Geschichte – anhand von vier Generationen von Pfarrern

In der früheren Zeit war es oft üblich, dass sich Berufe durch mehrere Generationen ziehen. (Von Ärzten und Pfarrern habe ich es gehört). So denke ich anhand der Verwandtschaft an vier Pfarrergenerationen. Alle habe ich persönlich gekannt oder wenigstens gesehen.

Den Ältesten hat die ganze Wucht von Geschichte getroffen (im Habsburger + Wolhynischen + Tschechischen Bereich) Erster Weltkrieg, Gründung der Tschechoslowakei, Leben in Wolhynien, Kommunismus. Aussiedlung des gesamten wolhynisch-tschechischen Dorfes (Es gab nicht nur Aussiedlungen von Deutschen nach dem zweiten WK, die gab es damals überall). Jahrzehntelang war er derjenige, der die inzwischen Ausgesiedelten in der kommunistischen Tschechoslowakei zusammen hielt, denn sie mussten aus ideologischen Gründen in der neuen Heimat zerstreut leben, damit sie keine Gruppen bilden.

Ich sehe noch seine Beerdigung an einem heißen Julitag 1983: Sein Sarg wurde von mit ihm verwandten Trägern, die sich abwechselten, die ca. 800 m von der Kirche den hohen Hügel zum Friedhof hinaufgetragen. 14 Pastoren im Talar begleiteten den Sarg, und darauf folgte der Trauerzug von mehr als 1000 Personen. (Versammlungen konnten die Kommunisten verbieten, Beerdigungen nicht.)

Sein Schwiegersohn war Dorfpfarrer, die gesamte kommunistische Zeit über. Dessen Frau, Tochter des „Patriarchen“, hatten die Kommunisten wie allen Kindern übel mitgespielt. Sie arbeiteten als: Heizerin, der am meisten Drangsalierte als Kanalreiniger (nach der Wende war er Professor an der Karlsuniversität), einer schaffte es unter unglaublichen Umständen Arzt zu werden, und eben letztgenannte Tochter war Pfarrfrau und arbeitete zuletzt als Schwester in einem Sanatorium.

Mittags kam also unsere Tante von ihrem Dienst im Sanatorium nach Hause. Dann versammelten sich die Frauen in der Küche. Es wurde geschält, gebacken, gekocht unter ununterbrochenem Schwatzen. Verwandte waren da oder einfache Frauen aus dem Dorf, auf jeden Fall war immer jemand da. Die Unterhaltungen drehten sich ums Kochen und Backen, um die Schicksale der Menschen im Dorf oder z.B. um die Erlebnisse, wenn Kommunismus und Kirche aufeinander geprallt waren. Die Machtausübung der Kommunisten auf die Kirche war immens, denn anders als in der DDR, gab es keine selbständige Kirche, sondern die Pfarrer waren Staatsangestellte und direkt vom Staat abhängig.

Auch diese Zeit ging vorbei. Ein Sohn wurde dann wieder Pfarrer. Seine junge Pfarrertätigkeit fiel direkt in die „Wende“. Er hat dann auch schon im Ausland (wohl noch in der DDR?) studiert, hat später sehr aktive und verantwortungsvolle Aufbauarbeit geleistet und war in seinem Sprengel Superintendent. Einer seiner Söhne wurde auch wieder Pfarrer. Den kenne ich nur als kleines Kind und weiß nicht viel von ihm. Wo er überall studiert hat, weiß ich nicht, aber die Welt steht ihm offen. Neulich besuchten wir seinen Vater, und der erzählte uns freudig, dass der Sohn mit seiner jungen Frau und dem Kind gerade Urlaub auf einer griechischen Insel macht und dass er ihm ein Foto davon auf´s Handy geschickt hat. Ein Handyfoto, wie sie täglich millionenfach verschickt werden: ein junges Paar mit kleinem Kind vor Meereskulisse. Aber warum soll eine junge Pfarrersfamilie nicht so leben, wie Millionen andere auch?

Meine Phantasie reichte nicht aus, um mir vorstellen zu können, dass Großeltern oder Urgroßeltern des jungen Pfarrers je auf diese Weise Urlaub gemacht hätten, selbst wenn die Möglichkeit dazu vorhanden gewesen wäre. Damals reisten sie auch: zu ihren Verwandten, mit denen sie eine Zeit lang zusammen lebten, sich gegenseitig halfen oder etwas zusammen unternahmen. Die Kinder wurden in den Ferien gegenseitig ausgetauscht, so dass Cousins und Cousinen wie Geschwister aufwuchsen.

Ich dachte aber auch: `ob einst dem Sarg des jüngsten Pfarrers dieser vier Generationen mehr als tausend Menschen folgen werden?` Doch die Geschichte mag noch allerhand Überraschungen bereit halten, und manchmal wird jemand allein durch die Lebensumstände gezwungen sein, eine Rolle einzunehmen, die ihm die Umstände der heutigen Zeit verwehren.

Im Luftreich des Traums

gegen Ideologien

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