Oft höre ich morgens die Presseschau. Manchmal höre ich nicht genau hin, aber wenn ein besonders bösartiger Kommentar über Israel gesendet wird, werde ich wach: welche Zeitung schreibt so etwas? Gespannt höre ich zu, wenn der Name der Zeitung genannt wird. Nicht selten ist es "Haaretz" aus Jerusalem. Das beruhigt mich. So lange es in Israel möglich ist, so über sein eigenes Land zu schreiben, kann es dort mit der Freiheit nicht schlecht bestellt sein.
Das Phänomen der Juden (oder jüdischen Institutionen), die die schärfsten "Kritiker" Israels oder des Judentums sind (wenn man genau hin hört, kann von Kritik kaum die Rede sein, sondern fast immer ist es Hetze), ist bekannt. Man könnte sehr viele davon aufzählen. Seitdem ich Bekanntschaft mit einem Herrn namens Reuven Moskovitz machte, habe ich mich mit ihrer Denkweise auseinander gesetzt. Fast immer umgeben sie sich mit einem Nimbus der Einzigartigkeit. Sie seien weit und breit die einzigen, die über die Wahrheit Israel gegenüber verfügen und diese auch aussprechen. Sie seien bei allen anderen Juden verhasst. Sie umgeben sich gern mit einer Schar, oft deutscher, Bewunderer und haben eine fast instinktartige Fähigkeit, den Deutschen genau das zu sagen, was sie hören wollen. Sie sind das jüdische Pendant zu Günter Grass, Martin Walser und ähnlichen anderen. Sie bilden - als Menschengruppe gesehen - eine Symbiose mit den deutschen Bewunderern. Diese wuchert in der Gesellschaft, leider mit unseligen Ergebnissen. Der wachsende Antisemitismus wird ganz bestimmt von ihnen genährt. Man muss nur auf Bemerkungen achten, die bei passenden und unpassenden Gelegenheiten über Juden oder Israel fallen.
So machte ich - allerdings nur in schriftlicher Weise -, zufällig die Bekanntschaft mit einem "jüdischen Befreiungstheologen" namens Marc Ellis. Ich besuchte eine christliche Veranstaltung, sah auf einem Tisch eine Zeitschrift namens "Junge Kirche", griff mir ein Probeexemplar und blätterte darin. Und schon war ich bei dem Thema, das ich mir selbst nicht ausgesucht habe, sondern das sich mir immer wieder aufdrängt. Oder mit Tuvia Tenenbom zu sprechen: Die Deutschen sind besessen von den Juden Der Mittelteil der Zeitschrift beinhaltete ein 12-seitiges Forum darüber, ob man Israel oder die jüdischen Siedlungen in den Palästinensergebieten boykottieren solle oder nicht. Eingeleitet wurde dieses Forum durch zwei expressionistische Bilder von jämmerlichen, leidenden Gestalten. Das wären "Brüder", Opfer von Holocaust und Nakba, die sich sehr ähnlich seien. Diese Bilder anzusehen und dabei nachzudenken, was hinter dieser Aussage von den "gleichen Brüdern" steckt, würde schon genügen, um dem Redakteur der Zeitung entgegen zu schleudern: Antisemit! Damit hätte man ihm das Stichwort gegeben, auf das er gewartet hätte. Voller Beleidigung fühlte er sich bestätigt, dass jegliche kritische Äußerung zu dieser Thematik als Antisemitismus gewertet würde.
(Fortsetzung folgt)
anne.c - 3. Jun, 22:40
Um auf den vorhergehenden Eintrag noch einmal einzugehen: Im Internet verfolgte ich Diskussionen über jene denkwürdige Begegnung des Papstes mit dem entweder so genannten oder auch so gewünschten "Friedensengel" Mahmoud Abbas. Die genaue Wortwahl des Papstes ist nicht zu ermitteln. Hat er gesagt: "Du b i s t ein Friedenengel" oder "m ö g e s t du ein Friedensengel sein!" ? Der Sinn der Aussage wäre tatsächlich verschieden. Die erste Aussage wäre eine üble Blasphemie. Nicht auszudenken, wenn der Papst, der für die christliche Botschaft in der Welt steht, einen nicht legitimierten Staatsmann, - schon seit 6 Jahren sind demokratische Wahlen in seinem Gebiet überfällig -, der in seiner Dissertation die Leugnung des Holocaust verkündete, der Todesurteile für Menschen unterschreibt, die tatsächlich oder angeblich ein Haus oder Land an Juden verkauft haben und der Straßen und Plätze nach palästinensischen Mördern benennt oder ihnen Ehrenmedaillen überbringen lässt den Titel Friedensengel verliehen hätte!"
