Montag, 18. September 2017

Geschichten aus der DDR

hören sich heutzutage manchmal unglaublich an. Sowohl wenn man sie erzählt, als auch wenn man sie sich anhört, muss man sich dann vergegenwärtigen, dass das „normale Leben“ anders war als heutzutage, und dass man vieles als „normal“ empfand, was heute fast undenkbar oder ungeheuerlich erscheint. Manchmal erzähle ich meiner jüngeren Kollegin, die im Westen aufgewachsen war und kaum Beziehungen zur DDR hatte, dieses oder jenes aus jenen alten Zeiten. Nicht um ihr die DDR nahe zu bringen, sondern weil es sich beim Erzählen so ergibt. Zum Beispiel über den Frauentag 1988, der einen besonderen Stellenwert hatte, weil die DDR-Führung, deren Stern bereits im Sinken begriffen war, damals noch einmal Anlauf nahm, mit der Absicht, das ins Rutschen geratene Gefüge zum letzten Mal stabilisieren zu versuchen. Aus heutiger Sicht ein unmögliches Unterfangen. Doch die Einsicht, dass einmal alles ganz anders sein kann als das, was „schon immer so war“, ist immer schwer vorstellbar. Man gab die Devise aus: Alle Frauen der DDR, die irgendwie politisch erreichbar sind, müssen in organisierten Frauendemonstrationen ihre Verbundenheit mit der DDR bekunden.

In dem Zusammenhang erzählte ich, wie es einer jungen Frau im Bekanntenkreis geschah. Den fokussierten Frauentag wollte sie ausnutzen, um ihre Ausreise aus der DDR in den Westen, wo ihr Mann bereits nach einer Besuchsreise geblieben war, zu erzwingen. Botschaftsbesetzungen und andere spektakuläre Ausreisezwangsmaßnahmen waren damals schon auf der Tagesordnung. Sie entrollte während der „Frauendemo“ ein Plakat, auf dem sie ihre „Ausreise in die BRD“ forderte. Danach war sie erschüttert, dass nicht die Stasi sie festnahm, sondern dass die sie umgebenden Frauen selbst für ihre Verhaftung sorgten.

„Und was geschah mit ihr dann weiter?“, fragte meine Kollegin. „Na ja, sie hatte Pech und musste tatsächlich die ganzen 1 ½ Jahre absitzen und kam genau vor dem Fall der Mauer wieder frei. Der Mann war ihr inzwischen weggelaufen.“

Imme noch spüre ich das Entsetzen meiner Kollegin. Sie hatte sicher aufregendere Geschichten aus der DDR gehört oder gelesen. Doch die Vorstellung dieses konkreten Falls hatte eine unmittelbarere Wirkung. Das hatte ich mit meinem Erzählen gar nicht bezweckt. Für mich war es eine „normale“ Geschichte aus dem „normalen Leben“, wie es einmal gewesen ist.

Mittwoch, 6. September 2017

Reuven Moskovitz im Schillergymnasium Münster

Aus einem Nachruf der evangelischen Zeitung „die kirche“ war jetzt noch Näheres über das Wirken Reuven Moskovitz´ in Deutschland zu erfahren. Seine Berufsbezeichnung war Friedensabenteurer, und in dieser Eigenschaft zog er sowohl durch evangelische Kirchentage als auch durch Friedenkreise, aber auch in Schulen. Da ich ihn persönlich kennen gelernt habe, hatte ich mich mit seiner Mission näher beschäftigt.

Und seine Friedensmission war: Hass auf seinen Staat Israel zu predigen, was ihm Preise, Ehrungen und eine Unzahl von Bewunderern in Deutschland einbrachte. Gern verglich er „das, was in Israel geschieht, mit dem Holocaust“. So bei einem Besuch im Schillergymnasium Münster am 08.11. 2000. Von diesem Besuch berichteten Schüler auf ihrer Internetseite. Die Schüler, nicht ganz so vom blinden Eifer vernebelt wie Mitglieder kirchlicher Friedenskreise waren befremdet: „Er scheut sich nicht, die Vertreibung der Palästinenser mit dem Holocaust zu vergleichen und bezeichnet die Reaktion der Palästinenser dementsprechend als natürlich“. (Zitat von der Internetseite).

