. Wenn Frau Atalay meint, die Aussagen Netanjahus seien Ursache der Gewalt, die von Palästinensern gegenüber Israeli ausgeübt wird, dann sollte sie die Rolle des „palästinensischen Würdenträgers“, wie sie den einstigen Großmufti von Jerusalem Mohammed Amin al-Husseini bezeichnet (er war der wichtigste arabische Verbündete der Nationalsozialisten bei der Vernichtung der Juden), so weit konkretisieren, dass die Zuschauer wenigstens eine Ahnung davon bekommen, wovon sie spricht.
Freundliche Grüße
Hat es Sinn, eine Reaktion auf groteske Moderationen oder Beiträge in den Tagesthemen oder wo auch immer zu schicken? Im Prinzip nein, denn dann müsste man jeden Tag etwas schreiben. Dazu verhindert die Inflation an Geschriebenem die Lust, auch selbst noch etwas beisteuern zu wollen. Aber: sie (die Medien insgesamt) sollen erfahren, dass ihnen jemand zuhört und dass man nicht alles Gesagte einfach so im Raum stehen lässt.
anne.c - 24. Okt, 18:43
besser hätte dieser Blog nicht betitelt werden können, um die aktuellen politischen und gesellschaftlichen Ereignisse zu charakterisieren. Dieser Titel trägt (intern) noch einen Nachsatz, nämlich: Die Realität spricht für sich.
Der deutsche Poet Heinrich Heine hat 1844 gedichtet: „Franzosen und Russen gehört das Land. Das Meer gehört den Briten, wir aber besitzen im Luftreich des Traums die Herrschaft unbestritten.“
Wie auch bei der Lektüre anderer Dichtungen aus seiner Feder, frage ich mich, wieso Heinrich Heine vieles im Voraus gesehen und dichterisch erfasst hat, was sich dann erst mehr als 100 Jahre später ereignet hat. Weder konnte er etwas vom „Dritten Reich“ wissen, obwohl er in seinem „Deutschland – ein Wintermärchen“ im Zauberkessel der Göttin Hammonia die stinkend braune Zukunft voraus geschaut hat, also besagtes Drittes Reich. Ebenso wenig konnte er von den dramatischen Entwicklungen wissen, welche die heutige Flüchtlingskrise mit sich bringen wird. Und doch laufen diese Entwicklungen genau wie im Gedicht charakterisiert ab: Im Luftraum des Traums. Von der Überzeugung der eigenen hohen Moral beseelt, wurden Entscheidungen getroffen, die nicht nur kaum in den Griff zu bekommen sind, sondern darüber hinaus zugleich verhängnisvolle Weichen für die Zukunft stellen.
Und wie sieht die Realität aus? Sie spricht für sich: Angela Merkel ist gezwungen, einen gar nicht moralischen Menschen, Recep T. Erdogan, im Wahlkampf zu unterstützen. Nicht nur dass sie diesem undemokratischen Machthaber politische und finanzielle Zugeständnisse machen muss, ihn also indirekt auch in seinem Kampf gegen die Kurden unterstützt, nein sie muss ihre eigene Glaubwürdigkeit infrage stellen, indem sie ihn genau um das bittet, was sie selbst, im Luftraum des Traums der eigenen hohen Moral schwebend, zu Hause empört von sich weist - sie ersucht Erdogan unter Zusage reicher Belohnung, die türkischen Grenzen für Flüchtlinge, die sich weiter nordwestwärts nach Deutschland bewegen könnten, möglichst hermetisch zu schließen.
anne.c - 19. Okt, 23:20
„Das, was bei euch in Deutschland im Augenblick praktiziert wird, kann man als Landnahme ohne Krieg bezeichnen“. Diesen Satz hörten wir von einem äußerst integren und menschenfreundlichen Tschechen. Er pflegt pragmatisch zu denken, er stellte sich das, was er in Nachrichten und Zeitungen sah, vor und verglich es mit seinen Lebenserfahrungen. Er konnte sich nicht vorstellen, wie die gegenwärtige Asylsuchenden-Situation in Deutschland ohne Schaden für das Land in den Griff zu bekommen sei.
Ich selbst bin gleichgültig dem Staatswesen im Allgemeinen gegenüber, weiß aber, dass eine so komplexe und vielschichtige Angelegenheit wie das öffentliche Leben in einem Wohlstands- und Wohlfahrtsstaat nur durch klare und durchsetzbare Strukturen aufrecht zu erhalten ist. Dazu gehören, so schlimm es sich für manche wohlmeinenden Menschen anhört, auch Grenzen. Sonst könnte man den Staat gleich abschaffen. Grenzen sind das primäre Kennzeichen des Staates. Und nun sagt Frau Merkel, dass unsere Grenzen sowieso nicht zu kontrollieren seien. Das heißt, man weiß nicht, wer sich im Staat aufhält und welche Absichten er hat. Wenn es Frau Merkel egal ist, wie sich der von ihr regierte Staat definiert (denn ohne Grenzen existiert er quasi gar nicht), dann müsste sie sich selbst allerdings auch abschaffen, jedenfalls in ihrer Regierungsfunktion.
