Anschwellende und wieder abflauende Diskussionen (Teil 2)

Vorläufige Beruhigung in die Versammlung brachte ein Ehepaar, das, angeregt von diesem Thema, über eine Lesung des Schriftstellers Chaim Noll, er ist der in Israel lebende Sohn des in der DDR sehr bekannten Schriftstellers Dieter Noll, berichtete. Aufmerksam geworden durch eine Zeitungsnotiz, waren sie zu einer Lesung von Chaim Noll gefahren und waren sehr befremdet über das, was sie dort erlebt hatten. Dass der Sohn von Dieter Noll s o aussehen konnte! Wie ein streng gläubiger Jude! Vor meinen geistigen Augen sah ich einen Menschen mit Schläfenlocken und Kaftan und war sehr erstaunt, als ich später im Internet das Foto eines ganz normalen Mannes sah. Das einzig ´Jüdische´ an ihm war eine Kippa. Sein Bart war kurz, nicht länger als Bärte, wie sie auch hier Männer tragen, seine runde Brille war so, wie sie hier in den 70/80-ger Jahren oft getragen wurden. Dieser Habitus hatte das Ehepaar schockiert, und die Lesung ebenfalls, denn er hatte über ein Selbstmordattentat in Israel gelesen. Selbstmordattentate von Palästinensern gab es gerade in jener Zeit in großem Ausmaß mit vielen Toten und Verletzten. Ich fragte, warum Herr Noll nicht über etwas hat lesen sollen, was er selbst erlebt hat. Eine direkte Antwort darauf bekam ich nicht, man hörte heraus, dass sich so eine Lesung nicht gehöre. Das sagten auch andere Teilnehmer. So bekam ich z.B. Antworten wie: „er hätte z.B. über den Frühling in Israel oder die Liebe eines Palästinensers zu einer Israelin“ lesen können. Warum gerade darüber? So etwas sollte man nicht ergründen wollen. Ich wunderte mich nicht über Konfusion und Aufregung, denn ich hatte die Erfahrung gemacht, dass solcherlei Diskussionen um Juden wie aus heiterem Himmel entstehen, sich wie ein plötzliches Gewitter entfalten und etwas verlegen wieder in sich zusammensinken. Beim genauen Hinsehen kann man meistens doch einen Menschen als Ursache entdecken, in diesem Fall diejenige, die das Buch als Diskussionsgrundlage ausgewählt hatte

(In einem anderen Fall, den ich beschrieb, war es ein ehemaliger Verfassungsrichter, den man bei jeder Tagung, die mit Antisemitismus zusammenhängt, antreffen konnte, und der dabei jede Gelegenheit nutzte, ungefragt Vorträge über das „Unrecht der israelischen Besatzung“ zu halten, und der gleichzeitig – öffentlich – sagte, dass nichts ihn so sehr im Leben beschäftigt hat, wie der Gedanke an den Holocaust.)

Der Abend ging friedlich zu Ende. Da es keine These gab, die zu widerlegen oder zuzustimmen war, musste es auch keine Einigung geben, das Gespräch flaute einfach ab. Die folgenden Literaturabende verliefen friedlich, vielleicht weil in guter Absicht kein israelischer Schriftsteller mehr ausgesucht wurde.

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