Sonntag, 6. April 2014

Gibt es nicht überall Schizophrenes?

Im Kleinen wie im Großen? Im Kleinen sieht es so aus: Ein Pfarrer predigt in einer Gemeinde in der Passionszeit: Sollte man es nicht einmal ausprobieren, für eine gewisse Zeit auf etwas zu verzichten? Man kann dadurch etwas gewinnen, wovon man vorher gar nichts gewusst hat. Vorsichtshalber gibt er keine Ratschläge, worum es sich beim Verzicht handeln könnte. Ein üppiges Essen kann es jedenfalls nicht sein, denn unmittelbar nach der Predigt zum Verzicht lädt er für nächste Woche zum Festessen für die Gemeindehelfer ein. Bei dieser Art von Beliebigkeit kann ich mir vorstellen, dass man auch einmal auf den Verzicht verzichten könnte, und man gewönne vielleicht auch etwas Neues für sich?

In einem Ort werden jährlich große Fotoveranstaltungen durchgeführt. Schönste Naturfotos in Großformat stehen auf Plätzen, in Galerien, Zelten. Oft verbunden mit dem Hinweis, die Natur doch bitte zu schätzen, zu erhalten, zu pflegen zu bewahren. Auch manchmal mit dem Hinweis, dass dieses oder jene fotografierte Tier durch den Klimawandel vor dem Aussterben bedroht sei. Im gleichen Ort werden Laserlichtschauen veranstaltet zu denen (angeblich oder tatsächlich) zehntausend Menschen z.T. von weit her angefahren kommen, um diesem energiereichen Spektakel zuzuschauen.

In den Nachrichten wird über den Klimawandel berichtet. Wie Temperaturen sich erhöhen, Unwetter zunehmen, der Meeresspiegel steigt. Was man dagegen tun kann, mit welchen Mitteln man den CO-2-Ausstoß reduzieren könnte. Unmittelbar darauf kommt in den Nachrichten: die Piloten streiken, es gibt 4000 Flüge weniger. Besser kann man doch nicht den CO-2-Ausstoß senken. Warum jubelt man nicht, sondern beklagt den Streik? Ich weiß, Nachrichten sind neutral, sie sollen keine Wertungen bringen (wenn man sich doch nur daran halten und nicht mittels lobender oder abwertender Attribute durchaus oft Nachrichten werten würde!). Aber auch kein Kommentator bejubelte die Einsparung des CO-2-Ausstoßes oder wäre sogar auf die Idee gekommen, dass insgesamt viele Flüge nicht nötig wären oder durch die Besteuerung des Kerosins unattraktiver gemacht würden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Menschheit ernsthaft an den Klimawandel, bzw. an schlimme Auswirkungen des Klimawandels glaubt, so lange Kerosin für Flugzeuge subventioniert wird, so lange es die Formel 1 gibt und so lange es Massengroßveranstaltungen gibt.

Sonntag, 30. März 2014

Wie war es im Krieg so langweilig!

Es stimmt, es muss eine langweilige Zeit für die deutschen Mädchen, die in den böhmischen Gebirgen lebten, gewesen sein. Die jungen Männer waren im Krieg, die zurückgebliebenen Frauen lebten unter alten Männern und sehnten sich nach Abwechslung. Krieg spielte sich überall ab, nur nicht bei ihnen. Es war wirklich langweilig, sie konnten nicht einmal reisen.

So erzählte es uns vor Frau T. Warum habe ich nur die liebe, gutartig Frau T. dazu ausersehen, sie als Beispiel zu nehmen für die einäugige, ganz auf sich bezogene Art eines Teils der Deutschen, wenn sie sich mit der Vergangenheit beschäftigen? Sie ist sehr redselig, und ihre Gedanken sind, je älter sie ist desto mehr, mit den vergangenen Zeiten beschäftigt. Und es ist ihr Schicksal eine vertriebene Sudentendeutsche zu sein. Es ist ein Schicksal, das sich von dem anderer Flüchtlinge des 2. Weltkriegs sehr unterscheidet. Im Gegensatz zu anderen Flüchtlingen, die nach einer meist schrecklichen Flucht glücklich waren, aus dem Inferno herausgekommen zu sein, hat es die Sudetendeutschen ganz anders getroffen: sie wurden aus ihrer Idylle hart und plötzlich herausgerissen, in der sie einige Jahre die Herrenmenschen hatten spielen dürfen, danach ängstlich und von ihrer Umgebung nicht geliebt, doch gehofft hatten, mit einem "blauen Auge" davon gekommen zu sein und ihr gemächliches Leben weiter führen zu können. Und nun entpuppten sich ihre Nachbarn genau als die bösartigen Vertreiber, raffgierig und hartherzig, wie sie selbst es vor einigen Jahren gewesen waren, als man Tschechen und deutsche Sozialdemokraten aus den Sudentengebieten vertrieb und die Juden zum Abschlachten in Viehwaggons verfrachtete. Das haben natürlich die Kinder, die jungen Mädchen, nur vom Weiten wahrgenommen, es betraf sie ja auch nicht, aber selbst Frau T. konnte nicht verschweigen, dass sie etwas davon mitbekommen hat.

