Früh kam ich in die Küche, da hörte ich schon aus dem Radio (DLF): Palästinenser und Israeli wollen beide von ihren Verhandlungspositionen nicht abrücken und haben …… Verhandlungen abgebrochen. Das hatte sonst keinen speziellen Nachrichtenwert. Ich habe den Eindruck, DLF muss gebetsmühlenartig so etwas unter die Leute bringen. Also die „Unversöhnlichkeit, sowohl der einen, wie auch der anderen Seite“. Einmal geht daraus hervor: die einen sind wie die anderen. Man sollte sich die Verhandlungsbemühungen, die Standpunkte der jeweiligen Seite mal genauer ansehen, auch die Kompromisse zu denen sie bereit waren oder sind, die Folgen, die aus diesem oder jenem Verhandlungsergebnis entstanden sind. So genau will man es dann aber auch nicht wissen, man will nur hören: der eine ist genauso wie der andere.
Wenn das erklärte Ziel der Hamas es ist, alle Juden zu vernichten und das erklärte Ziel Israels, dass das Land in Frieden und gewährleisteter Sicherheit existieren kann, dann sind das jeweils die 100 % der Vorstellungen. Wenn Israel auf keine der Forderungen eingeht, die dazu führen sollen, dass seine eigene Vernichtung erreicht werden soll, so rückt es also von keiner Verhandlungsposition ab. Hamas rückt ebenfalls nicht ab, denn ihr erklärtes und in ihrer Charta fixiertes Ziel ist die Vertreibung aller Juden aus Israel und Palästina, und die Tötung aller Juden (Art. 7). Also, wenn keiner von beiden von seiner Position abrückt, dann heißt das bei DLF: beide sind gleichermaßen kompromisslos. Das ist so die Logik, nicht nur vom DLF. Immer wieder begegnet man ihr bei Aussprüchen wie: „Sie wollten doch freie Wahlen in Palästina. In Gaza wurde nun mal die Hamas demokratisch gewählt, nun müssen sie sie doch anerkennen!“ Da schwingt natürlich auch mit: „Hitler wurde ja auch demokratisch gewählt, also war alles was er machte, demokratisch legitimiert, was wollt ihr also?“
Und die Kirche macht bei allem mit. Ich bekam verschiedene Kirchenblätter in die Hand, in allem ist Antijüdisches. Es ist so normal, niemand achtet darauf. Wenn von Christenverfolgung in islamischen Ländern die Rede ist, dann etwas bekümmert und sehr versteckt unter der Rubrik „Vermischtes“. Die Gründung des Staates Palästina ist der brandenburgischen Kirchenzeitung dagegen eine ganze Seite wert. Ein Bischof als Leiter des Jerusalemvereins: Der Staat Palästina muss anerkannt werden! Da wird nicht gefragt, wie der Staat sich definiert, welche Verfassung er sich gibt, welche Gesetze und Grundlagen er haben sollte. Er muss anerkannt werden, auch wenn dann demokratisch die Hamas an die Macht kommt, alle Christen aus dem Land wirft, alle Juden umbringt, weil das ja nun mal in ihrer Charta steht. Der Demokratie muss Genüge getan werden. Wenn es in dem Staat Palästina einem Moslem in den Sinn käme, Christ zu werden, kann er – damit dem Gesetz Genüge getan wird – auch gern umgebracht werden, wie es jetzt in Iran dem Pfarrer Jussef Nadarchani droht. Das ist den christlichen Meinungsmachern immer noch lieber als Juden. Es ist eher zu ertragen, selbst von Moslems umgebracht zu werden, als dass Juden existieren. Darauf läuft es hinaus, wenn man diese Gedanken konsequent zu Ende denkt. Eine kaputte Welt.
