Mittwoch, 18. April 2012

Volkes Stimme in Variationen

Im Fernsehen erlebte ich zufällig zwei Diskussionen hintereinander. Einmal gab es eine Bürgerdiskussion in einer hessischen Kleinstadt, in der - anscheinend mit fragwürdigem Hintergrund - eine Moschee gebaut werden sollte. Moscheengegner und -befürworter hielten flammende Statements. Auf einmal stand ein zittriger, aber sonst rüstiger Greis vor dem Mikrofon und hielt eine stammelnde Rede, aus der man, obwohl sie unscharf formuliert war, so manches heraushören konnte: Er sei über 80 Jahre alt und habe so viel Schlimmes durchgemacht, und er wolle nicht, dass es wieder so weit komme. Es war deutlich, dass er damit meinte, es könnte dazu kommen, dass es wieder zu viele von einer bestimmten Sorte Menschen gäbe, und die müsste man dann wieder umbringen. Zur Verdeutlichung dessen, was er undeutlich stammelte, meinte er, dass eine Ausländerin ihm gerade gesagt habe, dass man die Deutschen sowieso aus dem Land gebären werde. Der Greis wurde von der versammelten Mannschaft der Moscheengegner beklatscht, obwohl darunter sicher einige waren, die nicht so dachten wie er und vielleicht ganz andere Gründe gegen die Moschee hatten. Niemand wies ihn zurecht oder distanzierte sich von ihm.

Das war „Stimme des einfachen Volkes“. Dann schaltete ich zu einer Diskussionsrunde, in der auserwählte und illustre Herrschaften waren, ich weiß nicht, worum es ging. Es muss doch aber auch mit Vergangenheit zu tun gehabt haben, denn ein jüdisch wirkender Mann, der wie der Zwillingsbruder von Simon Perez aussah, saß dabei. Dann ein edel wirkender Herr von der Wirtschaft. Ich weiß wirklich nicht mehr, worum es ging, es war wohl mehr ein neutrales Thema, das aber das „Jüdische“ irgendwie berührte. Denn Herr Mannheimer-Perez erzählte, dass er als ehemaliger Dachau-Häftling seit vielen Jahren in Schulen Vorträge halte, und dass die Jugendlichen sehr interessiert seien. Alle fanden das gut.

Dann sagte kurze Zeit später der Herr Wirtschaftsvertreter im larmoyanten Ton, er habe solche Angst, dass die bösen Neonazis den Ruf Deutschlands schädigen. Deutschland habe doch schon so viel Gutes getan, aber gerade habe wieder ein sehr anständiger Mensch zu ihm gesagt: „Ich kann das nicht mehr hören!“ und er habe Sorge, dass das „Zu-Viel-Davon-Reden“ die Jugendlichen zu Neonazis mache. Alle nickten verständnisvoll. Ich fand es nicht logisch, dass man Herrn Mannheimer nicht sofort aus der Runde verbannt hat.

Freitag, 13. April 2012

Debatten

Man solle kein Wort mehr über Günter Grass verlieren, jedes Wort sei ihm zu viel der Ehre. So höre ich es manchmal. Trotzdem werden der Worte immer mehr, es ist wohl nicht anders möglich. Dieser Fall hat etwas Exemplarisches, so wie damals die Rede von Martin Walser, und man kann sich der Auseinandersetzung damit nicht entziehen.

Wenn man Grass in letzter Konsequenz bedenkt, kommt die Aussage heraus: Israel habe Schuld, wenn die Welt untergeht. Israel wolle den Iran mit Atomwaffen angreifen, seine Bevölkerung auslöschen und einen Weltenbrand in Gang setzen. "Viele sollen sich vom Schweigen befreien, sich zusammen tun und den Verursacher zum Verzicht auf Gewalt auffordern." Das kommt eigentlich einer Aufforderung zum Pogrom gleich, denn wenn Israel zu einem Gewaltverzicht bereit ist, kann Ahmadinedschad sein angekündigtes Vernichtungswerk verrichten. Ebenso die Hamas, die immerhin den Judenmord in ihrer Charta deklariert.

