Mittwoch, 6. Januar 2016

Ein Brief an den Bundestagsabgeordneten a. D. Wolfgang Thierse vom 29.12.2015

Sehr geehrter Herr Bundestagsabgeordneter a. D. Thierse,

vielleicht werden Sie mir zustimmen, dass eines der größten Probleme der politischen Szene in der von den Wählern wahrgenommenen Unglaubwürdigkeit - ob zu Recht oder zu Unrecht - der Politiker besteht. Neulich hörte ich im DLF ein Interview mit Ihnen, das mich sofort an diese Ungereimtheit erinnerte.

Sie erklärten im Gespräch über Flüchtlinge, es sei Ihnen noch vor kurzem unvorstellbar gewesen, dass sich Europa Deutschland gegenüber derart unsolidarisch zeigen könnte. Ist da wirklich so viel Phantasie vonnöten? Erinnern Sie sich noch an die jahrelange bequeme Praxis des Dublin-Verfahrens, die Flüchtlinge von Deutschland fern hielt und an die souveräne deutsche Nichtbeachtung italienischer oder griechischer Solidaritätsanfragen in Sachen Mittelmeer-Flüchtlinge? Wohlgemerkt - es ging um Anfragen, die weit bescheidener waren als die heutigen deutschen.

Ganz abgesehen davon, dass solche Entscheidungen, wie Sie sie von Europa offensichtlich erwarten und deren Tragweite heute niemand ermessen kann, allein in der Kompetenz der jeweiligen Regierung bzw. des sie stützenden Parlaments stehen und nicht mit pseudomoralischem Druck von Auswärts herbei zu wünschen sind. Insbesondere nicht angesichts der absoluten Heterogenität der anströmenden Antragsteller, wovon viele kaum legitime Asylbewerber sind - lesen Sie als Illustration die Weihnachtsgeschichte im letzten Spiegel, worin der syrische Flüchtling Kalil aus Damaskus gen Deutschland kommt, weil ihn - nach seinem eigenen Bekunden – israelische (sic) und afghanische Terroristen und die kriegsführenden USA aus dem herrlichen Lande Assads vertrieben haben und weil er gern die Bayern-Arena zu München sehen möchte. Und nun schlafe Kalil unter einem Basketballkorb und seine Träume gingen anders, wie der Spiegel sprachlich unnachahmlich bekundet.

Sie waren ein Mann der Opposition in der DDR und es müsste Ihnen auch heute daran gelegen sein, authentisch und glaubwürdig zu bleiben. Der Spruch von der fehlenden Solidarität des egoistischen Europas kann kaum dazu beitragen, sondern bezeugt vielmehr den fortwährenden Bestand jener altbekannten Kluft zwischen Oben und Unten.

Mit freundlichen Grüßen

Donnerstag, 31. Dezember 2015

Silvestersplitter

Silvestergast A sagt: Beim Nebenbeihören der Nachrichten, die ständig schon ein Resümee der noch nicht gehaltenen Neujahrsansprache der Kanzlerin bringen: „Was, die warnt vor einer Spaltung des Landes? Erst spaltet sie das Land, und dann warnt sie davor! Das ist die Methode ´Haltet den Dieb!`“

Silvestergast B sagt: „Ich bin mir nicht sicher, vielleicht werden in 50 Jahren die gut situierten syrischstämmigen Bürger sagen: „Die Deutschen haben uns damals so herzlich empfangen, dafür werden wir ihnen immer dankbar sein“. Es kann aber auch sein, dass sie in herunter gekommenen Vorstädten randalieren und sagen: „Die Deutschen haben uns damals hierher gelockt, aber unsere Träume sind anders gegangen (so im SPIEGEL-Jargon), als wir es gehofft haben“.

Silvestergast C sagt: "Stell dir vor, was ich in Lübeck in der Weihnachtspredigt gehört habe! Eingestellt hatte ich mich auf das Thema Flüchtlinge, am Beispiel von Maria und Josef auf der Wanderschaft oder ihre Flucht nach Ägypten. Aber der Pastor wollte wohl originell und politisch korrekt sein. Und so predigte er uns darüber, was von Jesus im Koran verkündigt wird.