Bezeichnenderweise ist dieser Bericht des Schillergymnasiums aus dem Internet verschwunden nachdem Reuven den Aachener Friedenspreis erhalten hat. (Ein Ausdruck liegt mir vor).

"Natürliche Reaktionen von Palästinensern": hier und hier.

Seinen Vortrag in Aachen, noch vor der Verleihung des Friedenspreises, erlebte ich als Sammelsurium von Anekdoten, jiddischen Witzen und jüdischen Weisheiten, gemischt mit unzusammenhängenden geschichtlichen Einschüben, von allem ein wenig. Für jemanden, der sich damals noch als „Doktor“ bezeichnete, reichlich konfus. Wenn es auf den Staat Israel zu sprechen kam, war echter Hass zu spüren. So zitiere ich einen Satz aus dem Bericht, den ich damals - um das Jahr 2000 herum - schrieb und vom 17.07.-10.2013 veröffentlichte:

Wenn Reuven sich nicht ganz in der Kontrolle hatte, kamen teilweise absurde Dinge zutage wie: „Uns (den Israeli) hätte das gleiche passieren können wie den Deutschen, das heißt der Holocaust ist etwas, was den Deutschen „passiert“ sei und könne den Israeli mit den Arabern genauso „passieren“.

Reuven Moskovitz wurde schon einmal als der „Felix Krull“ der israelischen Friedensbewegung bezeichnet, eine schöne Metapher. Bei uns hieß er „Ein Schlawiner vom Balkan, der herausbekommen hat, dass man von deutschen Freunden viel Geld und Bewunderung mit "Kritik" an Israel abbekommen kann, die - so sie außer Kontrolle gerät – auch in eine Hasspredigt werden kann.

Für mich stellt sich nur die eine Frage: Warum wurde in einem offiziellen Bericht über Reuvens legendäre Auftritte mit der Mundharmonika zwar immer von seiner Friedensbewegtheit, nie aber von seinen Hasstiraden berichtet?

Mittwoch, 30. August 2017

Meine letzte Begegnung mit Reuven Moskovitz

kann ich nicht genau datieren, sie war auf jeden Fall in der Zeit, als Joschka Fischer Außenminister in Deutschland war.

Reuven, ein aus Rumänien stammender Israeli, der vor kurzem verstarb, war das, was man wahlweise einen „selbsthassenden Juden“ oder einen jüdischen „Israelkritiker“ nennt. Vieles ist über diese Sorte von Menschen bekannt, aber Reuven war eben derjenige, den ich persönlich kennen gelernt habe. In diesem Blog habe ich vom 17.7. bis 10.8. 2013
meine Begegnung mit ihm geschildert. Sein in Deutschland erschienenes Buch „Der lange Weg zum Frieden“ habe ich gelesen, ebenso wie einige seiner in Kennerkreisen berühmten Rundbriefe, die er zu Ende jedes Jahres an seine Bewunderer verschickte. In der Riege der „selbsthassenden Juden“ bzw. jüdischen „Israelkritiker“ war er sicher nicht in der ersten Reihe, aber immerhin - der Aachener Friedenpreis wurde ihm verliehen.

So kann ich mich jetzt nur noch an meine letzte Begegnung mit Reuven erinnern. Damals
besuchte ich meine Freundin, die wiederum eine Freundin von Reuven war. Reuven kam zufällig ebenfalls zu Besuch. So verabschiedete ich mich schnell, denn sowohl Reuven, sein von seinen vielen Freunden verehrtes Buch, als auch seine Auftritte waren mir gut bekannt. Für einen Augenblick kam ich noch einmal in die Wohnung zurück, wo Reuven gerade auf meine Freundin einredete. Ins Gespräch vertieft, wurde ich nicht weiter wahrgenommen, denn Reuven besprach gerade sein wichtiges Anliegen. Nämlich ob meine Freundin ihm helfen könne, Kontakt zu Joschka Fischer aufzunehmen, um …….. Es hat wahrscheinlich nicht geklappt. Beim jetzigen Außenminister Gabriel wären die Chancen, das Anliegen anzubringen, nämlich Druck auf Israel auszuüben, wohl höher.

Zu spät: denn ohne Reuven geht nun gar nichts mehr. Wie alle Spezies seiner Art gehörte er zu den vielen Einzelkämpfern, die um sich den Nimbus der Singularität verbreiten.