anne.c - 2. Nov, 11:06
Ich habe meine Hauptblogs, in denen ich studiere, und die mich immer mal auf irgendetwas Interessantes bringen, dem ich dann wieder nachgehe. So sind ganz deutliche Linien zu erkennen. Man „trifft“ immer wieder die gleichen Leute und erkennt Zusammenhänge. Manchmal gehe ich einer interessanten Spur nach. Meistens mit Grausen. Da äußert einer etwas zu Tötungstheorien über Ghaddafi, man findet weitere Meinungsäußerungen, manchmal sogar eine Website. Mir wird oft schlecht, wenn ich mit so einem x-beliebigen Menschen bekannt werde. Ich denke dann, ohne das Internet würde ich nichts von diesem Menschen wissen und schon gar nichts über seine krausen Gedanken.
Es hat keinen Sinn, da irgendeiner Logik folgen zu wollen, man muss nur sehen, wohin die Spur führt. Spuren jener Art führen meistens zur Verherrlichung von Diktatoren und zum Beschuldigen von Juden. Da gibt es unendlich viele Arten, ja sogar ein ganzes Vokabular, seine Meinungsäußerungen der jeweils „angebrachten“ Situation anzupassen. Im öffentlich rechtlichen Rundfunk redet man anders als im kirchlichen Jargon, in Hinterzimmern und speziellen Foren anders als auf Reden an Gedenktagen. Es kommt immer mal vor, dass Übereifrige die „angebrachte“ Situation nicht richtig einschätzen können, und dann gibt es die beliebten Eklats. Beliebt sind diese Eklats, weil man sie wieder den Juden anrechnen kann, die nie Ruhe geben. Ein schönes Beispiel ist der Herr Hohmann, bei dem sich seine engeren Parteifreunde noch bis heute nicht erklären können, warum diesem armen Mann „Unrecht“ geschah.
anne.c - 29. Okt, 16:00
In meiner Kindheit war ich es gewöhnt, dass in "guten Stuben" zwei Sorten von Fotos die Wände schmückten: Die Hochzeitsfotos der Kinder und Enkel und die Fotos der gefallenen Angehörigen. Manchmal waren diese Soldatenfotos mit einer Trauerschleife oder einem Blumenkranz versehen, in jedem Fall war aber der Angehörige in seiner Uniform abgelichtet. Ich fand es so normal und selbstverständlich, dass ich darüber nie nachgedacht hätte.
Ich wusste: es gab Angehörige, die "gefallen" waren. Diese Tatsache wurde von keinem in Frage gestellt, es wurde nicht weiter darüber gesprochen. Da dieses Schicksal ein Massenschicksal war und auch schon einige Jahre zurück lag, klang dieses "gefallen" nicht so sehr tragisch, nur etwas wehmütig. Wenn in Bezug auf den Krieg etwa von irgendeiner "Schuld" die Rede gewesen wäre, dann sprach man manchmal von den Russen oder dem Feind oder noch Geheimnisvolleren, Unbenannten. Aber solche Sätze, wie ich sie denken würde, etwa: "Mein Angehöriger musste gegen seinen Willen in den Krieg ziehen, dort Dinge tun, die er nie wollte, er ist elend umgekommen, und die, die ihn dazu zwangen, denen geht es heute gut, und sie übernehmen für nichts eine Verantwortung", so etwas hörte ich nie.
Inzwischen sind Kriegerfotos nur noch selten an den Wänden zu sehen. Vielleicht denkt man gerade darum eher darüber nach, wenn man sie noch einmal erblickt. So erging es mir bei einem Besuch, als ich die gefallenen Brüder meiner Gastgeber in Uniform an der Wand sah.
