Vorschulerziehung in der DDR (Teil 3)

So kam der große Tag. Mit einem kleinen Kinderfahrrad legten wir die ca. 700 m zum Kindergarten, einer lang gezogenen Zweckbaracke, zurück. Man gelangte durch die Eingangstür in einen kahlen Vorraum, der einzig dazu da war, Kindergartenhaus und die hereintretenden Kinder zu separieren. Die eigentliche Eingangstür hatte einen Knauf, der von außen nicht zu öffnen war. Man klingelte, und nach Öffnen der Eingangstür gelangten die Kinder in die normalen Räume: einen Korridor mit Garderoben, Gruppenräume, Waschräume usw. Wir standen also in jenem kahlen Vorraum, - der kleine Bruder hatte uns auch begleitet -, und ich klingelte. Die Tür öffnete sich, die Kindergartenleiterin kam, um das neu hinzu gekommene Kind zu empfangen. Und das ging so vor sich: Sie fasste das Mädchen am Arm, zog es hinter die Tür, und schon war die Tür wieder geschlossen. Ich hörte nur noch einen gellenden Schrei, und diesen Schrei höre ich bis heute.
(Gerechterweise möchte ich hinzufügen, dass dem Kind hinter der Tür nichts Böses geschah, es war nur die „normale“ Art, das Kind ins Geschehen einzugliedern)

zum_kindergarten

Wäre ich erfahrener und selbstbewusster gewesen, hätte ich ein „Theater“ veranstaltet, wie ich es später bei anderen Gelegenheiten manchmal praktizierte. So aber ging ich etwas verstört mit dem jüngeren Kind zusammen nach Hause. Erfahren hatte ich aber, dass die Kindergartengruppe vorhatte, den Vormittag am Strand zu verbringen. Ich schlich mich später hinter die Düne und beobachtete die Gruppe. Lärmende, spielende Kinder, und abseits saß ein kleines Mädchen und schaute traurig vor sich hin. Auf die Idee, ein neu hinzu gekommenes Kind etwa mit ins Geschehen zu holen, wäre wohl niemand gekommen (in ähnlichem Bezug hörte ich mehrmals die Aussage: „man merkt gleich, dass es kein Krippenkind ist“, womit gemeint war, dass ein Kind sich nicht automatisch in eine Gruppe einfügen konnte).

Aber - siehe da -, auf einmal kam Bewegung in mein kleines Mädchen. Sie schnappte sich einen Korb und begann Eimerchen und Schaufeln einzusammeln und in den Korb zu legen. Die Kindergärtnerin hatte die Kinder zum Einsammeln der Spielzeuge aufgefordert, was außer der „Neuen“ niemand zur Kenntnis nahm. Sie war einfach ein liebes und artiges Kind, das sofort reagierte, wenn etwas angesagt war. Ja, viel später wurde ihr sogar das höchste Lob zuteil, dass in einem Kindergarten jener Art zu vergeben war: „Sie ist so lieb, man merkt gar nicht ob sie da ist oder nicht da ist“.

Meine Tochter ist später gern in den Kindergarten gegangen, hatte da Freunde und Freundinnen, und vielleicht war der Beginn der Kindergartenzeit für mich traumatischer als für sie. Und – wer weiß -, traumatische Erlebnisse können ja auch dazu führen, dass man Widerstandskräfte entwickelt, die einem später helfen.
(Fortsetzung folgt)
C. Araxe - 4. Jan, 20:56

