Meine Reise in die Ukraine vom 14. bis zum 23. Juni 2019 (Teil 8)

Das Grab von Rabbi Nachman sahen wir uns am nächsten Tag an, es gab einige kuriose Geschichten rundherum. Ein damals junger Jude aus den USA hatte sich noch vor Ende der Sowjetunion auf abenteuerliche Weise auf den Weg nach Uman, damals eine „verbotene Stadt“ begeben, dort das Grab, das noch von einer Betondecke überzogen war, ausfindig gemacht, und es entwickelte sich, dank der „Wende“, ein gewaltiger Kult um Rabbi Nachman, der hauptsächlich von amerikanischen und israelischen Juden betrieben wird. Inzwischen hat sich das so entwickelt, dass zur Freude der Umaner – denn sie profitieren davon -, schon ein beträchtlicher Teil von großen Gebäuden rings-umher jüdisch ist. Man erkannte es an den Aufschriften. Es gibt Hotels, Läden und was sonst noch so nötig ist. Manches ist noch provisorisch, z.B. die Tunnelwege, links für die Männer, rechts für die Frauen, die abenteuerlich wirken mit Blech- und Bretterverkleidungen. Man gelangt durch den Tunnel in einen Gebetssaal. In einer Ecke steht ein halbes Grab direkt an der Wand. An der anderen Seite der Wand steht die andere Hälfte des Sarkophages in einem Gebetssaal für Männer.


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provisorischer Tunnelweg zu Rabbi Nachmanns Sarkophag

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Rabbi Nachmans Sarkopharg rechts hinten

Unserem Besuch von Rabbi Nachmans Sarkophag anschließend, besichtigten wir, geführt von einer einheimischen Frau, den berühmten Sophienpark (die einzige Stelle, wo ich Ansichtskarten erwerben konnte), ein Landschaftspark, der mich trotz großer Unterschiede an die Pückler-Parkanlagen bei uns erinnerte. Kennzeichen des Parks waren die gewaltigen Steinaufbauten, die sich gut in die Landschaft einfügten. Dazu Pavillons, eine Quelle, Teiche, Grotten, Blumenanlagen, eine Fontäne, Statuen und demnächst wird es noch einen kleinen Zoo geben.

Bei dem Transport und dem Aufstellen der monströsen Steine - damals alles manuell bewältigt -, sind mehrere Menschen um´s Leben gekommen, und so heißt ein besonders großer und bizarrer Stein: Stein des Todes.

Am nächsten Tag begaben wir uns auf den Weg nach Shytomyr. Wir fuhren ein Stück ukrainischer Autobahn, die teilweise sogar einen glatten Belag hatte. Man konnte an gekennzeichneten Stellen wenden. Sie hatte eher Ähnlichkeit mit unseren Überlandstraßen. Hier war mehr Landschaft zu sehen: viele Sonnenblumenfelder noch nicht blühend, reifendes Getreide, das einen an die ukrainische Fahne denken ließ. Dabei hatten wir das, was ich als „echtes Erlebnis“ bezeichne, also etwas, was nicht erwartet wurde und was zudem einen Einblick ins Land verschafft. Auf der Straße war ein LKW, mit einem großen Container beladen, möglicherweise beim Umfahren eines Schlaglochs, im Straßengraben gelandet. Da die Straße vom Bergungsauto und zwei großen Kränen versperrt war, blieb uns nichts anderes übrig, als der Bergung des Lasters, ca. ¾ Stunde zuzusehen, und es war für uns ein zusätzliches Reiseerlebnis.

Mit Verspätung kamen wir in Shytomyr an, aber das Abendbrot stand noch für uns bereit, was nach dem kleinen Abenteuer besonders gut schmeckte. Die ukrainische Küche kann ich nur loben. Grundsätzlich gibt es vor jeder Mahlzeit einen wohl schmeckenden frischen Salat. Und nie verließen wir ohne ein Dessert verschiedenster Art den Tisch.

Unser Führer am nächsten Tag, Freitag, war wieder ein Germanist der dortigen Universität, der Brecht- und Biermannspezialist. Er zeigte uns sein Brechtarchiv in einer Schule, das ein entfernter Bekannter von mir mit eingerichtet hat. Hier in dieser Stadt wurde der Pianist Swjatoslav Richter geboren, ein Russlanddeutscher, und der polnische Dichter und Auschwitzüberlebende Tadeusz Borowski. Michail Bulgakov, dessen Schwester in Shytomyr lebte, hat hier seinen Roman „Die weiße Garde“ geschrieben, ein Buch, das ich mehrmals gelesen habe. Die Stadt wurde immer von vielen Völkerschaften bewohnt, die manchmal friedlich, manchmal im gegenseitigen Kampf miteinander lebten. Der Großvater von Lenin war in dieser Stadt ein angesehener Arzt, der immer noch verehrt wird, weil er einst dem noch viel mehr verehrten Nationaldichter Schewtschenko das Leben rettete. Obgleich in der Ukraine viele Menschen Schewtschenko heißen, war der Dichter Taras Schewtschenko der bedeutendste dieser Art, und viele nach dem Umsturz beseitigten Lenindenkmäler wurden durch Schewtschenko-Denkmäler ersetzt., wir sahen mehrere.

Die Umgebung von Shytomyr ist sehr waldreich, dementsprechend gibt es wenig Landwirtschaft. Die Stadt liegt an einem Nebenfluss des Dnjepr, am Teteriv, der in Schytomyr eine eindrucksvolle Flusskaskade hat und über den es eine Hängebrücke als Fußgängerbrücke gibt, auf der die Einwohner zum Spazierengehen in die Wälder gehen können. Wir sahen das Naturkundemuseum von außen, das in einer prächtigen Kathedrale untergebracht ist. Eine Kreativstube, in der Kinder zu künstlerischer Arbeit angeleitet werden, und die wir besuchten, gab uns einen kleinen Einblick in das Alltagsleben. Die Synagoge von Schytomyr war zu Sowjetzeiten ein öffentliches Bad. Sie ist inzwischen vollkommen erneuert.

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