Um zu verdeutlichen, wie Tuvia Tenenbom in seinem Buch "Allein unter Juden" Menschen und Geschehnisse beobachtet, greife ich ein beliebiges Kapitel heraus. Tuvia, der sich in Israel befindet, schließt sich einem von der (deutschen!) Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) organisierten Gruppenerlebnis an, einem gemeinsamen Ausflug von jüdischen und arabischen Lehrern nach Jordanien. Es ist der KAS ein Herzensanliegen, Israeli und Palästinenser bei gemeinsamen Unternehmungen einander nahe zu bringen, auf dass Friede im Kleinen entstehe, der sich anhand von Multiplikatoren ins Große ausbreite. Ein guter Gedanke!
Wie er in der Realität ausgeführt wird, erzählt uns Tuvia. Es beginnt damit, dass der Reisebus, in dem die Gruppe von israelischen und palästinensischen Lehrern gemeinsam reist, einen Umweg von 8 Stunden machen muss, da Isareli (welcher Religion auch immer) nur einen einzigen Grenzübergang, hoch im Norden benutzen dürfen, um von da wieder nach Süden zum Toten Meer zu fahren. An der jordanischen Grenze wird allein den Juden in der Gruppe mitgeteilt, dass sie nur mit einem Sammelvisum einreisen dürfen, d.h. sie müssen immer beieinander bleiben. Sie dürfen später ihr jordanisches Hotel nicht verlassen, der "Sicherheit" halber.
Das erste Ereignis dieser Fahrt ist ein Handyanruf der angemeldeten Hauptrednerin des Friedensevents, in dem sie mitteilt, dass sie nicht teilnehmen kann, weil ihre christlich-palästinensische Schule ihr untersagt hat, an einem Treffen mit Juden teilzunehmen. Tuvia stellt fest, dass die palästinensischen Lehrer nicht etwa aus dem Autonomiegebiet um Ramallah sind, wo man keine Gelegenheit hat, auf Juden zu treffen, sondern aus Jerusalem, wo Juden und Araber sich sowieso ständig über den Weg laufen. Und dass die jüdischen Teilnehmer von der (linken) Sorte sind, die den Palästinensern schon von vornherein zugeneigt sind. Das bewahrt sie nicht davor, dass ihnen der Händedruck von Arabern verweigert wird. Gemeinsam hörte sich die gesamte Gruppe einige Reden an, spielte fiktive Spiele (wie: sich vorstellen, dass man füreinander kocht) und versuchen sogar, miteinander zu tanzen. Ansonsten halten sich Juden und Araber auf der Reise stets unter sich auf. Selbst die so genannten Gruppengespräche halten sie getrennt ab. Kurzum, die teure Angelegenheit, die die KAS ca. 45 000 € gekostet hat, erweist sich als Mogelpackung.
Vieles in dem Buch hört sich so grotesk an, dass man es nicht glauben möchte. Solch absurde Handlungsweisen kann es doch gar nicht geben! Mir fiel ein, wie ich einmal bei einer Veranstaltung mit einem linken israelischen "Friedensabenteurer" war, der deutschen Zuhörern sein Buch vorstellte. Da saßen hinter mir einige neugierige Araber, die darüber sprachen, dass dieser Mann zwar interessant sei, ganz anders als die anderen Juden, aber sein Buch würden sie sich niemals kaufen, auch wenn sie noch so viel Geld bei sich hätten. Ob nach der von der KAS organisierten Reise die mitgereisten Palästinenser nun Juden die Hand schütteln würden, war nicht zu ermitteln. Tuvia verzichtete auf weitere Gruppenerfahrungen und organisierte sich privat eine Rückfahrt (wo er wieder auf Merkwürdiges traf).
anne.c - 6. Dez, 19:41
Auf einer Bücherwerbung entdeckte ich ein Buch auf dem der Schriftsteller Tuvia Tenenbom fast ebenso wie auf dem Umschlag des Buches "Allein unter Deutschen" zu sehen war. Doch siehe da: er stand vor einem ganz anderen Hintergrund. Hebräische Buchstaben und ein schwarz gekleideter Jüngling mit Hut umrahmten Tuvia. Der Titel des Buches ist: "Allein unter Juden". In kürzester Zeit hatte ich das Buch bei mir, das Lesen dauerte wegen seines umfangreichen Inhalts etwas länger.
