Samstag, 14. Januar 2012

Der 15. Januar 1990 - Eine Wendegeschichte

Manche Leute werden sich noch an den 15. Januar 1990 erinnern. Manche auch nicht, weil „Wende“ für sie nur ein Synonym ist, das in jede Richtung gedeutet werden kann, und bei dem Details keine Rolle spielen. Aber die echten „Wendekenner“ wissen, dass es in diesen Tagen große Befürchtungen gab, es könne zu schwerwiegenden Rückwärtsbewegungen kommen, und die Stasi greife zu Mitteln, die ihnen die Macht zurück bringen. Diese Befürchtungen mobilisierten andererseits wieder die Revolutionäre jeglicher Art und gipfelten im Sturm auf die Stasizentralen.

Auch vor Ort war einmal wieder eine Demo geplant. Damals vermengten sich Akteure und Gegenakteure, Aktionen und Reaktionen, so dass es im Nachhinein schwer ist, alles zu entwirren. Fest stand jedoch, dass es hier wohl kaum jemanden gab, der glaubhaft war und der eine freie Rede halten könnte. Es gab nur Einen, den Pastor. Dieser Tatsache ist das Erblühen der Kirchenmänner zu Politikern in den damaligen Zeiten zu verdanken.

Also auch unser Pastor S. war gefragt. Obwohl er gerade eine Knieoperation hinter sich hatte und mühsam auf Krücken ging. Der 15. Januar war ein stürmischer, schneeloser kalter Tag. Das Volk wanderte durch den Ort bis es einen Hügel erreichte. Pastor S. bekam eine Laterne in die Hand gedrückt. Er erklomm den Hügel, und von da oben hielt er seine Rede an das Volk. Ihr Inhalt bestand hauptsächlich darin, dass wir „keine Gewalt“ anwenden wollen, dass wir besonnen sein, uns aber nichts mehr gefallen lassen wollen, und dass wir es auf keinen Fall dulden werden, dass die Stasi ihre Macht zurück gewinne.

Dieser Anblick: der Pastor auf Krücken mit der schwankenden Laterne auf dem düsteren Hügel – der war schon starker Eindruck und wir werden ihn unser Leben lang nicht vergessen. Gern höre ich zu, wenn jetzt, gut zwanzig Jahre später, Herr und Frau S. uns über diesen unvergesslichen Tag berichten. Herr S. erzählt so etwas gern in Form einer Anekdote. Wie er sich innerlich auf das abendliche Auftreten vorbereitete. Und da kam ein Anruf. Vom Rat des Kreises. Man spürt dann, wie sich Herrn S. damaliger jahrzehntelang eingeschliffener Respekt und seine Angst vor den damals hohen Herren mit der heutigen Erleichterung und der Freude am Erzählen mischen. Hinter seinem Rücken macht seine Frau ironische Gesten und erklärt den Zuhörern: „Er wurde so klein mit Hut!“ Auch Herr S. verbirgt nicht, wie „klein“ er wurde. Darauf sagte der Vertreter des Rates des Kreises am Telefon: „Wenn sie heute Abend die Demo machen, werden wir dafür sorgen, dass alle Wege frei sind und sie sich überall bewegen können“. Und damit war dann eigentlich auch klar, wie es mit der DDR bald enden wird.

