Dienstag, 25. März 2025

Das hätte ich mir nie vorstellen können.

Diesen Ausspruch hört man oft. Manchmal sind es die belanglosesten Dinge, die man sich nicht vorstellen konnte. Morgens keinen Kaffee trinken, sich im Wald verirren, einen Autounfall haben.

Wenn man sich geschichtliche Ereignisse vor Augen hält, dann passierten in der gesamten Menschheitszeit Dinge, die sich die betreffenden Menschen niemals hätten vorstellen können. Oft von einer Minute auf die andere. Wenn man sich diese geschichtlichen Ereignisse näher betrachtet, stellt man hinterher fest: manches hätte man sich doch vorstellen können, doch die Phantasie dazu und auch das Wissen fehlten.

So lese ich gerade von Alfred Döblin „Schicksalsreise“. In dem Buch schilderte er, der bereits Flüchtling war und sich in Frankreich schon gut eingelebt hatte, wie er vom deutschen Einmarsch 1940 überrascht worden war und von Paris aus eine strapaziöse, abenteuerliche Flucht durch Frankreich zu einem Fluchtpunkt in Südfrankreich unternahm und dabei unzählige groteske und aufregende Situationen erlebte. Zu jedem Erlebnis hätte er sicher sagen können: „Das hätte ich mir niemals vorstellen können!“

Hätten unsere deutschen Flüchtlingslandleute sich vor ihrer Flucht (bzw. Vertreibung) je vorgestellt, dass sie den Rest ihres Lebens außerhalb ihrer Heimat werden leben müssen? Vieles lag außerhalb des Vorstellungsvermögen, aber es fehlte auch die Phantasie, was alles geschehen kann. Das Bewusstsein für geschichtliche Zusammenhänge könnte das Vorstellungsvermögen schärfen.

So war es in Israel am 7. Oktober 2023. Ich stelle mir die Leute vor, die unbefangen zu dem großen Musikfestival aufbrachen, und die Bewohner der südlichen Kibbuzim, die ihr tätiges und friedliches Leben führten. Und dann, mit einem Schlag, passierten Dinge, die sich niemand hatte vorstellen können (Nein, die Dinge passierten nicht, sie wurden grausam ausgeführt). Nach langen Recherchen und Untersuchungen kam man hier aber auch zu dem Schluss: Eigentlich hätte man hier manches voraussehen können. Das Vorstellungsvermögen, zu welch schrecklichen Dingen Menschen in der Lage sind, das Bewusstsein für List, Grausamkeit, Willen zur Brutalität der Nachbarn hinter der Grenze, vielleicht war es sogar vorhanden, aber eingeschlafen. (Dazu muss man sich noch vorstellen, dass gerade in diesen Kibbuzim Menschen lebten, die sich bewusst den Palästinensern zuwandten).

Und hätte man sich vorstellen können, dass die Welt, repräsentiert von der UNO, nach all dem schrecklichen Geschehen sich ziemlich unverhüllt auf die Seite der Barbaren stellt? Mir fehlt dazu die Phantasie, aber mein Vorstellungsvermögen wird durch diese Einsicht geschärft. Die Vorstellung, dass die UNO nicht ein hehres Gremium ist, sondern Partikularinteressen und Eigennutz auch diese Institution antreiben. Möge Israel zu dem Schluss kommen, dasss es nichts gibt, „was man sich nicht vorstellen kann“ und sein Handeln danach ausrichten.