In diesem Buch bewegt sich der gleiche Tuvia ganz ähnlich wie dazumal in Deutschland nun durch Israel. Er stößt auf die seltsamsten Gestalten, entlockt ihnen mit seinen harmlosen hintergründigen Fragen Wesentliches, geht den Dingen auf den Grund und zieht seine Schlussfolgerungen. Der Titel "Allein unter Juden" irritiert allerdings, denn Tuvia hält sich beileibe nicht nur unter Juden auf, sondern unter Palästinensern, unter Beduinen, unter Drusen, unter Vertretern von Hilfsorganisationen aus Europa, unter westlichen Journalisten und nicht zuletzt unter Katzen.
(Der Originaltitel "Catch the Jew" ist ungleich aussagekräftiger. Es ist eine schlechte Angewohnheit in Deutschland, Buchtitel in der Übersetzung willkürlich zu verfälschen)
Wahrscheinlich der vielschichtigen und differenzierten israelischen Gesellschaft geschuldet ist die Tatsache, dass das Buch fast doppelt so viele Kapitel hat wie sein Vorgängerbuch und daher recht unübersichtlich ist. Tuvia springt im Land und in den verschiedenen Milieus hin und her, so dass man leicht die Übersicht verliert. Das Verstehen des Inhalts erleichtert es, wenn man ein wenig oder möglichst etwas mehr über Israel Bescheid weiß, sowohl geografisch als auch über die Verhältnisse dort.
Was mich ebenso wie im ersten Buch fasziniert ist: Tuvia durchschaut alle! Er lässt sich von keinen noch so wohlklingenden Aussagen hinter´s Licht führen und seine Fragen zeigen, dass er derjenige ist, der die Richtung des Gesprächs angibt. Er durchschaut die Diskrepanzen im Reden und im Handeln der geschilderten Personen. Tuvia Tenenbom wendet einen lockeren Schreibstil an, er macht sich sowohl über sich als auch über seine Gesprächspartner lustig. Ab und zu hält er es nicht mehr aus. Dann redet er Klartext und zieht ein bitteres Resümee über das Verhalten der unzähligen dubiosen Organisationen, die in Israel ihr Unwesen treiben. In deren absurden Handlungsweisen erkennt er klar was sie sind - verschiedene Spielarten des Antisemitismus.
anne.c - 30. Nov, 22:29
Als ich vor kurzem im Land Brandenburg eine Rast am schönen Autobahnkirchlein in Duben gemacht habe, war ich befremdet von einem Heldengedenkstein, unmittelbar vor der Kirche, auf dem in goldener Schrift den gefallenen Helden der Gemeinde Duben dafür gedankt wurde, dass sie ihr Leben im ersten und zweiten Weltkrieg ließen. Mit Kreuz, Eichenlaub und einem steinernen "Stahlhelm" obendrauf.
Wenn man solche Dankesbezeugungen mit Äußerungen vergleicht, die in offiziellen Presseerzeugnissen der evangelischen Kirche gedruckt sind, muss man staunen. Absoluter Pazifismus ist angesagt. Da verkündet die Gemeinschaft der Nagelkreuzler in der brandenburgischen Kirchenzeitung (Nr.42, 19.10.2014), ähnlich wie man es auch schon einmal von der Ex-Bischöfin Käßmann vernommen hat, dass zu Ende des zweiten Weltkriegs die alliierten Bomber viel Unheil über Deutschland und vielen unschuldigen Menschen den Tod brachten. Um solch Unheil nie noch einmal geschehen zu lassen, solle man sich lieber nicht in die Kämpfe, die im Augenblick im Irak und Syrien stattfinden, einmischen. Wenn man sich vor Augen hält, was dort geschieht, wie sehr Menschen leiden und was für Konsequenzen jede weitere Gebietseroberung von IS nach sich zieht, gerät man ins Nachdenken? Was würden Nagelkreuzler sagen, wenn IS im beschaulichen Hiddensee, dem Tagungsort der wohlmeinenden Gemeinschaft, auftauchte oder etwa im Seebad Brighton, wo ihr prominenter Mitstreiter Paul Oestreicher lebt? Ob jene Gruppe von Menschen sich bewusst ist, welche Verantwortung sie auf sich nimmt, wenn sie die jungen Leute, die an der Tagung teilnahmen, in dieser Weise beeinflusst? Die Quintessenz viertägigen intensiven Nachdenkens auf Hiddensee - weitab von jedem Kriegsgetümmel - war, dass wir "freundlicher zu Flüchtlingen sein sollten". Paul Oestreicher bezeichnet diese Mischung aus Ignoranz und Freundlichkeit als: "Entfeindung" und gibt die Erklärung dazu: Macht und Liebe brauchen nicht in getrennten Welten zu sein (was immer man darunter verstehen mag). Er wagt sich sogar zu dem Schluss, dass wer jene Haltung der Entfeindung einnimmt, der gehöre zu solcherart von Gerechten, wie sie seinerzeit in Gomorra vergeblich gesucht wurden.
