Schlagzeilen
Im Autoradio hörte ich am 23. April in einer 5-Minuten-Nachrichtensendung, dass der schwer verletzte Attentäter von Boston dieses und jenes gestanden habe. Daraufhin folgte eine nochmalige Beschreibung des Attentats während des Marathonlaufs - wie es verlaufen ist, wie viele Tote, wie viele Verletzte. So als hörten es die entsetzten Zuhörer zum ersten Mal. Dabei ist es acht Tage her. Unwillkürlich dachte ich daran, wie viele Tote durch Terror es in dieser Zeit in anderen Ländern gegeben hat, im Irak, in Syrien, in Pakistan. Sie sind vergessen, sobald die Nachricht vorbei ist, wenn es denn überhaupt Tote genug sind, um sie für nachrichtenswert zu halten.
In verschiedenen Artikeln oder Blogs las ich Verwunderung oder Entsetzen, wie verschieden in den Medien berichtet wird - je nachdem wo sich eine Katastrophe oder ein Terroranschlag zugetragen hat. Es wird so sein, dass sich auch in den Medien der Kampf zwischen "Idealismus" und "Materialismus" abspielt. Idealismus - jeder Mensch ist in den Nachrichten gleich wert, eine Katastrophe sollte nach ihrer Schwere gewichtet werden, aber nicht nach dem Land, in dem sie sich abspielt. Materialismus - eine Nachricht ist umso mehr wert, je mehr Aufmerksamkeit sie erreicht, und umso mehr Menschen sie interessiert. In diesem Spannungsfeld wird sich die Nachrichtenzusammenstellung abspielen. Wahrscheinlich neigt sich die Waage dem "Materialismus" immer mehr zu. Warum sonst würden die Nachrichtensendungen in den so genannten seriösen Medien immer mehr Boulevardcharakter annehmen? Auch in ARD-Nachrichten werden wir mit aufgeregten Nachbarn konfrontiert und es häufen sich dort mangels Informationen oft Spekulationen, die nicht selten unseriöse Vorwegnahmen sind. Zusätzlich mag sich auch viel Hysterie in die Nachrichtengestaltung eingeschlichen haben.
Jedem das Seine, heißt es seit alters her - wir als Publikum akzeptieren auch diese mediale Ausrichtung oder heißen sie per Einschaltquote sogar gut.
In verschiedenen Artikeln oder Blogs las ich Verwunderung oder Entsetzen, wie verschieden in den Medien berichtet wird - je nachdem wo sich eine Katastrophe oder ein Terroranschlag zugetragen hat. Es wird so sein, dass sich auch in den Medien der Kampf zwischen "Idealismus" und "Materialismus" abspielt. Idealismus - jeder Mensch ist in den Nachrichten gleich wert, eine Katastrophe sollte nach ihrer Schwere gewichtet werden, aber nicht nach dem Land, in dem sie sich abspielt. Materialismus - eine Nachricht ist umso mehr wert, je mehr Aufmerksamkeit sie erreicht, und umso mehr Menschen sie interessiert. In diesem Spannungsfeld wird sich die Nachrichtenzusammenstellung abspielen. Wahrscheinlich neigt sich die Waage dem "Materialismus" immer mehr zu. Warum sonst würden die Nachrichtensendungen in den so genannten seriösen Medien immer mehr Boulevardcharakter annehmen? Auch in ARD-Nachrichten werden wir mit aufgeregten Nachbarn konfrontiert und es häufen sich dort mangels Informationen oft Spekulationen, die nicht selten unseriöse Vorwegnahmen sind. Zusätzlich mag sich auch viel Hysterie in die Nachrichtengestaltung eingeschlichen haben.
Jedem das Seine, heißt es seit alters her - wir als Publikum akzeptieren auch diese mediale Ausrichtung oder heißen sie per Einschaltquote sogar gut.
anne.c - 25. Apr, 10:09
Überlegungen zu Boston
ich habe diese Nachrichten ebenfalls verfolgt und auch die vielen unsäglichen Kommentare zur Kenntnis genommen, in deren Tenor ebenfalls auf die vielen anderen schlimmen Dinge verwiesen wurde, die sich parallel zu den Geschehnissen in Boston ereigneten. Diese Hinweise erfolgten allerdings mit der erkennbaren Absicht, dieses Verbrechen zu relativieren und kleinzureden. Ich weiß, dass Ihre Kritik im Gegensatz dazu eine ethische Frage formuliert, die m.E. nicht befriedigend beantwortet werden kann.
