Donnerstag, 6. August 2020

Neues von Tuvia Tenenbom: „Allein unter Briten“ (Teil 5, Ende)

Außer über Antisemitismus erfährt man einiges über die Art des Parlamentarismus in Großbritannien, wie das ´house of common´ und das ´house of lords´ funktionieren, man lernt John Bercrow kennen, der als Parlamentspräsident mit seiner unnachahmlichen Art auch auf deutsche Fernsehzuschauer Eindruck gemacht hat.

Interessant ist das Zusammentreffen mit Nigel Farage, dem Mann, der dem Brexit dem Anstoß gab. Als Europaabgeordneter war er anfänglich Europa wohlgesinnt. Er erlebte in Brüssel, wie über die Meinungen der einzelnen Länder hinweggegangen wurde. Z.B. sollte 2005 eine Europäische Verfassung beschlossen werden. Da wichtige Länder dagegen stimmten, wurde die Verfassung – die einstimmig hätte beschlossen werden müssen -, einfach ohne Abstimmung in „Vertrag von Lissabon“ umbenannt. (Das erinnert daran, wie die deutsche Vereinigung eigentlich mit einem Friedensvertag hätte abgeschlossen werden sollen. Da ein Friedensvertrag aber zur Gefahr von Reparationsforderungen der im Osten einst zerstörten Länder hätte führen können, kam man auf die List, den „Friedensvertrag“ als „2+4-Vertrag“ zu bezeichnen).

Kurzum, Nigel Farage war der Meinung, dass Europa, so wie es in der Praxis gehandhabt wird, zur Kollektivierung der menschlichen Seele und damit in eine Katastrophe führen wird. Er erinnerte daran, wie Angela Merkel, die er als „gewählte Diktatorin“ bezeichnete, 2015 ohne Absprache mit ihren europäischen Nachbarn (selbst ohne Absprache mit dem eigenen Parlament) gut 2 Millionen Ausländer nach Deutschland, also eigentlich nach Europa geholt hatte, was für die Briten ein Schock gewesen wäre. „Wir wollen Kontrolle über unser Land haben und nicht von Europa kontrolliert werden“, sagt Farage.

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Theater, Tuvias große Leidenschaft, spielt auch eine große Rolle. Es ist Mode geworden, „gendergerecht“ und „rassengerecht“ im Theater zu fungieren, was die Qualität des Theaters bedeutend sinken lässt. So lässt man in einem Musical über Michael Jackson ausschließlich farbige Schauspieler auftreten, die Eintrittspreise sind aber so hoch, dass Schwarze sie sich sowieso nicht leisten können. Das empfindet Tuvia als große Heuchelei und als echten Rassismus. Einen Abstecher macht Tuvia. Er fährt mit der Fähre nach Calais zu dem berüchtigten Flüchtlingslager, dem „Dschungel von Calais“. Was sieht er da? Riesige Sperranlagen, die der „Sperrmauer“ in Jerusalem durchaus Konkurrenz machen können – mitten in Europa!

Wales ist die letzte Station, bevor er noch einmal kurz in London hält. Die Waliser sind misstrauisch den Engländern gegenüber. Ansonsten herrscht auch hier der seltsame westliche Geist: Angst vor der Sprache! Das heißt, der Angst, „falsche“, nicht rassen- oder gendergerechte Ausdrücke zu benutzen und dafür gebrandmarkt zu werden. Ein Seemann gesteht Tuvia, dass er sich kaum noch zu sprechen wage. Eine Journalistin wird gerade wegen „misgendern“ verklagt, weil sie einen Transmenschen mit dem falschen Geschlecht bezeichnet hat. In Wales hat es Tuvia gefallen, und Palästinafahnen hat er dort am wenigsten von allen Landesteilen entdeckt.

Das Buch endet mit einer wehmütigen Rückschau auf die skurrilen und eindrucksvollen Monate in Großbritannien mit Dank an seinen Adler, der ihn so treu begleitet hat und mit einer (rückwirkenden) Schilderung, wie es später dort weiter gegangen ist.

Meiner Meinung nach ist es wieder ein echtes Tuvia-Tenenbom-Buch. Die fünf Bücher von ihm, die bis jetzt hier erschienen sind, haben alle zum Thema: den Antisemitismus, Antijudaismus, Antizionismus – wie immer man es nennen will – in seinen verschiedenen Erscheinungsformen und Spielarten. Daneben schildert er die Lebensweise im jeweiligen Land authentisch, und viele Erlebnisse, auf die er sich bezieht, kann man im Internet nach recherchieren. Was mir an Tuvia besonders gefällt: er sagt und schildert das, was er sieht und erlebt. Seine Ansichten treten hinter dem Erlebten zurück, sind aber gut zu erkennen, und er nimmt keine Rücksichten auf etwaige Empfindlichkeiten der Leser. Dem Leser wird es schwer fallen, Tuvias Erlebnisse in einem anderen Licht darzustellen, es sei denn, er begibt sich auf ähnliche Gedankenkonstruktionen wie mancher seiner Gesprächspartner.

Rezensionen und Veranstaltungen Tuvia Tenenbom

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