Diese unselige Anekdote von Heinrich Böll,

die Lieblingsgeschichte in Predigten: Einmal habe mir vorgenommen künftig zu schreien, wenn ich sie im kirchlichen Zusammenhang noch einmal vorgetragen bekomme. Wie oft ich sie in Predigten hörte oder in Gemeindebriefen las, weiß ich gar nicht. Anfang der Ferien erscheint sie mit Sicherheit in kirchlichen Ferienratgebern. Sie wird mit Eifer und in humoristischem Duktus vorgetragen. Sie schildert einen Fischer am Mittelmeer, der nach seinem Fischfang dösend am Strand liegt, und ein Tourist versucht ihn vergeblich zu überreden, dass er mehrmals am Tag zum Fischen fahren und sich dann eine Fischereiflotte zulegen solle, durch deren Arbeit er so einen Gewinn habe, dass er viel Zeit hätte, um beispielsweise im Hafen herumzusitzen. "Aber das tue ich doch jetzt auch", belehrt ihn der Fischer.

Als ich diese als "Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral" bezeichnete Erzählung das erste Mal im Gottesdienst hörte, war ich befremdet. Mir schien, dass zu viel Missachtung von Arbeit darin lag. Als ich dann aber erlebte, was für große Begeisterung sie in kirchlichen Kreisen auslöst - sie war gut genug dafür, in beliebige Predigten eingebaut zu werden -, wurde ich ungehalten. Ich sah mir genauer an, was für ein Mensch es ist, der diese Geschichte vorträgt. Es waren kirchliche Beamte, die egal ob sie einmal oder mehrmals am Tag "hinausfahren" oder auch gar nicht, pünktlich ihre Besoldung oder ihre Pension beziehen, die weit mehr beträgt als der Lohn eines Fischers. Die Anekdote spricht - wenn sie vom Pfarrer in einer Predigt angeführt ist - von Ignoranz und Missachtung der Arbeit einfacher Menschen. Jeder Pfarrer, der diese Geschichte vortrug, machte den Eindruck, als hätte er eine einmalige Entdeckung gemacht. Er weidete sich am Lachen und Schmunzeln einiger Leute, die das hörten. So sah ich Kirchenmitglieder, die schwer arbeiten, und die nach getaner Arbeit nicht dösen, sondern bei anderen Leuten sauber machen, um über die Runden kommen zu können. Möglicherweise saß sogar ein Fischer der nach dem Fang noch seine Netze flickt oder seine Fische ausfährt, unter den Zuhörern (es gibt hier noch Fischer). Falls ich diese Geschichte noch einmal im kirchlichen Zusammenhang erlebe, werde ich vielleicht doch nicht schreien. In welcher Diskrepanz der Vortragende zu der Welt seiner Zuhörer lebt, das weiß ich dann aber genau.

Im Luftreich des Traums

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