Sonntag, 20. August 2017

Israelsonntag: Brunnenvergifter

Der Israelsonntag (früher Judensonntag) ist ein Sonntag im Kirchenjahr der Evangelischen Kirche in Deutschland, der das Verhältnis von Christen und Juden zum Thema hat. Er wird am zehnten Sonntag nach Trinitatis, das ist in der Regel im August, begangen.

Schon seit dem Mittelalter wird in der Kirche der so genannte Judensonntag begangen, der die Intention hatte, störrische Juden zum Christentum bekehren zu wollen. Im Verlauf des Luther-Jubiläums wurde dieses Thema ausgiebig behandelt, und es gab Stimmen, die besagten, dass Martin Luthers Traktat „Von den Juden und ihren Lügen“ keine Glanzleistung von ihm war, ja es wurde sogar verurteilt.

Diesen Judensonntag gab es bis in die 60-er Jahre, bis es auffiel, dass der Begriff „Jude“ einen unangenehmen Beigeschmack hatte - immerhin waren 6 Millionen Juden unter bestialischen Umständen weniger als eine Generation zuvor von Deutschen umgebracht worden. So gab es den löblichen Vorsatz, diesen Sonntag umzubenennen und inhaltlich weiter zu entwickeln. Der Judensonntag wurde in Israelsonntag umbenannt und hatte nun die Absicht: „ein theologisches Verständnis des Judentums zu gewinnen, das frei von Antijudaismus und Antisemitismus ist“.

Von Antiisraelismus war dabei nicht die Rede, und so ist es verständlich, dass dieser Tag auch ausgiebig dazu genutzt wird, „Kritik an Israel“ zu betreiben, denn es ist ja schließlich der Israelsonntag. Ja, ein ökumenischer Gesprächskreis rief im Jahr 2015 sogar dazu auf, über theologische Fragen hinaus auch dem Verhältnis zwischen Israel und den Palästinensern Beachtung zu schenken und "der arabischen Schicksale in Palästina zu gedenken“.

In welchem Ausmaß die Empfehlung des Friedenskreises in deutschen Kirchen angenommen wurde, weiß ich nicht (und möchte es lieber nicht wissen). Im Gottesdienst unserer Kirchengemeinde am 20.08.2017 wurde jedenfalls ausgiebig davon Gebrauch gemacht. Schnell kam der Prediger auf „...Israeli und Palästinenser…einer so schlimm wie der andere... die Mauer... israelische Menschenrechtsverletzungen …israelische Soldaten töten unschuldige Menschen… Terrorattentate sind auch schlimm.“ Und so weiter, eigentlich alles, was man oft so hört und liest. Und da man es oft hört, muss ja etwas daran sein, wie mir manchmal im DDR-Staatsbürgerunterricht gesagt wurde, wenn ich als Einzelne eine andere Meinung als die vorgegebene kundtat.

So rieselte die Predigt an mir vorüber, bis der Pfarrer verkündete, dass israelische Siedler den wasserarmen Boden Palästinas aufbohren und Wasser, das für die palästinensische Landwirtschaft bitter nötig wäre, in jüdische Siedlungen pumpen, um dort Blumenrabatte und Swimmingpools für sich zu bewässern. Nun gäbe es zum Thema Wasser in Israel viel zu sagen. Es ist bekannt, dass Israel mit seiner hervorragenden Wasserwirtschaft die komplette palästinensische Wasserversorgung gewährleistet, und es ist auch bekannt, dass Israel eines der führenden Länder auf der Welt auf diesem Gebiet von Wasserrecycling, Meerwasserentsalzung, sparsame Verwendung von Wasser ist und dieses Wissen an seine Nachbarländer weiter gibt. Auf diesem Gebiet arbeiten sogar feindlich gesinnte arabischen Nachbarn mit Israel zusammen.

Die Erwähnung des „Wasserraubs“ schreckte mich auf. Zu oft ist er mir in den letzten paar Jahren begegnet. Vor genau einem Jahr (sollte es vielleicht ein staatlicher Beitrag zum Israelsonntag sein?) wurde in der Tagesschau ohne jeglichen Anlass ein Beitrag gesendet, in dem berichtet wurde, wie Israelis Palästinensern Wasser vorenthalten. Der blinde Eifer der ARD ließ dabei in freudscher Weise den „beweisführenden“ Hydrogeologen Clemens Messerschmid zu Clemens Wasserschmid mutieren. Der Wassermangel stellte sich als kurzfristige Folge eines Wasserrohrbruchs heraus, was die ARD halbherzig zugab, entschuldigt hat sie sich nicht.