Ich habe viel Verständnis für Frau T.: Ich habe Verständnis dafür, dass ein Mensch an erster Stelle und vor allen Dingen das wahrnimmt, was er selbst erlebt. Ich habe auch Verständnis dafür, dass ein Mensch in einer Zeit, in der andere Menschen schlimmsten Grausamkeiten ausgesetzt waren, wenn er Glück hatte, ein zufriedenes oder eben auch langweiliges Leben hat führen können. Man könnte wohl gar nicht leben, wenn man alles Schreckliche, was gerade geschieht, im Auge hat. Aber jeder Mensch wird erwachsen und erhält einen Überblick über das, was in seiner Lebenszeit geschehen ist. Ich erwarte von einem "erwachsenen" Menschen, dass er eines Tages weiß, in welchen Zusammenhängen sein Leben gestanden hat, und dass er sich sein Urteil danach bildet.

Zwei Aussprüche von Frau T. kann ich nicht vergessen, sie erscheinen mir sehr aussagekräftig: Das ist der Bericht, wie sie als junges Mädchen nach dem Krieg von den Tschechen ihrer Umgebung interniert war. Man gab ihnen kein Wasser zum Waschen, sondern ihre Bewacher sagten, sie können sich ja in der Elbe waschen. Dass sich darüber die jungen Mädchen empörten, die niemanden etwas Böses getan hatten, kann ich verstehen, jedoch kann ich nie die Schlussfolgerung von Frau T. verstehen: "In diesem Moment begriff ich, dass es nicht nur gute Menschen auf der Welt gibt.!" Und wenn sie es wirklich erst in diesem Moment begriffen hätte, vielleicht war sie ja so naiv und blauäugig und hat die ganze Kriegszeit nichts Böses wahrnehmen können, weil es sie nicht begreifen und nicht wahrnehmen wollte! Aber so etwas 50 Jahre später mit der gleichen Empörung zu erzählen, wo sie wirklich alles hat erfahren können, was nur zu erfahren möglich ist …….!

Bei unserer gemeinsamen Reise nach Israel ergab es sich, dass gerade unsere israelische Reiseleiterin auch eine "vertriebene Sudetendeutsche" war, aber eine der anderen Art: Als jüdisches Kind war es ihr noch 1938 gelungen, mit ihren Eltern das Land zu verlassen. Frau T. war sehr mitfühlend, wie sie es immer ist (wirklich!): "Da haben sie aber Glück gehabt, dass sie rechtzeitig fliehen konnten!" Beide haben das gleiche Land verlassen müssen, für die eine sollte es ein Glück sein, für die andere das Unglück ihres Lebens, das sie nie verwinden kann. Subjektiv ist es wahr: hätte unsere spätere Reiseleiterin nicht das Glück gehabt, mit ihren Eltern geflohen zu sein, hätte man das kleine Mädchen in einer Gaskammer umkommen lassen. Frau T. hatte dagegen das Unglück, aus einem wohlbehüteten Elternhaus in eine ungewisse Zukunft verstoßen worden zu sein. Dieser Ausspruch setzt voraus, dass sie es als verinnerlichte und nicht in Frage zu stellende Tatsache ansieht, dass man die Juden umgebracht hat. Sollte man nicht an erster Stelle das Unrecht wahrnehmen, das die Voraussetzung für das "Glück der Flucht" war?

Freitag, 21. März 2014

Außer der allgemein üblichen Lesart

kann man die Vorgänge auf der Krim auch unter anderen Gesichtpunkten sehen.

