Montag, 10. Oktober 2011

Menschenbild

Ich bin misstrauisch gegen alles „moralische“ Reden. Mir gehen einige Redensarten im Kopf herum, auf die ich, zufällig, in den letzten Tagen stieß. „Man muss den Menschen ihre Würde zurück (!) geben“ (gemünzt auf alte Leute im Heim), „die Gesellschaft muss Kindern Liebe geben “, und in unserer Lokalzeitung die schon makabre Überschrift: „Sterbenden Wärme geben“. Das ist ein Menschenbild! : Den Menschen als entmündigtes Wesen ansehen, das man mit irgendetwas beglückt. Die sind dann auch in der Lage, wenn der Mensch ihnen nicht genehm ist, ganz andere Dinge zu geben.

Donnerstag, 6. Oktober 2011

Zum Nationalfeiertag der Tschechischen Republik, 28.9.2011 (Teil 2)

In Gedanken befand ich mich auch lange danach noch in der Krypta und beschäftigte mich mit den Ereignissen rund um das Heydrich-Attentat. Ich überlegte, wie heutzutage die Sicht gewisser deutscher Qualitätsmedien darauf sein könnte. Ich stelle es mir so vor:


„Wie fremd ist uns doch das Volk der Tschechen! Eine ihrer nationalen Gedenkstätten errichten sie an einem Ort, in dem sich tagelang die Mörder eines 38-jährigen Familienvaters und begnadeten Violinisten verschanzt hatten. Nachdem die Mörder einer schwangeren Frau ihren Mann und unmündigen kleinen Kindern ihren Vater genommen hatten, begingen sie das Sakrileg, sich samt ihren Waffen in einer Kirche zu verstecken, darauf bauend, dass die Heiligkeit dieser Stätte sie vor Verfolgung schützen würde. Ohne Respektierung heiliger Gefühle von Gläubigen hatten sie in jener Kirche sogar Waffen benutzt. Als ihnen bewusst wurde, dass sie keine Chance hatten, sich weiter zu verbergen, entzogen sie sich einem gerechten Verfahren durch Selbstmord – eine Tat, die wiederum religiöse Gefühle verletzt. Sie waren nicht einmal willens, für ihr Tun in einer rechtmäßigen Gerichtsverhandlung gerade zu stehen! Ihr Opfer Reinhard Heydrich war zwar kein Unschuldslamm, keine Frage. Dennoch: er hatte ein so offenes Verhältnis zu der ihm anvertrauten Bevölkerung, dass er sich nicht scheute, im offenen Wagen durch die Stadt zu fahren. Dieses Vertrauen wurde grob missbraucht, in dem diese - im englischsprachigen Raum unter fragwürdigen Umständen ausgebildeten und von den Tschechen nun als Helden bezeichneten - Soldaten ihn ohne ihm die Chance zu lassen, sich zu verteidigen, mit einer Handgranate liquidierten. Könnte man sich da nicht die Frage stellen, wo die Liquidierung unerwünschter Personen ohne vorheriges Urteil ihre Ursprünge hat?“

Mittwoch, 5. Oktober 2011

Nationalfeiertag in der Tschechischen Republik, 28.9.2011 (Teil 1)

Vor einer Verabredung gingen wir in Prag in der Gegend des Karlsplatzes noch ein wenig spazieren. P. sagte: „Kuck mal, hier ist die Kirche, wo damals die Paraschutisten in der Krypta umkamen“. Ich war geschockt. Ich konnte schwer fassen, dass das was ich als geschichtliches Ereignis sehr lebhaft in mir gespeichert habe, einen konkreten Platz bekommen hatte. Oft hatte ich mich gefragt, wo wohl jene Kirche sein möge, in der die Heydrich-Attentäter damals Zuflucht gefunden hatten. Ich kam jedoch nie auf die Idee, danach zu suchen. Und nun war sie dicht am Karlsplatz, nicht weit von der italienischen Eisbar, wo wir so oft Eis gegessen haben!

Die Tschechen hatten die Krypta inzwischen zur nationalen Erinnerungsstätte erklärt. Das muss man sich immer vor Augen halten, wie die tschechoslowakischen Kommunisten über Jahrzehnte versucht hatten, jede Erinnerung an diese Tat zu unterdrücken und sie sogar zu diskreditieren. Weil das Attentat von der tschechoslowakischen Exilregierung in London geplant war und nicht etwa in der Sowjetunion. Bis heute wirkt das nach, wie wir am folgenden Tag erleben konnten.