Samstag, 15. März 2025

Ich fühle mich nicht mehr wohl in Deutschland

In einem „Spiegel“-Exemplar vom Januar konnte ich ein Gespräch eines Redakteurs mit arabischstämmigen Menschen, die in Deutschland leben, lesen. Der Artikel ist zwar einige Wochen alt, aber es hat so etwas Allgemeingültiges, dass das Geschriebene weiterhin aktuell ist. Das Fazit des Gesprächs ist: Menschen mit arabischen Wurzeln werden in Deutschland diskriminiert, sie trauen sich nicht, in der Öffentlichkeit ihre Muttersprache zu sprechen, sie haben Angst, ihre Arbeitsstelle zu verlieren oder nicht eingebürgert zu werden. Islamophobie ist allgegenwärtig. Sie spüren einen gewaltigen Rechtsruck in der Politik, den sie darauf zurückführen, dass die Politiker sich von der AfD „gejagt“ fühlen. Israel hätte sozusagen Narrenfreiheit und dürfe machen, was es wolle. Deutsche Politiker hätten Angst, als „Antisemiten“ stigmatisiert zu werden, wenn sie Israel kritisieren. Sie zeigen einseitige Solidarität mit Israel und blenden das Leid der Palästinenser aus. Von Palästinensern würde „ständig“ verlangt, dass sie Empathie gegenüber Israel bekunden. Mir fiel das Zitat aus einem „Spiegel“ ein: „: »Israel hat die Erzählung verbreitet, dass jede Kritik an Israel antisemitisch ist. Israel kann also tun und lassen, was es will.« Eine Übereinstimmung des „Spiegels“ mit den Arabern in Deutschland ist also vorhanden. Die Begriffe Genozid und Völkermord kamen auch vor, natürlich in Beziehung von Israel zu Gaza.

Die deutsche Regierung wäre völlig unkritisch Israel gegenüber, und wer Kritik an Israel übe, würde als Antisemit gehandelt. Die Ägypterin hatte die Erfahrung gemacht, dass sie Kopftuch tragend ständig für irgendetwas verdächtigt und sogar angespuckt wird, bis sie schließlich ihr Kopftuch abgelegt hat. Sie hatte Furchtbares erlebt, nämlich als sie im Bus ihrem kleinen Sohn etwas vorlas, wurde sie von einer Buspassagierin für das Vorlesen gelobt. Was für eine Herablassung, sie empfand das schlimmer als Hassbemerkungen!

Der „Spiegel“-Redakteur warf manchmal zurückhaltend eine Bemerkung über den 7. Oktober ein, der aber nicht weiter beachtet wurde.

Und immer so weiter, man hatte den Eindruck, in einem israelhörigen und vollkommen islamophoben Staat zu leben. Das deckt sich überhaupt nicht mit meinen Beobachtungen und Erfahrungen. Im Geiste sah und hörte ich so manche Nachrichtensendung im Fernsehen oder im Radio. Ich stellte mir vor, was in Universitäten geschehen ist, ich sah Frau Baerbock die Leute in Israel belehren. Ich sah die Demonstrationen für Gaza und die relativ kleinen Demonstrationen von Israelfreunden und Juden für die Freilassung der Geiseln.

Man kann natürlich sagen, dass eine Meinung im Auge des Betrachters liegt. Die Urteile über die Stimmung in Deutschland sind ganz subjektiv, und vielleicht haben die Leute es tatsächlich so empfunden. Hört man z.B. einen Satz, den man als islamophob empfindet, so hört man plötzlich ständig solche Sätze. (So ähnlich hat es schon der gute Paul Watzlawick formuliert). Man kann es auch so sehen: Wenn man nicht 100% zustimmt zu allem, was aus Gaza kommt, dann empfinden Palästinenser das als feindlich und als Verurteilung. Wenn man Israel nicht zu 100 % ablehnt, so wird das als Unterwerfung unter Israel betrachtet. Unter solchen Voraussetzungen, kann so eine Stimmung durchaus entstehen, wie sie im „Spiegel“-Gespräch kolportiert wird.

Dass so ein Artikel in einer großen auflagenstarken Zeitung escheinen kann, also ein Artikel, der die allgemeine Islamophobie und die bedingungslose Israelhörigkeit in Deutschland anklagt, ist schon ein Zeichen, dass es so schlimm mit diesen Erscheinungen nicht sein kann. Aber wahrscheinlich hält der „Spiegel“ sich und die Protagonisten den „Spiegel“ für todesmutig und waghalsig, dass er sich allein dem gesellschaftlichen Trend gegenüber stellt.

Samstag, 8. März 2025

No other Land

Zufällig las ich eine Nachricht in einem Nachrichtenportal, die mich eigentlich nicht besonders interessierte. Bei der Oscar-Verleihung hatte ein „Dokumentarfilm“ einen Oscar bekommen. Ach, der hatte ja schon einmal von sich reden gemacht, der israelisch-palästinenische Film „No other Land“, bei der letzten Berlinale. So richtig wundern konnte ich mich darüber nicht, der Film ist ein Symbol dafür, wie heutzutage auch die Kunst dafür benutzt wird, Propaganda zu machen.

