Donnerstag, 9. März 2017

Basedow II oder Meditation über ein Kriegerdenkmal

Wer die Kirche von Basedow von innen erblickt, kommt aus dem Staunen nicht heraus. In der Kirche eines kleinen mecklenburgischen Dorfes bietet sich dem Betrachter ein herrlicher Anblick: Die Epitaphen der ehemaligen Schlossherren und der Altar üppig geschnitzt und verziert, die Orgel, die sich über die gesamte Empore erstreckt, ebenfalls. In der Kirche gibt es eine Menge barocke Schönheit. Die Orgel ist ein Kleinod, die älteste Barockorgel Mecklenburgs, zu der Orgelfreunde aus aller Welt pilgern. Mit etwas Aufmerksamkeit entdeckt man zwei Kriegertafeln, wie sie in Kirchen üblich sind. Zur Zeit der DDR hatte man Kriegertafeln für Gefallene des zweiten Weltkriegs nicht in Kirchen anbringen dürfen (einige Pfarrer sollen es geschafft haben, den Staat zu überlisten und schon damals Tafeln angebracht haben). Dieses Manko wurde nach der Wende schnell behoben, wenngleich nicht mit so viel Öffentlichkeit wie neu angebrachte Glocken oder restaurierte Orgeln. Auf einmal waren sie da. So auch in Basedow.

Das Kreuz, das die Namen der gefallenen Soldaten umschlingt, befremdet. Soll das Kreuz, das für das Leiden Jesu steht, den Tod deutscher Soldaten symbolisieren, mögen sie mit oder gegen ihren Willen in den Krieg gezogen sein? Immerhin war es ein barbarischer Angriffskrieg. Oder soll damit angedeutet werden, dass Jesus auch für diese Menschen in den Tod gegangen ist?

Der Vers, der etwas versteckt, die Kriegertafel des 2. Weltkriegs ziert, lautet: „Ausgesät, nur ausgesät wurden alle die, die starben. Wind und Regenzeit vergeht, und es kommt der Tag der Garben“.

Der Spruch ist schon einer Meditation Wert. Ein unbefangener Leser denkt natürlich: Das Opfer der Leben dieser Soldaten diente etwas Größerem und so wird eines Tages die Saat aufgehen, die dieser opferreiche Krieg gesät hat. In welcher Form sollte man es sich vorstellen? Etwa als eine Art „4. Reich“? Soll hier verkündigt werden, dass die Eroberungs- und Vernichtungsvorhaben des zweiten Weltkriegs so wie Getreidegarben nach einer gehörigen „Wind- und Regenzeit“ als eine Art „Ernte“ eingebracht werden? Gedanken dieser Art möchte ich den Erschaffern der Tafel nicht unterstellen. Der Spruch könnte ein theologisches Synonym für den „reichen Mann“ im Neuen Testament sein, der von der Hölle aus seine früheren Mitmenschen warnen möchte, auf dass sie es ihnen nicht gleich tun. Die getöteten Soldaten als Warner gegen den Krieg. Symbolisieren die Garben den Frieden?

Wahrscheinlich wird die Erklärung eine viel einfachere sein: Nach ein wenig Recherchieren erwies es sich, dass diesen Spruch Mathias Claudius verfasste. Derselbe Dichter, der das Lied „Der Mond ist aufgegangen“ gedichtet hat. Ein guter Mann, also auch ein guter Spruch!

Freitag, 3. März 2017

Basedow oder Meditation über ein Grabmal

Das Grabmal steht öffentlich zugänglich auf dem Friedhof der interessanten Kirche von Basedow, die herrliche Schätze, aber auch dunkles Gedankengut in ihrem Innern birgt. Direkt vor dem Eingang ist das Grab eines Landesbischofs, wie darauf zu lesen ist. Zum Andenken seines 1944 in Frankreich vermissten Sohnes ist ein kleiner Grabstein gesetzt, der die Inschrift trägt: „Aus Feindes Hand in Gottes Hand“.

Zuerst stellt sich die Frage, was den Sohn des Bischofs nach St. Denis getrieben hat? Und was hat er dort getan? Irgendwie fiel er dort in die Hände seiner Feinde. Darüber, unter welchen Umständen er ins Land seiner Feinde geraten ist, sagt der Grabstein nichts.

