Die Vertriebenen aus der Tschechoslowakei (Teil 1)

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In der kleinen südböhmischen Stadt Sedlčany entdeckten wir bei einem Spaziergang ein Denkmal, das eine Figurengruppe von Vertriebenen darstellte: Mann und Frau mit einem Kleinkind. Der Mann hatte ein Bündel mit Habseligkeiten geschnürt, sie wirkten notleidend. Der Titel der Skulptur war: „Menschen ohne Heimat“

„Oh, schau mal, hier haben sie den Vertriebenen schon ein Denkmal errichtet, hier in der Stadt sind sie ja ganz fortschrittlich und politisch korrekt!“, sagte ich. Beim näheren Hinsehen, konnte man die Jahreszahl 1978 sehen. „Das kann nicht sein, 1978 hätten sie für die Vertriebenen niemals ein Denkmal errichtet, das muss etwas anderes bedeuten“.

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Die Inschrift am Denkmal lautet: Die Statue „Menschen ohne Heimat" erinnert an die gewaltsame Vertreibung der Menschen von Sedlčany während des zweiten Weltkriegs in den Jahren 1943-45

Ach, es gab also auch Vertriebene anderer Art. Unter Vertriebenen in Böhmen habe ich mir immer die Sudetendeutschen vorgestellt. Als ich mich bei Wikipedia auf Deutsch über vertriebene Tschechen informieren wollte, war von nichts anderem als von Sudetendeutschen die Rede. Bestenfalls fand man Beiträge über tschechische Sozialdemokraten und Juden, die „aus eigenem Antrieb“ das Sudetengebiet nach September 1938 verlassen haben (oder gleich in den Kellern der Gestapo landeten).

Später informierten wir uns über das Aussiedlungsprogramm, das für die Bewohner eines großen Gebiets im nördlichen Südböhmen auf einer Fläche von ca. 400 km2 in den Jahren 1942-1944 stattgefunden hatte, und das gleichzeitig als Versuchsprogramm für spätere Aussiedlungsaktionen an slawischen Menschen dienen sollte, die Platz für das bekannte „Volk ohne Raum“ schaffen sollten.

Schon 1939 hatten die Deutschen ein Programm für die „endgültige Lösung der tschechischen Frage“ aufgestellt, das vorsah, dass die tschechische Bevölkerung der deutschen weichen sollte. In der weiteren Umgebung gerade von Sedlčany begann man 1941 mit der Aussiedlung tschechischer Bewohner und intensivierte sie in den Jahren 1942-1944. Geschaffen werden sollten in diesem Areal ein SS-Truppenübungsplatz und ein SS-Musterstädtchen mit Namen „SS-Böhmen“. Bei allem ging man akribisch und mit detaillierten Anweisungen und Erlassen vor. So durften anfangs die ausgesiedelten Menschen noch ihre bewegliche Habe mitnehmen, später nicht mehr. Die neuen Unterkünfte mussten sich die vertriebenen Menschen selbst suchen, was vor allem die Bauern hart traf, da sie meistens nicht das entsprechende Land zum Wirtschaften finden konnten. Es gab Entschädigung für den erzwungenen Umzug, z. B. 1500 Kronen und 2% des Schätzwertes des Besitzes und mit Einbußen auch für den Wert des Besitzes. 180 Gemeinden und ca. 30 000 Menschen wurden asugesiedelt, die verlassenen Dörfer anschließend oft völlig zerstört. Nach dem Krieg kamen etwa 75 % der Bewohner wieder zurück. Von denjenigen, die nicht zurück kommen wollten, weil ihre ehemaligen Häuser komplett dem Erdoben gleichgemacht waren, zog ein Teil in die Gebiete der Tschechoslowakei, aus der die deutschen Bewohner inzwischen auch vertrieben waren.

(Fortsetzung folgt)

Im Luftreich des Traums

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