Das war also meine Begegnung mit Ruven Moskovic, und ich bezweifle, dass es zu weiteren Begegnungen kommen wird. Nicht weil ich Ruven aus dem Wege gehen möchte. Aber ich kenne Menschen dieser Art, die als selbst ernannte Propheten, Idealisten und Versöhner durch die Lande ziehen. Sie bringen oft Erstaunliches zustande, finden begeisterte Anhänger, Menschen, die ihnen in allen Dingen ergeben sind. Aber untrüglich ist ihr Instinkt, wenn sie auf Leute treffen, die ihnen nicht glauben, die ihr Prophetenamt nicht anerkennen. Mit Ruven habe ich nur einige neutrale und freundliche Worte gewechselt, aber wusste, dass er genau spürte, dass mit mir nichts zu machen ist.
Was mich mehr interessiert als die Person Ruven ist sein Erfolg in Deutschland - wie ihn hier die Leute aufnehmen und als Friedensstifter weiterreichen. Sogar für den Friedenspreis von Aachen ist er im Gespräch. Gerade hat er sich für einen halben Tag in unserem Ort aufgehalten. Er brachte einer Bewunderin eine Kiste seiner Bücher, die sie für ihn vertreiben soll. Es hieß, er wäre schon wieder auf dem Weg in verschiedene deutsche Städte, wo er Vorträge und Buchlesungen halten will, des Weiteren wäre ein Auftritt auf dem Kirchentag geplant.
Außer mir und meinem Mann kenne ich kaum jemanden (aber Ausnahmen gibt es), der Ruven kritisch sieht. Wir haben aus Rücksicht auf unsere Freunde eine zu kritische Diskussion über ihn immer vermieden, denn schon auf leise Zweifel bekamen wir großes Befremden zu spüren. Einmal hörte ich: „An dem Mann muss doch etwas dran sein, wenn so viele kluge und vernünftige Leute von ihm begeistert sind“.
Dass ich mit meiner Meinung ziemlich allein stehe, liegt auch daran, dass die Leute mit dieser Problematik kaum etwas anfangen können. Man weiß zwar, da ist etwas „aufzuarbeiten“, aber das ist so unangenehm, dass man eigenes Nachdenken von sich schiebt. Um so lieber nimmt man ungeprüft alles auf, was einem unter dem Stichwort „Versöhnung“ angeboten wird. Ruven nimmt man so wie er sich selbst darstellt: Als liebenswerten Friedens-Abenteurer. Und dass er an seinem Land Kritik übt, ist höchst lobenswert, jeder Mensch sollte kritisch zu seinem Land sein. Dass er sich in Deutschland überaus wohl fühlt, dazu als Jude, erscheint schmeichelhaft und weckt Assoziationen an das geliebte Wort „Aussöhnung“. Dass er den Deutschen erzählt, Juden können sehr böse Menschen sein, entlastet ein wenig das Gewissen, vielleicht war doch etwas „d´ran“, damals.
Eigentlich hege ich keinen Groll auf Ruven. Ich nehme ihn als den, der er ist, als „balkanischen Schlawiner“. Aber das Denken der Leute, für die er ein einsamer Kämpfer, ein „Friedensabenteurer“ ist, kann ich nicht nachvollziehen. Das kann ich nur so verstehen, dass vielen Leuten ein abstrakteres Reden und Denken als so etwas „Hohes“ vorkommt, dass sie von jedem, der unverständliche Gedankengänge - zudem auch noch zu solch hehren Dingen wie dem Frieden - entwickelt, beeindruckt sind, auch wenn die Kluft zur Realität noch so gewaltig bleibt.
(geschrieben 1997)
anne.c - 10. Aug, 14:00
Dann las er in nicht zusammenhängender Abfolge Passagen aus seinem Buch vor. Hauptsächlich Abschnitte biografischer Art, weniger die geschichtlichen Abrisse. Dafür um so eindrücklicher seine Gedanken und Ansichten über den Staat Israel und dessen Verhältnis zu den Palästinensern und nicht zuletzt einen Lobgesang auf das deutsche friedensbewegte Volk.
