Wie war es im Krieg so langweilig!

Es stimmt, es muss eine langweilige Zeit für die deutschen Mädchen, die in den böhmischen Gebirgen lebten, gewesen sein. Die jungen Männer waren im Krieg, die zurückgebliebenen Frauen lebten unter alten Männern und sehnten sich nach Abwechslung. Krieg spielte sich überall ab, nur nicht bei ihnen. Es war wirklich langweilig, sie konnten nicht einmal reisen.

So erzählte es uns vor Frau T. Warum habe ich nur die liebe, gutartig Frau T. dazu ausersehen, sie als Beispiel zu nehmen für die einäugige, ganz auf sich bezogene Art eines Teils der Deutschen, wenn sie sich mit der Vergangenheit beschäftigen? Sie ist sehr redselig, und ihre Gedanken sind, je älter sie ist desto mehr, mit den vergangenen Zeiten beschäftigt. Und es ist ihr Schicksal eine vertriebene Sudentendeutsche zu sein. Es ist ein Schicksal, das sich von dem anderer Flüchtlinge des 2. Weltkriegs sehr unterscheidet. Im Gegensatz zu anderen Flüchtlingen, die nach einer meist schrecklichen Flucht glücklich waren, aus dem Inferno herausgekommen zu sein, hat es die Sudetendeutschen ganz anders getroffen: sie wurden aus ihrer Idylle hart und plötzlich herausgerissen, in der sie einige Jahre die Herrenmenschen hatten spielen dürfen, danach ängstlich und von ihrer Umgebung nicht geliebt, doch gehofft hatten, mit einem "blauen Auge" davon gekommen zu sein und ihr gemächliches Leben weiter führen zu können. Und nun entpuppten sich ihre Nachbarn genau als die bösartigen Vertreiber, raffgierig und hartherzig, wie sie selbst es vor einigen Jahren gewesen waren, als man Tschechen und deutsche Sozialdemokraten aus den Sudentengebieten vertrieb und die Juden zum Abschlachten in Viehwaggons verfrachtete. Das haben natürlich die Kinder, die jungen Mädchen, nur vom Weiten wahrgenommen, es betraf sie ja auch nicht, aber selbst Frau T. konnte nicht verschweigen, dass sie etwas davon mitbekommen hat.

Ich habe viel Verständnis für Frau T.: Ich habe Verständnis dafür, dass ein Mensch an erster Stelle und vor allen Dingen das wahrnimmt, was er selbst erlebt. Ich habe auch Verständnis dafür, dass ein Mensch in einer Zeit, in der andere Menschen schlimmsten Grausamkeiten ausgesetzt waren, wenn er Glück hatte, ein zufriedenes oder eben auch langweiliges Leben hat führen können. Man könnte wohl gar nicht leben, wenn man alles Schreckliche, was gerade geschieht, im Auge hat. Aber jeder Mensch wird erwachsen und erhält einen Überblick über das, was in seiner Lebenszeit geschehen ist. Ich erwarte von einem "erwachsenen" Menschen, dass er eines Tages weiß, in welchen Zusammenhängen sein Leben gestanden hat, und dass er sich sein Urteil danach bildet.

Zwei Aussprüche von Frau T. kann ich nicht vergessen, sie erscheinen mir sehr aussagekräftig: Das ist der Bericht, wie sie als junges Mädchen nach dem Krieg von den Tschechen ihrer Umgebung interniert war. Man gab ihnen kein Wasser zum Waschen, sondern ihre Bewacher sagten, sie können sich ja in der Elbe waschen. Dass sich darüber die jungen Mädchen empörten, die niemanden etwas Böses getan hatten, kann ich verstehen, jedoch kann ich nie die Schlussfolgerung von Frau T. verstehen: "In diesem Moment begriff ich, dass es nicht nur gute Menschen auf der Welt gibt.!" Und wenn sie es wirklich erst in diesem Moment begriffen hätte, vielleicht war sie ja so naiv und blauäugig und hat die ganze Kriegszeit nichts Böses wahrnehmen können, weil es sie nicht begreifen und nicht wahrnehmen wollte! Aber so etwas 50 Jahre später mit der gleichen Empörung zu erzählen, wo sie wirklich alles hat erfahren können, was nur zu erfahren möglich ist …….!

Bei unserer gemeinsamen Reise nach Israel ergab es sich, dass gerade unsere israelische Reiseleiterin auch eine "vertriebene Sudetendeutsche" war, aber eine der anderen Art: Als jüdisches Kind war es ihr noch 1938 gelungen, mit ihren Eltern das Land zu verlassen. Frau T. war sehr mitfühlend, wie sie es immer ist (wirklich!): "Da haben sie aber Glück gehabt, dass sie rechtzeitig fliehen konnten!" Beide haben das gleiche Land verlassen müssen, für die eine sollte es ein Glück sein, für die andere das Unglück ihres Lebens, das sie nie verwinden kann. Subjektiv ist es wahr: hätte unsere spätere Reiseleiterin nicht das Glück gehabt, mit ihren Eltern geflohen zu sein, hätte man das kleine Mädchen in einer Gaskammer umkommen lassen. Frau T. hatte dagegen das Unglück, aus einem wohlbehüteten Elternhaus in eine ungewisse Zukunft verstoßen worden zu sein. Dieser Ausspruch setzt voraus, dass sie es als verinnerlichte und nicht in Frage zu stellende Tatsache ansieht, dass man die Juden umgebracht hat. Sollte man nicht an erster Stelle das Unrecht wahrnehmen, das die Voraussetzung für das "Glück der Flucht" war?

Im Luftreich des Traums

gegen Ideologien

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

Noch einmal über Medien
Die Welt besteht nicht nur aus Medien und das Leben...
anne.c - 29. Jul, 11:13
Noch ein Schreiben, diesmal...
12.07.2025 Infos am Morgen im DLF: „Immer wieder verzerrte,...
anne.c - 16. Jul, 17:16
Apartheit im Ökumenischen...
1 .Ein abgeschickter Brief an Bischof a.D. Bedfort-Strohm Herr...
anne.c - 8. Jul, 05:51
Reaktionen nach dem Angriff...
Dieser Beitrag wird ein wenig veraltet wirken, zu rasch...
anne.c - 1. Jul, 22:28
Presseclub
Vor der Fortsetzung der Reaktionen des Angriffs Israel...
anne.c - 24. Jun, 21:21
Reaktionen nach dem Angriff...
Die Reaktionen von offiziellen Medien und Bevölkerung...
anne.c - 21. Jun, 15:11
Nachtrag zu den Stolpersteinen
Vor Kurzem spazierte ich durch die kleine böhmische...
anne.c - 19. Jun, 23:09
Stolpersteine
Das sind diese kleinen quadratischen, messingfarbenen...
anne.c - 5. Jun, 21:28
Die Einschläge kommen...
Bis jetzt waren wir im Bekanntenkreis einigermaßen...
anne.c - 29. Mai, 14:39
Eine Zuschauermail
"Sehr geehrter Herr Prantl, als ich Sie heute bei...
anne.c - 22. Mai, 10:23

Links

Suche

 

Status

Online seit 5095 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 29. Jul, 11:18

Disclaimer

Entsprechend dem Urteil des Landgerichts Hamburg vom 12.05.1998 gilt für alle Links und Kommentare auf diesem Blog: Ich distanziere mich hiermit ausdrücklich von allen Inhalten aller verlinkten Seitenadressen und aller Kommentare, mache mir diese Inhalte nicht zu eigen und übernehme für sie keinerlei Haftung.

Impressum

Anne Cejp
Birkenstr. 13
18374 Zingst