Nun besagt der Begriff „Feinde“ nichts darüber aus, wie der Bischof - dessen Profession es ist, zu verkünden, dass man seine Feinde lieben soll - zu seinen Feinden steht. Vielleicht hat er sie geliebt, vielleicht bereiste er das Land seiner Feinde um dort Versöhnungsarbeit zu betreiben. Zumindest Möglichkeiten gibt es viele.

Ein kleiner Grabstein bietet eben zu wenig Platz für eine längere Meditation, und so bleiben im Gedächtnis des Betrachters lediglich die Schlagworte „Feinde“, „Vermisst in St. Denis“ und "Gottes Hand" zurück.

feind

Samstag, 25. Februar 2017

Fake News

Es ist mehr als 30 Jahre her. Während der Arbeit hörte ich damals oft Radio. Eines Tages wurde eine Sensationsnachricht bekannt gegeben: Die Zeitschrift „stern“ wäre in den Besitz von Hitlers Tagebüchern gekommen, und Passagen aus den Tagebüchern würden nach und nach im „stern“ veröffentlicht. Da sagte ich: „Na, wenn das mal nicht wieder irgendwelche Fälschungen sind“. Wie die Geschichte ausging, ist bekannt.

Nicht alles, was in Medien, seien sie „konventionell“, „sozial“ oder „öffentlich-rechtlich“ veröffentlicht wird, kann man mit ein wenig gesundem Menschenverstand sofort verifizieren. Im Augenblick macht sich die Medienwelt Gedanken über die „fake news“, die angeblich die Köpfe und Gemüter der Menschheit zerstören und die Welt von den Füßen auf den Kopf stellen. Mit Interesse hörte ich mir eine einstündige Diskussion im Sender „Phönix“ zum Thema fake news an, die unter der Moderation von Marietta Slomka ausgestrahlt wurde. Zwei namhafte Journalisten wirkten mit, ein junger Professor und der Intendant des ZDF. Dass bei diesem Thema auch Vernunft vorhanden sein kann, bewies der Vorstandsvorsitzende des Springer-Verlages, Mathias Döpfner. Er hatte die These, dass die Leute Medienkompetenz erwerben sollen, damit sie die modernen Medien, die sowieso nicht rückgängig gemacht werden können, beherrschen lernen, und dass für Medienschaffende die Möglichkeiten aber auch die Gefahren des Internets Herausforderungen seien, die dazu führen, dass der Beruf noch interessanter und verantwortungsbewusster ausgeübt werden kann.

Hier erinnerte ich mich, wie ich vor einiger Zeit im Internet las, dass die Leitung der Antonio Amadeo Stiftung auf dubiose Weise ausgewechselt werde. Da wunderte ich mich, wurde unsicher, und deshalb googelte ich ein wenig, bis mir klar wurde, dass dieser Beitrag eine Satire war. Das war keine zu aufwändige Arbeit. Außer bei Mathias Döpfner herrschte große Sorge vor Falschinformationen dieser Art im Internet. Man war sich allerdings einig, dass es diese schon immer, auch in konventionellen Medien gegeben hat (das beweisen die gefälschten Hitlertagebücher). Heute würden die Falschinformationen nur viel schneller kreisen und eine ungleich breitere Masse von Menschen erreichen.

Nun ist im Internet vieles möglich, aber dass jeder alles was geschrieben wird, jederzeit liest, ist nicht möglich. Dass Milliarden von Einträgen die Relevanz haben, die die Professoren und Doktoren aus dieser Diskussionsrunde ihnen zutrauen, ist zu bezweifeln. Es beherrschte die Angst dieses Gespräch, dass etwas Grundfalsches ins Netz gestellt wird, und wie von Zauberhand gelenkt, der Weltuntergang nahe sei. Die dafür angegebenen Beispiele waren ebenso dürftig wie absurd: Hillary Clinton war im Internet unterstellt worden, sie betreibe aus einer Pizzeria heraus einen Kinderschänderring, und einmal geisterte das Gerücht, Julian Assange sei ermordet worden für einige Momente durchs Netz. Mehr fiel den Diskutanten nicht ein, sie hatten kein überzeugendes Beispiel für Schäden, die fake news hervorgebracht haben.