Da ich das Buch gründlich gelesen hatte, fiel es mir schwer zu beurteilen, wie diese isolierten Ausschnitte auf einen unvoreingenommenen Menschen wirken mussten. Für mich war es weniger interessant, was uns Ruven vorlas, sondern vielmehr wie es auf die Besucher wirkte, wie sie reagierten. Das kam besser in der anschließenden Fragestunde zum Vorschein. Meine Augen gingen ständig in der Runde herum. Die Leute hielten sich bedeckt, vielleicht konnte man Verwunderung in ihren Blicken lesen, sie konnten Ruven nicht einordnen. Vergeblich suchte ich nach skeptischen Blicken oder nach Empörung oder wenigstens jemanden, der sich lustig machen würde. In der Runde fand ich niemanden, der mir gleichgesinnt schien, und das hatte zur Folge, dass ich selbst an meinem Verstand zu zweifeln begann. So schrieb ich Fragen und Antworten auf.
Wenn Ruven sich nicht ganz in der Kontrolle hatte, kamen teilweise absurde Dinge zutage wie: „Uns (den Israeli) hätte das gleiche passieren können wie den Deutschen, d. h. der Holocaust ist etwas, was den Deutschen „passiert“ ist und könnte den Israeli mit den Arabern genauso „passiert“ sein, wenn nicht einige friedensliebende Menschen wie er das Schlimmste verhindert hätten. Hierzu muss man anmerken, dass aus Ruvens Buch hervorgeht, dass er sich in Israel mit allen Gruppen und Bewegungen einschließlich der Friedensbewegung verkracht hat. Den ehemaligen Bürgermeister von Jerusalem, Teddy Kollek bezeichnete er als „Einäugiger unter den Blinden“, und es gab keinen Zweifel daran, dass es in ganz Israel nur einen „Zweiäugigen“ gab, nämlich Ruven selbst…
Die Fragen der Zuhörer waren brav, beeindruckt und ehrfurchtsvoll: „Nennen sie uns Beispiele, wie man den ewigen Teufelskreis der Schuldzuweisung durchbricht.“, „Sind sie auch schon einmal auf unverbesserlich „Böse“ zugegangen?“ - „Wie begegnet man Hass und Menschen, die davon überzeugt sind, ausschließlich im Besitz der Wahrheit zu sein?“ - „Spielt nicht die Angst im israelisch-arabischen Konflikt eine Rolle?“ - "Wie konnte aus so einer harten Kindheit ein „Mann des Friedens“ hervorgehen?“
Die Antworten schüttelte Ruven leicht aus dem Ärmel. Es war eine Sammlung von wohltönenden Bekenntnissen, die die Realität vergessen lassen, dafür aber irgendwie wonnevoll und unbestimmt in die Herzen fallen, die sich nach dem Guten, nach Versöhnung und vor allem nach Frieden sehnen. Aber selbst bei diesen rhetorischen Bekenntnissen fand ich keinen einzigen Satz, der mich gefesselt hätte. Hinter allem, was von Ruven kam, spürte ich eine Leere, bzw. dass das Gesagte eigentlich etwas ganz anderes meinte. Vermutlich etwas Triviales, Persönliches wie: „Seht, was für einen wunderbareren Menschen Sie vor sich haben!“ Ruven bezeichnete sich gern als einen „verrückten Träumer“.
So fragte ich meine Freundin, was das wohl für Menschen im Publikum seien. Sie hatte mehrere Leute aus evangelischen Kreisen erkannt, einige Lehrer, Leute aus dem christlich-jüdischen Forum und aus Friedenskreisen. Die Sympathisanten der palästinensisch-deutschen Gesellschaft waren heraus zuerkennen. Sie hatten einen deutlich anderen Gesichtsausdruck und blieben allesamt stumm. Die Fragen und das Auftreten der ergriffenen Zuhörer ließen keine Abneigung gegen Juden oder gegen Israel erkennen. Es herrschte einfach ein beeindrucktes Staunen. Ruven hatte schnell erkannt, dass keiner von den lästigen „Schwärmern“ im Publikum war. Solche Menschen gibt es nämlich auch in Deutschland. Besonders oft war er ihnen auf Kirchentagen begegnet, wenn er seine privaten „Friedensforen“ abhielt, in denen er die Leute über den Unrechtsstaat Israel aufklärte, und die hatten ihm mit „unkritischer Schwärmerei für Israel“ manchmal hart zugesetzt. Doch er hatte sie immer eines Besseren belehren können.