Das Gedicht von Günter Grass hat etwas Allegorisches in Bezug auf den Antisemitismus. Ob Grass es so gemeint hat, oder ob aus seinem Gedicht ein höherer Wille spricht, der sich Grassens bedient, ist nicht zu ermitteln. Fest steht, dass immer im Abstand von einigen Jahren ein prominenter Mensch aus seiner "Höhle" hervorkriecht und einen gewaltigen Rummel um die Juden, um Israel oder um beides verursacht. Mag derjenige es so oder so gemeint haben, antisemitisch oder nicht antisemitisch, was dabei heraus kommt, ist das Gleiche: Unzählige Menschen, die gemüßigt sind, ihre Meinung kund zu tun. Nie gibt es so viele Kommentare in den online-Foren. Nie sind diese Kommentare so ausufernd, voll innerem Engagement. Aber auch nie so voll von Fehlern, grammatikalischen Unkorrektheiten und inhaltlicher Verwirrtheit. Nie so voll von Häme, gegenseitigem Beschuldigen oder Niedermachen.

Und was ist das Ergebnis derartiger "Debatten"? Nie führen sie zu einer Klärung im gesellschaftlichen Konsens. Es bleibt sowohl im Einzelnen als in der Gesellschaft ein schales, unangenehmes Gefühl zurück. Das wird dann wieder den Juden angelastet. Emotional hat man den Eindruck, sie wären Schuld, dass sich die Gesellschaft nach solcherart Debatten unwohl fühlt. Mir scheint es, dass man die Juden durch diese Debatten beschmutzen will und einen Grund finden, sie weiter zu beschuldigen, egal wofür.

Donnerstag, 5. April 2012

"Da schämt man sich, ein Deutscher zu sein",

diesen Ausspruch konnte man in den 60er, 70er, auch noch in den 80er Jahren nicht selten hören. Es war die Zeit, als viel davon ans Tageslicht kam, wovon die Deutschen behaupteten nichts gewusst zu haben. "Nichts gewusst", das hieß: Wir haben nicht bis ins letzte Detail und im gesamten Ausmaß das gewusst, was in den im Krieg von Deutschen besetzten Gebieten geschah. Und nun hörte man doch einiges, dank verschiedener Enthüllungen von Journalisten, anlässlich von Kriegsverbrecherprozessen oder aus diesem oder jenem Erfahrungsbericht. Die Details, die man dann erfuhr, waren so grausam und unfassbar, auch so grotesk, dass sich manch einer doch zu dem Spruch: "Da schämt man sich ein Deutscher zu sein!" hinreißen ließ.

Eine Deutsche zu sein, habe ich mich nie geschämt. Allerdings war ich auch nie stolz darauf. Instinktiv habe ich begriffen, dass es nicht darum ging, eine emotionale Position Deutschland gegenüber einzunehmen, sondern eine Position zu dem, was damals geschah - nein, aktiv ausgeübt wurde. Da war meine Position seit ich mich erinnern kann: Abgrundtiefe Ablehnung und Verachtung denen gegenüber, die Krieg und Holocaust in Gang gesetzt haben. Wenn ich mich geschämt hätte, dann vielleicht dafür, ein Mensch zu sein, von der gleichen Materie zu sein wie diese Verbrecher samt ihrem Anhang. Vielleicht ist meine indifferente Haltung zum "Deutschsein" auch dadurch zu erklären, dass ich in der DDR aufwuchs, in der alles ein wenig anders war als im "echten Deutschland". Es mag auch eine Rolle spielen, dass ich noch nicht lebte, als all diese schrecklichen Dinge geschahen.

Nun, inzwischen spielt das keine Rolle mehr. Wir haben, wie es unser Bundespräsident verkündet, die Freiheit. Und da habe ich auch die Freiheit, auf mein Deutschsein stolz zu sein oder auch nicht und mich zu schämen oder auch nicht. Und nun stelle ich fest, dass ich mich tatsächlich ab und zu schäme, eine Deutsche zu sein. Wenn ich mir vorstelle, dass ich dem gleichen Volk angehöre, wie dieser unsägliche Günter Grass! Wenn es nur der Günter Grass wäre, aber der ganze antisemitische Dreck, der dank ihm an die Oberfläche gespült wird - das sind meine Landsleute! Da schaudert es mich!

Aber auch durch das dunkelste Gedankengestrüpp können Freudenschimmer dringen. Innerhalb kürzester Zeit ist dieses Gedicht entstanden, das zeigt, wie so ein Pamphlet von Günter Grass Menschen zum Nachdenken und zur Inspiration bringen kann:

Gedicht für Günter (unterstufenlyrisch)

Mit letzter Tinte ächzt der Alte
in ungereimter Poesie:
Dass die sich nicht mehr schlachten lassen,
verzeihe ich den Juden nie.

Der Jude will Atomraketen.
Der Jude will den Weltenkrieg.
Der Jude will uns alle meucheln.
Am Ende droht des Juden Sieg!