Mathias Döpfner deutete es an, aber die anderen Teilnehmer kamen nicht auf die Idee: dass ein Journalist in der Lage sein sollte, zu recherchieren und nicht auf jede Dummheit hinein zu fallen aus Sorge, er könnte wegen der Recherche seine Neuigkeit erst einige Minuten später verkünden. Der Professor hatte erkundet, dass 95 % der Deutschen ihre Meinung gar nicht vom Internet abhängig machen. Da kann man doch sagen: ´Was soll die Diskussion?´ Er sorgte sich aber um die restlichen 5% der Deutschen, denn das wäre eine beträchtliche Menge. Große Sorge bereiteten Populisten, die ihren Freunden, die wahrscheinlich zu den „5%“ gehören, über Internet den Rat gäben, die falsche Partei zu wählen. Vielleicht auch die falsche Zeitung zu lesen und den falschen Fernsehsender zu schauen, denn die Sorge um das eigene Medium, dessen Einfluss zu schwinden droht, schien der eigentliche Beweggrund der Diskussion zu sein.

Eine eindeutige Fake News hat uns im vergangenen Jahr die ARD gebracht, dass war ein Beitrag über „Wassermangel im Westjordanland“, die sich eindeutig als Fake herausgestellt hat und wofür sich die ARD nie entschuldigt hat.

Freitag, 17. Februar 2017

Was lässt viele Menschen wie gebannt auf Israel starren?

Mit einer guten Bekannten hatte ich einen kurzen Dialog: „Was halten Sie davon, dass Israel schon wieder so viele Häuser in der Westbank baut?“ Ich antwortete: „Na ja, in den Häusern werden Menschen wohnen, das ist doch besser, als das was in Syrien los ist. Häuser bauen ist auf jeden Fall besser als Häuser zu zerstören, und wenn es einen palästinensischen Staat geben wird, kann auf jeden Fall jemand in den Häusern leben“. Die Bekannte war verblüfft: „Ach, da haben sie Recht, in den Häusern können ja dann Palästinenser wohnen!“ Ich verzichtete darauf, das Thema zu vertiefen. Sonst hätte ich gefragt, warum denn nicht auch nach einer palästinensischen Staatsgründung Juden dort wohnen könnten, ebenso wie Araber in großer Zahl in Israel leben.

Unsere Bekanntschaft war durch Gespräche über Israel zustande gekommen. Vor Jahren schilderte sie mir ihre Reiseerlebnisse. Bei einer Ägyptenreise hatte sie durch Zufall Gelegenheit, auch ein paar Tage nach Israel zu fahren. Mit einem deutschsprachigen Ranger namens Alfonso hatten sie einen zauberhaften Trip durch die Wüste gemacht. Seitdem erzählten wir uns immer mal bei einem Treffen, wie schön es in Israel ist. Irgendwie hatte sich inzwischen der Tonfall meiner Bekannten geändert, wenn sie über Israel sprach. Er klang gereizter. Ich habe den Eindruck, dass dieser veränderte Tonfall durch die permanente Anti-Israel-Berieselung aus den Medien verursacht sein könnte.

In Gedanken ging ich allein die Erlebnisse durch, die ich selbst im vorigen Jahr hatte: Ein Bischof macht es sich zur Aufgabe, Vorträge zu halten unter dem Gesichtspunkt, dass Juden eigentlich nicht ins „Heilige Land“ gehören, denn „Gott bindet sich nicht an ein Territorium“. (27.7./1.8./6.8.) Oder die Aufführung einer Theatertruppe – zur gleichen Zeit als Aleppo in Schutt und Asche gelegt wurde -, das den ganz allgemeinen Schrecken des Krieges zum Inhalt hatte. Wie von Zauberhand gelenkt, fiel ihnen der Gaza-Krieg ein, der auf Grund von jahrelangem Raketenbeschuss Israels von Gaza aus verursacht wurde. (13.11.) Auch wenn diese Truppe aus palästinensischen Jugendlichen bestand, so hätten sie ebenso gut der zahllosen getöteten Palästinenser im syrischen Lager Jarmuk gedenken können.