Die Veranstaltung fand einen krönenden Abschluss. Ein arabisch aussehender Mann saß im Publikum, er hatte etwas auf dem Herzen, und das sprach er nun aus: Er sei ein in Deutschland lebender Palästinenser, und habe kürzlich versucht, von Amman aus eine Einreiseerlaubnis in den Gaza-Streifen zu bekommen. Das sei ihm aus formellen Gründen verweigert worden. Mein Eindruck war, dass der Mann Ruvens Anliegen gar nicht durchschaut hatte, dass er einfach einem Israeli sein Unrecht klagen wollte. Es war ein guter Anlass und genau das richtige Stichwort, um Ruven in eine solche Empörung ausbrechen zu lassen, dass er jede Vorsicht vergaß und sich in eine regelrechte Hasstirade gegen Israel steigerte, wobei ch merkte, dass das nicht gespielt war. Er endete mit einer Anekdote, die von einem stinkenden Fisch handelte, und dieser Fisch war für ihn das Symbol für die Gerechtigkeit im Staat Israel.
Tief beeindruckt schwiegen die Zuhörer. Gleich darauf wurde es aber lebhaft, denn die Leute beeilten sich, um ein Exemplar von Ruvens Buch zu erwerben. Ein Mann lief besonders schnell zum Rednertisch. Der Zuhörer, der neben mir gesessen hatte, wollte eine witzige Bemerkung machen und sagte zu mir: „Das ist einer von denen, die auf der Autobahn immer rechts überholen“. Ich fragte ein wenig provokativ: „Meinen sie, er will Herrn Moskovic rechts überholen?“ Der Mann konnte mit dieser Bemerkung gar nichts anfangen und sagte: „Wie meinen sie das, das ist doch ein wunderbarer Mensch, wenn es bloß recht viele von dieser Sorte gäbe.“
Es war mir klar, dass ich in dieser Runde keine Chance habe, und so machte ich mich schnellstens auf den Weg nach Hause. Meinem Mann konnte ich bis in alle Details, die ihn nicht besonders überraschten, die Begebenheiten des Abends erzählen.
Fortsetzung folgt
anne.c - 5. Aug, 11:27
Zu Ruvens „Auftritt“ ging ich mit meiner Freundin allein. Für die Veranstaltung war ein Saal in einem katholischen Begegnungszentrum gemietet worden. Eine Regionalzeitung hatte an dem Tag einen längeren Artikel mit der Zusammenfassung von Ruvens Lieblingsthesen veröffentlicht. Die Leiterin des christlich-jüdischen Forums, eine Lehrerin, hatte die ganze Sache organisiert und war auch diejenige, die später mit ihm am Vortragstisch saß.
Wir waren schon eine Weile vorher dort und stellten die Stühle fürs Publikum auf. Kurz vor dem Beginn der Veranstaltung begann sich der Saal zu füllen, so dass schließlich etwa 50 Menschen zusammen gekommen waren. Jeder, der den Raum betrat, trug ein gelbes Faltblatt vor sich her. Ich bemerkte, dass auch ich solch ein Blatt in der Hand hatte. Es war ein Werbeblatt für eine Städtepartnerschaft Aachen-Jericho. Die Stadt Jericho wurde vorgestellt, die Anliegen, die sich mit solch einer Partnerschaft verbinden, und darauf folgte ein „geschichtlicher Abriss von Krieg und Frieden im Nahen Osten“, der ausschließlich als Terror von „Zionisten“ gegen das palästinensische Volk dargestellt wurde. Als ich den Ursprung dieser Faltblätter erkundete, traf ich auf zwei Männer vor der Tür, die sehr engagiert jeden, der auch nur in ihre Nähe kam, mit diesen Blättern bestückten. Vom christlich-jüdischen Forum waren sie nicht. Trotzdem konnte ich nicht einen der Veranstaltungsteilnehmer entdecken, der über diese Blätter irritiert wäre. Es war geradezu grotesk, wie jeder, der den Vortragssaal betrat, diese Flyer schwenkte. So beobachtete ich eine Weile die Verteiler: Sie sprachen einige ihrer Bekannten an, man hörte so etwas wie: „Den Artikel in der AZ habe ich gelesen, der Mann interessiert mich, endlich mal jemand aus Israel, der sich wagt, diese Dinge auszusprechen.“ Doch Anhänger Ruvens schienen sie trotz des Artikels in der AZ nicht zu sein - „Kaufst du dir das Buch?“, „Nein, ich habe gar kein Geld mit“, „Dann kannst du auch keinen Schaden nehmen“. Die Blätter-Verteiler besuchten die anschließende Veranstaltung nicht, ich konnte aber ihre „Vertrauten“ gut herauserkennen, ihren gespannt-misstrauischen Gesichtsausdruck, der sich dann im Lauf des Abends ganz entspannte.