Zum Beispiel so: Der machtbewusste Putin muss mit ansehen, wie die EU und in ihrem Gefolge die Nato ihre Fühler, ohne ihn im Geringsten mit einzubeziehen, in seine unmittelbare Nachbarschaft ausstreckt. Die Ukraine und Russland sind durch gemeinsame Geschichte und Kultur sowie die Tatsache, dass die Bevölkerungen hier wie dort vielschichtig "vermischt" sind, eng miteinander verflochten. Ganz abgesehen davon, dass die Existenz der Ukraine von den russischen Erdgaslieferungen und der Kooperation mit der russischen Industrie abhängt, ohne die der sowieso drohende Bankrott unabwendbar wäre. Als Putin erkannte, wie unberechenbar die Politik der Ukraine wurde, und dass sich bereits Stimmen regten, die die Ukraine in der Nato sehen wollen, müssen bei ihm die Alarmglocken geläutet haben.

Im Zusammenhang mit der Krim hört man die absurdesten Vergleiche: Das sei wie der Anschluss des Sudetenlandes 1938 oder die Invasion in die Tschechoslowakei 1968. Das könne der Beginn einer fortschreitenden Invasion in alle Gebiete des ehemaligen Ostblocks sein. Warum können die Meinungsmacher - als die ich insbesondere die Medien, aber auch die Politiker sehe - ihre Aufmerksamkeit nicht dem Fall widmen, wie er tatsächlich eingetreten ist? Und warum verkünden sie vage Vermutungen als wären sie unumstößliche Realität? Warum wurde sehr selten die Krim als Teil der russischen Geschichte und Kultur erwähnt? Ebenso selten wurde die ominöse "Schenkung" der Krim durch Chrustschow - immerhin einem Ukrainer - an das Volk der Ukraine vor 60 Jahren erwähnt. Diese Schenkung sollte doch einmal völkerrechtlich überprüft werden! Eine Volksbefragung gab es damals jedenfalls nicht.

Wenn ein so großes Land und militärisches starkes Land seinen wichtigsten Marine-Seehafen auf der Krim hat, muss ihm das Näherkommen der Nato in die direkte Nachbarschaft dieses Hafens nicht nur als Provokation, sondern auch als Gefahr erscheinen. Was der laufende Pachtvertrag für den Hafen wert ist, wenn die Nato erst einmal auf der Krim etabliert ist, das hat Putin bei der ständigen Osterweiterung der Nato erfahren. So kann ich mir kaum vorstellen, dass Putin direkt neben seiner Flottille ein paar Nato-Raketen, sozusagen als Schutz und Bedrohung stehen haben wollte. Ein Machtpolitiker, der einen wichtigen Bestandteil seiner Macht, nämlich seine Seeflotte, einfach aufs Spiel setzt, kann seine Macht auch gleich aufgeben.

Man muss Putin nicht mögen und man kann mit vielen seinen Handlungen nicht einverstanden sein. Aber man versteht doch vieles besser, wenn man versucht, sich in Putins und Russlands Lage hinein zu versetzen, so wie es auch die Pflicht eines jeden Außenpolitikers ist, anstatt nach Belieben sein eigenes düsteres Bild zu zeichnen.

Freitag, 14. März 2014

Die 10 Gebote

Immer wieder kann ich es nicht lassen und gehe zu Veranstaltungen und Vorträgen, bei denen mich der Inhalt weniger interessiert, als das was der Vortragende daraus macht. So besuchte ich einen Vortrag über die 10 Gebote, der in einem kirchlichen Kulturzentrum gehalten wurde. Ich versuche möglichst derartige Vorträge so wahrzunehmen, als wüsste ich nichts von der Materie und hörte das Thema zum ersten Mal.

Es war ein Pfarrerehepaar, das die Veranstaltung vorbereitet hatte. Etwa 40 Zuhörer waren erschienen - eine ansehnliche Zahl für eine kleine Stadt. Zuerst wurden das geschichtliche Umfeld der altisraelischen Wüstenwanderung geschildert - Moses auf dem Berg Sinai, der Tanz um das Goldene Kalb, das Zerbrechen und der erneute Empfang der Gesetzestafeln. Dann wurden in aller Kürze die auch heute noch weitgehend bekannten Gebote vorgestellt. Der Dekalog als Richtschnur des menschlichen Lebens, aber auch als Wegweiser zur Freiheit und zur eigenen Urteilskraft. Danach wurde die Sache etwas komplizierter. In Gruppen sollten die Zuhörer ein Dilemma besprechen, das im Schicksal eines Mannes bestand, der aus Liebe zu seiner krebskranken Frau in eine Apotheke einbricht, weil er das hoch wirksame, aber gerade erst entwickelte und deshalb unmenschlich teure Krebsmedikament nicht bezahlen kann und auch nicht auf Kredit vom Apotheker bekommt. Das Mitgefühl für den armen Einbrecher war groß, und ihm wurde bescheinigt, dass er aus Liebe gehandelt habe. Ganz geklärt wurde die Sache nicht, die Geschichte lief auf die Feststellung zu, dass Liebe das Höchste sei, und dass Liebe über den Geboten stehe und diese auch außer Kraft setzen könne. Als dann auch noch der Apostel Paulus mit seinen Lobpreis der Liebe zitiert wurde, verklärten sich viele Augen, und die Versammlung war eigentlich damit zur allgemeinen Zufriedenheit geschlossen.