Den Wunsch: "Mögest du ein Friedensengel sein"! könnte man akzeptieren, wenn der Papst in diesem Zusammenhang fordern würde, dass Abbas seine Leugnung des Holocaust widerruft, dass er verspricht, keine Todesurteile zu unterschreiben, niemals wieder Mörder als Märtyrer ehrt und dass in dem soeben vom Papst anerkannten Staat neben Palästinensern auch Juden, neben Moslems auch Christen ein Existenzrecht haben, ebenso wie im Nachbarstaat Israel außer Juden auch Araber und Angehörige vieler Religionen gleichberechtigt leben.
Wenn Papst Franziskus seine Worte vom Friedensengel allerdings ohne jegliche Forderung nach friedenbringenden Handlungen zu Mahmoud Abbas gesprochen haben sollte, dann lebt er nicht nur "im Luftreich des Traums", sondern er hätte durch hohles Gerede seine eigene Kirche diskreditiert.
anne.c - 27. Mai, 21:35
Der Friedensengel, so wurde er von Papst Franziskus genannt, ist der Präsident der palästinensischen Autonomiebehörde Mahmoud Abbas. Am 9. Mai 2015 machten sich Abgesandte seiner Behörde auf nach Ramallah zu den Angehörigen von drei palästinensischen Mördern. Am 12. Oktober 2000 hatten diese Mörder zwei israelische Soldaten gelyncht, die aus Versehen einen falschen Weg genommen hatten und in Ramallah gelandet waren. Dieser Vorfall erregte besonders deshalb Aufmerksamkeit, weil ein abscheuliches Foto um die Welt ging: Einer der jungen Palästinensern streckte seine blutige Hände aus dem Fenster der jubelnden Menge entgegen, mit der er in den Körpern der ermordeten Israeli gewühlt hatte, um ihnen Organe herauszureißen. (
Link) Später wurden die Körper aus dem Fenster geworfen und durch die Straßen geschleift.
Also, es ist nur einige Tage her, da hatte die palästinensische Autonomiebehörde, die von Mahmoud Abbas angeführt wird, die Idee, einmal wieder ein paar ihrer Mörder zu ehren, und wenn es schon nicht direkt möglich war - denn diese sitzen inzwischen in israelischen Gefängnissen -, so via ihrer Familien. Diese erhielten eine Ehrenplakette für den gerechten Mord. Wahrscheinlich hatte Abbas sein Gewissen wegen der bis jetzt noch nicht verliehenen Ehreplakette zu sehr gequält, und er wollte reinen Herzens vor Papst Benedict treten. Diese Audienz kam heute zustande, und Mahmoud Abbas wurde seine Freizügigkeit reichlich vergolten. Vom Papst selbst bekam er eine Ehrenmedaille und den Titel Friedensengel. Ob die jungen Palästinenser von der Behörde auch mit dem Titel Friedensengel geehrt wurden, ist leider nicht bekannt.
anne.c - 16. Mai, 21:35
Sehr geehrte Redaktion der Zeitung "die Kirche",
Ihre Zeitung gedenkt in der Ausgabe Nr. 19/2015 des Kriegsendes vor 70 Jahren. Sie veröffentlichen vier längere Artikel, die bis auf einige Nebenbemerkungen allesamt dem Leiden der deutschen Bevölkerung gewidmet sind.
Im Artikel auf Seite 1 "Gedenken und Feiern" wird eine gut gekleidete, offenbar deutsche Menschenschlange, die nicht unbedingt leidend wirkt, vor einer beschädigten Häuserfront gezeigt. Es wird sodann erklärt, dass man sich aber auch in die "Gegner" hinein versetzen und mit ihnen das Kriegsende feiern sollte, trotz der Vergewaltigungen und Vertreibungen, die manchem Älteren zugemutet worden sind.
Im Artikel auf der nächsten Seite wird dann auch gleich ein therapeutischer Rat denjenigen zuteil, die infolge der Schrecken des Krieges traumatisiert sind.