Über den Inhalt ist nicht viel zu sagen: Es gibt zwei Versionen über den Inhalt, die sich grundsätzlich voneinander unterscheiden. Im Süden Israels innerhalb, bzw. an der Grenze der Palästinensergebiete sind einige Palästinensersiedlungen. Das Gebiet, auf dem sie angelegt sind, ist von Israel für einen Truppenübungsplatz vorgesehen. Die Bewohner weigern sich, ihre Häuser zu verlassen und werden von der israelischen Armee vertrieben.

Die andere Version ist, dass dieses Gebiet zu den so genannten C-Gebieten gehört, die laut Osloer Vertrag von 1993 unter der Oberhohheit von Israel stehen und schon lange für den besagten Truppenübungsplatz vorgesehen sind, dass es diese Siedlungen noch in den 90-ger Jahren gar nicht gegeben hat, und dass Häuser und Gebäude illegal errichtet wurden, z.T. mit EU-Geldern. Und dass die „Bewohner“ von Masafer Yatta durchaus in den weiter nördlichen Gebieten über Häuser und Infrastruktur verfügen.

Ja, es gibt sogar noch eine Version über den Inhalt, dass fanatische Israelfeinde, Leute von der BDS-Bewegung, diesen Film verurteilen, weil sich „kritische“ Israeli und Palästinenser zu sehr annähern, was den Prinzipien der BDS-Bewegung widerspricht.

Doch um den Inhalt des Films geht es nicht so, es geht um die Frage: Warum wird Israel in Zeiten, wo es in höchster Bedrängnis ist, wo es ununterbrochen beschossen wird, von vielen Seiten aus, warum wird Israel als das eigentliche „Böse“ dargestellt. Die Bezeichnungen Genozid und Apardheit fallen in den Besprechungen immer wieder. In einer Zeit, wo Israeli in Tunneln gefangen gehalten werden. Wo „gleich nebenan“ ein hunderte Kilometerlanges Tunnelsystem für kriegerische Zwecke errichtet wurde, auch mit Geldern, die Deutschland und Europa (angeblich für humanitäre Zwecke) an die Palästinenser überwiesen hat? Stoff fürDokumentarfilme noch und noch. Und warum wird in keiner der Rezensionen, die diesen Film überschwänglich loben, erklärt, was ein C-Gebiet ist oder erbringt den Beweis, wann und wie die Häuser in Masafer Yatta errichtet wurden?

Es ist politisch gewollt. Ich frage mich, ob es eine kleine politische Kaste ist, die solche „Kunstwerke“ aussucht, öffentlich macht, zur Praimierung bestimmt? Der Film würde sicher nicht so viel Aufmerksam auf sich ziehen, wenn er nicht tief sitzende Hass Gefühle gegenüber Israel bedienen und schüren würde. Es muss ein „Welt-Prinzip“ sein, denn der Antisemitismus springt aus verschiedenen Gegenden hervor, wie aus einer Schachtel, die manchmal auch eine Weile verschlossen war.

Sonntag, 2. März 2025

Lager Svatobořice

Svato (Bildunterschrift: Hier begannen sie diejenigen aus der ganzen Republik zu sammeld, deren Verwandte.........)

Wie oft bin ich, meistens mit dem Bus, durch den kleinen Ort Svatobořice in Südmähren gefahren. Dort war mir eine kleine Textilfabrik mit großen Hallen aufgefallen. Jemand sagte zu mir: „Dort war früher ein KZ“. (Immerhin waren diejenigen, die mir das erzählten, aus einer Zeit, wo sie das als lebendige Tatsache wussten). Aber ich war auch nicht auf die Idee gekommen, an Ort und Stelle genauer hinzuschauen, zu harmlos sahen die paar Baracken aus.

Nun sah ich aus reinem Zufall einen Film über eine ehemalige tschechische Häftligsfrau. Sie erzählte über ihr Leben, und wie sie in das Lager Svatobořice geraten war. Svatobořice: der Ort, durch den ich so oft gefahren oder als Ausgangspunkt für Wanderungen genutzt habe. So konnte ich etwas über das Lager erfahren, im Film, nicht in der direkten Anschauung.

