Mittwoch, 24. Oktober 2012

Was sagt Günter Grass dazu?

Was hat er gesagt im April und mit letzter Tinte? "Die Atommacht Israel gefährdet den sowieso brüchigen Weltfrieden". Er hat nicht von Syrien geschrieben, nicht von der Hamas im Gazastreifen, die Israel mit Raketen überzieht. Nicht davon, dass Syrien die Türkei beschoss, nicht davon, dass Syrien versucht, seinen Bürgerkrieg in den Libanon zu transportieren. Wenn man genau hinschaut, wenn man sich vertrauenswürdige Informationen beschafft, dann kann man sich davon überzeugen, dass Israel keinesfalls ein Aggressor ist, wohl aber andere. Wenn Hamas hunderte, tausende Raketen und Mörsergranaten nach Israel schießt und Israel, das die Pflicht hat, seine Bevölkerung zu schützen, darauf antwortet - oft mit der Liquidierung von Hamas-Verantwortlichen -, dann ist Israel weder Aggressor, noch gefährdet es den Weltfrieden. Vielleicht war Günter Grass einfach nur schlecht informiert und wusste nicht so genau Bescheid. Inzwischen hätte er sich informieren können, und da wäre eine Entschuldigung seinerseits lange fällig. Die Tinte reicht vielleicht noch für ein Gedicht, um Syrien zurecht zu weisen.

Donnerstag, 18. Oktober 2012

Schnäppchen

Warum heißt dieser Blog "Im Luftreich des Traums"? Weil es oft geschieht, dass jemand in seinen Träumen vom idealen Leben schwelgt, aber das was er macht und wie er in der Realität lebt, nicht das Geringste damit zu tun hat. In der sozialistischen DDR war das normaler Alltag: Ein Gelöbnis zum Sozialismus wrude abgegeben und danach ging man ungerührt nach Hause, sah Westfernsehen oder bestach den Handwerker mit Westgeld. Das fand man so normal, dass es sich nicht lohnte, darüber zu sprechen, höchstens in Witzen kam es zum Ausdruck. Und so möchte ich Beispiele bringen, wo der schöne Traum und die Realität sehr auseinander klaffen.

Nun will ich nicht sagen: Heute ist es genauso wie in der DDR. Im Gegenteil, wir leben in einem freien und demokratischen Land, dessen sollten wir uns bewusst sein. Aber eine ideale Welt zu malen, die nichts mit der Realität gemein hat, ist wohl ein Mechanismus, der immer vorkommt. Nur macht man das nicht unter dem Druck eines Parteisekretärs, sondern vielleicht aus einem inneren Bedürfnis, sich selbst in einer idealen Welt wahrzunehmen.

Ich möchte ein banales Beispiel geben. In unser Haus traf wie jede Woche die "Brandenburgische Kirchenzeitung" ein. Wie ich schon einmal schrieb, hat ein Mitglied unseres Haushaltes sie abonniert. Ich blätterte sie neugierig durch und las einen Leserbrief: Wie doch so viele Leute sich dem Geld unterwerfen! Das haben wir erst nach der Wende gelernt. Eines der erste Worte, die man uns beibrachte, sei "Schnäppchen" gewesen, beklagte er bitterlich. Nun steht unter den Leserbriefen immer, dass die Meinung der Leserbriefe nicht mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen muss. In diesem Fall stimmte sie tatsächlich nicht überein, denn gerade in dieser Ausgabe bot die Kirchenzeitung ein Schnäppchen für ihre Leser feil: Eine 8-Tägige Bildungsreise bot man an, auf den Spuren des Apostel Paulus, gut ausgestattet, in die Türkei, normalerweise für 799, - € kostete, jetzt für die treuen Leser für bloße 99 €. Wenn das kein Schnäppchen ist! Es wurde vorgerechnet, was dem Leser alles geschenkt werde vom reichhaltigen Frühstücksbüffet bis zu 7 Übernachtungen in 4 oder 5 Sternehotels. Lediglich für einige Extraausflüge müsse man selbst bezahlen.