Und der Abend begann damit, dass Ruven von der Vorsitzenden des christlich-jüdischen Forums den Besuchern vorgestellt wurde. Ruven selbst begann den Vortrag mit einem Spiel auf seiner Mundharmonika, die er einst von zwei arabischen Kindern geschenkt bekam, und die ihn sein Leben lang in seinem Kampf für den Frieden begleitet hatte. Dann erzählte er eine kleine chassidische Geschichte, bei der es um einen Vergleich zwischen zwei Rabbinern ging. Es war zu entscheiden, wer von ihnen der „größere Geist“ sei: Der eine kannte die ganze Thora auswendig, der andere kannte nur einen Vers, den er aber bis in die tiefsten Tiefen ausgelotet hatte. Ruven ließ keinen Zweifel daran, dass er dem Letzteren ähnlich sei und seine Gastgeberin bescheinigte ihm auch sogleich den „großen Geist“, während sie nur ein „kleines Licht“ sei. Ruven machte aus seiner Bescheidenheit keinen Hehl: „Auch viele kleine Lichter können einen Raum erhellen“, tröstete er sie.
Fortsetzung folgt
anne.c - 30. Jul, 21:59
Bezeichnend ist Ruvens Haltung zu Deutschland, die eine zentrale Stelle in seinem Leben einnimmt. Seine Liebe zu Deutschland kann er nie verbergen. Er spricht vom „anderen Deutschland“, dem „guten“, aber ein anderes als das gute ist bei ihm nirgends zu entdecken. Deutschland besteht für ihn aus wunderbaren, friedliebenden Menschen. Schlimme Erlebnisse im Krieg hatte erlitt er durch nebulöse rumänische „Antisemiten“, während er die deutschen Soldaten, die er persönlich erlebte, bewunderte, denn sie waren "„sauber“ und „großzügig“ und schenkten den Kindern gern Süßigkeiten.
Bemerkenswert ist Ruvens zusammenfassende Bewertung über die Zeit der Allianz zwischen Rumänien und NS-Deutschland. Nachdem er lustige Erlebnisse mit deutschen Soldaten schilderte, die Schokoladenbonbons an jüdische Kinder verteilten und sie gegen rumänische Antisemiten schützten - eine Idylle war es nach seinen Worten -, heißt es: „Im Vergleich zu dem Leiden der Juden in der Sowjetunion, in Polen und Ungarn und überall dort, wo die deutsche SS und Eichmann ihr Unwesen trieben, war unser Leiden nicht der Rede wert.“ Dass in dieser Zeit ein Drittel der rumänischen Juden umgebracht wurde, an die 300.000 Menschen, das entging dem „Historiker“ Moskovic.
Ruvens Logik und die Schilderung der Zusammenhänge waren zum Teil so absurd, dass ich nicht glauben konnte, ein vernünftiger Mensch wäre bereit, so etwas zu galuben. So kann ich mir nur vorstellen, dass Ruvens „deutsche Freunde“ von seinem Charisma derart entzückt sind, dass sie widerspruchslos alles bewundern, was seinem Geist entspringt. Überlegt habe ich, ob es instinktive Schläue, bewusste Berechnung oder die Auswüchse eines chaotischen Geistes sind, die seine Aufzeichnungen hervorgebracht haben. Wahrscheinlich ist es alles zusammen, aber viel an Berechnung scheint mir dabei zu sein. Er gibt den christlichen, friedensbewegten und von einem schlechten Gewissen geplagten Deutschen das Futter, das sie brauchen, und sie rücken dafür die Spenden für seine fragwürdigen Projekte heraus. Er sonnt sich in ihrer Bewunderung, und sie haben wiederum ein Objekt für ihre Zuwendung und ihren unbestimmten Willen, etwas „wieder gut zu machen“. Er hat für jede Geisteshaltung etwas dabei, die Widersprüchlichkeiten benutzt er dazu, jedem Recht zu geben, und auch jeden eventuellen Einwurf zu entkräften. Es ist so viel von Frieden und Versöhnung die Rede, dass es nur ein böser Mensch sein kann, der irgend etwas missbilligt, was Ruven sagt, denkt oder schreibt.