Es wurde als KZ-Außenlager erst im September 1942 (nach dem Attentat auf Heydrich) in Betrieb genommen. Man richtete es extra ein, um Verwandte von Leuten zu internieren, die entweder in der Auslandsarmee kämpften oder die aus politischen Gründen verhaftet oder geflohen waren (die so genannte Sippenhaft). Wenn die verhafteten Menschen jüdisch waren, war das Lager Ausgangspunkt für eine weitere Deportation nach Theresienstadt oder nach Auschwitz.

Auch in dem kleinen Ort Svatobořice hat man die Vergangenheit nicht einfach zur Seite gelegt. Der Ort, der hauptsächlich für seine Weinkeller bekannt ist, richtete zum 70 Jahrestag der Befreiung des des Lagers einen großen Empfang aus mit vielen geladenen Gästen. Die wichtigsten Gäste waren ehemalige Gefangene, die gerade noch das Alter hatten, mobil und sogar mit eigenen Vorträgen daran teilzunehmen. Die konnten über die Zeit ihres Gefangenendaseins den Zuhörern, insbesondere Schülern, berichten. Das ehemalige Häftlingsmädchen Věra Destacellová, nun eine Frau, die auf die 90 zuging, wurde im Film auf mehreren Stationen begleitet. Sie war eingesperrt, weil ihr Bruder in der Auslandsarmee kämpfte. Mit ehemaligen Kamaradinnen zusammen erzählte sie über Unfreiheit, Angst, Hunger, Deportationen. Doch das Lager hatte auch etwas Gutes: es hatte einmal ein Ende. Und Frau Destallecová drückte es so aus: „Ich bin so froh, dass ich nicht hier im Lager den Tod fand“.

Wenn man die damaligen Zeiten bedenkt, ist das eine verständliche und plausible Aussage. Mir fielen dabei aber die vielen anderen ein: die einfach durch ihr Dasein dazu verurteilt waren, in so einem Lager den Tod zu erleiden. Für die das Lager Svatobořice ein Durchgangslager auf dem Weg in das endgültige Vernichtungslager war.

Samstag, 22. Februar 2025

Familie Bibas

Auch mich,so wie unzählige Menschen berühren und erschrecken die Fotos der am 7.10. brutal aus ihrem Leben gerissenen Shiri Bibas, die ihre beiden kleinen Söhne im Arm hält. An jenem Tag gab es in Israel viele Mütter, die mit ansehen mussten, wie ihre Kinder gequält, geköpft, verbrannt und umgebracht wurden. Für all diese Mütter steht Shiri Bibas. In den Fotos der Bibas-Familie steckt so viel Authenzität, so viel Ausdruck: Entsetzen, Verzweiflung, Angst, Flehen um Hilfe, Mütterlichkeit. Dazu die beiden Jungs, die sich an die Mutter kuscheln. So dass diese Familie gleichzeitig zu dem eigenen schrecklichen Erleben zum Symbol für die Schrecken des 7. Oktober geworden ist. Man sagt sich beim Sehen der Bilder: das ist kein Film, das ist furchtbare Wirklichkeit! Wie es weiter ging, das wissen wir auch.

Nicht nur als Symbol für die Schrecken des 7.10. kann ich sie sehen. So haben unzählige Mütter ihre Kinder an sich gedrückt, bevor sie ermordet wurden. Ich stelle mir – um nur ein Beispiel zu nennen – die gut 30 000 Menschen in Babi Yar vor, die in langen Reihen darauf warteten, erschossen und in die Schlucht gestoßen zu werden. Darunter waren viele Mütter, die ebenso wie Shirin Bibas ihre Babys und Kleinkinder auf dem Arm hatten. So angstvoll, so erschrocken, so verzweifelt war ihr Blick, so wie der von Shirin Bibas.