Wenn alle einer Meinung sind, reizt es einige, die Leute ein wenig in Verwirrung zu bringen, und so meldete sich eine Frau und sagte, es würde sie ganz und gar nicht zufrieden stellen. Die Gebote seien doch wenigstens etwas Konkretes, denn die könne man einhalten oder auch nicht bzw. sich mit ihnen auseinandersetzen. Die Liebe sei als Begriff etwas Schwammiges, in jede Richtung hin Auslegbares, und man könne damit die größten Verbrechen rechtfertigen. Das wäre dann eben keine Liebe, wurde geantwortet, denn wenn man liebe, dann wisse man automatisch was das Richtige sei. In Sachen Liebe könne man nichts Falsches tun. Die Kritikerin bekam es gerade noch fertig zu erklären, dass man dann den größten Teil der Weltliteratur einstampfen müsse, aber wie es immer ist, wenn es spannend wird - der Abend wurde beendet, und die Frau, welche die Liebe als Richtschnur des Lebens in Frage stellte, verstummte, wohl um die Liebesfähigkeit der Gemeinde nicht allzu sehr auf die Probe zu stellen.

Später dachte ich darüber nach, wie es möglich ist, dass eine ganze Religionsgemeinschaft sich die Liebe zu ihrem am höchsten verehrungswürdigen Gut erkoren hat. Gleichzeitig wird diese Liebe in eine mit Beamten bestückte Institution gepresst mit Pfarrerdienstgesetz, unzähligen Paragraphen, Beamtenbesoldung und Pensionsregelungen. Das scheint mir der Liebe ähnlich zuträglich, wie der Befehl: Sei spontan! (des von mir verehrten Paul Watzlawick). Aber die Liebe ist in jede Richtung auslegbar, und so wird wohl ein jeder seine Art finden, wie er die Liebe mit dem Beamtensold unter einen Hut bringen kann.

Sonntag, 9. März 2014

"Im Luftreich des Traums"

Es ist meine Absicht, dass in jedem meiner Einträge ein wenigstens entfernter Bezug zum Titel des Blogs zu entdecken ist. Der schöne Traum, dem man selig träumt, während in der Realität ganz andere Kräfte walten. Selten traf dieser Titel so die Wirklichkeit, wie es bei den jetzigen scheinbar verworrenen Geschehnissen im Bezug auf die Ukraine, Russland und die EU der Fall ist. Als Ende des letzen Jahres immer wieder vom Assoziierungsabkommen mit der Ukraine die Rede war, konnte ich es kaum fassen. Hatte man sich nicht gerade mit Rumänien sehr schwer getan? Und was war mit Griechenland? Und mit Zypern? Wie will die EU mit den Kandidaten vom Balkan umgehen? Hatte ich doch oft gehört, dass die EU sich als Werte- und Wirtschaftsgemeinschaft sieht. Mir schien es, als wäre das wahre Ziel der EU die Ausdehnung der eigenen Macht auf ein größtmögliches Territorium. Ganz davon abgesehen, dass eine sehr lange Grenze und die historische und kulturelle Nähe der Ukraine zu Russland viele Schwierigkeiten herauf beschwören würde.