Da muss man doch was machen können,
und wenn nicht wir, dann der Iran.
Mahmud, mein alter Mullahkumpel!
I shout it out loud: Yes, you kann!

Der Günter fühlt sich ganz verwegen,
der Greis ist wieder jung, vital.
Die Lösung einst ging zwar daneben,
versuchen wir’s halt noch einmal!

So denkt’s im deutschen Dichterdenker.
Er rülpst und rotzt es aufs Papier.
Sein Wahn kennt keine Einsamkeit.
In Deutschland gilt: Vom Ich zum Wir.

Boris Yellnikoff
(der für dieses Gedicht den Nobelpreis verlangt)

Den Nobelpreis sollte er auf der Stelle bekommen. Das Gedicht ist so schön, dass ich einfach zu seiner Verbreitung helfen möchte (sogar nach Argentinien, wie Eingeweihte es wissen).

Dienstag, 3. April 2012

Anekdoten am Geburtstag

Mein Onkel liebte es, Anekdoten zu erzählen, und er konnte das anschaulich, lebendig, mit Humor. Besonders gefielen mir die Geschichten, die keine ganz aufregende Pointe hatten, weil sie mehr das eigene Nachdenken in Gang setzten. So erzählte er uns, wie er in seiner Position als Vorsitzender des Deutschen Richterbundes den „Deutschen Richtertag“ eröffnete. Auf diesen Eröffnungsreden verband er seinen Sinn für ausgefeilte Redekunst mit seinem Interesse an Geschichte, und so pflegte er diese Rede gern mit einer Verknüpfung des Tagesdatums und des Tagungsorts mit einem geschichtlichen Ereignis zu beginnen.

So kam es eines Tages in den 70-ger Jahren dazu, dass mein konservativer, aber auch liberal denkender Onkel vor den versammelten deutschen Richtern die Eröffnungsrede zum Deutschen Richtertag mit einem Hinweis auf den Tod des Friedensnobelpreisträgers Carl von Ossietzki begann. Wahrscheinlich war es 1978 zu dessen 40. Todestag. Mein Onkel schilderte uns deutlich die Empörung seiner Kollegen, die für Entgleisungen dieser Art überhaupt kein Verständnis hatten, schon der Name von Ossietzki versetzte sie in Wut.

Interessant wurde diese nebensächliche Begebenheit, als die Fortsetzung des Anekdotenerzählens erfolgte: Diesmal wurden Geschichten aus der Kindheit erzählt. Meine Mutter, des Onkels Schwester, erzählte eine harmlose Anekdote aus den 20-ger Jahren, in der ein jüdischer Hausierer eine Rolle spielte, der von den Erwachsenen in Abwesenheit „der Jud´“ genannt wurde. Als meine damals fünfjährige Mutter ihm die Haustür öffnete, begrüßte sie ihn mit den Worten: „Guten Tag, Herr Jud´“

Meines Onkels Empörung war wahrscheinlich ebenso groß, wie dazumal die seiner Richterkollegen. Das Wort „Jude“, öffentlich ausgesprochen, war als Provokation empfunden worden, und nicht nur mein Onkel, sondern auch andere ältere Teilnehmer in der Runde sprachen aus, dass sie diese Geschichte als völlig daneben empfunden haben.

Ich war beeindruckt: Das lag doch eigentlich genau auf der gleichen Ebene. Der Onkel hat genau so reagiert wie seine Kollegen, weil eine Begriff, ein Name überhaupt ausgesprochen wurde. Auch die Erbitterung, ja fast Wut über die Nennung von Begriffen und Namen, die keinerlei Schuldzuweisung oder irgendein persönliches Ansprechen einschlossen, hatten fast etwas Identisches.

Donnerstag, 29. März 2012

Verkündigung

Es kommt immer einmal vor, dass in einer Unterhaltung die Frage gestellt wird, weshalb es mit den christlichen Kirchen bergab geht. Die Mitgliederzahlen sinken, das Wissen der Gemeindeglieder um Liturgie und Liedgut ist auf einem niedrigen Stand. Darauf habe ich eine einfache und prägnante Antwort parat: "Es geht herab, weil dir kirchlichen Vertreter selbst nicht glauben, was sie verkündigen". Manchem erscheint es übertrieben und ungerecht dem kirchlichen Personal gegenüber.