Sowohl die Umstände des Todes der Bibas-Familie als auch die groteske Inszenierung der Rückgabe von Geiseln und der toten Kinder, die „verwechselte“ Mutter, die verschlossenen Särge usw. haben der Welt vor Augen geführt, was für ein abscheulicher Verein die Hamas ist. Die Einwohner von Gaza veranstalten Freudenfeste, vor einem Podium mit den Särgen ermordeter Kleinkinder. Die „Welt“ (z.B. die UNO) stellt sich auf die Seite der grotesken Mörder. Man lese nur einige Sätze von der Sonderberichterstatterin der UNO für den nahen Osten Francesca Albanese, oder man stelle sich vor, welch horrende Summe unsere Regierung nach Gaza schickt, damit dort Terrortunnel gebaut werden. Und wie oft unsere Außenministerin in den nahen Ostern reiste, um den Israeli ins Gewissen zu reden. Oder man stelle sich Papst Franziskus vor, der vor einem Jesuskind betet, das auf einem Palästinensertuch liegt.

Ob die Bilder und Videos von Shirin Bibas einigen Menschen die Augen geöffnet haben? Ob sie den Unterschied serkennen, zwischen der vor Entsetzen erstarrten Frau, die ihre Kinder schützt und der Menge von Leuten, die ihre Kinder zu einer Bühne mit ermordeten Menschen bringt, damit sie vor der Bühne Freudentänze aufführen?

Sonntag, 16. Februar 2025

„Gerade wir als Deutsche ……………“

Ein oft gehörter Satzanfang, meistens eine Plattitüde, eine Floskel. Man hört sie immer wieder einmal, oft im politischen Betrieb oder im Journalismus. Oft ist er in Leserbriefen zu lesen, oft in Politikerreden zu hören. Das Ende des angefangenen Satzes kann dann so oder so ausfallen. Meistens hat dieser Satzanfang etwas mit der deutschen Vergangenheit zu tun, und meistens weist er in die Zukunft. Seltsamerweise wird das: `gerade wir als Deutsche` nie erklärt, man weiß wohl schon, was es zu bedeuten hat.

Was ist mit dem Satzanfang ´Gerade wir als Deutsche ´ gemeint? Eigentlich, so sollte man denken: ´Wir Deutschen haben einst unsägliche Verbrechen an Juden begangen, nun sollte das Einzige sein, was wir jetzt tun können, dafür zu sorgen, dass die Juden, die jetzt da sind, sicher und geschützt sind, dass wir uns für die Sicherheit des Staates, den sie sich nach dem Holocaust aufgebaut haben, einsetzen und helfen, diesem Staat eine friedliche Existenz zu gewährleisten.

Das hört sich gut an. In der Realität ist das Ende dieses Satzes oft ganz anders. Der Phantasie sind bei den Schlussfolgerungen aus dem Satzanfang keine Grenzen gesetzt. Z.B. „Gerade wir als Deutsche haben erfahren, zu welch bösen Dingen der Mensch fähig ist. Wir haben daraus gelernt, und darum lassen wir jetzt nichts Böses zu, schon gar nicht, dass Juden etwas „Böses“ anstellen“ (Oder, wie Henryk Broder sagen würde: …..gerade wir als Deutsche müssen Bewährungshelfer dafür sein, dass der Jude nicht rückfällig wird…“)

Oder: „Gerade wir als Deutsche sind die Ursache davon, dass so viele Juden in das „Land der Palästinenser“ „eingefallen“ sind, und darum haben wir die moralische Verpflichtung, den Palästinensern zur Seite zu stehen“.

Mir selbst wurde dieser Satz auf einer Israelreise gesagt, nämlich: „Gerade wir als Deutsche dürfen uns nicht auf die eine oder auf die andere Seite stellen. Wir haben gleich gemerkt, dass Sie auf der anderen Seite stehen! “, nachdem ich eine kritische Frage stellte nach einem Vortrag, der die „Unterdrückung“ der Palästinenser zum Inhalt hatte. Das war ausgerechnet in der deutschen evangelischen Gemeinde von Jerusalem. Schon seltsam, was deutsche Christen für Anliegen haben.

Jedenfalls wurde ich belehrt, dass „gerade wir als Deutsche“ da ganz neutral sein müssen. Aber warum? Ich konnte die Logik nicht erkennen, außer wenn man schon oft unlogische Sätze jener Art gehört hat. Es ist die Logik des Antisemitismus, der mehr oder weniger in manchen Leuten schlummert.  