Interessant wird es, wenn man bedenkt, dass die brandenburgische Kirchenzeitung neutral bis wohlwollend den Bericht über jene Nagelkreuzler schrieb. Dass Dankesdenkmäler für Helden des zweiten Weltkrieges in ihrem Einzugsbereich direkt vor Kirchen stehen, scheint ihr dagegen gleichgültig zu sein. Ich konnte es jedenfalls noch nicht als Thema entdecken. Warum existieren diese Denkmäler unwidersprochen und in den medialen Schatten gestellt, während die radikalpazifistische Einstellung von Christen für die die Gefahr, Opfer von Gewalt zu werden, gegen Null tendiert, gern nach Außen getragen wird? Wer kann diese Diskrepanz erklären?
anne.c - 23. Nov, 15:53
Als ich den letzten Beitrag schrieb, wusste ich noch nicht, dass am Volkstauertag Avi Primor, ehemaliger israelischer Botschafter in Deutschland, die Trauerrede im Bundestag halten wird. Tuvia Tenenbom würde wieder sagen: " Ich kann es gar nicht glauben, dass wir schon wieder bei den Juden sind!"
Zu allen möglichen Gedenken werden neuerdings jüdische Redner herbei zitiert, und wie es der Zufall will, sind sie meist von der israelkritischen Sorte, ich denke an Alfred Grosser, der 2010 die Rede zur Erinnerung an die Reichspogromnacht hielt. Oder es sind Juden, die eine besondere Vorliebe für Deutschland hegen, wie es von Avi Primor bekannt ist. Es ist nichts daran auszusetzen, wenn ein Mensch wie Avi Primor in Deutschland gute Erfahrungen gemacht hat, sich hier wohl fühlt und das auch ausspricht. Wenn solches aber am Volkstrauertag geschieht bei einer Rede vor dem deutschen Parlament zum Gedenken an alle Kriegstoten, dann nimmt dieses schon makabre Züge an, und man fragt sich, wie man innerlich die verschiedenen Gruppen von Kriegstoten ordnen soll. Wahrscheinlich ist es gerade Sinn der Sache, mit Hilfe solcher Reden, gern aus dem Mund von Juden, die Kriegstoten bis zur Unkenntlichkeit zu eliminieren.
Es stellt sich die Frage, wem es nützt, dass man um die Kriegstoten als um eine allgemeine, verschwommene Masse trauert, indem man sie alle auf eine Stufe stellt? Das Eliminieren nützt denjenigen, die im Krieg die überwiegende Menge der Mörder stellten und es schadet denjenigen, die fast wehrlos dem Morden ausgeliefert waren. Dessen müsste man sich bei einer derlei fragwürdigen Einstellung zum Krieg und seinen Opfern bewusst sein. Und so kommen zwangsläufig solch paradoxe Wortschöpfungen zustande wie "mit solch einem Deutschland trauere ich gern", was mich an den unvergesslichen Satz : "Sei spontan!" des unvergessenen Paul Watzlawick erinnert.
anne.c - 18. Nov, 17:52
Angeregt durch Berichte über einen Gerichtsprozess, bei dem Tuvia Tenenbom (siehe Blogeinträge vom 1.1.13 und 24.2.13) als Zeuge auftrat, las ich das Buch "Allein unter Deutschen" dieses jüdisch-amerikanischen Schriftstellers " noch einmal.
Aus meiner Rezension vom 1.1.13:
"Das Buch erzählt, wie sein Autor, dieser beleibte, freundliche, arglose, neugierige und sich unbedarft gebende Amerikaner durch die deutschen Lande zieht und mit Menschen ins Gespräch kommt. Die Interviewten unterschiedlichsten Typus haben immer wieder eins gemeinsam: Egal, was der Anlass des Gesprächs ist, egal wie harmlos die Unterhaltung beginnt, fast wie Marionetten gelenkt kommen die Gesprächspartner bald auf ein Thema, nämlich Juden, Holocaust und Israel zu sprechen. Dabei verheddern sie sich in ihren jeweils eigenen Logiken und beim Versuch, diese zu entwirren werden ihre Statements meist immer absurder. Das Buch schildert fast ausschließlich Szenen solcher Art, so dass man sich fragt: Hat Tenenbom das wirklich alles so erlebt? Ist nicht manches doch konstruiert? Das fragte ich mich also, und dann fielen mir, je länger ich nachdachte, desto mehr ähnliche Szenen ein, die ich in verschiedenen Varianten und in verschieden Milieus selbst erlebt habe. Schließlich fragte ich mich: Woher weiß Tuvia Tenenbom das alles, ich habe ihm doch gar nichts erzählt?"