Es ist sogar so, dass man selbst als nicht ganz von dieser Welt angesehen wird, wenn man bei Pfarrern oder Kirchenvertretern davon ausgeht, dass sie nach ihrer Verkündigung leben. Als Herr Pfarrer Gauck zum Bundespräsidenten gewählt wurde, und ich diese und jene Anmerkung zu ihm hatte, wurde ich für nichts so ausgelacht als für meine Bemerkung: "Wer das sechste Gebot nicht hält, muss sich aus den anderen Geboten auch nichts machen." Herrn Gauck möchte ich keinen Vorwurf machen, dass er eine nicht angetraute Lebensgefährtin hat. Auch nicht, dass er zusätzlich noch eine Ehefrau hat, die wie eine persona non grata und als nicht existent angesehen wird. Dass er als Pfarrer, dessen geistige Grundlage auch wesentlich die 10 Gebote bilden, nicht einmal eine Ahnung davon zu haben scheint, dass diese auch für ihn gelten könnten und es von ihm und von der Allgemeinheit als selbstverständlich angesehen wird, muss man so hinnehmen. Man sollte dann allerdings nicht den Niedergang der christlichen Religion beklagen.

Und wenn nicht das sechste Gebot, warum dann etwa das achte Gebot? Mit der Wahrheit muss man es auch nicht genau nehmen. Dann kann Herr Gauck sich als Bürgerrechtler der DDR bezeichnen. Auch wenn er es nie war und "auf den fahrenden Zug erst aufsprang", als die DDR bereits stark im Zerfall war, im Oktober 1989, also als die echten Bürgerrechtler den Weg für die Mitläufer geebnet hatten. In dem Buch "Eine Revolution und ihre Folgen. 14 Bürgerrechtler ziehen Bilanz " lässt Herr Gauck sich widerspruchslos als Bürgerrechtler bezeichnen. Nun ist der Begriff Bürgerrechtler sowieso nicht gesetzlich geschützt, auch manch ein SED-Genosse wird inzwischen zum Bürgerrechtler mutiert sein. Aber ob schon ein echter oder ein unechter Bürgerrechtler - es ist egal, da kaum jemanden interessiert, ob das, was er sagt, der Wahrheit entspricht.

Und wie sieht es im Alltag einer Kirchengemeinde aus? Gerade gab es im Gemeindeblättchen eine kleine Predigt: Jetzt, in der Fastenzeit hätten wir die besondere Freiheit, auf etwas bewusst zu verzichten. Worin der Verzicht bestehen sollte, wurde vorsichtshalber nicht erwähnt. Unmittelbar nach Erscheinen des Blattes gab es - weil das zeitlich gerade passte -, ein üppiges Festmahl für die Gemeindehelfer. Es herrschte kein Mangel an Fleisch. Ich interpretierte das Mahl so, dass man sich eben die Freiheit genommen hat, nicht zu verzichten. Und - wie uns schon das Beispiel Herrn Gaucks gelehrt hat: So ganz genau muss man es mit der kirchlichen Verkündigung nicht nehmen.

Donnerstag, 22. März 2012

Seismographische Terminologien

Wenn ich mir die Aussagen aus verschiedensten Diskussionen ins Gedächtnis rufe, so fallen mir einige Sätze ein, die ich besonders oft hörte: „Jeder redet immer nur davon, was wir den anderen angetan haben, aber niemand redet davon, was uns angetan wurde!“ Die seltsame Häufung von Ausschließlichkeiten, die dieser Satz beinhaltet, auch wenn er manchmal ein wenig anders formuliert wird, spricht für sich. Man kann ihn in verschiedenen Varianten hören, er ist Kernpunkt einiger „großer Debatten“. In letzter Zeit höre ich den Satz, der in den 70-ger Jahren nicht weniger oft zu vernehmen war als jetzt, manchmal in der Variante: „Nun wird es endlich Zeit, deutsches Leiden zu thematisieren, weil das jahrzehntelang ein Tabu war“. Ich unterstelle denjenigen, die so sprechen, dass sie es auch tatsächlich so meinen, trotzdem ist es ein Zeichen davon, dass sich in diese „Debatten“ Lüge einschleicht: Die große gesellschaftliche Lüge von jahrzehntelangen tabuisierten Leiden.

