Begegnung mit Ruven Moskovic (Teil 2)

Später erfuhr ich von einem Buch, einer Art Autobiografie, die Ruven herausgeben wollte. Eines Tages war es so weit und ich bekam das lang angekündigte Buch zum Geburtstag (1997) geschenkt. Dieses Werk mit dem Untertitel „Aus dem Leben eines Friedensabenteurers“ wurde als „einzigartig“ angekündigt: Es sei nicht nur eine Biografie, nicht nur eine historische Abhandlung über die Geschichte des Judentums, nicht nur eine Analyse der gegenwärtigen Politik Israels, nein, es sei all das zugleich!

Beim Lesen zweifelte ich an meinem Verstand: Herausgegeben vom Evangelischen Bildungswerk Berlin, musste es doch von verschiedenen intelligenten Menschen gelesen, lektoriert, aufgelegt und verbreitet worden sein. So kam ich zu dem Schluss, dass etwas an dem Buch sein müsse, was ich einfach nicht begreifen kann. Mein Mann hat es gleich gelesen, und seine Kritik war vernichtend: Ein Schlawiner vom Balkan, der herausbekommen hat, dass es sich in Deutschland gut lebt und dass man von den deutschen Freunden viel Geld für tendenziöse Werke bekommen kann. Mein Mann machte sich die Mühe, der sich wahrscheinlich keiner der deutschen Freunde je unterzogen hat, er las das Buch von vorn bis hinten durch, denn Ruven interessierte ihn als ein gesellschaftliches Phänomen. Bezeichnenden Stellen strich er an, und es ging für ihn daraus hervor, dass Ruven in der Kindheit in Rumänien im Stetl von seinen eigenen Leuten sehr gedemütigt worden sein musste. Er müsse seitdem einen erheblichen Hass auf sein eigenes Volk verspüren und merkte später, dass man in Deutschland mit diesem Hass, bezeichnet als „Kritik am Staat Israel“, großen Eindruck hervorrufen kann.

Das Buch hatte keinen erkennbaren Aufbau, war zusammenhangslos, ein Wust an Fakten, Geschichtsdaten, Meinungen, eigentlich kaum lesbar. Sehr viel von dem, was Ruven an Kunde und politischen Ansichten von sich gab, kam mir vor, als hätte ich es schon oft gehört. Es war ein Mix von Gedanken, nur eines kam immer zum Ausdruck: Dass allein Ruven das politische Geschehen in Israel richtig beurteilen konnte, und alles Schlechte, was dort je stattgefunden hatte, geschah, weil man nicht auf Ruven gehört hatte.

Seine Biografie blieb nebulös, außer ein paar lebendig geschriebenen Szenen, die die besagten Demütigungen in der Kindheit schilderten. Was er über viele Jahre in Israel getan hat, blieb nur angedeutet. Verwickelt war er in die Gründung des „Friedensdorfes Neve Shalom“. Dort war er praktisch „herausgeflogen“. Mit dem Gründer des Friedensdorfes, einem ägyptischen Katholiken jüdischer Herkunft, hatte er sich überworfen aufgrund mehrerer gegen Ruven gerichteter Intrigen. Später hat Ruven unter dem Motto „Versöhnung zwischen Juden und Palästinensern“ gemischte Reisegruppen als Reiseleiter durch Europa kutschiert. Wahrscheinlich, als er gemerkt hat, dass die Sache ungekehrt lukrativer ist, führte er deutsche Reisegruppen durch Israel, und da die Reisen auch unter dem Motto „Versöhnung“ liefen, machte er die Reisenden fast ausschließlich mit dem Anliegen der Palästinenser und ihrer Sicht der Dinge vertraut.

Außer den wenigen biografischen Berichten enthielt das Buch seine Ansichten und Meinungen über den Staat Israel, das Judentum und besonders über den palästinensischen Konflikt. Gewürzt war es mit chassidischen Geschichten, Anekdoten, die ausschließlich die Bosheit von Juden zu Arabern schildern, jiddischen Witzen, auch mal mit einem Gedicht von Brecht. In Kürze („auf einem Bein“) wurde sowohl die Geschichte des Judentums als auch die der arabisch-israelischen Kriege dargestellt. Israel wurde ausschließlich als der Aggressor geschildert, auch als Befürworter des ersten Golfkrieges (den Ruven fast durch ein Gespräch mit Bundespräsident Weizsäcker verhindert hätte, nur das Gespräch kam leider nicht zustande).

Fortsetzung folgt

Im Luftreich des Traums

gegen Ideologien

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

Gedenken: 80 Jahre seit...
Wer in der DDR aufgewachsen ist, hat den 8. Mai als...
anne.c - 10. Mai, 11:47
Filme über den Holocaust
1978 lief im Fernsehen der inzwischen berühmte Film...
anne.c - 2. Mai, 14:50
Vier ehemalige Diplomaten...
Vier ehemalige Diplomaten haben in der FAZ einen Artikel...
anne.c - 24. Apr, 09:22
Karfreitag
Karfreitag – Kreuzigung Jesu. Da fällt mir eine Begebenheit...
anne.c - 19. Apr, 09:23
Wiederbegegnung
Vor acht Jahren berichtete ich darüber, wie ein Bischof...
anne.c - 10. Apr, 21:30
Diskrepanz oder Kooperation...
Schon zu lange dauert der Krieg zwischen Israel und...
anne.c - 2. Apr, 18:34
Das hätte ich mir nie...
Diesen Ausspruch hört man oft. Manchmal sind es die...
anne.c - 25. Mär, 09:20
Ich fühle mich nicht...
In einem „Spiegel“-Exemplar vom Januar konnte ich ein...
anne.c - 15. Mär, 22:17
No other Land
Zufällig las ich eine Nachricht in einem Nachrichtenportal,...
anne.c - 8. Mär, 20:57
Lager Svatobořice
(Bildunterschrift: Hier begannen sie diejenigen aus...
anne.c - 2. Mär, 16:12

Links

Suche

 

Status

Online seit 5019 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 10. Mai, 11:50

Disclaimer

Entsprechend dem Urteil des Landgerichts Hamburg vom 12.05.1998 gilt für alle Links und Kommentare auf diesem Blog: Ich distanziere mich hiermit ausdrücklich von allen Inhalten aller verlinkten Seitenadressen und aller Kommentare, mache mir diese Inhalte nicht zu eigen und übernehme für sie keinerlei Haftung.

Impressum

Anne Cejp
Birkenstr. 13
18374 Zingst