Viele Szenen könnte ich erzählen, wie bei Unterhaltungen, bei Buchbesprechungen, in Bibelstunden aus heiterem Himmel das Gespräch auf eben jene Themen kam. Die Unterschiedlichkeit zu den Szenen, die Tenenboim schildert, liegt darin, dass in jenen Unterhaltungen, die ich erlebte, das Gespräch - wenn man fast zwanghaft auf Juden, Holocaust, Israel gekommen war -, blitzschnell wieder abgebrochen wurde im Wissen, dass man sich auf ein unsicheres Terrain begibt und sich eventuell bloß stellen könnte, während Tenenboim bohrt und bohrt und den Leuten das entlockt, was sie eigentlich gar nicht haben sagen wollen.
Am Sonntag, dem 9.11., wurde im Radio des 25. Jahrestages des Mauerfalls gedacht. Während des Frühstücks hörte ich die Sendung "Am Sonntagmorgen". Die Sendung wollte zum Ausdruck bringen, welch großartige Chancen auf Grund dessen, dass die Mauer fiel, Menschen eröffnet worden sind. In diesem Fall handelte es sich um einen Mann, der als Jugendlicher Repressalien in der DDR zu erleiden hatte, und der nach dem Mauerfall dank guter Studienmöglichkeiten zum Professor für Theologie und Archäologie wurde. Sei Lebensweg war wirklich beachtlich und interessant, aber prompt landete er in Jerusalem, wo er nichts besseres zu tun hatte, als auf die dortige Mauer hinzuweisen, hinter der es schlechte Lebenschancen und wenige Arbeitsmöglichkeiten gibt. Nähere Hinweise dazu gab er nicht, das überließ er der Phantasie des Zuhörers. Gern hätte ich anschließend noch ein Gespräch Tuvia Tenenboms mit jenem Professor gehört in dem Tuvia in altbewährter Weise so wie im Buch seine hartnäckig "naiven" Fragen stellt.
Sollte jemand meinen, dass dieser Professor, der dank seiner Chancen und seiner Bildung zum Leiter bedeutender archäologischer Projekte in Jerusalem geworden ist, gar nicht umhin kann, als die dortige Mauer zu erwähnen, dann würde ich antworten: Warum muss am Tag des Mauerfalls ausgerechnet im Radio eine Sendung laufen, die prompt zur israelischen Mauer hinführt? Oder wie Tuvia bemerken würde: "Ich kann es gar nicht glauben, dass wir schon wieder bei den Juden sind!"
anne.c - 13. Nov, 09:26
In diesem Blog, fast zu Beginn meines Schreibens, veröffentlichte ich am 22.08.2011 meine Ansichten zum Mauerfall. Nachdem nun dieses Thema gerade groß auf der Tagesordnung steht, möchte ich das, was ich damals schrieb noch einmal in Kürze zusammenfassen:
- Der Fall der Mauer am 9.11. 1989 war keinesfalls ein Wunder, sondern er war Resultat des permanenten wirtschaftlichen und moralischen Verfalls der DDR, der wiederum auch ein Resultat identischer Schwäche der Sowjetunion war. Dass die Mauer nicht länger zu halten war, hat nichts mit einem "Zeitfenster", von dem manchmal geredet wurde, zu tun, sondern der Fall der Mauer war eine Frage der Zeit. Die Zeit davor war keine Revolution, sondern ein Vorgang, der konsequent zur Implosion der DDR führte.
- Wenn im Zusammenhang mit der Mauer von einem Wunder die Rede ist, dann gibt es nur dieses Wunder: Den 28 Jahre langen Bestand der Mauer! Es war eine logistische, materielle und auch ideelle Großleistung, 17 Millionen Menschen über 28 Jahre gefangen und gefügig zu halten, und sie war nur durch aktive Mithilfe eines großen Teils der Bevölkerung möglich.
- Also bestände eigentlich mehr Anlass, des 13. August in Scham zu gedenken, als dem Tag, an dem sich das Volk der DDR für 28 Jahre selbst einschloss. So etwas macht aber kein Volk, es deutet seine Vergangenheit ins Positive und schafft sich Mythen. So hat der Jubel am 9. November eine geschichtliche Logik.