Mittwoch, 23. Dezember 2015

Barack Obama hat sich redliche Mühe gegeben, aber Israel hat es ihm nicht gedankt, Teil II

Worin sah ich die Einseitigkeit in diesem Vortrag, den man ohne nähere Kenntnis der Umstände gar nicht hätte nachvollziehen können? Obwohl beispielsweise das Friedensabkommen von 1993 erwähnt wurde, wurde dann mit keinem Wort über Camp David II 2000 gesprochen und über die Gründe des Scheiterns. Nie, kein einziges Mal!, fiel das Wort Terror oder Terrorismus, kein getöteter Jude war der Erwähnung wert, dagegen aber die Toten eines (!) Gaza-Krieges 2008, sowohl in der Hamas-Version als auch in der israelischen Version. Beide Versionen wurden als gleichwertig gegeneinander gestellt. Die Toten der sog. "Gaza-Flotille" wurden ebenfalls aufgezählt, ohne Schilderung der näheren Umstände. Hingegen kein einziger Bus-Anschlag, kein Diskothek-Anschlag, keiner der aktuellen Morde. Das Wort Sicherheitsbedürfnis fiel nicht. Erst auf Nachfrage wurde erwähnt, dass zumindest ein Teil der Siedlungen, die neu gebaut wurden, unter eine Sonderregelung gefallen waren, und dass diese zwar legal gebaut werden durften, allerdings hätten sie die Beziehungen beschädigt. Mehrmals wurde angeführt, dass die Palästinenser durch Obamas Politik Hoffnung auf einen eigenen Staat hatten, die sich nicht erfüllten. Dagegen fiel kein Wort darüber, wie die Palästinenser für den Rückzug aus Gaza reagierten, nämlich mit anhaltendem Raketenbeschuss israelischer Zivilisten. Weiterhin vermisste ich einen Hinweis darauf, dass sowohl Gaza, als auch das Westjordanland schon über Jahre nicht mehr über legitime Regierungen verfügen.

Es fiel zwar kein bösartiges Wort über Israel (vielleicht mit Rücksicht auf die DIG), aber alle in ihrem Wesen antiisraelitischen Ressentiments waren unterschwellig, dafür aber deutlich vorhanden.

Die anschließende Diskussion verlief verhalten, allgemein wurden die guten Kenntnisse des jungen Mannes gelobt. Wie es oft bei solchen Gelegenheiten der Fall ist, war man immer dicht daran, unbemerkt ins Absurde abzugleiten. Obwohl die Zuhörer eher wohlmeinend waren, fiel z. B. der Ausdruck „jüdische Lobby in den USA“. Ein Zuhörer, der sich als guter und interessanter Kenner der Lage erwiesen hatte, fragte ob es vielleicht angebracht sei, die israelischen Araber zum Tausch mit den Häusern der Siedlern zu bewegen. Der Vortragende verstand wahrscheinlich die Tragweite dieses „Lösungsvorschlages“ nicht, jedenfalls hielt er diesen für „interessant“. Derjenige, der diese provozierende Frage gestellt hatte, lachte schallend und meinte, dass als erwägt wurde, ein israelisch-arabisches Dorf nördlich von Jenin an die Palästinensergebiete anzuschließen, dann wollten die dort wohnenden Araber bis hin zum Menschenrechtsrat der UNO gehen, um das zu verhindern.

Immer empfinde ich es als absurd, wenn in Deutschland Menschen zusammen sitzen und eine „Lösung“ für das Nahostproblem suchen und sich nicht bewusst sind, dass Deutsche als Spezialisten für „Lösungen“ für Juden sich dazu allein aus Anstandsgründen nicht besonders gut eigenen (hier benutzt man gern den Kunstgriff, Israel und Juden als zwei Phänomene darzustellen, die rein nichts gemeinsames haben ) und ganz abgesehen von den oft katastrophalen Kenntnissen der so gern behandelten Materie.

Der Vortrag fand in einem Haus statt, dessen Anliegen die Vermittlung von Wissen über jüdische Geschichte und Kultur ist, um damit Antisemitismus und Intoleranz wirksam zu bekämpfen. Ein Vortrag, der nur die halbe Wahrheit sagt und deshalb ein verzerrtes Bild vermittelt und außerdem die gängigen in der deutschen Intellektuellen Szene leider weit verbreiteten Klischees bedient, ist schlechter als gar kein Vortrag und kann durchaus zu Antisemitismus und Intoleranz beitragen.

Montag, 21. Dezember 2015

Barack Obama hat sich redliche Mühe gegeben, aber Israel hat es ihm nicht gedankt Teil I

So lautete das Fazit eines Vortrages mit dem Titel "US-amerikanische Israelpolitik unter Barack Obama", veranstaltet von der DIG (Deutsch Israelischen Gesellschaft), den ein junger Politikwissenschaftler in einem Begegnungszentrum für jüdische Kultur hielt, und an dem ich als Zuhörerin teilnahm.