Ganz so unfähig wie Frau Merkel den von ihr regierten Staat darstellt, ist er nun auch wieder nicht. Kleine Schritte werden unternommen, um festzustellen, wer in den Staat einreist. So passierten wir vor einigen Tagen die Grenze von Tschechien nach Deutschland. Unmittelbar hinter der Grenze kam unerwartet eine Fahrbahnverengung, die durch nichts zu erklären war. Die Geschwindigkeit wurde bis auf 20 km/h herabgesetzt, und am Ende der Begrenzung stand ein Polizist, der mit seiner Kelle zum Stopp aufforderte. Er wies uns darauf hin, dass wir bestimmt mit mehr als 20 km/h gefahren seien, zeigte aber weder an unserem Auto noch an unserer „Geschwindigkeitsübertretung“ irgendwelches Interesse und ließ uns weiter fahren, während, andere, größere Autos auf einen Parkplatz gewiesen wurden.
anne.c - 14. Okt, 11:59
Vor Kurzem las ich einen interessanten
Artikel von Alex Feuerherd, (Aufklärung als Naivitätsverlust) in dem dieser Journalist berichtet, wie er vor einem kleinen Publikum einen Vortrag zum Thema „Israel, Palästina und das Wasser“ hielt. Er wollte, gut recherchiert, darüber aufklären, wie es auf diesem Gebiet mit der Gewinnung und der Verteilung von Wasser wirklich bestellt ist, um dem weit verbreiteten Vorurteil: `Die Israeli stehlen den Palästinensern das Wasser´ entgegen zu wirken. Möglicherweise war er vom Auftritt des Präsidenten des europäischen Parlaments Martin Schulz in der Knesseth dazu inspiriert. Der Vortrag fand tatsächlich statt, aber in der darauf folgenden Diskussion stellte sich heraus, dass das Publikum, zumindest einige rabiate Diskussionsteilnehmer nichts von den Recherchen des Referenten glaubten, dagegen aber ohne jegliche eigene Belege meinten, sehr wohl über die Wassersituation Bescheid zu wissen. Sie hatten ein vernichtendes Urteil über Israel und gaben das lautstark kund. Dem Journalisten, dem unterstellt wurde, er sei von Israel für seinen Vortrag bezahlt, war diese Art der Diskussion nicht unbekannt.
Für mich war der Artikel ein Déjà-vu und so konnte ich den Text bestens nachvollziehen. Nicht, dass ich Vorträge hielte, selbst von Diskussionen halte ich mich meistens fern. Eins aber habe ich des Öfteren erlebt. Die Rede kam – man weiß nicht einmal wie – auf Juden oder Israel und schon herrschte völlige Irrationalität in der Runde. Es war auch kein Gespräch mehr möglich, man ging nicht aufeinander ein oder versuchte einzelne strittige Fragen zu klären. Manchmal hatte ich fast Mitleid mit den erbitterten Diskussionsteilnehmern, denn es schien, sie wären in ihrem Innersten getroffen. Zwei Beispiele gebe ich an. Sie sind belanglos aber bezeichnend:
1. „Sharon (es war zu seinen aktiven politischen Lebzeiten) ist wie Hitler“. Meine Zwischenfrage: „Vernichtet er Menschen in Gaskammern?“ Die Antwort kommt prompt: „Er würde es, wenn er es sich leisten könnte!“
und
2. „Die Israeli sind wie die Nazis“ Zum Glück protestierte noch ein Zweiter mit mir, und wir fragten beide erneut nach den Gaskammern. Die Antwort:„Israel ist jetzt erst auf der Stufe wie es Deutschland 1935 war“.
Wenn ein intelligenter Mensch zu solch einer Antwort fähig ist, kann nur Hysterie im Spiel sein. Meine private Definition für Hysterie heißt: Ein Hysteriker weiß auf jede Frage sofort eine ihm passende Antwort. Antisemitismus ist für mich die schlimmste Form von Hysterie.
anne.c - 28. Sep, 23:21
Am 16. September hörte ich nachmittags in den Nachrichten irgendeine Meldung über Syrien, die mit den Worten abschloss: „ ….. dort sind in den letzten Jahren 250.000 Menschen durch den Bürgerkrieg ums Leben gekommen“. Da dachte ich: ´Ob es jemanden auffällt, dass so viel Tote etwas anderes sind, als das, was man Israel immer unterstellt? Ob es jemanden auffällt, in wie vielen dieser islamischen Länder Furchtbares geschieht, aber Israel wird als „die Mutter aller Konflikte im nahen Osten“ (so las ich es einmal in der Ostseezeitung) dargestellt?` Mir fiel ein Spruch ein, den ich kürzlich las: "Wenn du weiter klagst, dass Israel 1.500 Palästinenser tötete, als es seine Bürger schützte, aber weiter nichts dazu sagst, dass in Syrien mehr als 170.000 des eigenen Volkes getötet wurden, dann bist du kein Kriegsgegner, sondern du bist antisemitisch.“
Ich hatte noch nicht zu Ende gedacht, da gingen die Nachrichten weiter: …Israels Premierminister Netanjahu habe gesagt, demnächst werde gegen Steinewerfer auch mit Schusswaffen vorgegangen. (Nachdem gerade ein Autofahrer durch Steinewerfen ums Leben kam).
Kaum wird eine Nachricht über viele Tote im nahen Osten gesendet, wird anschließend etwas über Israel, Schusswaffen und Gewalt angeheftet, so dass ein uninformierter Zuhörer, der es sowieso nicht so genau nimmt, zu der Erkenntnis kommen muss: Israel ist die Mutter aller Konflikte im nahen Osten.
anne.c - 22. Sep, 10:06