Man kann sich verschiedene Gründe vorstellen, warum so eine Reise zum Schnäppchen gemacht wird. Vielleicht als Überbrückung um freie Kapazitäten zu belegen oder um diese Reisen populär zu machen. Ich kann mir aber bei bestem Willen nicht vorstellen, dass so ein Preis eine reale Grundlage hat. Irgendjemand ist in dieser Kette der Dumme und muss zu unmoralischen Preisen seine Dienstleistungen anbieten. Selbst wenn die Institution Kirche höchstpersönlich den Lesern die Reise der Kirchenzeitung sponserte, wäre das ein Betrug an den Kirchensteuerzahlern. Diese Reise ist nicht nur ein Schnäppchen, etwas was der Leser der Kirchenzeitung beklagt, sondern sie hat einen Preis, der höchstwahrscheinlich Unmoral einschließt.

Dieses Schnäppchen möchte ich keinesfalls dem Leserbriefschreiber anlasten, vielleicht beklagt er es ja auch, wenn er die Reklame sieht. In der Kirchenzeitung habe ich aber nicht nur einmal gelesen, dass man nicht dem "Mammon" dienen soll. Das kann so oder so ausgelegt werden, mit dem angebotenen Schnäppchen lässt es sich aber auf keinen Fall in Überinstimmung bringen.

Donnerstag, 11. Oktober 2012

Wie sehen Nazis aus?

Wenn ich mich nur über Fernsehen/Rundfunk und die Tageszeitungen informieren würde, bekäme ich eine Menge interessanter und wichtiger Informationen nicht mit. Erst mit einigen Tagen Verspätung sah ich ein (privates) Video im Internet wie kürzlich in Berlin das Konzert eines israelischen Chores massiv gestört wurde. Man sah, wie der Chor gerade zu singen anfangen wollte, als eine Gruppe junger Leute, gekleidet in rote T-Shirts mit der Aufschrift "Viva Palästina" in den Saal stürmte und Transparente entrollte. Der Tumult, der durch die Aufregung und durch die Schreie der so genannten Aktivisten entstand, war beträchtlich. Es dauerte etwa 10 Minuten, bis Saalordner es geschafft hatten, die Leute aus dem Saal zu treiben.

An dieser gesamten Angelegenheit ist das Empörende, dass sie einfach nicht zur Kenntnis genommen wurde. Keine Tagesschau, keine Tagesthemen, auch keine Zeitung fanden es erwähnenswert, dass ein israelischer Chor - es war der Chor des Kibbuz Givatron -, bei einem Auftritt sehr gestört wurde durch Schreie, Entrollen von Transparenten und Verstreuen von Flugblättern. Das ist umso erstaunlicher, da Israel normalerweise im Focus der Medienberichterstattung steht. Die Medien hätten wenigstens über die in ihren Augen "gelungene Störattacke" berichten können. Sie hätten recherchieren können, was an diesem Chor oder dem jüdischen Nationalfond, für den in dieser Benefizveranstaltung Geld gesammelt werden sollte, so schlimm ist, dass der Krawall gerechtfertigt war. Oder was für eine mutige Truppe die "Roten" waren. Ihr Anliegen: Palästina frei: vom Fluss (Jordan) bis zum Meer (Mittelmeer) hatten sie ja laut kund getan. Aber nein, die Medien schwiegen.

Die Krawallmacher mit den roten Shirts waren Leute aus verschiedenen Ländern: Deutsche, Spanier, Palästinenser und sogar Israeli. Ansonsten sahen sie "normal" aus. Es waren keine, die man Nazi nennt. Man hat den Eindruck, dass der Begriff Nazis etwas ist, was genau definiert wird, und von Seiten der Presse ist man bemüht, dass die Bevölkerung diese Definition verinnerlicht. Es sind jene, die martialisch aussehen, denen Schlagstöcke und Springerstiefel zu Eigen sind. Es sind die, die gegen Juden und Ausländer sind. Es sind die, die "wir" nicht sind, auf die "wir" aber gern hinweisen um zu zeigen, wie ein böser Mensch aussieht. Nur wenn im Sinne der Definition auftretende Nazis im Spiel sind, wachen unsere Medien auf. Wenn rot gekleidete Krawallmacher auf den Plan treten, können das keine Nazis sein, denn sie sehen nicht aus, wie Nazis. Und so werden diese rot Kostümierten samt ihrer Störaktion einfach verschwiegen. Weil man weiß, dass das gesamte Thema zu Unannehmlichkeiten führen könnte, und man sich in einer Solidarisierung mit den "Roten" irgendwie entblößen würde.