Der Titel hatte mich neugierig gemacht. Immer interessiert es mich, wenn und wie jemand über Israel erzählt. Zum einen habe ich das Land besucht, habe die verschiedensten Erfahrungen gemacht, die ich gern mit dem was ich höre vergleiche. Zum anderen kann ich mich des Verdachts nicht erwehren, dass in Deutschland ein Israelbild gepflegt wird, das nicht nur sehr einseitig ist, sondern mir scheint es, dass darüber hinaus immer wieder versucht wird, eigene Schuld genau auf das Volk zu projizieren, das schlimmste Verfolgungen und Massenmord durch Deutschland und Deutsche erlitten hat. Nicht von ungefähr habe ich schon mehrmals mit eigenen Ohren gehört: „Die Israeli verhalten sich wie die Nazis“ (siehe Eintrag vom 28.9.2015). Meine Vorbehalte sind Verdacht und keine Unterstellung, aber ich höre genau hin und interessiere mich auch für die anschließenden Diskussionen.

Zum Vortrag waren 17 Teilnehmer erschienen. Der 27-jährige Referent und Politikwissen-schaftler wurde vorgestellt und es wurde bei der Eröffnung berichtet, dass er mehrere Monate in Washington gelebt und an vielen politischen Veranstaltungen teilgenommen habe. Der Vortrag war dann allerdings mehr ein Ablesen von Fakten, mir fehlte jegliche Einbeziehung des eigenen Erlebens oder eines persönlichen Gedankens. Wegen seines jungen Alters will ich es ihm aber nicht anlasten. Begreifen konnte ich allerdings nicht seine Einseitigkeit., mit der er es haargenau schaffte, all die Fakten zu benennen, die Israel in einem negativen Licht darstellten, und wie durch Zauberhand war alles gestrichen, was Israels Verhalten hätte verständlich machen können. Es gab keine Plausibilität, die die erwähnten Fakten nachvollziehbar machen ließe. Der Vortragende setzte den Schwerpunkt seiner Ausführungen darauf, dass Präsident Obama einen Baustopp der Siedlungen erreichen wollte und eine Zweistaatenlösung anstrebte. Aus nicht erläuterten Gründen kam es dazu nicht und als Resümee konnte der Zuhörer für sich den Schluss ziehen: Obama hat sich redliche Mühe gegeben, aber die Israeli wollen einfach nicht mitmachen. Da aufgrund einer anschließenden Nachfrage gesagt wurde, dass Obama (der wohl immer nur das Beste für Israel gewollt habe), einen schlechten Ruf in Israel hat, gewann man den Eindruck, dass Israel ein ausnehmend verstocktes Volk ist, das der immer währenden und geduldigen Bemühungen Obamas letztlich nicht Wert ist.

Fortsetzung folgt

Montag, 14. Dezember 2015

Die Welt wird gerettet

Es ist sicher nicht gerecht, dass ich beim Anblick der jubelnden Konferenzteilnehmer in Paris spontan an Honoré Daumier denken musste. Mein größter Wunsch war in diesem Augenblick, er hätte diese wackere, teils lachende, teils weinende Schar zeichnen können. Von Klima und Klimarettung verstehe ich zu wenig. Aber sollte dort wirklich „die Rettung der Welt“ stattfinden? Welche Kompetenzen haben diese Menschen, dass sie über das Klima gebieten können, so dass es dann „nur“ um so und so viel Grad ansteigt?

Eine treibende Kraft in den Verhandlungen soll unsere „Klimakanzlerin“ gewesen sein. Mir fiel ein, wie im Zuge der „VW-Abgasaffäre“ bekannt wurde, wie sehr sich Angela Merkel zu Gunsten der Autoindustrie, und zwar im klimaschädlichen Sinne, viele Male eingesetzt hat. Wie sie beim Europaparlament darauf eingewirkt hat, dass kleinere Autos zu Gunsten größerer Autos benachteiligt werden. Und dass die Beschränkung der Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen nicht einmal ansatzweise zur Debatte steht. Ohne, dass ich mir ein Urteil darüber erlauben will, so kann ich doch feststellen, dass Angela Merkel eine extrem autofreundliche Politik macht, was der übergroßen Sorge ums Klima konträr gegenüber steht. Wie ernst sollen die bei Weitem weniger finanzstarken Staaten ihre Verpflichtungen nehmen, wenn ein Land wie Deutschland es nicht fertig bekommt, wenigstens symbolhafte Zeichen zu setzen?