Das Mitglied der Kirchenleitung Andreas Böer widmet sein Tagebuch ausschließlich und empathisch dem Thema Flucht und Vertreibung, außer einem vorangestellten hölzernen Allgemeinplatz am Anfang, der die anderen Aspekte des Krieges in einem Satz abhandelt, so wie es in den anderen Artikeln auch praktiziert wird.
Der krönenden Abschluss ist dann ein Artikel über den Soldatenfriedhof in Halbe, wo 4700 Opfer eines sowjetischen Speziallagers begraben sind, die ja erst nach dem 8. Mai. 1945 ihren Tod gefunden haben müssen.
"Die Kirche" suggeriert also ihren Lesern, das Kriegsende sei überwiegend eine Angelegenheit der Deutschen und ihres Leids. In meiner Kindheit und Jugendzeit hörte ich unzählige Male einen Satz, der diese Haltung sehr gut zusammenfasst: "Wir haben auch genug gelitten!"
anne.c - 8. Mai, 22:44
... Diese Botschaft hörte ich zu allen Zeiten, jedenfalls seit ich solche Botschaft wahrzunehmen im Stande bin. Auch der fulminante Auftritt von Martin Walser bei seiner Friedenspreisrede 1998 hat nichts genützt. Obwohl seine Rede heftigste Diskussionen hervor rief, wurde weiter und weiter von Krieg und Holocaust gesprochen. Man kann am beliebigen Tag die Fernsehprogramme durchzappen, um mehr als genug davon zu entdecken, insbesondere bei den Sendern Phoenix und n-tv sind es oft programmfüllende Themen. Da gibt es Hitler in allen Variationen, die voluminösen Filmarchive des "3. Reiches" scheinen Stoff in Fülle zu horten, so dass damit die Informationskanäle auf Jahre hin voll zu versorgen sind.
Nun könnte man meinen, dass Information und Aufklärung gute Vorhaben seien, wovon man nie genug haben könne. Das 3. Reich war anscheinend eine in die Volksseele einschneidende Epoche, so dass man sich nicht gründlich genug damit beschäftigen kann. In der Rezension eines Buches, in dem es um Frauen um Hitler ging, hieß es: "...erst wenn man dieses Buch gelesen hat, kann man die Nazizeit besser verstehen". In diesem Sinne wird man sich auch mit Sendungen um Hitlers Hunde, seine Sekretärinnen und des Führers kunstmalerisches Werk (lange Zeit sträflich unterschätzt!) befassen müssen und diese Zeit wahrscheinlich auch dann immer noch nicht viel besser verstehen. Denn um das ständig mangelnde Verstehen vervollkommnen zu können, benötigt man nach Paul Watzlawick: "... mehr desselben". Aus diesem Grunde werden die Rufe nach einem Schlussstrich weiterhin nicht verhallen können, sie gehören wie ein siamesischer Zwilling zu der in immer abstrusere Details vorstoßenden Aufklärung.
Hinter der Beflissenheit, die die Informationskanäle und andere Medien an den Tag legen, um der Bevölkerung ein Verstehen bis hin zum Verständnis des Nazitums zu ermöglichen, sehe ich eine bedenkliche Angelegenheit: Es soll ein Bild dieser Zeit festschrieben werden, das zu diesem Zweck in einer Endlosschleife wiederholt wird. Die armseligen Gestalten, die in den KZ gequält wurden, die Leichenberge, die aufgehängten Deserteure und dagegen: Die tollen Landser, die fesche Gesellschaft um die Nazigrößen herum, das Leiden der deutschen Bevölkerung im Bombenkrieg, "obwohl der Krieg längst entschieden war", oder edle Gräfinnen, die auf der Flucht für die ihnen Anvertrauten aufopferungsvoll sorgen. Den Zuschauern wird für die Zukunft ein Bild in die Seele gebrannt, wer auf welcher Seite stand und wer wohin gehöre.
Es gibt ohne Zweifel unzählige gute und ausgezeichnete Sendungen in den Medien, die sich mit Geschichte befassen, und auf diese möchte ich nicht verzichten. So dass ich mit einem Ruf nach einem Schlussstrich vorsichtig bin. Darum möchte ich nicht für einen Schlussstrich, sondern für Mäßigung bei der so genannten Aufklärung und Information plädieren.
anne.c - 5. Mai, 16:15
Warum bereiten mir Talk-Sendungen im Fernsehen über den Holocaust Unbehagen? Oft ist die Intention aus der die Sendung gemacht wird, nicht unbedingt schlecht. Gewiss kann man sogar sagen: es ist besser, etwas zu machen als nichts zu machen, besser, das Publikum aufzuklären, als es mit Banalitäten abzuspeisen. Doch das Unbehagen bleibt.