Samstag, 7. Januar 2012

Der Deutschlandfunk

Der Deutschlandfunk macht seinem Namen alle Ehre. Wenn man eine halbe Stunde lang politische Berichterstattung im DLF hört, bekommt man folgendes Weltbild: Es gibt ein Land, von dem geht alles Schlechte und Böse in der Welt aus: Das sind die USA. Es gibt ein Land, das der Welt Frieden und Wohlstand bringt: das ist Deutschland. Wenn es außer von den USA noch Böses auf der Welt geben sollte, dann ist dieses Böse die Reaktion auf das Böse der USA. Weiterhin gibt es ein ominöses böses Land: Das ist Israel. Die Rolle Israels wird im Zwielicht gehalten, weil man nicht genau entscheiden kann, wie man es darstellen soll. Ist Israel nicht überhaupt die Voraussetzung für alles Böse der USA, bestimmt nicht Israel die amerikanische Politik? Da hält man sich bedeckt und arbeitet nur mit Andeutungen, denn irgendwie ahnt man, dass man Reaktionen herausfordern könnte, die zwar das beinhalten, was man selbst denkt, die aber aus einem Grunde nicht nach außen dringen sollen. Denn dann müssten die Redakteure des DLF krampfhaft bemüht sein, die Reaktionen wieder einzudämmen, die sie selbst hervorgerufen haben. So bei einer Sendung, als unvermittelt bei einer telefonsichen Diskussion über den grausamstem und einzigen Geheimdienst der Welt (CIA) ein Zuhörer sofort dahin sprang, wohin der DLF seine Zuhörer (z. B. durch unmittelbares Aneinanderreihen von „Grausamkeiten“, die von diesen beiden Ländern ausgehen in ihren Nachrichtensendungen) führte: Er wechselte vom Kriegsverbrecher Busch direkt zu den zionistischen Räubern in Israel. Das „Rudern“ der Redakteurin war durchs Radio hindurch zu spüren. Sie ruderte mit Worten so angestrengt, dass ich im Geist ein treibendes Ruderboot in einem reißenden Fluss vor mir sah.

Donnerstag, 5. Januar 2012

Die Vertriebenen

Es ist so viel von den Vertriebenen die Rede. Dabei gibt es so gut wie keine mehr. Es leben zwar noch Leute, die als Kinder und junge Leute vertrieben worden waren, aber sie haben fast nichts gemeinsam mehr mit den Vertriebenen meiner Kindheit. Manchmal höre ich noch Anklänge an einen Dialekt, und die alten Sudetendeutschen und Schlesier sind immer noch heraus zu erkennen. Aber das sind wirklich die ganz Alten.

In meiner Kindheit war ich von Vertriebenen umgeben, das ist mir erst heute richtig bewusst. Es ist mir auch erst als Erwachsene klar geworden, was für ein Reichtum in dem damaligen Leben unter den Vertriebenen lag. Die Dialekte, die verschiedenen Verhaltensweisen, die Erzählungen, die Namen der Orte, von denen sie redeten. Es war mir nicht im Geringsten bewusst, was es bedeutete, ein Vertriebener, ein Flüchtling zu sein. Aber ich habe sie wahrgenommen. Ich war umgeben von Reden über Krieg und Flucht. Von Vertreibung war übrigens nicht die Rede, ich hörte immer nur von Flucht. Und vom Krieg. Wenn Männer miteinander herumrum standen, sprachen sie über den Krieg und nannten verschiedene Orte und Dienstgrade. Was heute immer behauptet wird: Man habe nur geschwiegen, und man habe darüber nicht reden dürfen, das ist Erfindung und Lüge, um die Vergangenheit und deren Folgen in einem anderen Licht darstellen zu können.

Sicher verschwieg man auch in privatem Reden vieles. Nie habe ich eine Frau erzählten hören, dass sie vergewaltigt wurde. Womit ich als Kind wohl auch wenig hätte anfangen können. Auch die Legendenbildung begann damals schon: Man hbe ja nichts gewusst! Ein Ausdruck, den ich öfter hörte war: Die haben sie weggeholt... Dann ging es um Juden. Mehr sagte man dazu nicht, da herrschte schon das Tabu.