In der israelischen Knesset ermahnte der jetzige SPD-Vorsitzende und Kanzlerkandidat Martin Schulz seine Gastgeber mit einer Falschangabe von einem Minimalbetrag von 17 l Wasser, die Israeli Palästinensern täglich zur Verfügung stellten, gleichzeitig einräumend, dass er die Zahl in Wirklichkeit nicht kenne. Ein Jahr später bestätigte er diese seine Haltung, nachdem der (schon lange nicht mehr legitimierte) Präsident der Palästinenser Mahmoud Abbas vor dem Europäischen Parlament gesprochen hatte. Diese Rede enthielt die Originallegende vom Juden als Brunnenvergifter. Abbas behauptete, dass Rabbiner vom israelischen Premierminister forderten, palästinensische Brunnen zu vergiften, um Palästinenser zu töten. Das Europaparlament samt seinem Vorsteher Martin Schulz war von der Rede so hingerissen, dass Ovationen kein Ende nahmen und Martin Schulz sich laut eigener Bekundung „inspiriert“ fühlte. Abbas hat diese Behauptung später zurück genommen, aber in die Köpfe der Menschen war sie gelangt, ebenso wie die Predigt des Pastors in die Köpfe der andächtig lauschenden Gottesdienstbesucher gelangt ist.

Das antisemitische Stereotyp vom Brunnenvergiften liegt nicht weit.

In der gut besuchten Bädergemeinde konnte man anschließend an diese Predigt den inbrünstigen Gesang „Wohl denen die da wandeln, vor Gott in Heiligkeit“ vernehmen.

Freitag, 11. August 2017

Die einen retten das Klima so, die anderen retten es so:

Das Buch „Farm der Tiere“ von Georg Orwell war in den 70/80-er Jahren ein Kultbuch. Wer in der DDR das Glück hatte, an das Buch heran zu kommen, las es, als hätte er seine eigene Wirklichkeit vor Augen. ´Ja, genauso ist es. Orwell hat unsere Zukunft voraus gesehen´. „Alle sind gleich, aber einige sind gleicher“, das war ein Slogan, der in Witzen und privaten Unterhaltungen gern angewendet wurde.

Wenn Orwell die Idee zu seiner Parabel zweifellos in der Wirklichkeit des Kommunismus in der Sowjetunion abgeschaut hatte, so hat sie in mancher Beziehung Allgemeingültigkeit. Immer denke ich an „Farm der Tiere“, wenn ein gewaltiger Hubschrauber über unser Haus donnert.

wegflug_2

Dieses Ereignis findet etwa alle ein bis zwei Jahre statt, wenn Angela Merkel, die in dieser Gegend ihren Wahlkreis hat, zum Wahlkampfauftritt herbei eilt. Ihr Hubschrauberlandeplatz liegt nur einige Meter von unserem Haus entfernt. Eine Kollegin, die hier einmal dieses Ereignis miterlebte, sagte ehrfürchtig: „Was, darin sitzt diese Frau?!“ Darauf antwortete ich: „Ja, irgendwo im Hubschrauber sitzt sie doch immer, wie soll sie sonst zu den verschiedenen Auftritten von Ort zu Ort kommen?“

angela

Wie waren kürzlich die mahnenden Worte von Angela Merkel, die manchmal als Klimakanzlerin bezeichnet wird? "Lassen Sie uns gemeinsam den Weg weitergehen, damit wir erfolgreich sind - für unsere Mutter Erde."

Ja, „einige“ sollen ihr Leben so gestalten, dass sie klimaschonend erfolgreich den Weg für unsere Mutter Erde gehen, und „einige“ mahnen vom 1800-PS-Hubschrauber aus die Rettung der Mutter Erde an. Die einen retten die Welt „so“, andere retten sie „gleich so, nur etwas gleicher“.

wegflug_1

Anmerkung: Diese Aufnahmen sind von 2015 - da hatte die Kanzlerin noch einen echten Eurocopter-Cougar-Kampfhubschrauber der Luftwaffre. Nachdem einem baugleichen Gerät einmal in Norwegen die Rotoren abgefallen sind, fliegt sie nun einen etwas bescheideneren Helikopter der Bundespolizei. Mutter Erde ist also noch nicht verloren.