Wie die Ereignisse weiter gingen, ist bekannt. Ich möchte hier nicht als Sympathisantin Wladimir Putins erscheinen. Jedoch sehe ich sehr viele Fragwürdigkeiten auf der anderen Seite, also bei den "Helden des Maidan" und besonders bei der rasch und auf nicht transparentem Wege zusammen gestellten neuen Regierung der Ukraine. Als ich hörte, dass ihr erster Beschluss das Abschaffen von Russisch als Amtssprache sei, ungeachtet dessen, dass auf manchen ukrainischen Gebieten mehr Russen als Ukrainer leben, wurde ich sehr misstrauisch. Da schwangen sehr nationalistische Töne mit, und dass so etwas im Sinne der EU sei, konnte ich mir nicht vorstellen. Doch von Seiten der EU wurde diese durch keine Wahlen legitimierte Regierung anerkannt, und es sollten zusammen mit ihr weit reichende Abkommen geschlossen werden. Des Weiteren wurden personelle Entscheidungen getroffen, die nichts mit einer demokratischen Legitimation gemeinsam haben. Die Abhängigkeit vom russischen Gas schien gar keine Rolle zu spielen, wo doch sonst das höchste Ziel der EU eine allseits florierende Wirtschaft ist, die ja auf ungehinderten Energiefluss angewiesen ist. Als man hörte, wie hoch die Ukraine verschuldet ist, wie sehr die Korruption grassiert, wie gering die Produktivität ist, konnte man es um so weniger fassen, dass sich Europa so sehr in die Ukraine "verguckt" hat - es passte alles nicht dazu, was Europa über sich verkündet.

Als die Gerüchte aufkamen, dass die Schießerei am 20. Februar. auf dem Maidan mit den vielen Toten möglicherweise nicht durch Janukowitschs Polizeitruppen zu verantworten ist (so lautet inzwischen sogar die Erklärung ukrainischer Regierungsstellen), haben die deutschen Medien diese Indizien tagelang ignoriert und tun es weiterhin, obwohl sie auf einem zwar abgehörten - doch später offiziell bestätigten - Gespräch des estnischen Außenministers Paet mit der EU-Außenpolitikbeauftragten Lady Ashton beruhen. Wenn man Augenzeugenberichte, Interviews, Videos und Artikel studiert, entsteht ein anderes Bild, und man beginnt zu verstehen, dass die Geschichte sehr viel komplizierter ist als der schöne Traum der Helden auf dem Maidan. Und sehr viel anders, als es sich die naiven Machtpolitiker der EU erträumen.

Sonntag, 2. März 2014

Martin Schulz III

In diesem Beitrag geht es fast nicht um Martin Schulz, sondern darum, wie Antisemitismus üblicherweise transportiert wird. Martin Schulz wurde vor ein paar Tagen erwartungsgemäß zum Spitzenkandidaten der Sozialdemokraten für das europäische Parlament gewählt. In diesem Zusammenhang hörte ich nicht nur einmal, sondern mehrere male in Nachrichtensendungen: " .....er kann auch unbequem sein, z. B. hat er eine Rede vor der Knesset gehalten und sich nicht gescheut, die Siedlungspolitik der Israeli zu kritisieren. Er sagte in seiner Rede ( Originalton): "Wie kann es sein, dass Israelis 70 Liter Wasser am Tag benutzen dürfen und Palästinenser nur 17 ?" (dann folgte Tumult in der Knesset).

Hier kann man tatsächlich sagen: Eine Lüge wird so lange wiederholt, bis sie zur Wahrheit wird. Wenn M.S. etwas Kritisches zu den Siedlungen gesagt hätte, dann wäre es angebracht und auch legitim, diesen Text in die Berichterstattung einfließen zu lassen. Aber nein, die falschen Zahlen zum Wasser werden immer und immer wiederholt, obwohl es genug Möglichkeiten gibt, sie vor einer solchen Meldung zu hinterfragen. Die Literzahlen des Wassers sind auch längst geklärt. Palästinenser haben ausreichend Wasser, und wenn die Literzahlen der Israeli weit höher sind, so liegt das daran, dass die Berechnung dazu kompliziert und komplex ist und Landwirtschaft, Bewässerung und ein sehr marodes Wassersystem im Westjordanland die Berechnung beeinflussen.

Es kann also kein Zufall und kein Versehen sein. Nachrichtensendungen werden sehr bewusst zusammen gestellt. Um es noch einmal zu wiederholen und klar herauszustreichen: Martin Schulz hat bewusst oder unbewusst vor dem israelischen Parlament gesagt, dass Israeli den Palästinensern die elementaren Lebensgrundlagen vorenthalten. Nachdem von mehreren Seiten her geklärt ist, dass diese Behauptung falsch ist, wird in deutschen Nachrichtensendern der Name Martin Schulz zum Anlass genommen, seine falschen Zahlen immer weiter zu kolportieren, indem man einfach seine Rede zitiert und ihn genau in dem Punkt, wo er nicht glaubwürdig ist, als glaubwürdigen Zeugen darstellt.