Aber dass die Leute nicht von ihrer Flucht geredet hätten: Das ist lächerlich. Nichts fand ich spannender als diese Geschichten. Für mich gab es erst einmal keinen Unterschied zwischen Einheimischen, Vertriebenen, Menschen die im Krieg waren oder nicht. Trotzdem habe ich mitbekommen, dass die Vertriebenen die interessanteren Menschen waren. Es sind diejenigen, die meine Kindheit emotional sehr bereichert haben. Was zwischen diesen Menschen und den Einheimischen vor sich gegangen war, davon hatte ich keine Ahnung und bekam davon auch nichts mit. Das offenbarte sich mir viel später, als ich dann über manches Fluchtschicksal bewusst hörte. Ich fand es immer den schlimmeren Teil der Fluchtgeschichte: Wie hartherzig diejenigen behandelt worden waren, die alles verloren hatten. Wie sie von den Landleuten, die im Krieg geschworen hatten, als „Volk und Schicksalsgemeinschaft“ zusammen zu halten, nun wie Aussätzige und Gesindel behandelt wurden.

Samstag, 31. Dezember 2011

Impressionen

Ich möchte von vorherein und ausdrücklich betonen, dass ich nichts gegen „die Kirche“ habe und auch nicht Menschen, die einer christlichen Kirche angehören unterstelle, Vorurteile gegen Juden zu haben. Dafür kenne ich zu viele Christen (oder sagen wir mal: etliche), die ein herzliches und entspanntes Verhältnis zu Juden haben und die gemeinsam mit ihnen an Projekten arbeiten, seien es biblische, seien es Aufgaben, die sich mit der Vergangenheit und der Erinnerung daran befassen. Trotzdem bin ich immer wieder erstaunt, wie oft bei kirchlichen Veranstaltungen, gelinde gesagt, „schräges Zeug“ über Juden (oder Israel) zu hören ist. Behauptungen, die einfach falsch sind, auch Unterstellungen und Falschinterpretationen. Ich möchte hier weniger das aufschreiben, was jeder den Medien entnehmen kann, sondern das, was ich selbst erlebte und hörte.

Und ich war tatsächlich dabei, als eine junge Pastorin, noch nicht lange von der Universität gekommen, der Religionswissenschaftlerin Ruth Lapide bei einem Seminar ins Gesicht sagte: „Die Juden haben Jesus ans Kreuz geschlagen!“ Frau Lapide war um eine scharfe Antwort nicht verlegen.

Und ich war in einem Gottesdienst, bei dem Pastor W. ohne Skrupel sagte: „Nach dem Gesetz des Alten Testaments gilt die Regel: Auge um Auge. Zahn um Zahn. Diese Regel hat irgendwie noch eine Berechtigung. Heutzutage wären die Palästinenser froh, wenn man sie nach diesem Gesetz behandelte, doch die Israeli überziehen für einige nicht treffende selbst gebastelte Sprengkörper Gaza mit Bombenteppichen.

Und ich war in der Bibelstunde, als Pfarrer R. zu einem x-beliebigen Thema auf einmal die Bemerkung anfügte: „Es hat auch seine Schattenseiten, dass die Juden sich als das erwählte Volk betrachten. Zum Beispiel haben sie eine Mauer quer durch Jerusalem gebaut. Ich fragte: „Meinen sie, dass die Israeli diese Mauer wegen ihres Erwähltseins gebaut haben oder könnte es auch mit der Sicherheit zu tun haben?“ Mit einer gewissen pastoralen Herablassung sagte er: „Ach, liebe Frau, was wissen sie schon!?“ Ich sagte: „Ich möchte nur wissen, meinen sie das wirklich so? Sind ihnen in die Luft gesprengte Israelis lieber als eine Mauer? “, und gleich fiel dem zweiten anwesenden Pfarrer ein, dass es doch eigentlich Zeit sei, den Abend zu beenden, so dass prompt der abendliche Segen erfolgte, zufällig ein Segen aus dem Alten Testament, der aaronitische.

Montag, 26. Dezember 2011

Ein Weihnachtslied "Wisst ihr noch, wie es geschehen?"