Weiterhin: ich fahre nichts ahnend in eine schöne Stadt Deutschlands, und kaum schaue ich mir den kulturellen Ratgeber an, so fällt mir die „Kunstinstallation“ der israelisch/palästinensischen Mauer ins Auge. (13.6./18.6.) Nicht etwa der Berliner Mauer, die die deutsche Bevölkerung 28 Jahre lang ziemlich klaglos ertragen hat (als ich letzteren Satz sinngemäß in einem Leserbrief schrieb, da wurde der Brief abgedruckt, aber um diesen Satz gekürzt, denn es fehlte an Platz!) Oder jedwede andere gewaltige Mauer oder Sperranlage auf der Welt von denen es unzählige gibt.

Oder, am 14.8. in der Tagesschau, als mir nichts, dir nichts ein Beitrag darüber gesendet wurde, wie Israel den palästinensischen Gebieten das Wasser vorenthält. Für diesen Beitrag hat sich die Tagesschau nie entschuldigt, obwohl im Bezug darauf klar nachgewiesen wurde, dass die geschilderte Wasserknappheit auf einen Wasserrohrbruch zurück zu führen war, mit dem Israel absolut nichts zu tun hatte.

Es muss etwas geben, was viele Menschen dazu bringt, wie gebannt auf Israel zu starren.

Donnerstag, 2. Februar 2017

„Trumps Einreiseverbot für Muslime"

Vor einigen Jahren kam ich zu Besuch zu einer Bekannten. Sie war gerade dabei, die Unterlagen für eine Mittelmeerkreuzfahrt auszufüllen. Es waren gar nicht so wenige Papiere die dort lagen. Unter anderem musste sie angeben, ob Sie in den letzten Jahren (den Zeitraum weiß ich nicht mehr) einmal in Israel gewesen ist. Nur unter der Bedingung, dass kein israelischer Einreisestempel in ihrem Pass ist, war die Kreuzfahrtgesellschaft willens, sie mitzunehmen, bzw. sie hätte in bestimmten Häfen nicht an Land gehen können. Die Papiere wurden mit großer Selbstverständlichkeit ausgefüllt. Niemand hielt die Tatsache, dass es Länder gibt, die nicht etwa nur Israelischen Bürgern, sondern Menschen, die überhaupt in Israel waren, die Einreise verweigern, für interessant oder aufregenswert. Umgekehrt ist es wohl auch der Fall, dass Israel misstrauisch gegenüber Menschen ist, die in islamisch regierten Staaten gewesen sind. Aber darum geht es jetzt nicht.

Es geht um die große Aufregung, die weltweite Empörung, die dem amerikanischen Präsidenten Trump entgegen gebracht wird, weil er befristete Einsreisesperren gegen Menschen aus einigen islamischen Staaten verhängt hat. Ob diese Tatsache in Ordnung, ob sie verurteilenswert ist, damit können sich amerikanische Gerichte befassen, mir ist das ziemlich egal. Was mir nicht egal ist, ist die Unwahrhaftigkeit, mit der hiesige Medien damit umgehen. Nicht nur einmal, sondern immer wieder wird berichtet über: „Trumps Einreiseverbot für Muslime“. Das ist eine falsche Tatsachenverbreitung, man könnte es auch als fake new bezeichnen, denn es geht nicht gegen Muslime, sondern gegen Bürger aus bestimmten muslimischen Staaten. Man könnte sich vielleicht fragen, warum Saudi Arabien woher ja der große Teil der Attentäter vom 11.9. gekommen war, nicht unter jene Anordnung zählt.

Dass sich hier in unserem Land Unwahrhaftigkeit ins mediale Leben nicht nur eingeschlichen hat, sondern dass sie so verbreitet ist, dass sie kaum wahrgenommen wird, dass sie kolportiert wird, das ist für mich ein wirklicher Skandal. Erst wenn die Empörung darüber, dass nicht nur Israeli, sondern Juden überhaupt in gewisse Staaten nicht einreisen dürfen, sich mit dem Entsetzen über Trumps Einreisesperre die Waage hielten, könnte man von einer fairen und ausgewogenen Berichterstattung sprechen.