Wir gingen am nächsten Tag zum Karlsplatz (bzw. zur Ressl-Straße) um uns die Krypta anzusehen. Es war der Nationalfeiertag in Tschechien, der Tag des heiligen Wenzels. Ein herrlicher warmer Tag. Die Stadt war voll von Menschen. An der nationalen Gedächtnisstätte, die wir besuchen wollten, hing ein Schreiben: „Heute geschlossen, wegen Staatsfeiertag“. Da hatten die Deutschen doch ein anderes Verhältnis zu Nationalfeiertagen! Sie pflegten zu den entsprechenden Nationalfeiertagen bei den besetzten Völkern besonders ausgeklügelte Massaker durchzuführen, gern unter staatstragenden Personen und der intellektuellen Elite des Landes. Pünktlich zum Tag des heiligen Wenzels war Heydrich damals in Prag eingetroffen und hatte unverzüglich mit seinem Terrorregime begonnen. Gerade jährte sich dieser Tag zum 70. mal! So machten wir uns noch einmal auf den Weg. Diesmal war kein Feiertag, so war der Weg in die Krypta der „St. Cyril+Method - Kirche“ freigegeben, und wir konnten eines der wichtigsten Ereignisse der neueren tschechischen (und slowakischen) Geschichte gedenken. Wenn auch nicht am Nationalfeiertag, an dem es eigentlich angebracht gewesen wäre. Die Krypta war gut besucht.

Montag, 3. Oktober 2011

Eine Impression zum Thema Patriotismus

Vor einiger Zeit saßen wir mit einem Mann zusammen, den wir unter uns „Standa“ nennen, weil er uns an einen unserer früheren Bekannten mit diesem Namen erinnert. Seit Jahren trafen wir ihn oft bei Konzerten, hatten aber nie ein Wort miteinander gesprochen. Früher begleitete er seine immer älter werdende Mutter, die genauso aussah wie er, und die dann eines Tages nicht mehr da war. Danach hatte er seine Frau bei sich, die Ähnlichkeit mit der Mutter aufwies. Jedenfalls saßen wir mit dem Ehepaar nun am Tisch zusammen, und der Herr erwies sich als munterer redseliger Berliner, ostdeutscher Prägung, der in seinem Berufsleben viel herumgekommen war und davon erzählte. Er unterhielt sich angeregt mit dem rumänisch-deutschen Musiker, der das Konzert gegeben hatte. Irgendwie kam die Rede auf Nationalität und Patriotismus, und „Standa“ machte die Bemerkung: „Gäbe es doch nur etwas mehr Patriotismus. Heutzutage darf man ja das Wort Patriotismus gar nicht in den Mund nehmen, ohne gleich in die rechte Ecke gedrängt zu werden!“

Wenn ich so etwas höre, dann denke ich (im Berliner Jargon): Nachtigall, ich hör dir trapsen! Nicht, dass ich Standa nun für einen Rechten halte, obwohl ich ihn durchaus in die rechte Ecke einordne. Abgemildert wird meine Meinung über ihn auch durch die Tatsache, dass er seine Bemerkung mit „Heutzutage“ einleitete, womit oft eine Bemerkung beginnt über etwas, was man sich nicht selbst erworben hat, sondern was abgehört und abgelesen ist und was fast ausnahmslos mit der Realität wenig gemeinsam hat. In erster Linie sprechen solche Bemerkungen von fehlendem Denkvermögen, aber einen rechten Touch haben sie natürlich. Warum auch nicht? Ich verstehe nur nicht, warum die Leute sich so dagegen sträuben, als „rechts“ eingeordnet zu werden.

Freitag, 30. September 2011

In Ravensbrück

Vor kurzem besichtigte ich zum ersten Mal im Leben eine KZ-Gedenkstätte. So oft bin ich die Straße 96 von und nach Berlin gefahren: in der Jugend unzählige Male getrampt, in letzter Zeit immer mal mit dem Auto. Die Hinweise auf die Konzentrationslager Sachsenhausen bei Oranienburg und Ravensbrück bei Fürstenberg gab es schon immer. Allerdings, wenn man unterwegs ist, unterbricht man die Reise nicht gern, und so hatte ich nie die Gelegenheit wahrgenommen, mich dort umzuschauen.

