Die Stalingradmadonna II

Die Stalingradmadonna wurde 1942 von dem Künstler, Arzt und Pastor Kurt Reuber gezeichnet als er sich im Kessel von Stalingrad, eingeschlossen durch die sowjetische Armee, befand. Um sich und seinen Kameraden das Weihnachtsfest erträglicher zu machen, schuf er diese Zeichnung. Um das Bild herum laufen die Schriftzüge: "1942 Weihnachten im Kessel – Festung Stalingrad – Licht, Leben, Liebe“.

Die Stalingradmadonna mag für den einzelnen Soldaten, der mit ihr in Berührung kam, eine unmittelbare Bedeutung haben. Wenn aber Jahre später über sie gedichtet und gepredigt wird, so sollten die Umstände beschrieben werde, unter denen sie geschaffen wurde. Dazu gehört nicht nur "das Leid der deutschen Soldaten im Kessel", sondern es gehört dazu, warum diese sich im Kessel befanden und was sie dort vorhatten.

Der Pfarrer Arno Pötzsch hat es tatsächlich in seinem Gedicht erwähnt: Sie standen eidgetreu auf verlornem Posten und stritten bis zum Tod hin für das "Reich", schreibt er in seinem Gedicht "Stalingrad". Warum sie auf verlornem Posten standen, das wissen die Leser zwar immer noch nicht, Arno Pötzsch ist aber einverstanden mit dieser Tatsache und stellt sie nicht in Frage. Die andere Frage: Gab es noch andere Menschen, die hungerten, litten und froren? stellt sich für Arno Pötzsch nicht. Falls sie es gegeben haben sollte, so ward ihnen jedenfalls nicht die Gnade der Madonna teil. Denn, so heißt es in einer Strophe des Gedichtes "Die Mutter Gottes von Stalingrad"

Die Mutter Gottes von Stalingrad
Weilt heut bei den deutschen Soldaten.
Sie hat in der eisigen Winternacht
der russischen Steppe sich aufgemacht,
die Frau und die Mutter voll Gnaden

Die Mutter Gottes von Stalingrad -
so kam sie, die Mutter voll Gnaden,
zu den Ärmsten der Armen in heiliger Nacht,
weil die Mutter noch immer des Ärmsten gedacht,
sie kam zu den deutschen Soldaten.

(Man kann es natürlich auch so sehen, dass die Madonna auch bei anderen Soldaten weilen konnte, denn sie ist allmächtig und allgegenwärtig, was vom Dichter allerdings nicht erwähnt wurde. Doch hält er die deutschen Soldaten für die Ärmsten der Armen.)

Diese Gedichte über die Madonna schrieb Arno Pötzsch 1944 und veröffentlichte sie 1946.
Wie aber sah es mehr als 50 Jahre später aus? Man sollte meinen, in den Jahren sollte sich im Denken der Menschen einiges geändert haben:

Eine Predigt aus dem Jahr 2001 aus einem Ort bei Kassel ist im Internet zu finden, aus der ich einige Sätze zitiere:

In den Bunkern und in den Erdhöhlen leben, sterben, hungern und frieren deutsche Männer. Sie hoffen auf eine Erlösung.
Licht, Leben, Liebe. Was soll ich dazu noch sagen? Wenn man unsere Lage bedenkt, in der Dunkelheit, Tod und Hass umgeben - und unsere Sehnsucht nach Licht, Leben, Liebe, die so unendlich groß ist in uns.
Diese Geborgenheit kann das, weil sie selbst schwere Zeiten durchlebt hat. Damals am Kreuz. Und damals in Stalingrad. Und heute bei uns.

Der Prediger beschreibt die lang zurück liegende Vergangenheit, als wäre sie unmittelbare Gegenwart. Auch für ihn besteht Krieg aus dem Leiden deutscher Soldaten, die sozusagen aus dem Nichts in die Stalingrader Steppe gelangt sind. Und zum zweiten aus der großen Sehnsucht dieser Männer nach Licht, Leben und Liebe. Vielleicht haben die Soldaten zwischendurch auch einmal geschossen. Oder noch schlimmere Dinge getan, von denen man hört, das sie im Krieg getan wurden, die aber in erbaulichen Predigten lieber nicht erwähnt werden. Der Prediger vergisst übrigens in dieser Predigt auch nicht zu erwähnen, dass es heutzutage in Israel und Palästina sehr schlimm ist, was nun gar nichts mit der Madonna gemein hat. Die letzten Sätze der Predigt halte ich für Blasphemie: Er stellt das Sterben am Kreuz, die Schlacht um Stalingrad und unsere heutige (von 2001 ) Situation auf eine Ebene.

Nicht etwa die Madonna oder ihr Schöpfer, aber diejenigen, die diese Madonna dazu benutzen, um dem zweiten Weltkrieg samt seiner Soldaten einen madonnenartigen Schein zu verleihen, tragen zur Erfüllung eines gesellschaftlichen Auftrags bei: die Rolle Deutschlands im Krieg immer weiter herunter zu spielen und es als ein leidendes Opfer zu stilisieren.

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