Eine Kundgebung anderer Art (Teil 2)

Zwei Wochen später ging ich wieder zur Demo. Vorher plauderte ich wieder eine Weile mit J. Sie hatte realistische und vernünftige Ansichten zu den Demonstranten: „Nein, ich würde da nicht mitlaufen, die können mir ihre Ziele nicht klar machen, die scheinen ganz schöne Wirrköpfe zu sein“. Mein Mann hatte eine ähnliche Meinung und hätte mich gern von den Montagsspaziergängen abgehalten. „Stell dir vor, wenn dich da jemand sieht, den du kennst, was sollen die denken?“.

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Ich aber ging aus reiner Neugierde mit, ich war sehr darauf erpicht zu erfahren, was solche Leute denken, was ihre Motivation ist. Immerhin stellen sie sich ja schon seit geraumer Zeit den Stadtbewohnern mit viel Lärm jede Woche zur Schau. Der Lärm kam übrigens von einer Musikanlage, die ein Mann auf einem kleinen Wagen mit sich zog. Darauf wurden überwiegend Friedenslieder gespielt, die den Inhalt hatten, dass wir `frei` sei wollen, uns nicht den `Mächtigen` unterordnen, uns `mit der Menschheit vereinigen` usw.. Zwischendurch machte die Musik immer mal Pause. Ich hatte überlegt, welcher Partei die Gruppe wohl nahestehen mag. Ich dachte an die „Linke“, aber manches erinnerte mich auch an die AfD. Eine besonders schlechte Meinung schienen sie von den Amerikanern zu haben, denn sie riefen in Abständen im Chor: „Ami go home!“

Da fragte ich dann eine Frau direkt, ob sie zur „Die Linke“ gehören oder zu einer anderen Partei. „Wir stehen für keine Partei, wir sind für die ganze Menschheit!“, antwortete sie mir. Am meisten wurde gegen `die da oben´ gewettert.

Die Montagsdemonstration scheint in der Stadt schon eine geachtete Institution zu sein. Ich sah keine bösen Blicke. Die Autofahrer, die von den begleiteten Polizisten aufgehalten wurden, wirkten nicht ungeduldig. Für die Polizisten waren die Züge vielleicht auch eine willkommene Abwechslung vom Dienstschieben. Auf vier Demos war ich bis jetzt, und ich hörte keine bösen Worte im Umkreis. Allerdings auch kein gesteigertes Interesse, die Leute ´rundherum nahmen sie gleichmütig und als bereits gewohnt hin. Ohnehin sind die Straßen in der Stadt nach 18 Uhr nicht mehr bevölkert.

Obwohl man mir die Teilnahme an den Demos jedes Mal auszureden versucht, machte ich mich gestern nach vier Wochen Pause wieder auf den Weg. Diesmal war ich forsch und ging gleich auf einige Demonstranten zu. Herr S. war auch wieder dabei, auch wieder als Ordner, und so fiel mir der Einstieg in die Gruppe, die konstant zwischen 20 und 30 Personen besteht, leicht. Inzwischen hatten sie sich etwas Neues ausgedacht. Vorn das Grüppchen buchstabierte laut alle sieben Buchstaben von F R I E D E N, und dann fiel der Chor ein: „Frieden, Frieden, Frieden, Ami go home! Deutschland raus aus der WHO“. Ich fragte die Frau neben mir, warum sie gerade die WHO so besonders auf dem Kiecker haben, man könnte ja auch die UNO oder die EU verwünschen, ob die Demonstrationen vielleicht doch etwas mit Corona zu tun haben? Sie antwortete: „Ja, Deutschland sollte aus allem ´rausgehen“ Dann stellte ich noch einige Fragen, sie war ein wenig unschlüssig im Antworten und meinte, man könne alles googeln.

Dann geriet ich an einen sehr gesprächigen Mann, der mir meine Fragen ausführlich beantwortete und ebenso ausführliche Erklärungen gab. Immer noch spürte ich der Frage nach, warum ausgerechnet die WHO der Hauptfeind zu sein scheint, denn die Sprechchöre nach Austritt aus der WHO ertönten in immer kürzeren Abständen. Was er mir erklärte, kann ich nur zusammenfassen, denn seine ausschweifenden Reden konnte ich mir so schnell nicht merken. In der WHO wären ganz besonders schlimme Menschen. Die hätten mehr Einfluss auf die Politik als die Politiker selbst, die schwache und korrupte Menschen wären. Die WHO zöge die Fäden im Hintergrund (von Juden war zum Glück nicht die Rede), sie nähmen Einfluss auf die Entwicklung von Impfstoffen, die in Wirklichkeit dazu da wären, Menschen zu töten. Die Allerschlimmsten wären Bill und Melinda Gates. Ich fragte, was diese denn wohl davon hätten und was sie dazu bewöge? Außer, dass ungeheuer viel an den Impfstoffen verdient würde, hätten die Drahtzieher die Absicht, die Menschheit zu dezimieren, denn es gäbe Überbevölkerung. Seinen Reden hörte ich gefesselt zu, denn so echte Verschwörungstheoretiker hatte ich selbst noch nie erlebt, nur immer über sie gehört. Ich stellte solche Fragen wie: „Ach, meinen sie, die Regierungen wären in der Regel Marionettenregierungen?“, worauf er eifrig zustimmte. Er wusste gut in der Politik und in der Gesellschaft Bescheid, interpretierte aber alles in seinem Sinne.

J. und ich kamen zu dem Schluss, dass es eine Gruppe ist, die sich miteinander wohl fühlt und die nach der Demo noch grillt und einen Trinken geht. Oder sie wollen einen Rekord oder eine Spitzenstellung im Demonstrieren einnehmen, denn jemand von ihnen hatte mir gesagt, dass sie die einzige Gruppe in Deutschland wäre, die so ausdauernd demonstriert. Vielleicht werde ich doch noch einmal hingehen, denn ich möchte noch heraus bekommen, in welchen persönlichen Verhältnissen sie leben. Herr S. arbeitete nach seinem Ausscheiden aus der DDR-Armee als freischaffender Musiklehrer, mit einer Geschäftsfrau hatte ich einmal berufliche Beziehungen, eine ehemalige Museumsmitarbeiterin kannte ich und jedes Mal dabei war der Künstler der Stadt.

So war die Teilnahme an den Demonstrationen ein echtes Erlebnis für mich, und ich habe Menschen in der Wirklichkeit erlebt, wie ich sie sonst nur im Fernsehen sehe. (Ende)

Im Luftreich des Traums

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