Freitag, 27. Januar 2017

Holocaustgedenken 27.1.2017

Der kürzlich verstorbene Bundespräsident Herzog installierte ins gesellschaftliche Leben den Tag des Holocaustgedenkens am 27. Januar. Über den Sinn oder Unsinn solcher Tage kann man diskutieren. Dienen sie als Beschwichtigung, sollen Tatsachen in diese oder jene Richtung gedeutet oder missdeutet werden? Damit möchte ich mich jetzt nicht beschäftigen, es gibt diesen Tag nun einmal, und darum fahre ich ins nahe gelegene Städtchen und nehme an der Gedenkfeier am Mahnmal, das sich auf dem Gelände eines ehemaligen KZ-Außenlagers befindet, teil.

An diesem Spätjanuartag lag ausnahmsweise kein Schnee. Das Mahnmal war nach langen Tagen der Düsternis in eine milde Wintersonne getaucht. Etwa 30 Personen aus einem Einzugsgebiet von ca. 10 000 Einwohnern, waren erschienen. Man kann sich Gedanken machen, was die einzelnen Leute zu dieser Teilnahme bewogen hat. Das ist letztendlich nicht wichtig, jeder hat seine persönlichen Beweggründe, die sich sehr unterscheiden können, aber in diesem Augenblick ist man wie eine kleine Gemeinde und nimmt Anteil aneinander.

Der Bürgermeister und ein Pfarrer sind immer dabei, sowie Schüler aus Realschule und Gymnasium, die das Programm gestalten. Es sind keine perfekten Auftritte, vieles erscheint komisch, was dadurch aufgewogen wird, das jeder viel von sich selbst in den Beitrag hinein legt und auch von sich preisgibt. Der Kulturbeauftragte der Stadt sorgt über eine Anlage für eine dezente musikalische Untermalung, meist ist es getragene Klezmermusik. Den Abschluss der Zeremonie bildet eine Kranzniederlegung vor den Stelen, auf denen viele Namen von in diesem KZ Umgekommenen eingraviert sind.

Die Schüler lasen einen Text von Martin Niemöller, Auszüge aus dem Bericht einer Überlebenden, die in diesem Lager gelitten hat und rezitierten ein Poem. Der Pfarrer hielt eine allgemein gehaltene Rede, dann folgte der Bürgermeister. Wie man es oft in Reden zu dem Anlass hört, sprach er davon, dass wir die Lehren daraus gezogen haben, dass alle Menschen gleich Wert sind und dass man die Würde keines Menschen herabsetzen darf. Ich wartete darauf, dass er den Bogen in die heutige Zeit spannt und auf die Flüchtlinge, von denen es in seiner Stadt etliche gibt, zu sprechen kommt. Tatsächlich schlug er diesen Bogen, aber ganz anders als ich erwartet hatte. Er sagte, dass wir diese Lehren auch den Menschen, die aus islamischen Ländern zu uns gekommen sind, beibringen müssen, denn unter diesen Menschen herrsche ein starker Antisemitismus und das wäre nicht hinzunehmen.

So kann ich die Teilnahme an so einer Veranstaltung – möge sie so oder so sein – immer als ein Erlebnis bezeichnen. So manches erfährt man über Menschen, die in der näheren Umgebung leben. Die Veranstaltungen geben dem Jahr ein Gepräge, sie wirken tatsächlich ein winziges bisschen „wider das Vergessen“, sie schaffen eine (winzige) Gemeinschaft. Sie sind „ein Wert an sich“.

Mittwoch, 18. Januar 2017

Überall ist Tuvia (Fortsetzung von 13.1.2017)