Zunächst glaube ich, dass es einfach menschlich ist, zuerst die Dinge zur Kenntnis zu nehmen, die einem näher sind. Ein Bombenattentat im Irak ist viel weiter von mir weg (ich meine das nicht geografisch) als das Verbrechen in Boston. Die Menschen im Irak tun mir nicht weniger leid, aber sie sind mir fremd, ich kenne niemanden, der im Irak lebt.
Hinzu kommt, dass die Zustände im Irak nach wie vor schwierig und auch chaotisch sind. Ein ideales Betätigungsfeld für destruktive Kräfte, die für ihr Morden keine Gründe brauchen, sondern völlig frei sind in der formalen „Begründung“ für ihre Taten. Sie faseln etwas von US-Imperialismus, Zionismus und was auch immer. Es macht überhaupt keinen Sinn, sich darauf einzulassen. Diese Argumente sind keine – es sind Lügen. Genauer gesagt, Rationalisierungen, die nur den Zweck haben, die eigene Bösartigkeit, Denkfaulheit und Pervertiertheit mit den Weihen eines intellektuellen Prozesses zu versehen. Jüngstes Beispiel dafür ist gerade Boston. Der ältere Bruder, ein Loser, für den dieses Wort exakt zutrifft, ist völlig unfähig auch nur zur minimalen Selbstreflektion. Er ist auf der Suche nach „Schuldigen“, das sind natürlich immer (letztlich beliebige) Andere. Zu „feige“, das Verbrechen alleine durchzuziehen agitiert er seinen (willigen!) jüngeren Bruder. [Wenn man die selbstgerechte theatralische Reaktion der Mutter vor den Fernsehkameras sieht, scheint hier nicht zuletzt ein Familienproblem vorzuliegen.] Um die Erbärmlichkeit des eigenen Handelns nicht wahrnehmen zu müssen wird von solchen Figuren gerne eine religiöse Verbrämung ihres Tuns benutzt: Aus dem Frustrations-Mord wird eine Bestrafung der „Ungläubigen“ für deren vermeintliche Verbrechen. Umso besser, wenn sich da noch ein Körnchen Wahrheit findet – und das findet sich immer – oder sich dieses zumindest konstruieren lässt. Hier schließt sich der Kreis der Verbrecher in Boston mit denen im Irak, Pakistan und Afghanistan. Ihre psycho-pathologische Grundstruktur ist dieselbe.
Wir sollten uns davor hüten, ihren fadenscheinigen Begründungen auf den Leim zu gehen. Es sind einfach nur menschenverachtende Killer. Die Frage, warum sie so geworden sind, ist dagegen durchaus einer weiteren Betrachtung wert. Zumindest für Psychologen.
Danke für Ihre Reaktion. Einiges von dem was Sie schrieben, hatte an dem betreffenden Tag auch der Kommentator in den Tagesthemen gesagt: das größere mediale Interesse resultiert daraus, dass das Attentat in "unserer Welt" statt fand, also in einer Situation in der viele von uns sein könnten. (Prompt bekam ein ländlicher Marathonlauf, der in unserer schönen Gegend zufällig gerade stattfand, das Motto "Trotzdem laufen wir!"). Das ist alles verständlich, trotzdem denke ich manchmal daran, wie unglaublich viele Krüppel durch die Attentate, immerhin von Muslimen an Muslimen verübt, existieren müssen.
Aber worum es mir hauptsächlich ging, ist die unglaubliche Schieflage der Medienberichterstattung, wo das was gerade gut ins Bild passt, zum "Event" gestaltet wird, und Wichtiges unter den Tisch fällt. Dem Zuschauer geht das Unterscheidungsvermögen verloren.