In der DDR der 50-er Jahre, wo ich aufwuchs, ware die Tabuisierung vieler Themen tatsächlich viel stärker als im Westen. Trotzdem war ich umgeben von Geschichten der Flucht und des Kriegs. In unserem Bücherregal gab es Bücher von Hans Lehndorff, Peter Bamm, später von Graf Krockow. Siegfried Lenz hat in seinem Buch „Heimatmuseum“ Krieg und Flucht anschaulich thematisiert. Irgendwann bekam ich die Heftchen der Heimatvertriebenen in die Hand aus den 60-ger, 70-ger, 80-ger Jahren und ich traute meinen Augen nicht, was man dort alles stand, was man angeblich nie schreiben „durfte“. In einem Heimatheft über den Kreis Trautenau aus dem Jahr 1988 war lediglich vermerkt: Die Juden seien in ähnlicher Weise wie im Reichsgebiet verfolgt worden. Die Okkupationszeit wurde nebulös beschrieben, hauptsächlich als Zeit des christlichen Widerstandes gegen „Nazis“, während der Vertreibung sehr viel Raum und detaillierte Beschreibung gewidmet wurde. Es ist eine große Lüge, wenn behauptet wird, dass man noch nie gewagt habe, in dieser Weise zu sprechen und dass Darstellungen von Flucht und Vertreibung ganz besondere Ausnahmen, sozusagen Mutproben gegen den gesellschaftlichen Konsens gewesen seien.

In einer Diskussion bei „Maischberger“ wurde es illustriert. Man sprach über das geplante Zentrum „Gegen Vertreibung“ und Frau Maischberger stellte eine Filmdokumentation aus den 50-ger Jahren in die Debatte, wo Konrad Adenauer auf einem Vertriebenentag genau das sagte „was man sich nie traute zu sagen“. Er sprach zu den Vertriebenen über die Zeit, wenn sie in ihre Heimat zurückkehren werden. Dazu fand Harald Schmidt, der an dem Gespräch teilnahm die passende Erklärung: „Er sprach ja zu den Vertriebenen, das ist nicht ernst zu nehmen“.

Das würde bedeuten, dass man den Vertrieben sagen kann, was man will. Es würde allerdings auch bedeuten, dass ein Bundeskanzler Beliebiges sagen kann, je nachdem vor wem er gerade spricht. Harald Schmidt hat durchaus etwas Bemerkenswertes gesagt, denn die Verschiedenartigkeit dessen, in welchem Rahmen was und mit welcher Terminologie gesagt wird, wird in der Gesellschaft geradezu seismologisch praktiziert, und ich denke oft darüber nach, ob diese Fertigkeit – die tatsächlich vorhanden ist – bewusst oder nach einem blinden verinnerlichten Bild ausgeübt wird. Bei einer Diskussion im DLF hörte ich, wie Rupert Neudeck ohne Skrupel Israel ein „Gebilde“ nannte, das nun einmal nicht rückgängig gemacht werden könne und das darum auch ein Existenzrecht habe. Es ist mir nicht erinnerlich, in einer öffentlichen Rede eines Politikers die Bezeichnung Israels als ein Gebilde jeweils gehört zu haben. Man weiß eben genau, wo sich was zu sagen gehört.

Samstag, 17. März 2012

Heidegger - Widman

Vor einiger Zeit stieß ich auf Passagen aus einem Vortrag von Martin Heidegger, der ja als hochrangiger Philosoph gilt. Er sagt dort: „Hunderttausende sterben in Masse. Sterben Sie? Sie kommen um. Sie werden umgelegt. Sterben Sie? Sie werden Bestandsstücke eines Bestandes der Fabrikation von Leichen. Sterben Sie? Sie werden in Vernichtungslagern unauffällig liquidiert. ... Sterben aber heißt, diesen Austrag vermögen. ... Der Tod ist das Gebirg des Seyns im Gedicht der Welt. Den Tod in seinem Wesen vermögen, heißt: sterben können. Diejenigen, die sterben können, sind erst die Sterblichen im tragenden Sinn dieses Wortes." Die Juden wären danach also einfach Bestandteile in einer Fabrikationsanlage für Leichen gewesen und keine wahrhaft Sterbende. Das soll man sich einmal vorstellen: Heidegger, der sich in der Nazizeit schwer kompromittiert hatte, erklärte es vier Jahre nach Kriegsende und kurz darauf wurde er rehabilitiert und als Professor und Denker geehrt!

All das hängt alles miteinander zusammen. Dass Philosophen jener Art wie Heidegger hier geehrt werden. Sie bestimmen dann auch wesentlich das Denken der Menschen. Wer als Mensch definiert wird und wer nicht.