Freitag, 7. Februar 2025

„7. Oktober - Stimmen aus Israel“

Der Almanach „7. Oktober – Stimmen aus Israel“ wurde zum ersten Jahrestag des Überfalls der Hamas zusammengestellt und von der Professorin am Europäischen Forum der Hebräischen Universität Jerusalem Gisela Dachs herausgegeben. Die Publizisten des Almanachs bieten ein breites Spektrum an Berufen: Journalisten, Professoren, Schriftsteller, Religionswissenschaftler und andere geben ihre Gedanken zu den Geschehnissen des 7. Oktobers und des darauffolgenden Kriegs Israels gegen die Hamas wieder.

Stimmen

Die Themen, die sie anreißen und ihre Einstellung zu diesen geschichtlich brisanten Ereignissen sind ebenfalls breit gefächert. Gleich ist allen, dass sie den 7. Oktober als eine Zäsur für den Staat Israel und seine Bewohner ansehen, der schwerwiegende Folgen für die Zukunft hat. Viele schildern als erstes, wie sie selbst diesen Schreckenstag erlebt haben, ob zu Hause in Israel, oder z.B. in Dänemark bei einer Gedenkfeier zum 80. Jahrestag der Rettung der dänischen Juden oder sogar in einem Bunker in einem Kibbuz. Manche befassen sich mit der Einstellung der UNO-Organisationen, mit den antisemitischen Ausschreitungen im Ausland.
Bei manchen spielt das Verhältnis der Israeli zu Arabern und zu Einwohnern von Gaza eine Rolle.

Daniel Mahla untersucht, wie das innerisraelische Verhältnis zwischen den Volksgruppen gelitten hat und stellt mit Erleichterung fest, dass es nach den ersten Irritationen keine Ausschreitungen an der Universität Haifa und auch sonst im Land gegeben hat. Gideon Reuveni macht sich Gedanken, ob es trotz der Schrecklichkeit des Geschehens nicht vielleicht eine Annäherung zwischen den Völkern geben könnte, analog wie sich das deutsch-israelische Verhältnis nach dem 2. WK entwickelt hat. Ghilad Shenhav setzt sich mit einer Rede eines radikalen Rabbiners auseinander, der ein „Groß Israel“ gefordert hatte, die Shenhav ablehnt, aber der Meinung ist, mit radikalen Vorstellungen muss man sich auseinandersetzen. Assaf Uni schildert, wie er sich als Korrespondent nach dem Massaker den Kibbuz Be´eri angesehen hat, seine Eindrücke und seine Erschütterung.

Einige Publizisten machten sich Gedanken, ob Israel auch genug Empathie für die Gaza-Einwohner habe. Es wurde angemerkt, dass israelische Medien – in Umkehrung der Weltmedien – den Krieg einseitig darstellen und unangenehme Bilder nicht senden. Arad Nir übertreibt es meiner Meinung nach, denn er hat den Verdacht, nein er behauptet sogar, dass nicht etwa Politiker auf die Medien einwirken, sondern dass reine Geldgier die Medien in Israel dazu bringt, genau das zu zeigen, was das Publikum sehen will, damit die israelischen Konsumenten sich als Opfer empfinden können. Wenn man bedenkt, wie viele Israeli tatsächliche Leiden in vieler Hinsicht durch den Krieg hatten, ist diese Behauptung schon eine Frechheit.

Gershon Baskin ist ein Friedensaktivist, der schon immer Kontakt mit Palästinensern hatte. So hatte er nach dem 7.10. private Verhandlungen über die Befreiung von Geiseln geführt, erfolglos wie bekannt ist. Die Schilderung seiner Telefonate mit seinem palästinensischen Bekannten zeigt ein recht gutes Bild von der Denk- und Handlungsweise von Palästinensern.

Ein wenig unfair kam mir die Meinung von Ayelet Gundar-Goshen vor, die der israelischen Regierung unterstellte, dass sie die Bevölkerung bewusst in einem Zustand der Hysterie, Wut und Rachgier halten wollte, um einer nüchternen Debatte über die Kriegsziele aus dem Wege zu gehen. Musste jemand nach diesem Massaker und diesen Verwerfungen künstlich Gefühle schüren?

