Zwei erzählte Anekdoten mit ähnlicher Wirkung
Diese Begebenheit ist nun auch schon einige Jahre her, sie spielte sich ab, als ich – noch zu DDR-Zeiten –, also Ende der 80-ger Jahre, zum runden Geburtstag meines Onkels fahren durfte. Es war ein großes Familienfest, bei dem jeder, auf seine Art, öffentlich etwas erzählte.
Mein Onkel liebte es, Anekdoten zu erzählen, und er konnte das anschaulich, lebendig, mit Humor. Besonders gefielen mir die Geschichten, die keine ganz aufregende Pointe hatten, weil sie mehr das eigene Nachdenken in Gang setzten. So erzählte er uns, wie er in seiner Position als Vorsitzender des Deutschen Richterbundes den „Deutschen Richtertag“ eröffnete. Auf diesen Eröffnungsreden verband er seinen Sinn für ausgefeilte Redekunst mit seinem Interesse an Geschichte, und so pflegte er diese Rede gern mit einer Verknüpfung des Tagesdatums mit einem geschichtlichen Ereignis zu beginnen.
So kam es eines Tages in den 70-ger Jahren dazu, dass mein konservativer, aber auch liberal denkender Onkel vor den versammelten deutschen Richtern die Eröffnungsrede zum Deutschen Richtertag mit einem Hinweis auf den Tod des Friedensnobelpreisträgers Carl von Ossietzki begann. Wahrscheinlich war es 1978 zu dessen 40. Todestag. Mein Onkel schilderte uns deutlich die Empörung seiner Kollegen, die für Entgleisungen dieser Art überhaupt kein Verständnis hatten, schon der Name von Ossietzki versetzte sie in Wut.
Interessant wurde diese nebensächliche Begebenheit, als die Fortsetzung des Anekdotenerzählens erfolgte: Diesmal wurden Geschichten aus der Kindheit erzählt. Meine Mutter, des Onkels Schwester, erzählte unbefangen eine harmlose Anekdote aus den 20-ger Jahren, in der ein jüdischer Hausierer eine Rolle spielte, der von den Erwachsenen in Abwesenheit „der Jud´“ genannt wurde. Als meine damals fünfjährige Mutter ihm die Haustür öffnete, begrüßte sie ihn mit den Worten: „Guten Tag, Herr Jud´“.
Meines Onkels Empörung war wahrscheinlich ebenso groß, wie dazumal die seiner Richterkollegen. Das Wort „Jude“, öffentlich bei der Feierlichkeit ausgesprochen, war bei den Gästen seiner Generatin als Provokation empfunden worden, und nicht nur mein Onkel, sondern auch andere ältere Teilnehmer in der Runde sprachen aus, dass sie diese Geschichte als völlig daneben empfunden haben.
Ich war beeindruckt: Das lag doch eigentlich genau auf der gleichen Ebene. Der Onkel hat genau so reagiert wie seine Kollegen, weil ein Begriff, ein Name überhaupt ausgesprochen wurde. Auch die Erbitterung, ja fast Wut über die Nennung von Begriffen und Namen, in die ja keinerlei Schuldzuweisung oder irgendein persönliches Ansprechen eingeschlossen waren, hatten fast etwas Identisches.
Mein Onkel liebte es, Anekdoten zu erzählen, und er konnte das anschaulich, lebendig, mit Humor. Besonders gefielen mir die Geschichten, die keine ganz aufregende Pointe hatten, weil sie mehr das eigene Nachdenken in Gang setzten. So erzählte er uns, wie er in seiner Position als Vorsitzender des Deutschen Richterbundes den „Deutschen Richtertag“ eröffnete. Auf diesen Eröffnungsreden verband er seinen Sinn für ausgefeilte Redekunst mit seinem Interesse an Geschichte, und so pflegte er diese Rede gern mit einer Verknüpfung des Tagesdatums mit einem geschichtlichen Ereignis zu beginnen.
So kam es eines Tages in den 70-ger Jahren dazu, dass mein konservativer, aber auch liberal denkender Onkel vor den versammelten deutschen Richtern die Eröffnungsrede zum Deutschen Richtertag mit einem Hinweis auf den Tod des Friedensnobelpreisträgers Carl von Ossietzki begann. Wahrscheinlich war es 1978 zu dessen 40. Todestag. Mein Onkel schilderte uns deutlich die Empörung seiner Kollegen, die für Entgleisungen dieser Art überhaupt kein Verständnis hatten, schon der Name von Ossietzki versetzte sie in Wut.
Interessant wurde diese nebensächliche Begebenheit, als die Fortsetzung des Anekdotenerzählens erfolgte: Diesmal wurden Geschichten aus der Kindheit erzählt. Meine Mutter, des Onkels Schwester, erzählte unbefangen eine harmlose Anekdote aus den 20-ger Jahren, in der ein jüdischer Hausierer eine Rolle spielte, der von den Erwachsenen in Abwesenheit „der Jud´“ genannt wurde. Als meine damals fünfjährige Mutter ihm die Haustür öffnete, begrüßte sie ihn mit den Worten: „Guten Tag, Herr Jud´“.
Meines Onkels Empörung war wahrscheinlich ebenso groß, wie dazumal die seiner Richterkollegen. Das Wort „Jude“, öffentlich bei der Feierlichkeit ausgesprochen, war bei den Gästen seiner Generatin als Provokation empfunden worden, und nicht nur mein Onkel, sondern auch andere ältere Teilnehmer in der Runde sprachen aus, dass sie diese Geschichte als völlig daneben empfunden haben.
Ich war beeindruckt: Das lag doch eigentlich genau auf der gleichen Ebene. Der Onkel hat genau so reagiert wie seine Kollegen, weil ein Begriff, ein Name überhaupt ausgesprochen wurde. Auch die Erbitterung, ja fast Wut über die Nennung von Begriffen und Namen, in die ja keinerlei Schuldzuweisung oder irgendein persönliches Ansprechen eingeschlossen waren, hatten fast etwas Identisches.
anne.c - 20. Feb, 21:19