Dienstag, 1. August 2017

Im Land der Kriegerdenkmäler (Teil II)

Wenn das im Voraus geschilderte Kriegerdenkmal nicht so martialisch erscheint, wie ich zu Beginn des vorher gehenden Eintrags ankündigte (25.7. 2017), so übertrifft es in der Subtilität dessen, was es aussagt und was es bedeutet, die mehr martialischen, dafür aber plumperen Kriegerdenkmäler in der Altmark und manch anderem Landesteil.

Ein „normales“ Kriegerdenkmal, wie es vor einer „normalen“ Ortskirche steht, sieht so aus,

krieger_2-Medium-

„Ihren gefallenen Helden gewidmet im dankbaren Erinnern ………….“

und trägt so einen Text:
kreiger_3-Medium-

„Wer den Tod im heilgen Kampfe fand, ruht auch in fremder Erde im Vaterland“

Man sollte sich klar machen, dass Kriegerdenkmäler jener Art und jenes Geistes überall in Deutschland öffentlich herum stehen. Das schlagkräftigste Argument, ob dafür oder dagegen, von einem Pfarrer, das ich in einer Diskussion dazu hörte war: „Ich kuck´ da gar nicht hin!“ In der Regel wird nämlich gar nicht argumentiert, sondern geschwiegen. So wie in dem Fall als ich schriftlich an eine Kirchengemeinde die Frage stellte: ´Wofür ist der Dank, und was waren die Heldentaten?´.

Eine Antwort habe ich nie erhalten, und so ist „Ich kuck da gar nicht hin“ eine aussagekräftige Antwort und der Realität angemessen.

Dienstag, 25. Juli 2017

Im Land der Kriegerdenkmäler (Teil I)

Einige Tage besuchten wir die Altmark, ein schönes ländliches Gebiet inmitten Deutschlands. Als wir bei Wittenberge die Elbe überquerten, sagte ich scherzhaft: „Nun kommen wir in die Altmark, das Land der martialischen Kriegerdenkmäler“. Wir nutzen unseren Besuch auch, um uns die drittgrößte Stadt Deutschlands anzuschauen. Auf dem Weg dorthin sagte unsere Gastgeberin: „Kommt, hier ist ein schönes Zisterzienserkloster, das müssen wir uns noch anschauen!“ Im wirklich sehr schönen Kirchlein fiel mein Blick auf eines der von mir im Voraus angekündigten Denkmäler:

krieger

1939 -1945 „Ich gebe ihnen das ewige Leben und sie werden nimmermehr umkommen, und niemand wird sie aus meiner Hand reißen“

Entsetzt rief ich aus: „Wie kann ein Pastor hier vor diesem Spruch predigen, hast du dir überlegt, was dieser Spruch bedeutet?........ Sie stehen hier nicht als private Tote, sie stehen hier für den Krieg….. “ Es entspann sich die altbekannte Diskussion: „DIE können doch nichts dafür. DIE sind Opfer….“

In nur 5 km Entfernung von diesem tiefsinnig und künstlerisch gestalteten Kriegerdenkmal im Zisterzienserkirchlein kann man auf einem großen Gelände die Umrisse einer riesigen Scheune finden. Diese Scheune stand noch im April 1945. Am 13. April 1945 trieb man mehr als 1000 geschundene entkräftete KZ-Häftlinge in diese Scheune, verrammelte die Tore und ließ die Scheune in Flammen aufgehen. 1016 Menschen verbrannten. Wenn in den letzten Kriegstagen einer der daran beteiligten SS-Männer oder ihrer Helfer noch umgekommen ist, kann sein Name hier auf dieser Ehrentafel oder in einer beliebigen anderen Kirche für das ewige Leben vorgesehen sein.

Etwas betrübt wurde mir gesagt: „Du kuckst immer nur auf so was. Warum fotografierst du nicht unseren schönen Klostergarten?


kloster

Selbstverständlich wurde auch der fotografiert. Die Diskrepanz zwischen dem Gärtchen, dem Geschehen in der Scheune in Gardelegen und der Kriegertafel – wenn man sich den Inhalt in aller Konsequenz durchdenkt - kann ich nicht überbrücken. Kurz zuvor hatte ich noch den Ausspruch gehört: „Unsere evangelische Kirche ist einfach zu verkopft!“ Das mag sein, aber was in den Köpfen vor sich geht, kann ich mir nicht vorstellen.