Es war widerlich, diese rot gekleideten Nazis bei ihrem Treiben zu sehen. Aber es gab auch etwas Gutes daran. Der Chorleiter wurden nicht verhaftet, der Chor wurde nicht von Sympathisanten der Störer aus dem Saal getrieben, dem "gerechten Volkszorn" wurde nicht Genüge getan. Der Raum, in dem die Choraufführung stattfand, war mit israelischen Fahnen geschmückt, und es wäre nicht das erste mal, dass das Zeigen einer Israelfahne als Provokation empfunden wurde, so dass die Polizei nicht etwa diejenigen, die die Israelfahne zeigten, schützte, sondern gegen sie einschritt (ihre Wohnung stürmte, sie mit einer Geldstrafe belegte, so wie das in verschiedenen Varianten in Bochum, Duisburg und Kassel der Fall gewesen war).

Donnerstag, 4. Oktober 2012

In kirchlichen Medien

Es gab einen E-Mail-Wechsel von P. mit einem kirchlichen Redakteur, der zu irgendeinem x-beliebigen kirchlichen Thema scheinbar beliebige Beispiele darüzu brachte, wer „gottgleich“ sein wolle: Gewisse Amerikaner, Polen und jüdische Siedler auf der Westbank.

Ich dachte darüber nach, ob ich diesem Menschen noch mal etwas ironisch erläutern sollte, wie P. zu der Schlussfolgerung gekommen sei, dass er, der Redakteur, „braun“ sei. Ich unterließ es. Hauptsächlich, weil mir die Zeit zu schade dafür war. Und auch, weil es unangenehm ist, sich mit „braunen“ Menschen zu befassen, die so tun, als ob sie nicht „braun“ ja sogar das Gegenteil davon wären, es aber nichtsdestotrotz sind, sich im Innern dessen wohl auch bewusst, umso mehr beleidigt, wenn man es anspricht. Ich habe viel Erfahrung und Gefühl dafür entwickelt, so etwas zu erkennen. In kirchlichen Medien ist es sehr verbreitet. Ich bin auch oft überrascht davon, wie viele Leute es nicht sind. Das sind aber mehr die einfachen Menschen, die so denken, wie es normal ist: Dass es Sünde ist, Menschen umzubringen.

Ein normaler Mensch sagt: Das ist ein Verbrechen, das ist furchtbar. Bei der Kirche lenkt man den Blick auf diejenigen, die gefehlt haben und denen vergeben werden muss. Oder z. B. auf die Juden, die nicht vergeben wollen, auf Jesu Prophezeiungen, auf die Aussage: ´sein Blut komme über uns…´. Oder sie sagen in ihrer verdrehten Denkweise, ´was ist das für ein Volk, das überall auf der Welt wo es ist, gehasst wird´? Nie würden sie fragen: Wer ist derjenige, der hasst? Aus welchen Beweggründen hasst er? Könnte es sein, dass Hass etwas Verbindendes hat, was eine Gruppe zusammen schweißt um von eigenen Verfehlungen abzulenken? Es wären so viele Fragen in dieser Beziehung zu stellen, aber - wenn sie überhaupt fragen, dann haben sie in der Regel schon ihre Meinungen -, dann stellen sie nicht Fragen nach ihrer eigenen Rolle, sondern sie stellen die Fragen so, dass die Schuldzuweisung schon von vornherein fest steht. Die eigene hohe Moral hoch stellen, die anderer niedrig zu machen, Schuld zuweisen, um von sich abzulenken. Darauf läuft alles hinaus. Diese Grundeinstellung erklärt vieles, auch die Denkweise von Redakteur W. Leider gibt er diese in kirchlichen Blättern an die einfachen Leute, die normal denken, weiter.