Die für mich entscheidende Frage ist: warum denkt man an die verlorenen Angehörigen, warum trauert man um sie, in dem man sie in ihren Uniformen abgelichtet an die Wand hängt? Wenn ich einen nahe stehenden Menschen als Soldat im Krieg verloren hätte, in diesem Krieg, der brutal und barbarisch die Welt mit Mord überzogen hatte, niemals hätte ich denjenigen in einer Uniform noch mein Leben lang sehen wollen. Warum werden nicht andere Fotos an die Wand gehängt, lebendigere, authentischere? Es scheint mir, als hätten diejenigen, bei denen diese Fotos an den Wänden hängen, diesen Krieg als etwas, was so sein musste, akzeptiert und verinnerlicht. Sie stellen nicht den Krieg in Frage, nicht die Tatsache, dass ihr Angehöriger dazu gezwungen wurde und auch nicht die Tatsache, dass er darin umgekommen ist.
Diese Fotos tun den armen Gefallenen Unrecht. Bis ans Ende ihres abgelichteten Daseins werden sie nur als Soldaten wahrgenommen, sie werden dazu verurteilt, für diesen Krieg dazustehen, sie übernehmen sozusagen einen Teil der Verantwortung, selbst wenn sie möglicherweise den Krieg und das, was sie sahen, erlebten, taten, verabscheut hatten. Sie hätten es verdient, der Nachwelt als die Menschen, die sie tatsächlich gewesen sind, nahe gebracht zu werden!
Die Sache mit den Soldatenfotos ist für mich die Illustration eines Gedankens, der mir in irgendeiner Weise oft im Kopf herumgeht: Warum stellen die Leute das, was gewesen ist, nicht in Frage? Warum kommen sie nicht auf die Idee, dass man auch ganz anders hätte handeln können? Alles was war, "das musste eben so sein". Aber nicht nur das, sie zementieren das, was gewesen ist, in dem sie z.B. diese Kriegerfotos an die Wände hängen. Auf fatale Weise engen sie sich, indem sie die Vergangenheit nur auf eine ganz bestimmte Art sehen können, auch in der Gegenwart ein und machen ein freies Denken und Handeln auch für die Zukunft nicht möglich.
anne.c - 26. Okt, 12:02
Neulich, im Halbschlaf stellte sich für mich ein Zusammenhang zwischen der Vorliebe für ökologische Kost und Antisemitismus her. Ich weiß nicht mehr, wie das zustande kam. Nicht dass ich meine, die Naturanbeter wären Antisemiten, obwohl das sicher manchmal der Fall ist. Es war mehr die Art der Logik, wie Öko-Fanatiker felsenfest von etwas überzeugt sind, ebenso wie die Antisemiten, und ihre verquere Denkweise, die jeder Logik widerspricht, ihnen den Beweis für ein noch stärkeres Festhalten an ihren Glaubensüberzeugungen liefert.
Es ist mir eingefallen, wie ich es im Halbschlaf gemeint haben mag: Es ist die Weltanschauung der Fanatiker, die etwas Bestimmtes bekämpfen wollen - was eigentlich in ihnen selbst liegt -, und die sich dazu einen Feind projizieren. Was ihnen auch zustößt: der Feind hat Schuld, seien es die Juden, seien die Gifte. Wenn man einem Antisemiten sagen würde, dass so viele Juden umgebracht wurden, und trotzdem gibt es all die bösen Dinge, die er den Juden anlastet, so würde er sagen, dass es immer noch genug von ihnen gäbe. Wenn man einem ökologischen Fanatiker sagen würde, dass jemand trotz peinlichster Einhaltung der ökologischen Regeln sehr krank geworden ist, so würde er sagen, dass immer noch genug Gift und Schadstoffe die Krankheit bewirkt haben und dass die Regeln nicht streng genug eingehalten wurden.