Meine Freundin wollte mich trösten: „Ich bin auch nicht dafür, dass diese Tafeln in den Kirchen hängen, man sollte sie draußen anbringen“. Die Antwort: „Dann hätten die Leute etwas davon, hier drin sieht sie ja keiner!“, habe ich dann lieber unterlassen.

Dienstag, 18. Juli 2017

Bericht über eine Tagung: „Antisemitismus in den Medien“ (Teil 7/Ende)

Letzte Veranstaltungen

Der nächste Vortrag war „antisemitischen Kommentaren in sozialen Medien“ gewidmet, wobei besonders die Verquickung von Antisemitismus und Israelfeindlichkeit heraus gestellt wurde. Ähnlich wie zuvor seine Kollegen vermittelte ein junger Wissenschaftler vom „Institut für Sprache und Kommunikation“ der Technischen Universität Berlin Denkmuster, Aussprüche, Stereotypen, die diese Ressentiments bedienten. Ebenfalls wie bei seinen Kollegen war Kompetenz zu erkennen, aber nicht die Fähigkeit, den Zuhörern etwas zu vermitteln, was bei ihnen selbst einen Erkenntnis- oder sogar einen Handlungsprozess in Gang hätte setzen können. So kam es zu kuriosen Situationen, wo der Verfassungsrichter in seinem Drang, seine Mitseminaristen über die Unrechtmäßigkeit des Staates Israels aufzuklären, teilweise genau die Sätze sagte, die unser Vortragender zuvor als „dämonisierende Stereotype“ bezeichnet hatte. Man hätte also einen hervorragenden Ansatzpunkt zur Veranschaulichung dieser Denkweisen gehabt, was aber wohlweislich vermieden wurde. Ob die Kongruenz in der Gruppe bemerkt wurde, war nicht zu erkennen. An Bemerkungen anderer Seminarteilnehmer erkannte man eher Hilf- und Ratlosigkeit. Man war bemüht, sich mit dem Antisemitismus, der „doch überwunden werden müsse, aber wie?“, auseinander zu setzen. Trotzdem sagte ein Mann, der sich als Therapeut vorgestellt hatte: er möchte nicht auf die antisemitische Schiene geraten, aber einige Sätze von Jakob Augstein hätte er (selbst) ebenso sagen können. Und das nach drei wissenschaftlichen Vorträgen über Antisemitismus, an denen wenig zu beanstanden war!

Vielleicht um eine vorauszusehende aufgeheizte Stimmung etwas zu neutralisieren und weil wir uns eben in dem schönen Städtchen Güstrow befanden, wo Uwe Johnson in die Schule gegangen war, hielt der Leiter des Seminars einen Vortrag über die Thematisierung des 9. Novembers in dem berühmten Roman „Jahrestage“. Wenn dieser Vortrag auch nicht ganz auf das Seminarthema zugeschnitten war, so gab es Berührungspunkte und auch Ansätze zum Nachdenken. So spielten Schuld, sogar Schuldbesessenheit, Rassenunruhen in New York, die Nachkriegsexistenzen von Nazimördern und das Reflektieren über die deutsche Vergangenheit in den 60-ger Jahren eine Rolle.

3a
Juri Rosow, K-D. Kaiser, Michael Wuliger beim Seminar „Antisemitismus in den Medien“

Der Sonntagvormittag brachte die Begegnung mit zwei jüdischen Persönlichkeiten: Juri Rosow, Leiter der jüdischen Gemeinde Rostock und Michael Wuliger, Redakteur der „Jüdischen Allgemeinen“. Hier trafen Männer mit sehr unterschiedlichen Lebensläufen aufeinander, die durch das „Jüdische“ verbunden waren. Juri Rosow hatte seine Jugend in der Sowjetunion verbracht. Michael Wuliger berichtete über seine Jugendzeit als Spartakist in der deutschen Studentenbewegung. Beide hatten genügend Erfahrungen in Deutschland mit Antisemitismus gemacht. Sie sagten, diese Erscheinung träte in „Wellen“ auf und sei stark mit Konflikten in und um Israel verbunden. Und berichteten von „Hassmails“, die sie regelmäßig erhalten und deren Zahl rasant in die Höhe steige, wenn in oder um Israel eine Eskalation eintrete. Sie selbst kannten kein Mittel dagegen, als dass sie ihren e-Mail Verkehr vorprüfen lassen, um ein bisschen besser schlafen zu können. Meine Interpretation der Fragestunde und vielleicht des gesamten Seminars war: Man hört es immer wieder, die Antworten sind immer wieder die gleichen. Nutzen bringt es nicht, aber man muss es doch immer wieder tun.