Wir hörten im vorigen Jahr zu Weihnachten einen Gottesdienst aus München. Der Pfarrer hatte sich als Predigtthema ein Gesangbuchlied gewählt, das er interpretierte. Text von Hermann Claudius. Wahrscheinlich um Protesten von „Gutmenschen“ vorzubeugen, erwähnte er etwas von 1939 und „nicht linientreu“. Ich habe das gar nicht richtig verstanden, aber ich wurde aufmerksam und begann im Internet zu recherchieren. Es stellte sich heraus, dass Hermann Claudius ein „strammer“ Nazidichter war. Das Gedicht sagt einiges:

Herrgott, steh dem Führer bei, dass sein Werk das deine sei, dass dein Werk das seine sei. Herrgott, steh dem Führer bei.
Herrgott, steh uns allen bei, dass sein Werk das unsre sei, dass unser Werk das seine sei. Herrgott, steh uns allen bei.

Mehrfache Ehrungen in der „Nazi“-Zeit und auch danach gab es für ihn. Er schrieb außer seinen Führerelogen auch Natur- und Kirchengedichte. Er gehörte zu den 88 Dichtern, die ein Gelöbnis treuer Gefolgschaft für den Führer unterzeichneten. In der Krakauer Zeitung, dem NS-Propagandablatt des Generalgouvernements war Hermann Claudius mit mehr als 50 Texten vertreten.

Das ist die Frage: was kann das arme Gesangbuchlied dafür, dass sein Schöpfer ein Nazi war? Der gute Hermann Claudius hat neben Nazigedichten eben so schöne und innige Lieder geschrieben, dass sie einer Predigt wert sind.

Ich denke, dass eine Predigt nicht nur eine Aussage hat. Das wäre eindimensional. Wer um den Schöpfer dieses Gedichts weiß und weiß, was er sonst noch geschrieben hat (zu meiner großen Überraschung das Lied: wenn wir schreiten Seit an Seit…..: es passt alles gut zusammen: innige Krippenbetrachtung, Führerverherrlichung, und Lieder auf die „neue Zeit“). Jedenfalls ist so eine Predigt auch eine Hommage an den Schöpfer. Und wer eine Predigt vor so großem Publikum wie die Zuhörerschaft des DLF hält, der muss auch damit rechnen, dass es Menschen gibt, die um den Ursprung dieses Liedes wissen. Eine „geistige Schöpfung“ entspringt immer einem Geist. Wenn ich mir vorstelle, dass beide Schöpfungen demselben Geist entsprungen sind, höre ich das Lied mit anderen Ohren.

Ich sah im Gesangbuch nach: da stehen die Lebensläufe der Liederdichter. Vom Nazitum von Hermann Claudius kein Wort, obwohl das ein maßgebliche Rolle in seinem Leben spielte. Bei anderen Liederdichtern wurde durchaus Wichtiges aus ihrem Leben erwähnt.

Sonntag, 18. Dezember 2011

Monika

Mit Monika verbrachte ich drei Jahre auf engstem Raum, in einem sehr kleinen Internatszimmer, in dem wir zu viert untergebracht waren. Ich habe wohl erst im Internat begriffen, was die DDR bedeutet, wie die Menschen denken und wie sie sich verhalten. Mit Erstaunen erlebte ich Anfang der 70-ger Jahre, wie junge Menschen mit 18 Jahren gern und freiwillig in die Partei eintraten, wie sie nicht mal eine Ahnung davon zu haben schienen, dass man sich auch nur ein wenig anders verhalten kann, als es die Parteilinie vorgibt. Später ließen sie sich klaglos im Studium von „Seminargruppenleitern“ tyrannisieren, machten Wehrerziehungslager mit, zogen in Neubaublocks, gründeten früh eine Familie, in der es vorgezeichnet war, dass das Leben sich auf die gleiche, programmierte Weise wiederholt.