Nun war es dieser über 90-jährige SS- und KZ-Bürokrat, welcher gerade vor Gericht steht, der Günter Jauch dazu animierte, seine Sonntagabend-Sendung über Recht, Gerechtigkeit und Rechtssprechung in Bezug auf die Judenvernichtung zu veranstalten. Mittelpunkt der Diskussionsrunde war eine über 80-jährige Jüdin, die als Kind medizinische Versuche von Dr. Mengele hat über sich ergehen lassen müssen. Nun war sie bei dem Prozess zugegen und hatte die Gelegenheit genutzt, diesem vergreisten ehemaligen SS-Mann öffentlich eine Absolution zu erteilen.
Da dies eine sehr persönliche Angelegenheit ist, enthalte ich mich jeder Meinungsäußerung dazu. Nicht enthalten werde ich mich aber meiner Meinung zu Sendungen jener Art, bei denen man oft das Gefühl hat, einer Vorführung der einzelnen betroffenen Teilnehmer beizuwohnen. Zumal ist es öffentlichen Talksendungen immanent, dass sie von moralischen Maximen und Betroffenheiten nur so überquellen, und darum den Zuschauern Gelegenheit geben, leicht verdauliche Moral mit prompten Klatschsalven zu belohnen.
Wenn man Diskussionssendungen über den Holocaust verfolgt, stellt man fest, dass - fast wie aus einem vorgegebenen Satzbaukasten - mit Variationen ähnliche Sätze zum Besten gegeben werden. Das präsentiert sich dann wiederum als Gelegenheit, der kollektiven Volksmeinung Vorgaben für Diskussionen, für Reden, für öffentliche Auftritte z.B. an Gedenktagen usw. zu übermitteln.
Es kann gut oder schlecht sein, was in den Sendungen gesagt wird, es kann relevant sein oder auch nicht, der gemeinsame Nenner läuft darauf hinaus: sie tun niemanden weh! Ganz im Gegenteil, denn der Zuschauer ist danach moralisch und auch sonst mit sich im Klaren. Gegen den Holocaust zu sein, - gut 70 Jahre ist er her -, darin stimmen die zu TV- Geladenen alle überein. So dass Fragen nach Recht und Gerechtigkeit zu Floskeln mutieren. Das eigentliche Ärgernis dieser "Holocaust-Talks" ist aber, dass sie den Platz besetzen für Sendungen, die uns wirklich etwas zu sagen hätten, die einen Bogen in die heutige Zeit schlagen, die eine Beziehung zwischen den heute aktiven Juden und dem Staat Israel mit allen dazu gehörenden Komplikationen aufzeigen könnten. Experten dazu gibt es genug, aber diese sind, als wäre es Zauberei, so gut wie nie im Fernsehtalksendungen zu sehen.
anne.c - 28. Apr, 23:41
Am Freitag, den 17. April 2015 fand im Kölner Dom die Trauerfeier für die Opfer des Flugzeugunglücks in den französischen Alpen statt. Fast jeder Mensch in Deutschland hat die verschiedenen Stufen der Wahrnehmung dieses Unglücks miterlebt - von der Nachricht über den Absturz, die starke Vermutung bis hin zur Gewissheit, dass der Co-Pilot den Unfall herbei geführt hat, Nachrichten über eine psychische Erkrankung des jungen Mannes und so weiter. Berührt hat es die Menschen sehr, wahrscheinlich weil die meisten irgendwann mit dem Flugzeug fliegen, und weil die Umstände so ungewöhnlich waren, und natürlich aus dem Grund, weil die Berichterstattung derartigen medialen Raum bekam. Gestern Abend hörte ich im Bekanntenkreis, dass die Tatsache von 150 (und nicht etwa 149) Kerzen bei der Trauerfeier Nachdenken hervorrief, die Meinungen dazu hielten sich in der Waage.