David Grossmann zeigt eine ambivalente Haltung, er ist praktisch hin und hergerissen. Er ist erschüttert über das Ausmaß der Grausamkeiten, das die Opfer des 7.10. erlitten haben, er bewundert die jungen Leute, die aus aller Welt nach Israel zurück strömten, um für ihr Land zu kämpfen, er beklagt, dass man es in vielen Teilen der Welt für legitim hält, zur Vernichtung Israels aufzurufen. Aber er beklagt auch das Leiden der Menschen in Gaza, empfindet Schuld angesichts des Sterbens unschuldiger Gaza-Bewohner, und kann sich nicht vorstellen, dass es keine Zweistaatenlösung geben sollte, wenn auch nach Verzweiflung und Erschöpfung.

Insgesamt sind es 20 Schriftsteller, die in dem Almanach zu Wort kommen. Mir erscheint die Sprache und die Denkweise einiger Publizisten etwas zu gewollt intellektuell. Die Schilderung von Amir Tibon, wie er 9 Stunden im Kibbuz im Bunker eingeschlossen mit seiner Familie auf die Befreiung wartete ist dem direkten Erleben geschuldet und deshalb am meisten authentisch. Es ist auf jeden Fall interessant, ein breites Spektrum von Ansichten und Denkweisen aus Israel zu erfahren.

Dienstag, 4. Februar 2025

Buchbesprechung „Stimmen aus Israel“

Im Internet fand ich den Hinweis auf eine Veranstaltung in Berlin unter der Bezeichnung „Stimmen aus Israel nach dem 7. Oktober“. Da ich mich gerade in Berlin befand, beschloss ich, die Veranstaltung zu besuchen. Wie ich dann feststellte, war es eine Buchbesprechung und Buchvorlesung eines nach dem 7. Oktober zusammengestellten Almanachs, herausgegeben von Gisela Dachs, Professorin an der Hebräischen Universität von Jerusalem. In manchen Zeitschriften hatte ich schon ihren Namen über Artikeln gelesen.

Der Ort und die Art der Veranstaltung waren überraschend und interessant. Der Saal, in dem ich mich befand, war der Sitz der Eberhard Ossig Stiftung. Davon hatte ich noch nie etwas gehört, und ich fand es interessant zu erleben, was im Verborgenen so alles existiert. Das Publikum, ca. 50 Menschen im mittleren Alter, schien eine eingeschworene Gemeinschaft zu sein, und sie schienen sich zu freuen, wieder zusammenzukommen. Der verstorbene Eberhard Ossig, ein Wirtschaftsprüfer, hatte die Stiftung gegründet mit der Intention, ein tieferes Verstehen des Judentums unter den Christen und des Christentums unter den Juden zu fördern. Sie will erreichen, dass Christen und Juden aufeinander hören und Glaubens- und Lebenserfahrungen miteinander teilen. Ich hatte allerdings den Eindruck, dass weniger religiöse oder geschichtsaufarbeitende Aspekte die Stiftung prägen, sondern vorwiegend kulturelle Aspekte. Und das auf einem hohen Niveau. Die Hauptaktivität der Stiftung ist eine Buchlesung einmal im Monat. Die wird von anspruchsvoller Musik umrahmt. Die Schriftsteller, die z.T. aus ihren eigenen Büchern gelesen haben, waren hochkarätig, z.B. Barbara Honigmann, André Herzberg, Lena Gorelik und viele andere.

Olberz

So las diesmal eine bekannte Radiopastorin und Sprecherin aus dem Almanach „7. Oktober - Stimmen aus Israel“. (Buchbesprechung im nächsten Blogbeitrag). Der Almanach wurde nach dem 7.10. 23 zusammengestellt. In ihm schreiben ausschließlich israelische Publizisten ihre Erfahrungen, Gedanken, Gefühle, die sie zu diesem Schreckenstag hatten. Das Buch spiegelt viel von der israelischen Gesellschaft wider, wenn es auch etwas eine Schieflage nach „links“ hat, also zur anti-Netanjahu Seite. Nach der Lesung hörten wir noch ein Musikstück. Da die Lesungen recht lange gedauert hatten, gab es keine Zeit für eine eventuelle Diskussion, aber das Publikum ging zufrieden nach Hause.

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