Nun hatte ich auf einer Fahrt genügend Zeit, und so fuhr ich zur KZ-Gedenkstätte Ravensbrück, die am Rand von Fürstenberg zwischen See und Wald gezwängt, fast malerisch da lag. Es war ein normaler Dienstag Nachmittag. Kein Gedenktag weit und breit. So befand ich mich ganz allein auf dem großen Lagerplatz. Die Insassen des einen Reisebusses, der auf dem Parkplatz stand, waren wohl irgendwo in den Ausstellungsräumen.

Der Lagerplatz war vollkommen leer, einige Baracken säumten den Rand. Auf dem leeren Platz gab es Tafeln, die auf die früheren Gebäude und Gegebenheiten hinwiesen. Einige Informationsstelen und Skulpturengruppen in der Nähe des Eingangs belebten die recht eindrucksvolle Öde. In einem Nebengebäude lag das große „Buch der Toten“ aus, in dem – gut gestaltet – die Namen aller in Erfahrung gebrachten Ermordeten alphabetisch aufgezeichnet waren. Ich suchte den Namen Milena Jesenská - tatsächlich, er stand genau an der richtigen Stelle. Um mich in den Ausstellungs- und Informationsräumen im Hauptgebäude umzusehen, fehlte mir dann doch die Zeit, aber ich studierte einige Stelen und eine kleine Ausstellung über die Geschichte des Lagers. An der Gestaltung der schriftlichen Zeugnisse und Darstellungen war zu erkennen, dass man sich große Mühe gegeben hat, die Geschehnisse rund um das Lager historisch genau zu erfassen und in einen Kontext zu bringen. Ganze Kommissionen von Historikern zeichneten sich verantwortlich. Man hatte den Eindruck, dass um jede Formulierung gerungen worden war. Ich dachte: Fast alles weiß man, es ist erforscht und ausgewertet worden. Jeder kann erfahren und wissen was er will und sich seine Meinung bilden. Also muss es nicht Unwissenheit, sondern gesellschaftlicher Wille sein, dass man täglich Entgleisungen erlebt oder zu hören bekommt. Hier gab es keinen Hinweis von Bischof Mixa, dass es in Israel ähnliche Lager gibt. Hier hat kein Kirchenzeitungsredakteur Hoeffchen seinen Beitrag dazu gegeben, dass er sich dafür schämt, nicht übersehen zu können, dass die Nachkommen jener Ermordeten schlimme Taten begehen.

Fast mehr berührt als das Lager der Häftlinge hat mich ein anderes "Lager". Wahrscheinlich weil es in meinen Vorstellungen von einem KZ nicht vorhanden war. Das war die pompöse Siedlung der SS-Mannschaften. Fast ebenso groß lag sie direkt am See auf einer leichten Anhöhe behäbig über dem Häftlingslager. Der Kontrast der beiden sich gegenüber liegenden Lager sagte viel aus, und er führt mir vor Augen, wie beim heutigen Gedenken die Häftlinge zwar als Projektionsfläche für alles mögliche genutzt werden, die Täter aber als schemenhafte und namenlose, fast nicht vorhandene Gestalten in den Schatten gerückt werden. Hier war der Zusammenhang nicht zu übersehen.

Am Ausgang erblickte ich, noch auf dem Lagergelände, in eine Ecke der Umzäunung platziert, eine etwas abgeschabte leere moderne Halle, wie eine Kaufhalle sah sie aus. Das also muss der Supermarkt gewesen sein, der in den 90-ger Jahren für Schlagzeilen sorgte, und dessen Eröffnung dann wohl doch die Demonstrationen der ehemaligen Häftlinge verhindert haben. Für den die Einwohner sich vehement eingesetzt hatten, weil genau an seiner Existenz der Aufschwung von Fürstenberg hängen würde. Die die Meinung verkündet hatten, „nur wegen dem KZ“ würde nun der Fortschritt an ihrem Städtchen vorbei gehen müssen. An dieser abgelegenen Stelle der Stadt, die rundherum viele große Flächen und Supermärkte sowieso genug hat. Ich glaube, das war für mich der stärkste Eindruck: Häftlings- und Bewachergelände bildeten irgendwie eine Einheit, aber der Anblick der leeren Kaufhalle in der Zaunecke, der hatte etwas Absurdes. Kein Wunder, dass hier Kafkas Freundin umkam.

Samstag, 17. September 2011

Nachbetrachtungen zum 11.9. (Teil 3) oder: ein Neujahrsgruß

Der Neujahrsgruß, den ich vor vier Jahren von unbekannten Leuten erhielt, war zwar ungewöhnlich, aber mich setzt in dieser Hinsicht nichts in Erstaunen – eben ein Déjà-vu. Solch seltsame Dinge erlebt man ständig, wenn man wach ist, sie wahrzunehmen. Etwas deprimiert es mich, etwas versetzt es mich ins Nachdenken, leider macht es mich am meisten müde.