Wenn es um das Klima so ernst bestellt ist, wie es uns führende Meinungsmacher – aus welchen Gründen auch immer – vermitteln, dann müssten auf der Stelle Maßnahmen getroffen werden, die jeder Mensch zu spüren bekommt.

http://www.zeit.de/mobilitaet/2013-10/abgasgrenzen-eu-deutschland
http://www.stern.de/politik/deutschland/widerstand-gegen-eu-plaene-merkel-will-hoehere-diesel-steuer-stoppen-3195974.html
http://www1.wdr.de/themen/wissen/vda-diesel-faktencheck-100.html

Sonntag, 6. Dezember 2015

Eine unbedeutende Episode als Charakteristikum einer komplexen Realität,

so nenne ich einen völlig unscheinbaren Bericht am 5. Dezember morgens im DLF, in dem es um den bevorstehenden Besuch von Bundespräsident Gauck in Israel ging. Ein Kurzbeitrag in einer Nachrichtensendung, wie man ihn hundert Mal gehört hat, der an einem vorbei läuft, der aber kleine Körnchen Gift in die Köpfe der Zuhörer rieseln lässt.

Es war ein Beitrag, der farbige Bilder malte, so wie man es von einem guten Journalisten erwartet. Bundesspräsident Gauck reist mit großem Pomp nach Israel, das Gewandhausorchester und den Thomanerchor hat er im Gefolge. Dort trifft er auf einen „den Deutschen übel nehmenden“ Ministerpräsidenten. Das heißt, man stellt einen prachtvollen deutschen Präsidenten gegen einen missmutigen, feindseligen israelischen Regierungschef. Was nimmt der Ministerpräsident übel? Er „nimmt übel“, dass Deutschland dem Atomabkommen mit dem Iran zugestimmt hat.

Das lasse man sich einmal durch den Kopf gehen, denn das auf einem möglicherweise fragwürdigen Kompromiss beruhende Atomabkommen mit dem Iran kann die Existenz Israels und seiner Bewohner direkt bedrohen. Verkündete doch bereits Irans geistliches Oberhaupt, dass es Israel in 25 Jahren nicht mehr geben würde. Die Rufe aus dem Iran „Tod den USA – Tod Israel“ sprechen ihre eigene Sprache. Wer, wenn nicht der israelische Ministerpräsident sollte darüber nicht äußerst besorgt sein? Selbst wenn DLF der Meinung ist, dass das Atomabkommen eine für die Welt vorteilhafte Sache wäre, müsste er Verständnis haben, dass ein direkt Betroffener diese Worte ernst nimmt und als Regierungschef des so angegriffenen Landes ernst nehmen muss. Wenn man sich dann noch überlegt, dass die arrogante Zurechtweisung aus Deutschland kommt, das in einer Zeit, die manchem noch in Erinnerung ist, die Auslöschung der Juden aktiv betrieben hat, kann man solch einen Kommentar nicht als harmlos bezeichnen.

Der Deutschlandfunk bemüht sich um eine politisch korrekte Sprache, weshalb man ihm nur mit Mühe Unkorrektheit vorwerfen kann. Aber das Bild Israels, das er mit seinen Worten suggeriert, ist bösartig und voller Ressentiments. Diese unbedeutende Episode, die ein Charakteristikum einer komplexen Realität ist, macht es mehr als anschaulich...

Donnerstag, 26. November 2015

Das Schlangenei

Ein Film von Ingmar Bergmann, den ich vor Jahrzehnten sah. An den Inhalt erinnere ich mich nur vage, aber so viel weiß ich noch: Es lag etwas Unheimliches in der Luft. Es geschahen unheildrohende Dinge die in dieser Zeit, 1923, die eine Vorahnung waren auf das was später geschen sollte. Der Film spielt zur Zeit der Weltwirtschaftskrise und erfasst die ersten nebelhaft-erschreckenden Anzeichen des Aufkommens von Nationalsozialismus.

