Er hat „Negermusik“ gesagt!“

Oft frage ich mich, warum alles Mögliche angeblich „immer schlimmer“ wird: die Spaltung in der Gesellschaft, die Gleichgültigkeit im persönlichen Umgang oder „Hass-und Hetze“ oder sonst etwas. Schon seit Jahrzehnten bekommt man Bekundungen etwa jener Art zu hören: `Brutalität und Gewalt gab es schon immer, aber die Intensität ist jetzt eine ganz andere`. (Dann denke ich: `Von der Brutalität und Gewalt in den 40-ger Jahren hast du wohl noch nie etwas gehört?`) In meinem persönlichen Leben kann ich Feststellungen jener Art nicht treffen, aber es interessiert mich, ob das wirklich mit dem „immer schlimmer“ so ist, und wie das funktioniert.

So kam mir in diesen Überlegungen ein Gespräch mit einer Journalistin sehr entgegen. Wir sind weitläufig miteinander bekannt, es ist eine sehr angenehme und gebildete Frau. Als „Freischaffende“ hat sie es nicht leicht, und so ist sie immer auf der Suche nach Themen. Sie schreibt für seriöse Zeitungen, z.B. für Kirchen- Lokal- und jüdische Zeitungen. In meinen Überlegungen, warum heutzutage vieles „immer schlimmer“ wird (wozu ich nicht Brutalität, sondern das Niveau der allgemeinen Medien zähle), stellte ich ihr keine direkten Fragen, sondern ich hörte mir an, was sie zu erzählen hat.

Ein wenig misstrauisch war ich geworden, weil sie auf der Suche nach Themen immer nach „Positivem“ spähte. Sie fragte mich z.B., ob ich Menschen kenne, die ihr Leben radikal geändert haben, um etwas Positives für die Gesellschaft bewirken zu können. Ich selbst würde, zumindest als Journalist, an die Sachen so heran gehen, dass ich mir anschaue, was um mich herum ist und das irgendwie beschreiben und deuten.

Im Grunde machte es die Frau auch so. Weniger, wenn sie schrieb, sondern wenn wir miteinander plauderten. Sie überlegte, ob sie aus der sozialen Ferienreinrichtung, in der sie sich aufhielt, einen Artikel über eine Gruppe von Flüchtlingen schreiben solle. „Die haben mir unheimlich gut gefallen, die hatten einen tollen Pädagogen als Gruppenleiter“. Bei unserer Unterhaltung tätigte sie, so für sich selbst, mehrmals die Aussage: „Ach, „Flüchtlinge“ soll man ja nicht sagen!“ (Sie hatte also eine Schere im Kopf. Im persönlichen Gespräch nannte sie die Leute doch immer wieder Flüchtlinge, und gar nicht benutzte die sie so genannte Gendersprache, weil die in flüssiger Unterhaltung einfach zu umständlich ist). Es wäre wirklich sehr nett mit den Flüchtlingen gewesen. Obwohl: da gab es auch einen unschönen Vorfall. Über den wollte sie nicht schreiben, aber mir erzählte sie ihn sehr munter. Außer den „Flüchtlingen“ hielten sich noch sozial schwache und kinderreiche Familien in der Sozialeinrichtung auf. Da hatte es Ärger gegeben. Abends war es zu lange laut gewesen, und schließlich hatte einer der sozial schwachen Väter die Flüchtlingsgruppe zurecht gewiesen mit den Worten: „Hört auf mit eurer Negermusik!“.

Das ist eine Begebenheit wie sie in einem völlig überlaufenen Tourismusgebiet Gang und Gäbe ist, und normalerweise wäre die Situation leicht gelöst, vor allem da ein „toller Pädagoge“ vorhanden war. Anstatt die Situation aber zu beschwichtigen – denn es gibt eben nun mal Menschen, die aufbrausend sind, die in ihrer Wortwahl nicht politisch korrekt sind, und die um den Nachtschlaf ihrer Kinder besorgt sind -, wurde ein großes Theater um das politisch nicht korrekte Wort inszeniert.

Der tolle Pädagoge hätte sagen können, dass er die Bezeichnung Negermusik für nicht angemessen hält, aber dass ihnen als Gruppe nicht bewusst gewesen war, dass hier Kinder schlafen. Dann hätte es kein Problem mehr gegeben. Es entbrannte aber eine ungeheure Empörung über das Wort Negermusik. Auch meine Bekannte stand in diesem Fall voll hinter dem Leiter der sozialen Einrichtung, den sie mir ansonsten als recht empathielos beschrieben hatte. Dieser drohte dem angeprangerten Vater an, dass er ihn anzeigen werde, wenn er sich nicht sofort für das böse Wort entschuldigt. (Ich dachte: `Oh, kann man für so ein böses Wort schon angezeigt und verurteilt werden?´) Meine Bekannte, die Journalistin, sagte mir: „Ich bin ja neugierig, ich konnte das Gespräch am offenen Fenster mitanhören!“. Also, eine richtige Journalistin war sie schon, aber ihr war nicht bewusst, dass sie schon von Ideologie geprägt war. Der böse Vater hat sich dann für das Wort entschuldigt. Die Sache war bereinigt. Was aber „in" dem Vater hängen geblieben ist, nachdem er als Bösartiger an den Pranger gestellt worden war, sein berechtigter Wunsch nach Nachtruhe für seine Kinder aber nicht thematisiert worden war, das kann man zumindest ahnen.

Man sollte sich nicht über die „Spaltung der Gesellschaft“ wundern, sondern sich eher überlegen, nach welchen Mechanismen diese zustande kommt.

Im Luftreich des Traums

gegen Ideologien

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