Aber ich dachte über anderes nach und schreibe es, auch auf die Gefahr hin, dass ich Empörung hervorrufe. Es ist die Frage, warum die Trauerfeier zu einem Staatsakt mit den höchsten Repräsentanten des Staates ausgeweitet wurde. Nicht dass ich den Hinterbliebenen diese Würdigung nicht zugestehen möchte - meinetwegen könnte jeder Einzelne, der ums Leben kam, mit einem Staatsakt geehrt werden. Aber es ist seltsam, warum gerade dieses Ereignis und viele andere nicht mit großer Zielsicherheit in höchste Hände genommen wurde. Der Flug von Barcelona nach Düsseldorf hatte bei wahrscheinlich niemanden der Passagiere staatstragende Bedeutung. Die Menschen kamen nicht bei der Ausübung einer dem Allgemeinwohl geltenden Tätigkeit ums Leben. War es die Tatsache, dass einfach viele Menschen auf einmal ums Leben kamen? Aber warum gab es bei verschiedenen Terroranschlägen, bei denen auch mehrere Deutsche ums Leben kamen, keinen Staatsakt? Die Opfer des 11. Septembers und die Opfer des Brandanschlags auf die Synagoge von Djerba wurden fast ein wenig unwillig hingenommen. Und weiter: Germanwings ist nicht etwa eine staatliche Fluggesellschaft. Allgemein schamhaft verschwiegen wurde, dass sie eine Billigfluggesellschaft ist, von denen allen bekannt ist, dass es Einsparungen an allen Ecken und Enden gibt (als des Fliegens selten gewohnter Mensch konnte ich es kaum fassen, dass nur zwei Menschen für einen Flug direkt zuständig sind, unter einer "Crew" hatte ich mir anderes vorgestellt). In den zu Herzen gehenden und von Fassungslosigkeit geprägten Reden hätte ich gern ein paar Worte über das (spott)billige Fliegen gehört, das offensichtlich unter keinen Umständen in Frage gestellt werden darf.
So kann ich mir eigentlich nur vorstellen, dass das Spektakuläre dieses Unglücks die Menschen magisch anzog, und die "Regierenden" wollten sich nicht die Gelegenheit zu einem öffentlichen Auftritt in "tiefer Bewegtheit" nehmen lassen. Nach dieser Logik müsste nun jedes Opfer eines Geisterfahrers, zumindest wenn die Geisterfahrt mit selbstmörderischer Absicht ausgeübt wurde, mit einem Staatsakt bedacht werden, denn die Menge der Toten kann den Staatsakt letztlich auch nicht begründen, weil im Tod bekanntlich jeder allein ist und ein einsamer Tod ist letztlich nicht weniger erschütternd als ein gemeinschaftlich erlittener.
anne.c - 19. Apr, 09:06
Ein paar Jahre ist es her. Bei einer Familienfeier wurde der Neffe nach seiner Freundin gefragt. Nach einem Aufenthalt in Israel war er längere Zeit mit einem israelischen Mädchen befreundet. Bereitwillig erzählte er über seine Freundin, und unvermittelt, so wie wahrscheinlich nur ein 20-jähriger dazu in der Lage ist, fragte er streng in die Runde blickend: "Und übrigens, ich habe da mal eine Frage an die Älteren: Was habt ihr so im dritten Reich gemacht?" Allgemeine Verlegenheit trat ein. Die "Älteren", zwischen 70 und 80 Jahren, im "dritten Reich" Kinder bis Jugendliche, überlegten und berichteten, wie sie ihre Schulzeit und Jugendjahre erlebt hatten. Eine Tante erzählte: "Mein Vater, dein Urgroßvater, war Pfarrer. Er war in der Bekennenden Kirche, das waren die Christen, die nicht mit Hitler sympathisierten. Trotzdem erinnere ich mich, dass er als das Attentat auf Hitler 1944 gescheitert war, einen Dankgottesdienst veranstaltete".
Diese Episode illustriert einiges von dem, was man als Vergangenheitsbewältigung bezeichnet. Die Jugend, die irgendwann auf die Spuren der Vergangenheit stößt und etwas Konkretes wissen möchte. Die damals fast Erwachsenen, die gezwungen sind, sich zu erinnern, obwohl sie es wahrscheinlich ohne Anstoß von außen vermeiden würden. Die Feststellung, dass man so ganz klar die damalige Rolle des Einzelnen nicht definieren kann. Und vor allem - das Erstaunen über die allgemeine Gläubigkeit, von der bis auf wenige Ausnahmen in der Zeit des Nationalsozialismus alle beseelt waren, an die Unantastbarkeit des Führers, egal wie viele Tausend Menschen ihm und seinen Gefolgsleuten täglich zum Opfer fielen.
anne.c - 16. Apr, 15:02