Zuerst dachte ich lange nach, von wem der Gruß gesendet worden sein mag. Eine leise Ahnung sagte mir, dass es Leute seien, mit denen ich auf einer Exkursion in eine lebhafte Unterhaltung geraten war, und die wohl meine Adresse in ihren Adressenverteiler aufgenommen haben. So wurde ich Empfängerin, des eigens, weniger mit gestalterischer, dafür aber mit geistiger Sorgfalt und innerem Engagement, verfassten und vervielfältigten Neujahrsgrußes.

Als „besinnlicher Aufmacher“ sprang einem gleich der von einem New Yorker Einwohner am 11. September 2001 geschriebene Aufruf ins Auge: „Was ich mir wünsche für Amerika“, der zum Inhalt hatte, dass Amerika nun, nach diesem Terror, für die Seelen der Terroristen beten solle, allen Moslems Sicherheit gewähren und nicht die üblichen amerikanischen Racheakte, wie z.B. in Hiroshima vollführen solle. Als persönliche Grußworte folgten einige Sätze, in der verdrehten Art, die ein höheres geistiges Niveau kennzeichnen soll: Man wünschte zum neuen Jahr nicht etwa: „Frieden, Harmonie und Freude“, sondern „wache Sinne für Frieden, Harmonie und Freude“.

Was soll man dazu sagen? Warum schreiben wildfremde deutsche Menschen anderen wildfremden deutschen Menschen, was ein Einwohner von NY am Tag des Terrors, aus welchen Gründen auch immer, aufschrieb, als Neujahrsgruß? Ich verstehe es nicht, aber ich verstehe es, weil ich die Quellen kenne, aus denen sich derlei geistige Spitzfindigkeiten speisen, und ich habe keine Lust, mich damit auseinander zu setzen. Aber ich sage mir auch immer: Das ist das Denken der Leute, die hier aktiv das gesellschaftliche Leben gestalten und bestimmen! Ich konnte mich erinnern: Das waren angenehme, vielseitig interessierte und freundliche Menschen.

Mittwoch, 14. September 2011

Nachbetrachtungen zum 11.9. (Teil 2)

Im Fernsehen wurde einige Zeit nach den Anschlägen berichtet, wie sich die deutsche Regierung um die Hinterbliebenen deutscher Bürger kümmert, die Opfer schwerster Gewalttaten wurden. Es handelte sich um die 13 deutschen Opfer, die bei den Attentaten des 11. Septembers ums Leben kamen und um diejenigen, die bei dem Anschlag auf die marokkanische Synagoge verbrannten. In beiden Fällen kümmerte sich die Regierung überhaupt nicht um die Hinterbliebenen, und erst auf Initiative der Angehörigen und durch Berichte in den Medien, regte sich sehr unwillig etwas bei den Behörden. Die Mutter eines im World Trade Center umgekommenen Mannes berichtete, dass erst nach Aufforderung ein Mitarbeiter des Außenministeriums kam und den Hinterbliebenen eine Strafpredigt hielt, was sie denn wollten: die Beamten des Ministeriums hätten so viel zu tun und könnten nicht immer gleich zur Stelle sein.

Ich war irritiert, denn normalerweise wird sich um Deutsche, die irgendwo in der Welt zu Schaden kommen, sehr gekümmert. Wenn Menschen entführt werden, beneidet man die deutschen Entführten, weil man weiß, dass sich für sie mit Nachdruck eingesetzt wird, wie es z.B. bei der Familie Wallert der Fall war. Mir kam der Fall in den Sinn, als in Amerika zwei deutschstämmige amerikanische Brüder als Mörder hingerichtet werden sollten. Da gab es eine ungeheure Aufregung, dass Deutschstämmige Opfer der amerikanischen Justiz werden mussten.

Ich kann mir die Ignoranz von Seiten der Regierung nur so erklären: Egal, dass die Opfer Deutsche sind, sie haben sich auf etwas eingelassen, was sich nicht gehört, und so haben sie sich was ihnen geschah, selbst zuzuschreiben: Wer in eine Synagoge geht, hat selbst schuld, wenn er darin umkommt, und wer sich mit den Amerikanern einlässt und in den Gebäuden arbeitet, die Symbol für amerikanische Macht und Wirtschaftskraft sind, der hat es nicht besser verdient.