anne.c - 23. Okt, 11:03
Ich studierte in „meinen“ Blogs, wie sich verschiedene Leute zur Freilassung Gilad Shalits äußerten. In den Blogs war überwältigende Freude zu spüren, ein starkes Gemeinschaftsgefühl bei gleichzeitiger Reflexion, was die Freilassung und der Tausch des einen Unschuldigen gegen 1000 Schuldige bedeutet. Wie das israelische Volk geradezu mit sich ringt, ob dieser Deal zu rechtfertigen sei, was für Folgen er haben könnte, welche Gefahren, aber auch welche Chancen er birgt. Wie dann aber das Erleben dieses einen lebenden Menschen und auch seiner Angehörigen die Zweifel beiseite wischt. Weil den Menschen, ich würde sogar sagen der Menschheit, gezeigt wird, was ein Mensch wert ist. Wenn man Bilder sieht, wo die zurück kehrenden Palästinenser umso frenetischer bejubelt werden, je mehr Blut sie an den Fingern haben und das mit der Freude gepaart mit Nachdenklichkeit in Israel vergleicht, dann kann man allen Moralisten nur sagen: Schaut hin! Ist es wirklich „Dasselbe“ oder „einer genauso schlimm, wie der andere“, wie ich es in Predigten und bei Diskussionen schon mehrfach gehört habe? (Ich bin mir sicher, dass Pastor Wandel von den „zeitzeichen“ (Eintrag vom 16.10.) eine passende Antwort darauf finden würde).
Beim Nachdenken über Gilad Shalit fallen mir zwei parallele Situationen ein: Menschen geben ihre bisherige Existenz auf und widmen ihre gesamte Zeit, ihr Leben einer Sache, die es ihnen Wert ist. In Israel campierten die Eltern von Gilad Shalit 15 Monate lang in einem Zelt vor der Residenz des Premierministers um Israel und die Welt auf das Schicksal ihres Sohnes hinzuweisen und für seine Befreiung zu kämpfen.
In Deutschland sitzt direkt vor dem Kölner Dom Tag für Tag ein Mann, der seine gesamte Existenz dafür einsetzt, vor aller Welt Juden als Kindermörder anzuprangern. Wenn man einmal in Jerusalem in der Gedenkstätte Yad Vaschem gewesen ist, in der Halle für die 1,5 Millionen jüdischer Kinder, die im Holocaust umgebracht worden sind, von Landsleuten von diesem Walter Herrmann (und auch Landsleuten von mir), wenn man sich dann noch überlegt, wie in den Medien, in den Kirchen so etwas ignoriert wird oder unter dem Motto: „Es ist ja auch etwas daran“ abgetan wird, dann kann man nur sagen: Eine perverse Welt.
anne.c - 19. Okt, 18:30
Ein Leserbrief vom 15. 10.2011 an die evangelische Monatszeitschrift „zeitzeichen“
Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, was in der öffentlichen Kommunikation ein Troll ist:
Der Begriff Troll wird in der Netzkultur für eine Person verwendet, die mit ihren Beiträgen in Diskussionen oder Foren unter Umständen stark provoziert. Mutmaßliches Ziel des Trolls ist das Stören der ursprünglich an einem Sachthema orientierten Kommunikation und das Erlangen von Aufmerksamkeit.
So ein Troll hat sich in die Redaktion ihrer Zeitschrift in Form von Herrn Jürgen Wandel eingeschlichen. In seinem letzten Kommentar "Mit der Keule" schlägt er sozusagen mit der Keule auf diejenigen ein, die sich kritisch mit einem Artikel im "Deutschen Pfarrerblatt" auseinander setzen, ein. Sowohl Sprache als auch seine verdrehte Argumentationsweise von Herrn Wandel sind direkt aus einer "braunen" Ecke entsprungen, angereichert mit eigenem "schwarzen" Gedankengut: dem naturgegebenen Hass zwischen Religionen, ja sogar Konfessionen.
Ich möchte den Satz: "Wer in Deutschland Israel kritisiert, bekommt schnell die Antisemitismuskeule zu spüren" nicht in einer evangelischen Zeitschrift lesen, sonst werde ich mich sehr schnell trollen und zwar aus der evangelischen Kirche. Mit Menschen, die so reden und denken, möchte ich nichts zu tun haben. Und ebenfalls nicht mit Menschen, die eine Sprache, wie Herr Wandel sie pflegt, als normal ansehen und sie unwidersprochen in Zeitschriften abdrucken.
