Leserzuschriften in "ZEIT"-online

Nachdem der venezolanische Präsident Chávez gestorben war, sah ich mir die Online-Leserzuschriften einiger großer Medien zu diesem Thema an. Nicht dass ich etwa heraus bekommen wollte, was für eine Figur Chávez gewesen ist, sondern ich wollte wissen, wie normale deutsche Bürger über ihn und sein Regieren denken. "Zeit"- Leser erschienen mir für so eine Studie durchaus repräsentabel.

Die in "ZEIT"-online veröffentlichten Artikel hatten eine ziemlich realistische Betrachtungsweise. Schon in den Überschriften war die Quintessenz enthalten: "Chávez hat das System erhalten und das Land ruiniert" und "Der Comandante hat das Erdöl benutzt, um sein sozialistisches Experiment in Venezuela zu finanzieren. Mit Chávez' Tod ist das System am Ende".

Man kann nicht behaupten, dass die besagten Artikel polemisch oder böse über Chávez berichteten. Sie versuchten, seiner Persönlichkeit gerecht zu werden, und das
Charisma zu hinter fragen, das auf seine Landsleute wirkte. Sie konnten und wollten aber nicht übersehen, dass das Land dank Chávez´ einerseits ideologischen und andererseits auch eigenwilligen Herrschaftsweise über eine vollkommen marode Infrastruktur verfügt und auf vielen Gebieten sehr herunter gekommen ist.

Von den vielen Leserzuschriften waren es knapp 20 %, die den Intentionen der Artikel zustimmten. Wenn man einige Zuschriften abzieht, die einen undefinierbaren Inhalt hatten, kann man sagen, dass gut 2/3 empört über das "ungerechte" Bild waren, das angeblich von Chávez gezeichnet wurde. An einigen Stellen hieß es: Über Tote darf man nicht schlecht schreiben!

Bezeichnend war schon die allererste Zuschrift, die ich vorfand:
"Wann werden die Deutschen aufhören den Hintern der USA und Israels zu küssen?" Eine Grundlage für diese Feststellung konnte man keinem Satz im Artikel entnehmen. Von Israel war dort überhaupt nicht die Rede (Das erinnerte mich an Tuvia Tenenbom, der bei seinem Deutschland-Aufenthalt festgestellt hatte: Wie abwegig auch das Thema sein mag, auf Israel kommen die Diskutanten immer!).

Weiter hieß es: Die Artikel seien unfair. Die USA könnten von einer Verfassung wie sie Venezuela hat, nur träumen. Vorher sei es in Venezuela auch nicht besser gewesen, und jetzt haben wenigstens die Armen etwas vom Ölreichtum, das sei wichtiger als eine intakte Infrastruktur. Eine absolute Gerechtigkeit sei ja sowieso nicht möglich. Wartet erst mal ab, bis sich heraus stellt, dass Chávez sehr viel Bleibendes geschaffen hat! Und so weiter. Die Leserschaft von "Zeit"-online outete sich als sozialistisch und als Verächter der USA, ja auch als links ideologisch. Oder wie soll man es sonst bezeichnen, wenn über einen verstorbenen linken Staatsmann nicht geschrieben werden darf, in welchem Zustand er sein Land hinterlassen hatte?

Wohl wissend, dass die Leser der "ZEIT" und ihrer online Ausgabe nicht identisch sein müssen und dass nicht jeder Schreiber einer Leserzuschrift den Charakter einer Zeitschrift widerspiegelt, so gibt es doch aufs Ganze gesehen Zusammenhänge. Wenn ich mir die Reklamen in der "ZEIT" vor Augen halte, die exquisiten Kreuzfahrtreisen in entlegene Teile der Welt, die ZEIT-Beilagen, in denen sich alles um exquisiten Schmuck, Mode, Lifestyle oder teure Autos dreht, die also alle an ein reiches Leserpublikum appellieren, dann ist die Begeisterung eines beträchtlichen Teils der Leserschaft für einen Beglücker der Armen nur schwer nachzuvollziehen.

Im Luftreich des Traums

gegen Ideologien

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