Die DDR-Zeiten habe ich ja nur im Kindes- und Jugendalter erlebt (und nicht als Mutter). Dies dann auch gleich mit dem Besuch der Krippe beginnend, woran ich allerdings wohl recht nachvollziehend keine Erinnerungen mehr habe. An die Zeiten des Kindergartens jedoch noch einige. Da wurde mir schon ansatzweise bewusst, dass ich nicht so massenkompatibel bin. Ich mochte jedenfalls all diese Gruppensachen nicht, hatte schon früh meine eigenen Meinungen und Vorstellungen oder trotz allem eine ausgeprägte Individualität.
Wenn mich z. B. meine Oma in den Kindergarten bringen sollte, weil es meine Mutter zeitlich nicht schaffte, trickste ich sie ziemlich oft aus. Ich bat sie mir nur kurz vorher noch ein Märchen vorzulesen. Und noch eins, und noch eins ... Vorm nächsten wäre doch ein Grießbrei (natürlich selbst gekocht) richtig toll – so war der Tag schon halb rum und so konnte man es auch gleich ganz lassen, in den Kindergarten zu gehen.
In kalten Jahreszeiten sollten alle unbedingt immer eine Mütze tragen, was ich absolut nicht mochte. Schließlich wurde dann auch akzeptiert, dass bei mir eine Kapuze ausreichte. Als ich dann doch einmal eine Mütze trug (warum, weiß ich nicht mehr), wurde ich von den Kindergärtnerinnen gar nicht erkannt (O.K., das war von hinten – aber da hatten sie ansonsten keine Schwierigkeiten).
Am liebsten zog ich mich im Kindergarten zurück (was oft durchaus toleriert wurde) und zeichnete etwas. Einmal zeichnete ich ein Wesen mit Engelsflügeln und Teufelshörnern. Ich bin absolut areligiös aufgewachsen (atheistisch bin ich jedoch nach wie vor) und hatte natürlich auch keine Ahnung von gefallenen Engeln. Die Kindergärtnerinnen waren ziemlich irritiert und es folgte ein Elterngespräch. Vielleicht das Erlebnis, was mein Interesse an Religionen prägte oder vertiefte, auch wenn ich wie gesagt nicht gläubig bin.
Als ich Jahrzehnte später selbst Mutter war, war es für mich undenkbar mein Kind in so frühen Jahren, nicht selbst zu betreuen. Also unmittelbar nach der Geburt bis hin zum Kindergartenalter. Mit dreieinhalb Jahren war dann aber doch Kindergarten angesagt, inklusive einfühlsamer Gewöhnungszeit. Erst nur eine Stunde mit Anwesenheit meinerseits, dann eine Stunde ohne etc. So ab 3 Jahren ist eine Kinderbetreuung in Gemeinschaft aus meiner Sicht auch eher förderlich, wenn die Rahmenbedingungen stimmen.
Ich bin jetzt auf jeden Fall sehr auf Ihre Fortsetzung gespannt!

C. Araxe - 4. Jan, 21:39

Ach, ja ...
„Sie ist so lieb, man merkt gar nicht ob sie da ist oder nicht da ist.”
Ich war in meiner gesamten Kindheit eher ein sehr introvertiertes Kind. Nicht, weil ich nicht auffallen wollte oder weil es mir an Selbstbewusstsein mangelte, sondern eher, weil mir dieses zwanghaft Kollektive suspekt war und ich mich lieber in meine individuelle Welten zurückzog. Nichtsdestotrotz war ich immer sehr wissbegierig und teilte auch mein Wissen gern. (Was ich auch nach wie vor gern mache.) In meinen Schulzeugnissen war dann z. B. dies zu lesen.
anne.c - 5. Jan, 16:55

Ki-Ga

2 Teile sind noch geplant. Das Aufwachsen von Kindern in Gruppen mit anderen Kindern halte ich für sehr notwendig. Ich kenne Menschen, die ihre Kinder – warum auch immer – bis zu Beginn der Schule von anderen Kindern isolieren, das sehe ich dann wirklich als Problem. Ich selbst bin noch „mit vielen Kindern auf dem Hof“ aufgewachsen, hatte dann das halbe Jahr im ki-ga Schwierigkeiten. Wichtig finde ich es, dass den Kindern möglichst wenig Zwang angetan wird, sie aber gleichzeitig lernen, sich in Strukturen einzufügen.

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