Der Zufall wollte es, dass ich sehr bald darauf die Gelegenheit hatte, Ruven persönlich kennenzulernen. Wir verlebten ein paar Urlaubstage in Aachen. Gerade in diesen Tagen war eine Veranstaltung beim christlich-jüdischen Forum angekündigt, wo Ruven sein Buch vorstellen wollte. Meine Freundin ist eine Bewunderin von Ruven. Sie hat ihn in die evangelischen Kreise von Aachen eingeführt und schon mehrere Veranstaltungen mit ihm organisiert. So war ich neugierig darauf, Ruven in Aktion zu erleben, ihn mit seinem Buch zu vergleichen, während mein Mann sagte, er wisse genug von Ruven und werde zu der Buchvorstellung nicht gehen. Aber auch er kam dann nicht umhin, Ruven zu begegnen. Wir saßen mit mehreren Leuten bei unserer Freundin beim Abendbrot, als Ruven vom Bahnhof her anrief und bat, abgeholt zu werden. Unsere Freundin lief sofort los und kam nach einer Weile mit ihm zurück. Erst einmal war ich überrascht. Durch seine Briefe, das Buch und durch die Erzählungen meiner Bekannten hatte ich gleich den Eindruck, ihn schon lange zu kennen. Er war keineswegs unsympathisch, wirkte fröhlich, ein wenig zerknautscht, tatsächlich etwas „balkanisch“. Er war wortgewandt, sagte jedem etwas Nettes und war besonders freundlich zu dem Kind, das in der Runde saß. Wir ließen den ersten Eindruck auf uns wirken und verabschiedeten uns dann, um nach Hause zu gehen.
Fortsetzung folgt
anne.c - 25. Jul, 20:51
Später erfuhr ich von einem Buch, einer Art Autobiografie, die Ruven herausgeben wollte. Eines Tages war es so weit und ich bekam das lang angekündigte Buch zum Geburtstag (1997) geschenkt. Dieses Werk mit dem Untertitel „Aus dem Leben eines Friedensabenteurers“ wurde als „einzigartig“ angekündigt: Es sei nicht nur eine Biografie, nicht nur eine historische Abhandlung über die Geschichte des Judentums, nicht nur eine Analyse der gegenwärtigen Politik Israels, nein, es sei all das zugleich!
Beim Lesen zweifelte ich an meinem Verstand: Herausgegeben vom Evangelischen Bildungswerk Berlin, musste es doch von verschiedenen intelligenten Menschen gelesen, lektoriert, aufgelegt und verbreitet worden sein. So kam ich zu dem Schluss, dass etwas an dem Buch sein müsse, was ich einfach nicht begreifen kann. Mein Mann hat es gleich gelesen, und seine Kritik war vernichtend: Ein Schlawiner vom Balkan, der herausbekommen hat, dass es sich in Deutschland gut lebt und dass man von den deutschen Freunden viel Geld für tendenziöse Werke bekommen kann. Mein Mann machte sich die Mühe, der sich wahrscheinlich keiner der deutschen Freunde je unterzogen hat, er las das Buch von vorn bis hinten durch, denn Ruven interessierte ihn als ein gesellschaftliches Phänomen. Bezeichnenden Stellen strich er an, und es ging für ihn daraus hervor, dass Ruven in der Kindheit in Rumänien im Stetl von seinen eigenen Leuten sehr gedemütigt worden sein musste. Er müsse seitdem einen erheblichen Hass auf sein eigenes Volk verspüren und merkte später, dass man in Deutschland mit diesem Hass, bezeichnet als „Kritik am Staat Israel“, großen Eindruck hervorrufen kann.