Insgesamt fühlen weder Tuvia noch die Leser sich besonders wohl in den einzelnen Staaten der USA. Man könnte das Verhalten der Menschen, und zwar in weiten Kreisen, als „verdruckst“ bezeichnen. Ihre Lebensweise und das was sie reden, stimmen nicht überein. Ihm fällt auf, wie penibel auf die Einhaltung einer korrekten Sprache gegenüber Minderheiten Wert gelegt wird, was nicht mit den Zuständen in den Stadtvierteln der schwarzen Bevöl-kerung in den Großstädten und den Obdachlosensiedlungen in Einklang zu bringen ist. Er wird immer wieder gewarnt, ja fast angefleht: in dieses Stadtviertel, mit dieser Buslinie dürfe er nicht fahren. Wenn er fragt warum, so erhält er keine plausible Antwort. Er fährt trotzdem mit den öffentlichen Verkehrsmitteln dorthin und erlebt diese Stadtviertel so unwirtlich wie seine „Warner“ es angedeutet hatten. Diese Viertel sind von schwarzen Einwohnern bewohnt, die von sich selbst keine gute Meinung haben und längst nicht so eine korrekte Sprache anwenden, wie ihre weißen Mitbürger, die sich wiederum manchmal als „Kaukasier“ bezeichnen. Warum Kaukasier? Das weiß niemand, dieser Begriff hat sich aus irgendeinem Grund als politisch korrekt etabliert.

Beim Lesen fiel mir mein Besuch vor 18 Jahren in den USA, in Philadelphia ein, als ich erlebte, wie zwei junge Deutsche sich über allerhand „Primitives“ in den USA mokierten und die auch genau wussten, in welchen Stadtvierteln man mit dem Auto nicht anhalten darf. Auch heutzutage höre ich über manche Stadt in Europa und in Deutschland, wo es Viertel geben soll, in die man lieber nicht geht. Es muss die Tendenz geben, statt gegen Elend und Verrohung in Stadtvierteln anzugehen, die Viertel zu ignorieren und sich gegen sie abzusichern. Wichtig ist es, dieses nicht öffentlich zu benennen.

Dann dachte ich daran, wie ich im letzten Jahr im Greifswalder Theater (13.11.2016) erlebte, wie einheimische Studenten Flüchtlinge zu einem arabischen Theaterstück eingeladen hatten (dass es gegen Israel gerichtet war, steht auf einem anderen Blatt, passt aber dazu), und ihre Schützlinge beim Zusammentreffen innig umarmten, wonach sich jeder, sowohl die Studenten als auch die Flüchtlinge, wieder seinen eigenen Angelegenheiten zuwandte, meist waren es Smartphones. Das hätte eine Szene von Tuvia sein können.

Gegen Israel Gerichtetes bemerkt Tuvia des Öfteren auf seinen Reisen. Damals war die Unterzeichnung des Iran-Atomabkommens aktuell, und er erlebte ziemlich fassungslos die völlige Ignoranz von jüdischen Angehörigen der Obama-Administration, die das bevorstehende Abkommen über alles lobten und bei jüdischen Organisationen dafür warben. Gleichzeitig bat der israelische Botschafter, dessen Land vom Iran unmittelbar bedroht ist - durch schlimmste Drohungen vom Iran glaubhaft belegt - sehr darum, die Unterzeichnung des Abkommens zu verhindern. Überhaupt fand Tuvia es befremdlich, wie auch in den USA weite Kreise der Bevölkerung von dem Gedanken besessen sind, die Welt wäre in Ordnung, wenn es nur den Staat Israel nicht gäbe. Diese Einstellung kann ich auch hier erleben, z..B. als ein evangelischer Bischof eine Vortragstournee ansetzte, die zum Anliegen hatte, der christlichen Öffentlichkeit klar zu machen (wenn auch auf verschwommene Art und Weise), dass der Staat Israel nicht unbedingt existieren müsse (denn Gott bindet sich nicht an ein Territorium, wie er verkündete - 27.7., 1.8., 6.8.)

Abschließend ein Satz aus einer Rezension, die auf Deutschlandradio Kultur über das Buch „Allein unter Amerikanern“ zu hören war:
»Von Tuvia Tenenboms drei Büchern ist dies das Beste: differenziert und erschreckend zugleich … ein ebenso unterhaltsames wie authentisches Buch«.

Auch wenn so eine Beurteilung mehr über den Rezensenten als über das Buch aussagt, so hat er nicht Recht. Alle drei Bücher sind gleicherweise „differenziert, erschreckend, unterhaltsam und authentisch“, jeweils für die Umgebung in der diese Reportagen gemacht waren.