Nach mehr als 30 Jahren traf ich Monika wieder, nachdem sie meine Adresse herausgefunden hatte und mich mit unserer gemeinsamen Zimmergenossin Erika zusammen besuchte. Gleich am Anfang dieses Besuchs machten wir die erstaunliche Erfahrung, dass drei Jahre schulische Gemeinsamkeit in einem engen Zimmer trotz eines konträren Lebens uns so „zusammen geschweißt“ hatten, dass es keine Fremdheit zwischen uns gab. Wir erzählen und lachten zwei Tage lang, so wie früher und ich erfuhr interessante Details aus Lebensläufen, die ganz und gar der DDR-Norm entsprochen hatten und die dann durch die „Wende“ gehörig umgewälzt worden sind. Unter anderem erzählte Monika mir eine Begebenheit aus ihrem Leben, die in ihrer Nebensächlichkeit sehr bezeichnend war, wie der DDR-Staat mit seinen Menschen, also eigentlich mit sich selbst umging.

Monika hatte alles richtig gemacht, wie es sich für eine DDR-Bürgerin gehört. Sie kam aus einfachen Verhältnissen, trat mit 18 Jahren aus Überzeugung in die Partei ein, wurde Volkspolizistin auf dem Polizeiamt, wo sie die Anmeldungen der Westbesucher registrierte. Ihr Mann war Grenzbeamter, der sich über nichts mehr freute, als wenn er einem Westbesucher eine Zeitschrift oder ein Buch abnehmen konnte, wie er einmal berichtete, als ich in jungen Jahren das einzige mal bei ihnen zu Besuch war. Sie wohnen bis heute in einem Neubaublock in Berlin Lichtenberg. Ihre beiden Kinder durchliefen alle Stadien, die ein DDR-Kind zu durchlaufen hatte, von der Kinderkrippe, über die Pioniere zur FDJ mit allen dazugehörigen Ritualen. In ihrem Leben fehlte nichts was zu einer typischen DDR-Existenz gehörte: Hausgemeinschaft im Plattenbau, FDGB-Urlaubsreisen, Parteiversammlungen. Sie kannten nichts anderes und wollten nichts anderes. Doch selbst solche Menschen kamen in Situationen, wo sie sich am System „stießen“, nämlich wenn sie menschliche Eigenschaften über die Parteilinie stellten:

Monikas Tochter Cathleen war Leistungssportlerin und verbrachte den größten Teil ihrer Kindheit im Stadion. Sie wurde trainiert – ich würde sagen dressiert -, um an internationalen Wettkämpfen teilzunehmen. Regelmäßig fuhr sie zu Spartakiaden. Cathleen hasste diese Spartakiaden, weil sie unter großer Angst litt, es könne ihr auf der Reise etwas zustoßen und sie käme nicht zu ihrer Mutter zurück. Vor jeder Reise zu einem Wettkampf spielte sich das gleiche Ritual zwischen Mutter und Tochter ab: Monika musste Cathleen hoch und heilig schwören, dass sie in dem Fall, dass etwas passiert, auf der Stelle zu ihr eilen würde, damit diese nicht irgendwo in der Fremde allein bleibt. Dieses Versprechen gab Monika in voller Überzeugung, denn es hätte sie wirklich nichts davon abhalten können, im Fall der Not ihrer Tochter zur Hilfe zu kommen. Eines Tages war es so weit, dass Cathleen ins „westliche Ausland“, nach Italien, zu einem Wettkampf geschickt wurde. Da zeigte sich, dass Monika nicht nur eine gute DDR-Bürgerin, sondern auch ein Mensch mit guten menschlichen Eigenschaften war und diese Eigenschaften waren: sie liebte ihre Kinder über alles und sie war ehrlich. Monika konnte nun ihr Versprechen nicht mehr ohne weiteres geben. Sie erkundigte sich bei verschiedenen Genossen, ob für den Notfall eine Reise nach Italien möglich wäre, erntete aber nur Unverständnis, Befremden und Hohn. Die Vorstellung, dass ein DDR-Bürger, der nicht Reisekader war, möge er auch noch so staatstreu sein, ins westliche Ausland fahren wolle, war in den Augen der Genossen absurd, auch wenn es eine ihrem Kind zur Hilfe eilende Mutter wäre. Ihr wurde gesagt, dass das Kind in der Betreuung des Trainers ja wohl gut aufgehoben sei. Monika verschwieg Cathleen ihr Unvermögen nicht. Sie war nicht in der Lage, Cathleen zu einer Reise nach Italien zu überreden, wie die Genossen es von ihr forderten. Cathleen verweigerte hartnäckig die Reise und Monika hielt tapfer zu ihrer Tochter und bestand nicht darauf, dass diese zum Wettkampf fährt. Das „aufrührerische“ Kind wurde nicht mehr lange trainiert und musste aus dem Lauftraining ausscheiden. Monika musste sich vor ihrer Parteigruppe rechtfertigen und entging knapp einer Parteirüge