Dienstag, 11. September 2012

zum 11. September

Im Deutschlandradio hörte ich ein Gespräch mit einem Herausgeber von Dichtungen der Taliban. Wahrscheinlich wollte der Sender den 11.9. würdig begehen. Das war interessant, weil das Gespräch ein gutes Beispiel dafür gab, wie aus Lüge Wahrheit wird. Wie man die größten Verbrecher in einem Licht erscheinen lassen kann, so dass sie wie Helden und tolle Menschen da stehen. Alles verläuft nach einer zielgerechten Logik, schwer zu widerlegen, vielleicht sogar überzeugend. Nur stehen hinterher alle mit einem dummen Gesicht da und sagen: Da stimmt doch irgendetwas nicht. Es kann doch nicht sein, dass die Taliban ein sympathisches Völkchen sind, auch wenn dieser Mann das überzeugend dargelegt hat.

Nun versuche ich, das Gespräch zu rekapitulieren. Der Radioreporter versuchte immer wieder, dem Talibankenner Felix Kühn eine Falle zu stellen. Allerdings hatte ich den Eindruck, dass der Verlauf des Gesprächs ein wenig vorprogrammiert war, einschließlich leicht provokanter Fragen. Aber ob vorprogrammiert oder auch nicht, der Talibanexperte gab seine Antworten wie aus der Pistole geschossen, fast ohne nachzudenken in vollendeter Sprache (das wieder erinnert mich an den jungen Verschwörungsexperten, den ich letztes Jahr auf der Buchmesse erlebte). D-Radio zitierte erst einmal ein etwas blutrünstiges Gedicht, und fragte, ob das nicht ein Gewalt verherrlichendes Gedicht sei.

"Ein Gewehr und einen Dolch in der Hand, so ziehe ich in die Schlacht, ich bin ein afghanischer Mujahedin ... Vielleicht werde ich hundert Mal für meine Heimat sterben
Ich habe meine Religion, ich habe meinen Glauben, und das Recht des heiligen Koran,
Jeder, der mich falsch anschaut, wird für immer verloren sein.
Ich bin ein afghanischer Mudschaheddin"

Herr Kühn gab zur Antwort, dass dieses Gedicht wenig über die Taliban aussage, gegebenenfalls über eine Nuance ihres Wesens. Es sei lediglich eines von 200 Gedichten der Taliban. Man müsse ja schließlich auch diese Seite der Taliban bringen, so etwas dürfge man nicht weglassen. Die meisten der Gedichte der Taliban seien lebensvoll. Wenn man die Gedichte herauslassen würde, die das Kämpferische der Taliban betonen, könnte man den Gedichtband für unglaubwürdig halten. Es soll zum Ausdruck kommen, dass Taliban Menschen wie du und ich sind, sehr dem Leben und der Kunst zugewandt. Der Kunst? - sie haben doch so viel Kunst zerstört? meinte der Redakteur. Ja, aber diese Gedichte sprechen vom Gegenteil. Besonders wichtig zu betonen war, dass diese Gedichte davon zeugen sollen, dass Taliban Menschen sind, mit verschiedenen Schicksalen und mit differenzierten Gründen für ihre Teilnahme am Kampf der Muhajeddin.

So ungefähr und immer weiter, bis wir alle "Vorurteile" über Taliban ablegen konnten und den kämpferischen Duktus entweder als Folklore, oder als Ausdruck tiefster religiöser Überzeugung oder der Hinwendung zum lebensvollem Tun interpretieren konnten.

Schon oft hörte ich in den Medien Gespräche, in denen "Finsterlinge" durch Aufzählen ihrer positiven Eigenschaften zu Lichtgestalten umgewandelt werden sollten. Immer klammerten sich die Gesprächsführer an dieses und jenes "Gute" in demjenigen. Unterschlagen wird dabei nur, was diejenigen bei anderen Menschen angerichtet haben und wie es diesen Menschen ergangen ist.

Sonntag, 9. September 2012

Teddy Kollek

Nach seinem Tod 2007 sah ich ein Lebensbild Teddy Kolleks in "Phoenix". Es war nicht so schlimm. Es wurde seiner Persönlichkeit gerecht, trotzdem floss eine Menge Ideologie ein. So unterschwellig. Eigentlich war sein segensreiches Wirken für Jerusalem nur Augenwischerei, denn die Araber wurden unterdrückt – nur eben „mit einer Faust mit Handschuh drüber“, wie man es im Film nannte. Mir fiel ein, wie Reuven Moskovitz (der sich als der einzige Israeli ausgibt, der wirklich Frieden will) Teddy Kollek als „Einäugigen unter Blinden“ bezeichnet hatte. (Bescheidenerweise erwähnte er nicht, dass es einen "Sehenden" gibt). Nach deren rassistischen Weltbild hat Teddy Kollek wirklich alles falsch gemacht. Er hätte entweder sich selbst und die Juden abschaffen müssen oder alle Araber aus Jerusalem vertreiben müssen.