Zum Abschluss nutzte der Verfassungsrichter noch die Gelegenheit, um auf ein Buch: „Das zionistische Israel“ hinzuweisen. Da fand ich, dass der Toleranz gegenüber Teilnehmern doch hätten Grenzen gesetzt werden sollen. Denn es war eine Konterkarierung des gesamten Seminars. Aber im Getümmel des Abschieds ging es unter, und die Freude aufs gesponserte Mittagessen war schon groß.

Mein letzter Gedanke bevor ich mich auf den Heimweg machte war: In diesem Haus bin ich vorher einmal im Leben gewesen, etwa 15 Jahre sind es her. Genau in diesem Raum, in dem ich jetzt die Vorträge, Diskussionen, Fragestunden erlebt hatte, war ich Zeugin davon, wie eine junge mecklenburgische Pastorin ohne die geringste Hemmung und zum Entsetzen anderer Anwesender zur jüdischen Religionswissenschaftlerin Ruth Lapide sagte: „Die Juden haben Jesus umgebracht“. Frau Lapide war um eine treffende Antwort nicht verlegen. So fürchte ich, werden noch viele Seminare und Tagungen abgehalten werden, oft mehr Verschwommenheit als Klärung gestiftet, viele Symptome für eine Krankheit entdeckt, die man doch nicht diagnostizieren kann. Was jeder im Einzelnen mit seinen gewonnenen Eindrücken anfängt, muss er sowieso selbst entscheiden, und so sehe ich in den Veranstaltungen auf jeden Fall einen Wert an sich.

Im Luftreich des Traums

gegen Ideologien

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

Noch einmal über Medien
Die Welt besteht nicht nur aus Medien und das Leben...
anne.c - 29. Jul, 11:13
Noch ein Schreiben, diesmal...
12.07.2025 Infos am Morgen im DLF: „Immer wieder verzerrte,...
anne.c - 16. Jul, 17:16
Apartheit im Ökumenischen...
1 .Ein abgeschickter Brief an Bischof a.D. Bedfort-Strohm Herr...
anne.c - 8. Jul, 05:51
Reaktionen nach dem Angriff...
Dieser Beitrag wird ein wenig veraltet wirken, zu rasch...
anne.c - 1. Jul, 22:28
Presseclub
Vor der Fortsetzung der Reaktionen des Angriffs Israel...
anne.c - 24. Jun, 21:21
Reaktionen nach dem Angriff...
Die Reaktionen von offiziellen Medien und Bevölkerung...
anne.c - 21. Jun, 15:11
Nachtrag zu den Stolpersteinen
Vor Kurzem spazierte ich durch die kleine böhmische...
anne.c - 19. Jun, 23:09
Stolpersteine
Das sind diese kleinen quadratischen, messingfarbenen...
anne.c - 5. Jun, 21:28
Die Einschläge kommen...
Bis jetzt waren wir im Bekanntenkreis einigermaßen...
anne.c - 29. Mai, 14:39
Eine Zuschauermail
"Sehr geehrter Herr Prantl, als ich Sie heute bei...
anne.c - 22. Mai, 10:23

Links

Suche

 

Status

Online seit 5102 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 29. Jul, 11:18

Disclaimer

Entsprechend dem Urteil des Landgerichts Hamburg vom 12.05.1998 gilt für alle Links und Kommentare auf diesem Blog: Ich distanziere mich hiermit ausdrücklich von allen Inhalten aller verlinkten Seitenadressen und aller Kommentare, mache mir diese Inhalte nicht zu eigen und übernehme für sie keinerlei Haftung.

Impressum

Anne Cejp
Birkenstr. 13
18374 Zingst