Zum Tag der deutschen Einheit

Die deutsche Einheit hat zwar keinen „runden Geburtstag“, dafür aber der Fall der Mauer in gut einem Monat. Wenn man Berichte und Kommentare liest oder hört, meint man, gewisse Verstimmungen herauszuhören. Oft macht man die Ungleichheit zwischen beiden Teilen Deutschlands an den Prozenten fest, wie diese oder jene Geldeinnahme (Löhne, Renten) in dem jeweiligen Landesteil vonstattengeht. Und da fühlt sich derjenige, der weniger hat, „abgehängt“. Ich behaupte, dass jeder einzelne ehemalige DDR-Mensch – ob er so oder so viele oder wenige Prozente bekommt -, ungleich mehr an Materiellem hat, als er es sich vor Fall der Mauer erträumte, einmal besitzen zu können. Selbst ein armer Schlucker kann jetzt einen Farbfernseher besitzen, sogar ein Auto, was für ihn als DDR-Bürger überhaupt das ganze Lebensziel war. Von Smartphones träumte damals noch niemand.

Die Unzufriedenheit, die man meint herauszuhören, muss von etwas anderem herrühren. Damit meine ich, dass gesellschaftliche Verwerfungen entstehen, wenn man Lüge zur Grundlage der Gesellschaft macht.

In der DDR haben wir es erlebt. Wir erlebten, wie diejenigen, die die Gesellschaft bestimmten, das öffentliche Leben zu einem Lügengebilde machten. Darin hatte zwar manches seine Stimmigkeit, aber eben nur so lange man die Lüge als allgemein gültig annahm. Beispielswese wurde immer wieder betont: Der Sozialismus ist wissenschaftlich, und nach der Wissenschaft kommt nach dem Sozialismus zwangsläufig der Kommunismus. Wir lernten im Staatsbürgerkundeunterricht, dass es eine Basis und einen Überbau gibt. Stimmt die Basis nicht, dann kann der Überbau noch so in sich stimmig sein und trotzdem ist das ganze Gebilde, bzw. die jeweilige Gesellschaft falsch – damit meinte man zweifellos die kapitalistische Gesellschaft.

In Wirklichkeit stimmte etwas an der „Basis“ der DDR nicht, und das führte auch zu ihrem Ende. Die DDR-Bürger hatten von ihrer „Basis“ die Nase voll, und letztendlich, sobald sich ein kleiner „Riss“ in der Mauer aufgetan hatte, stimmten sie mit den Füßen ab. Nicht jeder wünschte sich das Gleiche, viele hatten Materielles im Sinn, manche die Reisefreiheit und einige die Freiheit überhaupt. Man rätselt heute, was das Startsignal zur Implosion der DDR war. Manche meinenn, die Biermann-Ausbürgerung, manche meinenn die Tatsache, dass einem immer größeren Personenkreis Privatreisen in den Westen erlaubt waren, manche meinen, die „Basis“ stimmte nicht.

Ob die Unzufriedenheit, die man heute über den Stand der deutschen Einheit heraushört, vielleicht auch damit zu tun hat, dass die „Basis“ nicht stimmt? Unter Basis meine ich, die Vorstellung, dass die deutsche Einheit sich auf einer "friedlichen Revolution" gründe. Dabei wird außer Acht gelassen, dass fast niemand von denen, die Anstoß zur friedlichen Revolution gaben, die deutsche Einheit zum Ziel hatte, sondern dass praktisch alle Bürgerrechtler eine reformierte DDR anstrebten. Man soll den friedlichen Revolutionären ihren Ruhm lassen. Zum Ende der DDR haben sie beigetragen, aber nur in einem gewissen Maße. Die DDR wäre auf jeden Fall implodiert. Vielleicht wäre es nicht ganz so friedlich zugegangen. Wahrscheinlich wäre die Unzufriedenheit auf beiden Seiten nicht so groß, wenn man ehrlicher mit der Geschichte umginge.
Lo - 6. Okt, 23:49

Zustimmung.

Iggy - 7. Okt, 19:14

Ich habe damals (als Westdeutsche) dafür plädiert, dass die Ostdeutschen einen eigenen, einen besseren Staat gründen sollten. Leider ist es anders gelaufen.

Im Luftreich des Traums

gegen Ideologien

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