Freundliche Grüße A.C.
anne.c - 16. Okt, 17:20
Abends erzählte ich P. in allen Details die Erlebnisse beim Verschwörungstheoretiker. Wenn letzterer auch von sich gewiesen hatte, eine Verschwörungstheorie aufgestellt zu haben, so kann man ihn durchaus als Theoretiker für diejenigen, die Verschwörungstheorien aufstellen, bezeichnen. Was die nachmittägliche Veranstaltung erwiesen hatte.
P. sagte: „Da hätte gerade noch gefehlt, dass Herr Broder in seinem Käppi da herein gestiefelt wäre um sich einzumischen“. Mir fiel es wie Schuppen von den Augen: Ich h a t t e das alles tatsächlich schon erlebt. Im Film. Genau dieses Bürschchen Paul S. hatte im Film „Entweder Broder – Die Deutschlandsafari“ (Teil II/1: Guck mal, wer sich da verschwört) am Tisch gesessen, und Herr Broder war dazu gekommen und hatte Fragen gestellt. Herr Broder hatte zwar nicht die Rolle unseres echten Experten gespielt – im Gegenteil -, aber als authentisches Outfit für einen Auftritt beim Verschwörungstheoretikern hatte er sich seine Kleidung: Rangeruniform und Käppi perfekt gewählt.
Ich hatte sogar zu P. Ähnliches gesagt, wie Herr Broder und Herr Abdel-Samad in ihrer obligatorischen Nachbesprechung: Wie beruhigend, dass solche Veranstaltungen spärlich besucht in Hinterzimmern stattfinden. Gefährlich wird es, wenn der Irren zu viele werden oder wenn die Irren zu mächtig werden. In Gedanken hatte ich hinzugefügt: Dass solche Irren von der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen werden, kann aber auch ein schlechtes Zeichen sein.
anne.c - 14. Okt, 11:41
In einem Kurort in unserer Gegend wurde eine Buchmesse veranstaltet, bei der regionale Verlage ihre Neuerscheinungen und in der Region ansässige Schriftsteller ihre Werke vorstellten. Ich sah mir das Programm an. Ein junger Schriftsteller, Sohn eines in der DDR populären Verfassers von Politthrillern, hatte die Ereignisse rund um den 11.9.2001 recherchiert und gab sie der Öffentlichkeit bekannt. Ein junger Mann von hier, Sohn unserer Landschaft, in diesem Metier! Die Lesung wollte ich mir nicht entgehen lassen. Ich fuhr früh los, damit ich rechtzeitig einen Sitzplatz bei der Lesung bekomme. Ich hatte dann aber Schwierigkeiten mit dem Parkplatz und traf erst minutengenau in der Messehalle ein. Es war das verlängerte erste Oktoberwochenende. Im Ort wimmelte es von Menschen. Ein Künstlerort. Dementsprechend wirkte das Publikum. Künstler, Kunstinteressierte oder Menschen, die sich gern im künstlerischen Flair bewegen.
Die Messehalle hatte einen kleinen abgetrennten Raum für Lesungen. Ich fragte am Einlass, ob die Veranstaltung hier stattfindet und ob man Eintritt zahlen müsste. Die Dame dort sagte etwas verlegen: „Eigentlich ja….., aber setzen sie sich doch einfach da hin“. In einer Stuhlreihe saßen drei Personen, unschwer als Angehörige des jungen Schriftstellers zu identifizieren. Und nun noch ich. Der Schriftsteller Paul S. kam. Er überlegte, ob er überhaupt anfangen solle. Dann trafen aber noch zwei Ehepaare ein, und so fand die Lesung statt.