Das Buch hatte keinen erkennbaren Aufbau, war zusammenhangslos, ein Wust an Fakten, Geschichtsdaten, Meinungen, eigentlich kaum lesbar. Sehr viel von dem, was Ruven an Kunde und politischen Ansichten von sich gab, kam mir vor, als hätte ich es schon oft gehört. Es war ein Mix von Gedanken, nur eines kam immer zum Ausdruck: Dass allein Ruven das politische Geschehen in Israel richtig beurteilen konnte, und alles Schlechte, was dort je stattgefunden hatte, geschah, weil man nicht auf Ruven gehört hatte.
Seine Biografie blieb nebulös, außer ein paar lebendig geschriebenen Szenen, die die besagten Demütigungen in der Kindheit schilderten. Was er über viele Jahre in Israel getan hat, blieb nur angedeutet. Verwickelt war er in die Gründung des „Friedensdorfes Neve Shalom“. Dort war er praktisch „herausgeflogen“. Mit dem Gründer des Friedensdorfes, einem ägyptischen Katholiken jüdischer Herkunft, hatte er sich überworfen aufgrund mehrerer gegen Ruven gerichteter Intrigen. Später hat Ruven unter dem Motto „Versöhnung zwischen Juden und Palästinensern“ gemischte Reisegruppen als Reiseleiter durch Europa kutschiert. Wahrscheinlich, als er gemerkt hat, dass die Sache ungekehrt lukrativer ist, führte er deutsche Reisegruppen durch Israel, und da die Reisen auch unter dem Motto „Versöhnung“ liefen, machte er die Reisenden fast ausschließlich mit dem Anliegen der Palästinenser und ihrer Sicht der Dinge vertraut.
Außer den wenigen biografischen Berichten enthielt das Buch seine Ansichten und Meinungen über den Staat Israel, das Judentum und besonders über den palästinensischen Konflikt. Gewürzt war es mit chassidischen Geschichten, Anekdoten, die ausschließlich die Bosheit von Juden zu Arabern schildern, jiddischen Witzen, auch mal mit einem Gedicht von Brecht. In Kürze („auf einem Bein“) wurde sowohl die Geschichte des Judentums als auch die der arabisch-israelischen Kriege dargestellt. Israel wurde ausschließlich als der Aggressor geschildert, auch als Befürworter des ersten Golfkrieges (den Ruven fast durch ein Gespräch mit Bundespräsident Weizsäcker verhindert hätte, nur das Gespräch kam leider nicht zustande).
Fortsetzung folgt
anne.c - 21. Jul, 16:19
Zum ersten Mal hörte ich von Ruven, als Bekannte von mir, ein älteres Ehepaar, einen Bericht über ihre Reise nach Israel hielten. Ein ganz besonders charmanter und interessanter israelischer Reiseleiter hatte sie durchs Land geführt. Neben den vielen Sehenswürdigkeiten, die er ihnen gezeigt hatte, hatte er sie auch mit „Land und Leuten“ bekannt gemacht. Den weiteren Bericht fand ich ziemlich unangebracht. Das Ehepaar äußerte allzu sehr seinen Abscheu über die vielen israelischen Soldaten. Sie waren zu der Ansicht gekommen, dass in einem Land, wo so viel Militär zu sehen ist, nie Frieden sein kann. Ihre „Begegnungen“ beschränkten sich hauptsächlich auf Besuche bei Palästinensern, die viel Mitleid mit deren Situation hervorriefen. Einmal waren sie bei einem Juden eingeladen. Er stammte aus Breslau, hatte alle seine Verwandten durch die Deutschen verloren. Diesem Mann gab die wohlmeinende deutsche Reisegruppe den Rat, dass man in Israel toleranter sein müßte. Dass dieser Mann darauf die Fassung verlor und meinte, schon die Tatsache, daß er sich mit ihnen an einen Tisch setze, wäre Toleranz, bestärkte die Mitglieder der Reisegruppe in der Meinung, daß die Juden in Israel arrogant und militant sind.
So begann ich vorsichtig eine Diskussion mit dem Ehepaar und fragte sie, ob sie nicht wenigstens Verständnis für diesen Mann hätten. Darauf reagierten sie heftig und emotional. Das verwunderte mich nicht, denn ich hatte schon die Erfahrung gemacht, daß Leute aus dieser Generation mit dem Thema Juden, Israel nicht zurechtkommen, daß jegliches Denken aussetzt und aufgeregtes emotionales Durcheinander zutage tritt. Was ich damals noch nicht durchschaute war, daß ihre Ansichten über Israel nicht nur eigenen Beobachtungen entsprangen, sondern daß im Hintergrund jemand geschickt agierte, der ihnen genau das zeigte und suggerierte, was sie gern erfahren wollten.
