"Da schämt man sich, ein Deutscher zu sein",

diesen Ausspruch konnte man in den 60er, 70er, auch noch in den 80er Jahren nicht selten hören. Es war die Zeit, als viel davon ans Tageslicht kam, wovon die Deutschen behaupteten nichts gewusst zu haben. "Nichts gewusst", das hieß: Wir haben nicht bis ins letzte Detail und im gesamten Ausmaß das gewusst, was in den im Krieg von Deutschen besetzten Gebieten geschah. Und nun hörte man doch einiges, dank verschiedener Enthüllungen von Journalisten, anlässlich von Kriegsverbrecherprozessen oder aus diesem oder jenem Erfahrungsbericht. Die Details, die man dann erfuhr, waren so grausam und unfassbar, auch so grotesk, dass sich manch einer doch zu dem Spruch: "Da schämt man sich ein Deutscher zu sein!" hinreißen ließ.

Eine Deutsche zu sein, habe ich mich nie geschämt. Allerdings war ich auch nie stolz darauf. Instinktiv habe ich begriffen, dass es nicht darum ging, eine emotionale Position Deutschland gegenüber einzunehmen, sondern eine Position zu dem, was damals geschah - nein, aktiv ausgeübt wurde. Da war meine Position seit ich mich erinnern kann: Abgrundtiefe Ablehnung und Verachtung denen gegenüber, die Krieg und Holocaust in Gang gesetzt haben. Wenn ich mich geschämt hätte, dann vielleicht dafür, ein Mensch zu sein, von der gleichen Materie zu sein wie diese Verbrecher samt ihrem Anhang. Vielleicht ist meine indifferente Haltung zum "Deutschsein" auch dadurch zu erklären, dass ich in der DDR aufwuchs, in der alles ein wenig anders war als im "echten Deutschland". Es mag auch eine Rolle spielen, dass ich noch nicht lebte, als all diese schrecklichen Dinge geschahen.

Nun, inzwischen spielt das keine Rolle mehr. Wir haben, wie es unser Bundespräsident verkündet, die Freiheit. Und da habe ich auch die Freiheit, auf mein Deutschsein stolz zu sein oder auch nicht und mich zu schämen oder auch nicht. Und nun stelle ich fest, dass ich mich tatsächlich ab und zu schäme, eine Deutsche zu sein. Wenn ich mir vorstelle, dass ich dem gleichen Volk angehöre, wie dieser unsägliche Günter Grass! Wenn es nur der Günter Grass wäre, aber der ganze antisemitische Dreck, der dank ihm an die Oberfläche gespült wird - das sind meine Landsleute! Da schaudert es mich!

Aber auch durch das dunkelste Gedankengestrüpp können Freudenschimmer dringen. Innerhalb kürzester Zeit ist dieses Gedicht entstanden, das zeigt, wie so ein Pamphlet von Günter Grass Menschen zum Nachdenken und zur Inspiration bringen kann:

Gedicht für Günter (unterstufenlyrisch)

Mit letzter Tinte ächzt der Alte
in ungereimter Poesie:
Dass die sich nicht mehr schlachten lassen,
verzeihe ich den Juden nie.

Der Jude will Atomraketen.
Der Jude will den Weltenkrieg.
Der Jude will uns alle meucheln.
Am Ende droht des Juden Sieg!

Da muss man doch was machen können,
und wenn nicht wir, dann der Iran.
Mahmud, mein alter Mullahkumpel!
I shout it out loud: Yes, you kann!

Der Günter fühlt sich ganz verwegen,
der Greis ist wieder jung, vital.
Die Lösung einst ging zwar daneben,
versuchen wir’s halt noch einmal!

So denkt’s im deutschen Dichterdenker.
Er rülpst und rotzt es aufs Papier.
Sein Wahn kennt keine Einsamkeit.
In Deutschland gilt: Vom Ich zum Wir.

Boris Yellnikoff
(der für dieses Gedicht den Nobelpreis verlangt)

Den Nobelpreis sollte er auf der Stelle bekommen. Das Gedicht ist so schön, dass ich einfach zu seiner Verbreitung helfen möchte (sogar nach Argentinien, wie Eingeweihte es wissen).

Im Luftreich des Traums

gegen Ideologien

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