(Das rassistische Weltbild: Araber und Juden sind unfähig miteinander zu leben, der eine ist der "Unterdrücker", egal, was er macht, der andere das "Opfer", egal was es macht)

Samstag, 1. September 2012

Das Sonnenblumenhaus,

in Rostock Lichtenhagen: Daran fahre ich mehrmals im Jahr vorbei. Jedes mal kommt mir der Gedanke: "Ach, hier ist es ja. Wie harmlos und alltäglich sieht es nun wieder aus". Es wurde für einige Tage vom Hauch der Geschichte, wenn auch nicht erhabener Geschichte gestreift. Warum wohl ausgerechnet der zwanzigste Jahrestag der "Lichtenhagen-Pogrome" so feierlich "begangen" wurde? Worauf sollten die Leute aufmerksam gemacht werden? Vielleicht sollte die Aufmerksamkeit der Leute darauf gelenkt werden, wie Neonazis aussehen. Die sehen so aus wie diejenigen, die damals Steine und Brandsätze warfen. Oder wie die, die heutzutage in martialischer Aufmachung Märsche durch Städte veranstalten.

Die Zeremonie in Lichtenhagen kann keinesfalls "von unten" gekommen sein. Dazu war das Programm zu perfekt gestaltet. Als ich die tribünenartige Ansammlung der "Ehrengäste" sah, schoss mir spontan der Gedanke durch den Kopf: "Genauso war es in der DDR." Damals waren Ehrengäste und das gemeine Volk auch immer hermetisch voneinander getrennt. Da stellte sich auch ein gutwilliges Volk für allerhand Aktionen zur Verfügung, und allesamt wurde beteuert, vom gleichen Anliegen beseelt zu sein, nämlich von dem, das die von der Tribüne vorgegeben hatten. "Ich nehme teil, damit so etwas nie wieder passiert!" oder "Wir wollen ein Zeichen gegen Rechtsradikalismus setzen.", so hörte man im Fernsehen. Ich möchte keinesfalls den guten Willen derjenigen, die an der Friedenssternfahrt oder an der Aktion "Bunt statt Braun" teilnahmen, in Frage stellen. In Frage stellen möchte ich die Lauterkeit der Anliegen derjenigen, die in der abgeriegelten Ehrengalerie saßen.

Oft frage ich mich, ob die starke mediale und politische Verurteilung der in der Tat sehr unangenehmen Neonazis nicht auch eine Abwendung, wenn nicht Vertuschung anderer Vorkommnisse, die von ähnlichem Geiste sind, einschließt. Um es deutlicher zu sagen: Ein Geist, der Menschen oder Gruppen von Menschen auf Grund ihres Daseins erniedrigt und diskriminiert und andere Maßstäbe an sie anlegt als an alle anderen. Es mag Zufall sein, aber ein Zufall, der zu meiner Skepsis gegenüber denen "auf der Tribüne" beiträgt. Gerade in diesem Sommer verhinderte die Rostocker Universität, dass in ihren Räumen eine Veranstaltung zu dem Thema: "Wie steht es um die Israel-Solidarität?" stattfinden konnte. Die Hochschulgruppe der Deutsch-Israelischen Gesellschaft wollte diese Veranstaltung zum Abschluss des Sommersemesters durchführen. Nach langem Nachfragen über den Grund dafür bekamen die Studenten eine Antwort: Die Hochschule möchte nicht, dass in ihren Räumen eine Veranstaltung stattfindet (wohlgemerkt eine Veranstaltung einer universitären Gruppe), bei der es eventuell zu Tumulten kommen könnte oder wo verfassungsfeindliche Äußerungen getätigt werden könnten. Der Verfassungsschutz, der zwar keine Anzeichen vorweisen konnte, hätte vorsorglich gewarnt, dass es bei einer Veranstaltung jener Art nicht ausgeschlossen wäre, dass solcherlei Dinge geschähen. Ob man den Studenten, die Mitglieder der DIG sind, die verfassungsfeindlichen Äußerungen unterstellte, blieb im Dunklen.