Freitag, 13. Januar 2017

Tuvia Tenenbom „Allein unter Amerkikanern“

…..ist auch eines der Bücher, die ich nach Weihnachten lese. Diesmal war ich skeptisch: Nach „Allein unter Deutschen“ und „Allein unter Juden“ nun das dritte „allein“-Buch. Das ist eine Masche, das kann nicht gut gehen. Ich hatte bei dieser meiner Meinung übersehen, dass Tuvia kein Schriftsteller ist, der die Erfolgsmasche eines ersten gut verkauften Romans kopiert, sondern dass er in Wirklichkeit ein Journalist ist, der es wissen will…. Was will er wissen? In erster Linie will er wissen, wie die Leute „ticken“. Welche politische Einstellung sie haben, welche Einstellung zum Leben und zu der Gesellschaft. Er vergleicht die Antworten, die er auf seine naiven, fast kindlichen Fragen erhält, mit der Realität und den Lebensumständen, die er rundherum wahrnimmt.

- Einschub: In gewisser Weise fühle ich mich Tuvia verwandt, was vielleicht eine Anmaßung ist, aber der Titel dieses Blogs „Im Luftreich des Traums“ soll genau darauf anspielen. Vielleicht ist das auch ein Grund, dass ich auch Tuvias neues Buch wieder als sehr lesenswert empfinde.

Tuvia zieht also durch ein Land, das in Wirklichkeit aus 50 Bundesstaaten besteht, und von denen hat er einen großen Teil besucht, sogar Alaska und Hawai. Manchmal legte er größere Strecken mit dem Flugzeug zurück, in der Regel durchfuhr er die Staaten mit gemieteten Autos, zu denen er eine innige Beziehung hatte und ihnen Namen gab. Seine Vorliebe für gutes Essen (in USA außerordentlich rar), sein Unmut über striktes Rauchverbot fast überall, seine untersetzte rosige Gestalt, die kindliche Gutmütigkeit mit der er auf die Menschen zugeht, sind der äußerer Rahmen für seine Recherchen, so dass man ihn fast für eine Kunstfigur halten könnte. Dass er es nicht ist, erlebte ich im Februar 2013 in Berlin bei einer Buchvorstellung (samt Diskussionsrunde), wo er genau so da saß, wie man ihn in seinen Büchern wieder findet.

Obwohl Tuvia selbst Einwohner von New York ist, erklärt er, dass er vom Rest der USA nur eine sehr allgemeine Vorstellung hat, denn er ist ein New Yorker, der sich nicht aus seiner Stadt hinaus bewegt hat, es sei denn zu Reisen Richtung Osten, also nach Europa oder seinem Geburtsland Israel. So ist er neugierig, in diese für ihn fremde Welt gen Westen zu reisen. Eine allgemeine Vorstellung von der amerikanischen Bevölkerung hat er zwar, aber die muss er gründlich revidieren. Seine Gesprächspartner sind oft die Leute auf die er zufällig trifft – in Gaststätten, in Kirchen, in Museen. Er verabredet sich aber auch zu Interviews mit für ihn interessanten Menschen dort wo er gerade ist, mir Politikern, mit Bürgermeistern. Sein besonderes Augenmerk legt er darauf, wie sich die Menschen in der Gesellschaft fühlen und unweigerlich nimmt das Thema Rassenunterschiede einen großen Raum ein. Für ihn unerwartet spielt der Konflikt Israel-Palästina, den er aus dieser großen Entfernung für nicht besonders relevant hielt, eine große Rolle im Denken der Menschen sowie der Klimawandel.

Zusammengehalten werden die Ansichten der Menschen zu den gesellschaftlichen Gegebenheiten der großen Community USA, die wiederum in viele kleine Communities aufgespalten ist, durch den Oberbegriff: „political Correctness“. Tuvia bemerkt, wie die Menschen geradezu besessen von der Sorge sind, etwas politisch Falsches zu sagen, und er bemerkt auch große Unterschiede in dem was sie öffentlich sagen und dem was sie ihm - oft unter vier Augen – anvertrauen. Die „Spaltung der Gesellschaft“, von der nach den Wahlen im November 2016 oft die Rede ist, kam schon damals, 2015 sehr deutlich zum Vorschein.

(Fortsetzung folgt)

Im Luftreich des Traums

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