Monika erzählte mir, dass sie durch diese Erfahrungen die ersten Zweifel an dem gesamten DDR-System bekommen hatte und dass sie danach nicht mehr so eine überzeugte DDR-Bürgerin war und dass sie nicht mal besonders traurig über das Ende der DDR sei, obwohl dadurch die vorgegebenen Lebensläufe ihrer Familie gehörig durcheinander gewirbelt wurden.

Donnerstag, 15. Dezember 2011

Selektion

In einem Dokumentationszentrum fiel mir eine Episode aus dem 2. WK noch mal ins Auge. Sie war auf einer der Schautafeln dokumentiert. Im Gefangenenlager „Stalag“ hatte man unter den alliierten Gefangenen – denen es vergleichsweise nicht so schlecht ging – die „jüdischen“ heraussortiert. Sie wurden von den anderen getrennt gehalten, zeitweise isolierte man sie in einem abgetrennten Teil des Lagers, jederzeit drohte ihnen – im Gegensatz zu ihren nichtjüdischen Kameraden – die Liquidierung. Dank des fortgeschrittenen Kriegsverlaufs ist es dazu nicht gekommen, aber auch dank ständiger Proteste ihrer nichtjüdischen Vorgesetzen, die den Deutschen irgendwie klar machten, dass es nach einem Kriegsende dafür Konsequenzen geben würde.

Wie mag es auf die nichtjüdischen Kriegsgefangenen gewirkt haben, dass da unter ihnen einige sind, die sich vorher nicht von ihnen unterschieden hatten, die aber durch die Definition der Deutschen zu von ihnen zu unterscheidende Menschen geworden sind? Die dem gewaltsamen Tod näher sind als sie. Vor denen man sich in Acht nehmen muss, um nicht mit ihnen gleich gesetzt zu werden.

Nach den dokumentierten Überlieferungen empörten sich die Kameraden gegen die Trennung. In einer Baracke sollen sich sogar alle Insassen als „jüdisch“ ausgegeben haben, und die Deutschen damit so irritiert haben, dass sie von der Trennung in dieser Baracke absahen. Hoffentlich ist das nicht eine schöne Legende. Aber auf jeden Fall war den englisch-amerikanischen Soldaten dieser Geist der Einteilung und Aussortierung von Menschen fremd. Wie wäre es weiter gegangen, wenn dieser Geist noch lange bestanden hätte? Hätten sie sich nach und nach davon infizieren lassen?

Montag, 12. Dezember 2011

Ein Waldorfkindergarten in Israel

Es ist interessant, sich mit dem Internet zu befassen. Man kann richtige Krimis miterleben. Ich verfolge, wie eine junge Frau mit dem Bundestagsabgeordneten R.P. kämpft. Es bilden sich Fraktionen für den einen, für die andere. Es geht um Internetmobbing, es geht um einen Verein, der keine Spendenberechtigung hat, aber Spenden einnimmt, um die Vereinsvorsitzende, um ein Konzert in einer Bonner Kirche und nicht zuletzt, wie kann es anders sein, geht es um den Nahen Osten. Aber wenn es um den Nahen Osten geht, geht es meistens nicht um den Nahen Osten, sondern es geht um das Thema: wie kommen die Deutschen mit ihrer Vergangenheit zurecht? Die junge Frau P. hat da eine entschiedene Meinung und sagt sie unverblümt. Sie hat begeisterte Anhänger, aber auch scharfe Widersacher.