In der „Berliner Zeitung“ las ich einen Artikel von Arno Widmann. Ich verstand zuerst nicht, ob er wirklich meint, was er schreibt oder ob da irgendeine Ironie, geistige Verdrehung oder sonst was im Spiel ist. Ich konnte nichts Solches herausfinden. Er schrieb, dass die Demokratie in der Bundesrepublik zwar keine perfekte Staatsform sei, aber die beste, die wir je hatten, und dass das viele „Schlimme“, durch das wir im Lauf der Geschichte gegangen seien, dann schließlich dieses prächtige Ergebnis gebracht hat. Nicht nur die furchtbaren Bombennächte und Vertreibungen haben zur demokratischen Staatsform geführt, sondern auch „Auschwitz“ habe dazu beigetragen, dessen sollten wir uns bewusst sein. Also, die Deutschen seien sozusagen geläutert.

Es passt zum Gedanken Heideggers, die Juden in den Lagern hätten nicht den Tod erlitten, weil sie gar keine Gelegenheit hatten, das „höchste Gebirg des Seyns“ zu erklimmen, sie wären einfach Bestandstücke in einer Fabrikation für Leichen. Es hat Zusammenhänge. Um die Deutschen recht zu läutern, bedurfte es einer Fabrikationsanlage für Leichen, deren Zutaten die Juden waren. Ob die Juden nun auch geläutert sind, hat Widmann nicht geschrieben, allerdings hat er zuvor schon kundgetan, dass es wohl so sei, dass die Israeli keinen Frieden wollen, weil sie wissen, dass die Staatsgründung Israels ein Unrecht gewesen sei. Also sind sie wohl nicht geläutert. Man könnte Verdrehungen jener Art sehr gut weiter spinnen, bis sie sich selbst entlarven als das, was sie sind: Nazitum pur.

Donnerstag, 15. März 2012

Nachrichten aus Israel

In den letzten Tagen waren wieder Nachrichten aus Nahost zu vernehmen. Man hörte von israelischen Angriffen auf Gaza. Das Nachrichtenschema war so: In einem Hauptsatz war von Angriffen Israels auf den Gazastreifen zu hören, dann folgte der Nebensatz: das geschah nachdem von Gaza aus Raketen geschossen wurden. Hauptsatz: Bei dem Beschuss wurde niemand verletzt. Schließlich wurde zum endgültigen Tusch geblasen: Israel hätte gezielt einen Terroristenführer getötet, einen Entführer von Gilad Shalit, und das wäre der Auslöser der gesamten Eskalation gewesen. Wenn man sich diese Nachrichten betrachtet, die wie auf Verabredung in der gesamten Medienlandschaft verbreitet wurden, muss man zu dem Schluss kommen: Israel ist mit jeder Handlung die es begeht, ein übler Bösewicht. In diese halbwahre Berichterstattung schleichen sich echte Lügen ein: Auslöser der Eskalation war nicht die Tötung al Keisis, sondern der von aller Welt unbeachtete permanente Raketenbeschuss vom Gazastreifen aus. Al Keisi wurde nicht getötet, weil er Gilad Shalit einst entführte, sondern weil er dabei war, neue Terroranschläge vorzubereiten. Nicht getötete bzw. nur wenige verletzte Israeli gab es, weil Israel ein System von Unterständen errichtet hat, in die seine Bürger bei Bombenalarm - und der kann mehrmals am Tag stattfinden - flüchten können. Weil Hunderttausende (und mehr) Israeli in ständiger Anspannung darauf vorbereitet sind, innerhalb weniger Sekunden in einen Schutzraum bzw. eine Schutzröhre zu laufen.

Über all dieses kann man sich informieren, wenn man es will. Es gibt unzählige Videos im Internet, in denen gezeigt wird, wie Menschen in Israel in den verschiedensten Lebenssituationen leben, es gibt Blogs, in denen täglich über das Leben in Israel berichtet wird. ( Man wird kein Video finden, in dem Kinder in Uniformen gesteckt sind und als Selbstmordattentäter posieren bzw. posiert werden).

Wenn man sehen will, wie diese Berichterstattung leicht unterhalb oder leicht oberhalb der Wahrheitsgrenze wirkt, sollte man die manchmal dazugehörenden Leserforen studieren. Nicht umsonst sind sehr viele Zuschriften von der Redaktion entfernt, und in den nicht entfernten Zuschriften strotzt es von gehässigen Bemerkungen gegenüber Israel, die sehr oft von eklatanter Unkenntnis der politischen - und der Lebensumstände dieses Landes zeugen. Die Saat, die jene Journalisten gesät haben, ging auf, und sie selbst waschen ihre Hände in Unschuld wie einst der "unschuldige" Herodes.

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