Paul S. betonte, dass er keinesfalls eine Verschwörungstheorie zum 11.9. hätte. Er hätte nur Fakten zusammengetragen, und die Schlüsse daraus solle jeder für sich selbst ziehen. Man muss es Paul S. zugestehen, dass er recht gute rhetorische Fähigkeiten hatte. Die Lesung, die hauptsächlich die Lebensläufe von Donald Rumsfeld und Dick Cheney umfasste und ihr Zusammenwachsen zu einer Art Connection in engster Verbindung mit der amerikanischen Öl- und Rüstungsindustrie war außerordentlich langweilig, und trotzdem las er so gut, dass man nicht einschlief und sogar ein wenig mitdenken konnte. Es gab deutliche Hinweise, dass seit Jahren darauf hingearbeitet wurde, in den USA eine Situation zu schaffen, die es ermöglichte, die Verfassung außer Kraft zu setzen. Ebenso war eine deutliche Linie zu erkennen, Vorwand für einen Krieg zu schaffen, damit die entsprechenden Industrien zum Zuge kommen können. Dass in solch einer Situation billigend der Tod vieler eigener Leute in Kauf genommen würde, hätte Tradition, denn so wäre es damals 1941 in Pearl Harbour auch gewesen, als der amerikanische Präsident schon im Vorherein vom Angriff der Japaner gewusst hätte, aber den Überfall als guten Anlass ansah, seinem „kriegsmüden“ Volk ein wenig auf die Sprünge zu helfen, was wiederum der Rüstungsindustrie auf die Sprünge half. Ob sowohl Pearl Harbour als auch 9/11 von den Amerikanern selbst erdacht und ausgeführt worden war, blieb unklar, denn das Motto der Schriftstellerlesung war: „Man kann es so sehen, man kann es aber auch so sehen, und seine Meinung muss sich jeder selbst bilden.“
Diese zweideutige Aufforderung wurde in der anschließenden Diskussion gern aufgenommen. Diskussion ist übertrieben, denn lediglich ein Mann aus der kleinen Besucherschar stellte sich als redseliger Experte heraus. Es war ein älterer korpulenter Herr, der sich schwer auf seinen Stock stützte, gekleidet in eine Art Rangeruniform mit einem Käppi auf dem Kopf, das unerklärlicherweise einen Anstecker mit einer britischen Flagge hatte. Es war ein Fachgespräch unter Gleichrangigen. Die Fakten flogen einem nur so um die Ohren: Flughöhen, Flugwinkel, Uhrzeiten……. Ein Stichwort gab das andere: „Kennen sie auch Andreas von Bülow?“ „Selbstverständlich. Staatssekretär im Verteidigungsministerium. Unter Helmut Schmidt“. Das Gespräch war fast emotionslos, dafür aber sehr intensiv. Der korpulente Herr äußerte lediglich Bekümmerung über sich selbst. Denn er hätte so viel überlegt um seine eigenen Vermutungen zu entkräften, aber es wäre einfach nicht anders möglich. „Niemals hätte ein Fluganfänger diesen Winkel fliegen können…..“ und: „ 9.24 Uhr!! Das wäre doch absurd, dass Al-Quaida Interesse am Tod der vielen kleinen Leute gehabt hätte. Die hätten doch das Finanzkapital treffen wollen, und die ganzen Juden kamen doch erst nach 12 Uhr in ihre Büros!“ Paul S. hielt sich bedeckt, und wiederholte seinen Spruch: „Man kann es so sehen, …..“
Wohl wissend, dass es nach einer solchen Veranstaltung – egal wie sie verlaufen würde – nichts Schöneres geben kann als ein entspanntes, und nur privates Gespräch unter angenehmen Menschen, hatte ich mich anschließend bei Freunden zum Kaffeetrinken eingeladen. Der Kaffeetisch war schon gedeckt. Die einzigen Sätze, die dabei über die nachmittägliche Veranstaltung fielen waren so: Ich hatte meine Verwunderung darüber geäußert, dass keine Einwohner des Ortes gekommen waren. Ich erhielt die Antwort: „Ach, die S., die sind hier im Ort sehr unbeliebt. Zu denen geht von uns keiner“.
anne.c - 11. Okt, 14:15