Die Reisen nach Israel waren so schön, dass sich immer wieder die gleiche Reisegruppe um den gleichen Reiseleiter scharte. Einige meiner Bekannten gehörten zu den regelmäßig mit Ruven Moskovic Reisenden. Ich hörte Wunderdinge über ihn: Ein fabelhafter, ein ganz besonderer Mensch ...., es gibt nichts, was Ruven nicht kann ...., es ist alles spontan und abenteuerlich mit ihm ....., sein ganzes Leben widmet er der Versöhnung von Juden, Palästinensern und Deutschen ...., er betreibt mehrere Projekte, die alle dem Frieden gewidmet sind .....
Alles, was ich über Ruven hörte, beeindruckte mich und machte mich neugierig auf ihn. Er ist ein aus Rumänien stammender Jude, ein Historiker und lebt in Israel, in Jerusalem. Er hält sich sehr viel in Deutschland auf und veranstaltet für kirchliche Gruppen Reisen nach Israel, aber auch nach Rumänien. So hörte ich es. So entschloß ich mich eines Tages, an einer Reise mit ihm nach Rumänien teilzunehmen. Damals vernahm ich zum erstem Mal misstrauische Töne über Ruven und zwar von meinem Mann: Die Reise ist viel zu teuer, das muß ein Betrüger sein .... Ich konnte es nicht selbst feststellen, da ich meine schon gebuchte Reise wegen Krankheit absagen mußte. Später wunderte ich mich, als ich die Reiseberichte hörte, dass es eigentlich eine ganz normale touristische Reise gewesen sein mußte. Vom intimen und persönlichen Kennenlernen des Landes war nichts zu erfahren.
Ruven schickt am Ende jeden Jahres einen Rundbrief an alle seine deutschen Freunde. Als potentielle Bewunderin bekam ich damals, Ende 1993, auch diesen Rundbrief, und der gab mir dann doch zu denken. Nicht nur, daß er sehr langweilig war – er enthielt keinerlei persönliches Erzählen -, es war eigentlich eine einzige Schmähschrift auf den Staat Israel und seine Politik. Der Brief war ein selbstgerechtes Dozieren, ein Verkünden von ein paar Lieblings- und auch Schnapsideen. Dadurch sank ziemlich mein Interesse an Ruven.....
Fortsetzung folgt
anne.c - 17. Jul, 10:22
sind ebenso selbstverständlich wie Antisemiten jeglicher anderen Art. Vor Kurzem starb der Jude Ilan Halevy, ein Mitglied des Revolutionsrates der Fatah, auch so etwas gibt es. Der Hinweis von "normalen" Antisemiten, dass es Juden gebe, die genau ihre Meinung vertreten, und das sie der "Beweis", dass sie mit ihren Ansichten "recht" haben, ist ein typischer Trugschluss. Der Begriff Antisemitismus ist derart auslegbar und unbestimmt, dass er benutzt werden kann, wie jedem der Sinn danach steht, und im Gegenteil. In Köln beispielswese wurde ein klassisches antisemitisches Bild, das auf der so genannten Kölner Klagemauer hängt - ein kopfloser Körper mit Judenstern, der dabei ist, ein kleines Kind aus Gaza zu verspeisen - von Gerichts wegen als "nicht antisemitisch" eingestuft, weil der verspeisende Körper nicht mit einer Hakennase versehen sei, durch die man einen Jude erkenne, so jedenfalls hieß es bei einem deutschen Gericht. Dem hohen Gericht unterlief da offensichtlich ein Fehler, denn nach den Bestimmungen des 3. Reichs mussten auch viele Nichthakennasige den Judenstern tragen.
In Deutschland werden jenen Israelkritikern, deren Reden man ohne Weiteres als antisemitisch bezeichnen kann, gern Preise verliehen. Solche Auszeichnungen notieren oft unter dem Titel "Versöhnung" und "Frieden". Es bleibt nur abzuwarten, wann Walter Hermann, dem Initiator und Chef der "Kölner Klagemauer", einer primitiv-antisemitischen Bildinstallation, die er Tag für Tag (außer montags und wenn´s regnet) auf der Kölner Domplatte präsentiert, ein Versöhnungspreis der Stadt Köln verliehen wird.