- Es besteht trotzdem Grund, der konkreten Erlebnisse jedes Einzelnen und der Bevölkerung insgesamt in diesen Tagen zu gedenken und, so man es möchte, sie auch zu feiern. Denn es waren geschichtlich einmalige Tage, und selbstverständlich hätten die Ereignisse auch in wesentlich unangenehmerer Form stattfinden können. Für mich sind die Tage im zweiten Halbjahr 1989 so etwas wie ein gut gelungenes geschichtliches Gesamtkunstwerk.
anne.c - 7. Nov, 21:36
Oft ist man beeindruckt, wenn man zum Gedenken an Ereignisse des Krieges und der Nazizeit die Rede eines hohen Repräsentanten unseres Staates hört. "Die haben tatsächlich etwas begriffen!", könnte man denken. Man hört es den Reden an, dass sie von Experten "abgeklopft" wurden, damit sich keine unpassende Metapher einschleicht, mitwirkende Historiker ordnen die Dinge korrekt den historischen Ereignissen zu, alles Für und Wider wird bedacht.
Im privaten Rahmen liegen die Dinge ganz anders. Da fällt manch unpassender Vergleich, da werden geschichtliche Tatsachen geklittert, so dass man am Ende nicht mehr weiß, worum es eigentlich ging. Man erfährt aber genau, wer gut und wer böse war. So wurde ich neulich in einem privaten Gespräch, in dem es anfangs nur um Musik ging, mit der Äußerung konfrontiert, dass Churchill ein Kriegsverbrecher war. Von einem jungen Mann, der eigentlich so einen Abstand zum 2. Weltkrieg hat wie ich zum 1. Weltkrieg, also zu etwas was weit, weit weg liegt, und nun wurde bemerkt, dass Churchill an der Zerstörung Königsbergs Schuld hat.
"Wieso das? Mir ist nur bekannt, dass Königsberg die erste deutsche Großstadt war, in die die Russen einzogen und dass sie dort ungeheure Verwüstungen anrichteten, was angesichts dessen, was in Russland nur kurz zuvor stattfand - man denke an die Blockade Leningrads - zumindest zu verstehen ist", sagte ich, "und zur Festung hatten die Deutschen die Stadt nun einmal auch erklärt!" Dann wurde ich über die Bombardierungen dieser Stadt durch die Engländer im August 1944 aufgeklärt. "Und stellt euch vor, die Engländer haben mit Absicht nur die Wohngegenden mit Zivilisten und die historische Altstadt zerstört, wogegen sie die Wehrmacht ungeschoren ließen, denn diese hatte Churchill dazu vorgesehen, dass sie die Russen von England fern halten".
Der junge Mann gab uns bereitwillig Auskunft, über sein Wissen. Es gibt den Verein Freunde Kants und Königsbergs e. V., und dessen Vorsitzender, Gerfried Horst, hat ein Buch mit Thesen über die Zerstörung Königsbergs geschrieben. Es wird beworben mit folgenden Worten: "Die britische Politik der unterschiedslosen Bombenangriffe gegen die Zivilbevölkerung leitet der Verfasser aus den schon von Kant kritisierten Kolonialkriegen her, mit denen das britische Weltreich errichtet wurde."
Auf der Internetseite des Vereins Freunde Königsbergs und Kants e.V. stehen solche Unterstellungen allerdings nicht. Dort ist alles politisch korrekt und die Rede ist hauptsächlich vom berühmten Bohnenessen und von Kants Projekt des ewigen Friedens. Es gibt weiterhin Zitate von gebildeten und klugen Persönlichkeiten, auch Hannah Ahrend fehlt in diesem Reigen nicht, denn Juden adeln solcherlei Darstellungen.
Der Kreis schloss sich auf einer Internetseite, auf die ich beim Recherchieren stieß. Sie begann mit folgendem Zitat: "Eine der großen Geschichtslügen, die Deutschen hätten mit dem Luftterror begonnen, ist historisch schon lange widerlegt." Die Seite beschäftigt sich eingehend mit dem zweiten Weltkrieg, der aus ununterbrochener Folge von alliierten Kriegsverbrechen gegen Deutschland bestand. Inhaltliche Überschneidungen zu den Ansichten des Gerfried Horst über die Zerstörung Königsbergs gab es durchaus.
anne.c - 1. Nov, 13:00
Bis Ende Oktober 2014
anne.c - 29. Sep, 19:26