Als ich per Zufall an ein Video geriet, das nicht 1923, sondern im Oktober 2015 spielt, fiel mir der Film „Das Schlangenei“ wieder ein. Das Video zeigt einen großen Aufmarsch von Muslimen quer durch die Innenstadt von Hannover. Vorweg werden Fahnen getragen, die außerordentlich an die bekannten schwarzen Isis-Fahnen mit weißer Schrift erinnern oder möglicherweise auch tatsächlich diese Fahnen sind. Dann gibt es lautes Lautsprechergedröhn, in der Art wie man es aus dem Orient kennt, eine schwarze Menge, inclusive vieler schwarz vermummter Frauen folgt dem Zug. Es wird angegeben, dass es ein Trauerzug für einen verstorbenen Muslim sei. Aber es ist auch etwas anderes: Nämlich eine Angst einflößende, sehr unheimliche Demonstration, die ohne Zweifel die Botschaft trägt: Seht, das sind wir, so können wir uns hier darstellen! Das Video beinhaltet, ob zufällig oder gestellt, eine Kommentierung von zwei Zuschauerinnen, die ihre Angst und ihr Entsetzen über das was sie sehen, kundtun. Wie mag so ein Zug auf diejenigen, die ihn tatsächlich sahen, gewirkt haben? Und wer nur einige Minuten später auf diesem Platz erscheint, der kann sich sagen: „Hier ist doch alles in Ordnung, es ist doch nichts!“

Donnerstag, 19. November 2015

Europa inszeniert sich

Nach den Anschlägen in Paris fragte ich mich: Woher kommt diese unglaubliche Empathie Frankreich gegenüber? Warum werden ausgerechnet die Morde von Paris als etwas einmaliges, fast als noch nie da gewesenes dargestellt? Nur einige Tage ist es her, dass ein russisches Flugzeug, wahrscheinlich durch eine Bombenexplosion, vom Himmel fiel, wobei mehr als 220 Menschen umkamen. Bei zwei Selbstmordattentaten in Ankara am 10. Oktober starben mehr als 100 Menschen. Was geschieht in Israel täglich? Und wie ergeht es den Menschen im Irak, bei denen die Welt es nicht einmal zur Kenntnis nimmt, wenn sie zu Dutzenden in die Luft gesprengt werden? Nie sah ich Lichtinstallationen mit der irakischen Flagge. Weder die türkische Flagge, geschweige die kurdische Flagge konnte ich nach dem Anschlag in Ankara erblicken. Auch in Afrika passieren solche Untaten fast unbemerkt.

Sicher nimmt man alles schreckliche Geschehen auf der Welt umso mehr wahr, je näher es sich dem eigenen Wohnort ereignet und je eher es einen selbst treffen könnte. Auch der Attraktivitätsfaktor von Paris mag eine Rolle spielen. Weil Paris für so vieles steht, womit sich Europa gern identifizieren möchte, zusammengefasst unter dem Motto: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.

So nimmt Europa die Morde zum Anlass zu einer großartigen Selbstinszenierung. Im Wettbewerb um besonders originelle Trauerbekundungen, rückt der Anlass in den Hintergrund. Man sieht (oder hört), dass Stars ihre Videos ins Internet stellen und sich über die Anschläge äußern, und registrieren daraufhin aufmerksam, wie viel „Likes“ der Auftritt erhält. Ist das keine Inszenierung? Auf Kosten der Getöteten? Man wetteifert um besonders moralische Schlussfolgerungen wie: ´Wir werden uns unsere Lebensweise nicht nehmen lassen, diesen Gefallen werden wir ihnen nicht tun!` So ein hoch moralisches Statement kann man allerdings auch als Schwäche oder Gleichgültigkeit interpretieren: Die paar Toten müssen wir eben für unsere Lebensweise in Kauf nehmen! Angeblich hat ein Angehöriger einer in Paris Umgekommenen gesagt: ´Ich hasse nicht, denn wenn ich sie dafür hassen würde, dann hätten sie gesiegt!` Vielleicht wären statt Hass auch Wachsamkeit und gute Geheimdienste, die nicht von der eigenen Bevölkerung beargwöhnt werden, adäquate Mittel gegen Terror...

Sigmar Gabriel postete auf Facebook: „Der falscheste Satz, den man in diesen Tagen sagen kann, lautet: Nach Paris ist alles anders. Nach Paris darf nichts anders sein.“ Dass Politiker ihre eigenen Statements nicht so ernst nehmen, erlebte man prompt in Hannover, wo aus Angst vor einem Terroranschlag doch „anders“ gehandelt und ein großes Fußballspiel abgesagt wurde. Dass ausgerechnet dieses Länderspiel als Demonstration dafür dienen sollte, wie man dem Terror widersteht, ist schon eine traurige Ironie für sich. So kann man beobachten, dass – wenn es darauf ankommt -, der eigene Lebenswille doch stärker ist als moralische Erhöhung und nach außen getragene Inszenierung.

Im Luftreich des Traums

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