Pommersche Impressionen (Teil II)

Ein weiterer Ausflug führte mich in ein abgelegenes Örtchen auf der Insel Usedom. Peenemünde. Einst Sitz der Heeresversuchsanstalt, der Ort, wo die im 2. Weltkrieg bewunderte und gefürchtete V 2-Rakete entstand, die Vergeltungswaffe, welche die Niederlage im letzten Augenblick abwenden sollte. In der DDR-Zeit gab es dort einen Militärflugplatz. Dieser Ort war "militärisches Sperrgebiet", für normale Sterbliche unerreichbar.

Nach der Wende sorgte Peenemünde immer einmal für Schlagzeilen. Der Ort Peenemünde, fast ausschließlich bewohnt von Angehörigen der Nationalen Volksarmee, hatte seine damalige Lebensgrundlage verloren und musste sich neu erfinden. Pragmatisch sagte man sich: Aus dem, was wir hier haben, wollen wir etwas machen. Und sei es, uns und unsere Geschichte der Öffentlichkeit zum Anschauen zur Verfügung zu stellen und eine Art Museumsdorf zu gründen. Ganz sicher waren ehemalige Offiziere nicht diejenigen, die aus dem Stegreif Museumsmacher sein konnten. Waren sie doch über Jahrzehnte zwar in ihren Waffengattungen ausgebildet worden, aber nicht in der Kunst, publikumswirksame Schautafeln zu erstellen oder einen informativen, sinnvollen Rundweg anzulegen. Ein Offizier, den ich kenne, mutierte ganz in der Nähe zum Leiter eines "Bettenmuseums". Es gibt ein Lern-Museum für Kinder, ein Spielzeugmuseum, ein U-Boot-Museum. Das wichtigste Museum aber ist Peenemünde selbst. Aus allem, was zu erforschen und an Wissenswertem zusammenzutragen war, hatte man ein historisch-technisches Museum geschaffen.

Am schwierigsten stelle ich es mir für Offiziere vor zu unterscheiden: Was war bis 1945, was bis 1990 und was ist jetzt politisch korrekt? Was dürfen wir ausstellen, was nicht? Die sichere Ideologie nach der man sich bis dahin richten konnte, war passé. Sicher war es der größte Schock für einen Armeeangehörigen, dass nun niemand mehr da war, der den politisch richtigen Weg vorgab. So schlug die Begeisterung für die V2-Wunderwaffe manchmal zu hohe Wogen, und dann traten Menschen auf den Plan, die sagten, dass es so toll mit der V2 auch nicht gewesen sei, dass die Raketen vielen Menschen in England den Tod gebracht haben und dass der Bau der gewaltigen Anlagen unzählige Sklavenarbeiter Gesundheit und Leben kostete. Aus diesem Hin und Her der Meinungen war das Ergebnis entstanden, das ich nun besichtigen konnte.

Meine größte Verwunderung bestand darin, dass es fast keine Spuren mehr von der glanzvollen Raketenproduktion gab. Ich hatte mir eine ganze Produktionskette der V2 vorgestellt. Lediglich das monströse Kraftwerk gab es noch, das die Energie für den Raketenbetrieb produziert hatte und als Energielieferant auch für die DDR unverzichtbar blieb. Allerdings: Eine gut instand gesetzte Rakete empfing die Museumsbesucher. Man kann hoffen, dass sie nicht scharf war, und das ist kein Scherz. Denn in meinem Heimatort hatte die DDR-Armee eine scharfe Rakete als Denkmal hinterlassen, die den Männern, die das Denkmal nach der Wende mit Schweißbrennern abmontieren wollten, um die Ohren flog (zum Glück an den Ohren vorbei). Das Kraftwerk in Peenemünde samt der überdimensionierten Förderanlage für Steinkohle war eindrucksvoll genug. Ich fand keine Verherrlichung der V2. Man versuchte die Aufmerksamkeit ein wenig vom unheilbringenden Wirken abzulenken, zugunsten der segensreichen Pionierarbeit bei der Etablierung der Weltraumfahrt. Allerdings zeugten manche Tafeln von ideologischer Unsicherheit. So gab es eine Zeittafel erst ab 1945. Auf drei Strängen wurden markante Punkte parallel zusammengestellt: Die Geschichte DDR/Bundesrepublik, die Geschichte Peenemündes und die Geschichte der Aufarbeitung des Holocaust. Letzteres war etwas befremdlich, vor allem da man jegliche Kriegsverbrecherprozesse wohl übersehen hatte, dafür aber den Zeitpunkt der ersten Wagneraufführung in Israel als markanten geschichtlichen Punkt angab.

So konnte ich diesen Nachmittag in Peenemünde als lehrreich erfahren, da sich hinter allem was man sah und las eine interessante Mischung aus mehreren und ereignisschweren Epochen der Zeitgeschichte verbarg. Und eine seltsame Stimmung schwebt über diesem Areal, das die Natur meistens längst zurückerobert hat.

Im Luftreich des Traums

gegen Ideologien

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