70 Jahre Stuttgarter „Schuldbekenntnis“
Am Sonntag, dem 19.10. wurde in DLF daran gedacht, dass vor 70 Jahren, also einige Monate nach Kriegsende, die evangelische Kirche folgendes Bekenntnis herausgab.
"Mit großem Schmerz sagen wir: Durch uns ist unendliches Leid über viele Völker und Länder gebracht worden. Was wir unseren Gemeinden oft bezeugt haben, das sprechen wir jetzt im Namen der ganzen Kirche aus: Wohl haben wir lange Jahre hindurch im Namen Jesu Christi gegen den Geist gekämpft, der im nationalsozialistischen Gewaltregiment seinen furchtbaren Ausdruck gefunden hat; aber wir klagen uns an, daß wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben." (Auszug)
Dieses „Bekenntnis“ war mir in den Jahren schon einige Male vor die Augen gekommen, und ich war jedes Mal auf´s Gleiche entsetzt. Ich stellte mir Taten des „nationalsozialistischen Gewaltregiments“ vor: das Warschauer Ghetto, das Massaker von Babi Yar und unzählige andere, die Auslöschung von ganzen Dörfern wie Oradour oder Lidice, das Verhungernlassen von Millionen sowjetischer Kriegsgefangener. Auf der anderen Seite hatte ich die christliche Botschaft vor Augen: die Botschaft von Nächstenliebe, Opferbereitschaft und Pazifismus. Und zwischen diesen beiden Extremen dieses „Schuldbekenntnis“. Ich stellte mir vor, ob Geistliche hätten vor den Gaskammern stehen sollen, um treu für die zum Tode Bestimmten zu beten, sie zu segnen und mit Liebe zu überschütten.
Wozu dieses schwammige Bekenntnis, unendliches Leid wäre über Völker gebracht worden? Bloß nichts Konkretes, jeder kann sich darunter vorstellen, was er will. Und bloß keine Konsequenzen, so weiter machen, wie bisher. In Berlin gab es einen Pfarrer, Karl Themel, der aus eigener Initiative eine sogenannte Kirchenbuchstelle gründete und akribisch Forschung betrieb, wer in seinem Archiv jüdische Vorfahren hatte und der eng mit der Gestapo zusammen arbeitete. Nach dem Krieg konnte er diese Forschung zwar nicht weiter führen, aber er bekam wieder eine Pfarrstelle und durfte sich im Ruhestand kirchenarchivarisch betätigen.
Aus meinem eigenen Erleben: In meiner Heimatstadt gab es einen Superintendenten. Jeder wusste, dass er einst ein strammer Nazi gewesen war. Nach dem Krieg war er als Superintendent nicht mehr tragbar, so wurde er zum Pfarrer „degradiert“. Nach 8 Jahren war er wieder Superintendent. Als er gestorben war, gab es beim Nachruf im Kirchenblättchen keinerlei Hinweis auf Unregelmäßigkeiten in seinem Lebenslauf.
So denke ich, dass der „fröhliche Glaube“ und die „brennende Liebe“ der evangelischen Kirche sich selbst galt. Zur Vergebung war sie immer bereit, wenn es dann den eigenen Leuten galt.
"Mit großem Schmerz sagen wir: Durch uns ist unendliches Leid über viele Völker und Länder gebracht worden. Was wir unseren Gemeinden oft bezeugt haben, das sprechen wir jetzt im Namen der ganzen Kirche aus: Wohl haben wir lange Jahre hindurch im Namen Jesu Christi gegen den Geist gekämpft, der im nationalsozialistischen Gewaltregiment seinen furchtbaren Ausdruck gefunden hat; aber wir klagen uns an, daß wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben." (Auszug)
Dieses „Bekenntnis“ war mir in den Jahren schon einige Male vor die Augen gekommen, und ich war jedes Mal auf´s Gleiche entsetzt. Ich stellte mir Taten des „nationalsozialistischen Gewaltregiments“ vor: das Warschauer Ghetto, das Massaker von Babi Yar und unzählige andere, die Auslöschung von ganzen Dörfern wie Oradour oder Lidice, das Verhungernlassen von Millionen sowjetischer Kriegsgefangener. Auf der anderen Seite hatte ich die christliche Botschaft vor Augen: die Botschaft von Nächstenliebe, Opferbereitschaft und Pazifismus. Und zwischen diesen beiden Extremen dieses „Schuldbekenntnis“. Ich stellte mir vor, ob Geistliche hätten vor den Gaskammern stehen sollen, um treu für die zum Tode Bestimmten zu beten, sie zu segnen und mit Liebe zu überschütten.
Wozu dieses schwammige Bekenntnis, unendliches Leid wäre über Völker gebracht worden? Bloß nichts Konkretes, jeder kann sich darunter vorstellen, was er will. Und bloß keine Konsequenzen, so weiter machen, wie bisher. In Berlin gab es einen Pfarrer, Karl Themel, der aus eigener Initiative eine sogenannte Kirchenbuchstelle gründete und akribisch Forschung betrieb, wer in seinem Archiv jüdische Vorfahren hatte und der eng mit der Gestapo zusammen arbeitete. Nach dem Krieg konnte er diese Forschung zwar nicht weiter führen, aber er bekam wieder eine Pfarrstelle und durfte sich im Ruhestand kirchenarchivarisch betätigen.
Aus meinem eigenen Erleben: In meiner Heimatstadt gab es einen Superintendenten. Jeder wusste, dass er einst ein strammer Nazi gewesen war. Nach dem Krieg war er als Superintendent nicht mehr tragbar, so wurde er zum Pfarrer „degradiert“. Nach 8 Jahren war er wieder Superintendent. Als er gestorben war, gab es beim Nachruf im Kirchenblättchen keinerlei Hinweis auf Unregelmäßigkeiten in seinem Lebenslauf.
So denke ich, dass der „fröhliche Glaube“ und die „brennende Liebe“ der evangelischen Kirche sich selbst galt. Zur Vergebung war sie immer bereit, wenn es dann den eigenen Leuten galt.
anne.c - 19. Okt, 17:49