Der Kern dessen, um den sich alles dreht, ist ein Waldorfkindergarten in Israel. Ein Kindergarten, in dem arabische und jüdische Kinder gemeinsam zusammen sind. Eine schöne Sache. Ich finde, alles ist gut, was zur Gemeinsamkeit von jüdischen und arabischen Israeli beiträgt. Wo, wenn nicht in einem Kindergarten, in dem zwei Sprachen geredet werden, wo die Kinder von klein auf freundschaftlich zusammen sind, ihre Feste gegenseitig erleben, kann Annäherung und Verstehen beginnen? Es gibt ein Dorf, Schulen, ja sogar ein Orchester, wo Palästinenser und Israeli zusammen sind.

Nicht anders als die junge Frau sehe ich all diese im Grunde sinnvollen Einrichtungen mit Skepsis. Weil alles auch einen ideologischen Beigeschmack hat. Wenn darüber berichtet wird, dann wird prompt mit dem Finger auf Israel gezeigt: Seht, das ist etwas anderes als dessen „Apartheidpolitik“, beispielhaft, nicht so wie das übrige Israel. Es wird der Eindruck erweckt, diese „Friedensprojekte“ wären einzigartig und der Kontrast zum normalen Alltag. Ich habe einige Bekannte in Israel, die von ihrem Alltag dort berichteten, und ich habe sie auch schon besucht und konnte zu meinem Erstaunen feststellen, dass es „normales“ Miteinander im Arbeitsleben von Juden und Arabern gibt. Und schon in viel stärkerem Maß gegeben hat. Nicht durch die israelische Politik wurde vieles zerstört, sondern durch Indoktrination der einfachen Araber durch ihre Führer und Feindseligkeiten, die darauf folgten. Leider ist dadurch viel Vertrauen zerstört worden,

Im Luftreich des Traums

gegen Ideologien

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

Eine Diskussion
Normalerweise erlebe ich im Bekanntenkreis keine Diskussionen...
anne.c - 20. Aug, 22:37
400 „Kulturschaffende“...
Gerade einmal eine Woche ist vergangen, nachdem bis...
anne.c - 11. Aug, 19:27
Noch einmal über Medien
Die Welt besteht nicht nur aus Medien und das Leben...
anne.c - 29. Jul, 11:13
Noch ein Schreiben, diesmal...
12.07.2025 Infos am Morgen im DLF: „Immer wieder verzerrte,...
anne.c - 16. Jul, 17:16
Apartheit im Ökumenischen...
1 .Ein abgeschickter Brief an Bischof a.D. Bedfort-Strohm Herr...
anne.c - 8. Jul, 05:51
Reaktionen nach dem Angriff...
Dieser Beitrag wird ein wenig veraltet wirken, zu rasch...
anne.c - 1. Jul, 22:28
Presseclub
Vor der Fortsetzung der Reaktionen des Angriffs Israel...
anne.c - 24. Jun, 21:21
Reaktionen nach dem Angriff...
Die Reaktionen von offiziellen Medien und Bevölkerung...
anne.c - 21. Jun, 15:11
Nachtrag zu den Stolpersteinen
Vor Kurzem spazierte ich durch die kleine böhmische...
anne.c - 19. Jun, 23:09
Stolpersteine
Das sind diese kleinen quadratischen, messingfarbenen...
anne.c - 5. Jun, 21:28

Links

Suche

 

Status

Online seit 5124 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 20. Aug, 22:43

Disclaimer

Entsprechend dem Urteil des Landgerichts Hamburg vom 12.05.1998 gilt für alle Links und Kommentare auf diesem Blog: Ich distanziere mich hiermit ausdrücklich von allen Inhalten aller verlinkten Seitenadressen und aller Kommentare, mache mir diese Inhalte nicht zu eigen und übernehme für sie keinerlei Haftung.

Impressum

Anne Cejp
Birkenstr. 13
18374 Zingst