Samstag, 22. Februar 2014

Nachtrag zur Rede von Martin Schulz in der Knesset

Da die Rede von Martin Schulz vor der Knesset, die inzwischen wieder in der Versenkung verschwunden ist, viel Exemplarisches aufweist, möchte ich ihr noch einige Nachworte widmen. Hinter derartigen Äußerungen steckt ein gesellschaftlicher Wille. Vielleicht ist sich derjenige, der die Rede hält, dessen nicht einmal unbedingt bewusst. Doch im Unterbewusstsein weiß er, was er zu sagen hat, denn sonst würden diese Reden nicht so, sondern anders ausfallen.

Hinterher wird oft mit Eifer darüber diskutiert, ob derjenige, der die so genannten Eklats hervorruft, ein "Antisemit" sei. Mir ist es egal, ob jemand Antisemit ist, wenn er den Mund hält. Schlimm ist es, antisemitische Klischees und Stereotypen weiter zu transportieren. Martin Schulz behauptet, Israel entziehe den Palästinensern das Wasser, verweigere ihnen also die elementare Lebensgrundlage. Wie ich schon sagte, ist es nicht weit vom klassischen Stereotyp des Brunnenvergifters entfernt!

Die wütende Reaktion einiger Parlamentarier in Jerusalem hätten ihn „überrascht und betroffen“ gemacht, sagte Schulz danach, denn er habe eine "pro-israelische Rede" gehalten. Man kann nicht eine "pro-israelische" Rede halten, die letztlich besagt: Aber eigentlich seid Ihr unversöhnlich und Brunnenvergifter. Wenn dann der schon gewohnte Eklat ausbricht, dann heißt es: Die Juden sind resistent gegen Kritik und unversöhnlich. Und irgendetwas davon bleibt schon im Bewusstsein der Menschen hängen.

Montag, 17. Februar 2014

Die Rede des Präsidenten des europäischen Parlaments

ist fast schon ein wenig in Vergessenheit geraten, obwohl sie erst vor fünf Tagen, am 12. Februar in Jerusalem vor dem israelischen Parlament, der Kesseth, gehalten wurde. Es gab einige Tage lang in den Medien Aufregung. Dann wurde die Rede schnell wieder ad acta gelegt. Es erinnert mich an ähnliche Vorfälle, die ich selbst erlebte, wenn über Israel gesprochen wurde. Irgendjemand meldete sich lautstark und aggressiv zu Wort, und auf einmal waren alle der Meinung: Es ist doch Zeit nach Hause zu gehen, dazu haben wir jetzt keine Zeit.

Schaut man sich den Text der Rede von Martin Schulz an, so kann man feststellen: Bis er zu den kontroversen Passagen kommt, ist alles einigermaßen politisch korrekt. So wie man oft ähnliche Reden zum Thema Israel vernommen hat, und bei denen man hofft, dass sie im Fall, dass es ernst wird, auch so gemeint sind. Und dann packte den guten Herrn Schulz etwas, man kann gar nicht sagen, was es war. Er konnte die innere Stimme, die zu ihm sprach auf keinen Fall unterdrücken. Es muss einigermaßen spontan gewesen sein, denn die Rede war sorgfältig vorbereitet und durchdacht, und das was Herrn Schulz innerlich so marterte, hatte er erst zwei Tage zuvor erfahren: Die Israeli entziehen den Palästinensern das Wasser. Sie sorgen dafür, dass ihnen die elementaren Lebensgrundlagen entzogen werden. So wie Juden im Mittelalter die Brunnen vergiftet hatten um ihren Mitmenschen das Lebenselixier zu entziehen. Das muss seit dem Mittelalter von Generation zu Generation tradiert worden sein, so dass sich dieses (Unter-)Bewusstsein bei Herrn Schulz eingenistet hat.

Vielleicht hätte Herr Schulz mehr hinschauen als hinhören sollen. Nach eigenem Bekunden hatte er doch auf der palästinensischen Seite den Eindruck gewonnen, dass Mahmud Abbas in den vergangenen Jahren moderne Institutionen aufgebaut hat, die für Ordnung und Sicherheit eines demokratischen Staates sorgen. Vielleicht hätte er sein Augenmerk eher auf die Wasserleitungen und die Wasserwirtschaft der Palästinensergebiete richten sollen und prüfen, ob sie den Ansprüchen einer modernen Gesellschaft gerecht werden.

Im Luftreich des Traums

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