Das muss man sich vorstellen: Eine Universität des Staates, den viele von denen "auf der Tribüne" repräsentieren, behindert Studenten bei der Ausübung ihrer studentischen Rechte, im vorauseilenden Gehorsam gegen diejenigen, denen Israel ein Dorn im Auge ist… Ein Land, mit dem, das kann niemand leugnen, die Rechten ein Problem haben. Das ist schon als das Gegenteil von Zivilcourage zu bezeichnen. Und Zivilcourage ist das, was sich "die auf der Tribüne" immer wieder von den Bewohnern ihres Landes wünschen.

Die von der Universität abgewiesene Veranstaltung hat dann doch in den Räumen der Heinrich-Böll-Stiftung stattgefunden, und zwar in friedlicher Atmosphäre und ohne Tumulte.

Sonntag, 26. August 2012

Praxis in der DDR: Militärlager und Theologiestudium

Noch kann ich mich an meine Empörung erinnern, als ein Bekannter mir schilderte, wie die Studenten während ihres Theologiestudiums durch ein raffiniertes und ausgeklügeltes System von Nötigungen dazu gebracht wurden, dass sie alle an militärischen Ausbildungslagern teilnehmen und sich dabei noch um gute Leistungen bemühen mussten.

Bei der militärischen Ausbildung, die während jedes Studiums obligatorisch war, vermischte man Theologiestudenten mit den Studenten anderer Fächer. Für die militärische Ausbildung gab es eine Abschlusszensur, die sich unmittelbar auf die Endzensur des Studiums auswirkte. Diese Zensuren wurden aber nicht jedem einzelnen verpasst, sondern diese Zensur wurde in der Ausbildungsgruppe, - die ja zudem noch gemischt war – erarbeitet. Ein einzelner Renitenter hätte das gesamte Studium von ganz fremden Kommilitonen gefährden können. Die Theologiestudenten - die ja an sich den Anspruch der Menschenfreundlichkeit stellten -, hätten also (in diesem Sinne) ganz besonders gute militärische Leistungen erbringen müssen, um ihre fakultätsfremden Kommilitonen zu unterstützen. Die Praxis sah natürlich so aus, dass keiner das besonders ernst nahm, dass nur zum Schein alles Geforderte durchgeführt wurde. Dass alles an ihnen abglitt, keiner davon besonders berührt war, auch die Ausbilder selbst nicht.

Trotzdem bin ich der Meinung, dass sich dabei eine Lebenseinstellung herausgebildet hat, die fatal war, und die sich auch heute katastrophal auswirkt. Man hat ihnen die Einstellung vermittelt, dass es ziemlich egal ist, was man macht, wenn man nur keinen unmittelbaren Schaden anrichtet. Möglicherweise hat man ihnen damit das Unterscheidungsvermögen genommen, was Richtig, Falsch, Gut oder Böse ist.

Unsere Theologiestudenten lehnten das Militär ab. Sie hatten den Slogan „Frieden schaffen, ohne Waffen“. Dann lernten sie: Militärlager ist doch nur ein Jux, das schadet keinem. Andererseits hatten sie sich ein Studium gewählt, bei der es gerade darum geht, geistige Grundlagen zu schaffen, und da hätten sie wissen sollen, dass harmlose Sachen fatale Auswirkungen haben können, dass eine Teilnahme am Militärlager sie zu Dingen verpflichten könnte, die sie ablehnen. Besonders hätten sie sich aber gegen die in höchstem Maße unmoralische Koppelung von Dingen, die nichts miteinander zu tun haben und die eine Nötigung einschließen, auflehnen müssen: Sie hätten als gesamter Studiengang dagegen rebellieren müssen. Ich bin überzeugt, dass sie es geschafft hätten, dass die Vermischung von Zensuren von Militärausbildung und Studium, von Theologiestudenten und Studierenden anderer Fächer nicht zu halten gewesen wäre. Es war viel mehr in der DDR möglich, als man im Nachhinein Glauben machen will.

Im Luftreich des Traums

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