Es fällt mir schwer, von Dingen zu schreiben, an denen ich nicht beteiligt bin. So möchte ich nicht über Tony Judt, Judith Butler, Yfaad Weiss, Daniel Barenboim äußern, eben alle die, gelinde gesagt, selbst entsandten jüdischen Israelkritiker, die in Deutschland mit Versöhnungs- und Friedenspreisen dekoriert wurden, sondern werde vom Träger des Aachener Friedenpreises Reuven Moskovitz berichten. In den nächsten Wochen möchte ich meine Geschichte mit ihm, die ich selbst erlebt habe, in mehreren Abschnitten hier aufschreiben.
anne.c - 14. Jul, 19:29
Bei einem sommerlichen Ausflug gelangte ich in das vorpommersche Städtchen L. Als Kind lebte ich hier einige Jahre, und so beschloss ich, mir das Pfarrhaus anzusehen, wo ich damals gewohnt hatte. Kurz nach der Einfahrt ins Städtchen lag rechts an der Durchgangsstraße das Pfarrhaus, in dem ich meine Kindheitsjahre verbrachte. Eine Parkplatz am Straßenrand lud zum Anhalten ein. Zuerst studierte ich den kirchlichen Schaukasten. Es schien kirchliches Leben stattzufinden. Verschiedene Veranstaltungen wie Gottesdienst und Bibelstunde waren angekündigt. Es fehlte aber jeder Hinweis auf das Pfarramt, den Pfarrer und eventuelle Sprechzeiten, so dass es den Anschein hatte, die Pfarrstelle wäre vakant. Das Pfarrhaus wirkte etwas verödet und leblos, was meine Vermutung verdichtete. Ich wusste, dass der nette Pfarrer W., den ich noch kannte, in den Ruhestand gegangen sein muss. Also freute ich mich, dass ich wahrscheinlich Gelegenheit haben werde, Hof und Garten ohne lästiges Fragen und Bitten zu besuchen und ging bis zur Eingangstür des Pfarrhauses (keinen Schritt weiter). Auch an der Tür gab es keinerlei Hinweis auf einen Pfarrer oder eine Pfarrtätigkeit. Plötzlich löste sich von einem aufgebockten Auto in der Nähe der Pfarrscheune die Gestalt eines Mannes. Er kam auf mich zu, stellte sich vor mich hin und fragte: „Was suchen Sie hier?“ Etwas verblüfft gab ich zur Antwort: „Ich interessiere mich für die Kirche, kann ich sie vielleicht ansehen? Gibt es hier einen Pfarrer?“ Er antwortete: „Wenn ich hier nicht vor ihnen stehen würde, würde es keinen Pfarrer geben!“ Das verblüffte mich noch mehr, aber ich behielt die Fassung und fragte weiter: „Aber hier steht doch keinerlei Hinweis auf ein Pfarramt.“ Die Antwort kam prompt: „Hier gibt es keine solchen Hinweise, weil das so mein Wille ist. Und überhaupt, wer sind Sie eigentlich, stellen sie sich erst mal vor.“ Über dieses Verhalten war ich so erstaunt, dass mir keine passende Antwort einfiel und ich mich tatsächlich vorstellte. Dann durfte ich sogar die Kirche besichtigen.
So unglaublich diese Begebenheit klingt, sie hat tatsächlich so stattgefunden. Gerade habe ich in einer kirchlichen Zeitung gelesen, wie wichtig es sei, dass die Kirche auch Kirchenfernen Spiritualität zeige, und überhaupt sei es sehr wichtig, um die Kirchenfernen zu werben. Aufwändige Studien über den Bedarf nach geistlichen Bedürfnissen der Bevölkerung werden durchgeführt, ja an der regionalen Universität gibt es Gegend sogar ein Institut für Missionierung. Man schreit geradezu nach neu zu gewinnenden Kirchensteuerzahlern.
Vermutlich hatte der Pfarrer ein Gespür dafür, dass ich nicht kirchenfern genug war, so dass um mich geworben werden müsste. Und so zeigte er mir stolz das andere Gesicht der Spiritualität.
anne.c - 1. Jul, 12:11