Montag, 12. September 2011

Einige Nachbetrachtungen zum 11.9., die in den Medien zu kurz kamen

Vor dem 11.9. 2011 wurde wochenlang Anlauf genommen auf dieses Weltgroßereignis. Die Welt liebt die Nachbereitungen mehr, als die Ereignisse selbst, weil sie sie selbst inszenieren kann, weil sie sich medial genügend darauf vorbereiten kann und schon die richtigen Bücher und Sendungen, z.B. mit Verschwörungstheorien parat hat. Ich sagte: Wir werden viel Unsinn hören, aber am 12.11. wird abrupt Schluss sein. Darüber wundere ich mich immer: welche gewaltigen Anläufe zu den medialen Großereignissen genommen werden, und wie klanglos sie dann vorbei sind, lediglich ein paar Presseschaustimmen bilden den kläglichen Abschluss. Aus den Diskussionen, Talksendungen könnte sich ja mal ein neuer Gedanke ergeben haben, etwas, was weiter diskutiert werden könnte. Aber nein, unmittelbar darauf beginnt die mediale Vorbereitung des nächsten Großereignisses.

Ich versuche mich, den medialen Großereignissen zu entziehen, weil ich zu viel Unsinn schlecht ertrage, aber es flattert immer noch genug am Ohr vorbei. So z.B. immer wieder der Satz, wie sehr sich die Welt seitdem verändert hätte. Damals, vor 10 Jahren, wurde im Zuge der Nachbereitungen des Terroraktes immer wieder ein Satz genannt, den Herr Scholl-Latour (ich nenne ihn „Prophet des Düsteren“) ausgesprochen hatte: „Das ist das Ende der Spaß-Gesellschaft!“ Seltsamerweise habe ich diesmal diesen Satz nicht vernommen. Ich muss gestehen, dass ich damals dieser Prophezeiung auch ein wenig geglaubt hatte.

Wenn ich jetzt durch die Fernsehprogramme zappe, wenn ich mich umsehe, wie es z. B. in einer Tourismusregion zugeht, wenn ich erlebe, wie Feste und Großevents gefeiert werden: spaßiger kann es kaum sein, als 10 Jahre, nachdem sich die Welt so unglaublich verändert hat. Wenn ich sehe, mit welcher Selbstverständlichkeit rund um die Welt gereist wird, wie junge Menschen, die noch nie eigenes Geld verdient haben, in entferntesten Ländern Praktika machen, sich Autos ausleihen und quer durch Kontinente fahren (ich sehe darin nichts Verwerfliches – sie nutzen die Möglichkeiten, die sich ihnen bieten). Was für Möglichkeiten und welche Freiheiten jeder hat – es liegt an ihm sie zu nutzen: in meinem, vielleicht nicht großen, aber für die Gesellschaft repräsentablen Bekanntenkreis ist es so. Die Wirklichkeit spricht eine andere Sprache, als ich sie in den Medien höre.

Die große Empörung über diese und jene Sicherheitsvorkehrung: Wenn ich mir vorstelle, dass die Wahrscheinlichkeit, dass ein Flugzeug wegen einer Bombe in der Luft explodiert,
etwa 1: 100 wäre, ich weiß nicht, ob die Leute dann noch so unbefangen rund um die Erde fliegen würden. Ich bemerke nicht, wenn ich in einer Großstadt bin, dass die Menschen angespannt um sich blicken, ob eine Gefahr lauert. Wenn ich sehe, welche Massen von Menschen sich zu Großereignissen begeben, und das größte Unglück, in den letzten 10 Jahren hier, geschah aufgrund von mangelnden Sicherheitsvorkehrungen! So unsicher scheint das Lebensgefühl nicht zu sein.

Wenn ich einige Bilder der 10-Jahresfeier (so wurde der Tag tatsächlich hier und da genannt) sah, fiel mir auf, dass nicht nur die Spuren des Anschlags - außer den „Gedenkspuren - verschwunden sind, sondern dass der neue „Turm“ bereits gewaltig in die Höhe gewachsen ist (egal ob es einem gefällt oder nicht). Und wie die Menschen nach New York eilen, weil das so eine tolle Stadt ist. Wenngleich ich auch Menschen kenne, die nach New York eilen, um hinterher gewaltig darüber zu schimpfen – nach Pakistan fahren sie trotzdem nicht!

Und hat sich die Welt so sehr verändert, wenn der „Prophet des Düsteren“ auch nach 10 Jahren noch in den Fernsehstudios sitzt und Düsteres prophezeit?

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