Nichts gegen den Film "Das Leben der Anderen". Man hat bei dem Film die Vorstellung, dass er geradezu für das amerikanische Publikum gedreht wurde, um dessen romantisch-abenteuerliche Vorstellung von der "Stasi" erfüllen zu können und um dann den Oscar verliehen zu bekommen. Aber ich erinnere mich noch, wie eine alte Frau aus unserer Verwandtschaft, die einige wirkliche Begegnungen mit der Stasi erlebt hat, wütend aus dem Kino kam - sie war zu diesem Film eingeladen worden -, und sagte: "So waren die nicht! Ich weiß, wie die von der Stasi waren, solche wie im Film gab es dort nicht!"
Sie selbst hatte viele Jahre zuvor etwas getan, was niemand aus ihrer Umgebung verstehen konnte. Aus Liebe hatte sie von Westdeutschland aus in die DDR geheiratet. Alles wäre zu verstehen gewesen: Aus Liebe zu sterben, aus Liebe Verbrechen zu begehen und wer weiß noch was alles. Aber aus Liebe vom Westen in den Osten zu gehen, das war unbegreiflich. Und doch gab es einige Menschen, die das getan haben. Natürlich wusste man in den 50-ger Jahren nicht, dass die Mauer einmal eine sehr plötzliche und dann dauerhaft harte Trennung von den Freunden und Verwandten bringen würde. So kam es, dass Ende der 60-ger Jahre der Vater dieser Frau sterbenskrank war. Sie wollte ihn unbedingt noch einmal sehen, und bat in schönsten Worten um eine Reiseerlaubnis nach Westdeutschland. Ihre fünf unmündigen Kinder wären doch eine sichere Garantie, dass sie zurückkomme, ihr Vater liege im Sterben, und sie möchte sich von ihm verabschieden. Und dann bekam sie die präzise und wirklich stasigemäße Antwort: "Der stirbt auch ohne Sie".
So war die DDR und so sprachen und handelten ihre Protagonisten! Diese Szene ist nicht bedeutsam, aber sie ist trotzdem wert, festgehalten zu werden, denn sie ist ein Charakteristikum einer Wirklichkeit, die komplexer ist und eben realer ist, als es romantische Filme aufzuzeigen vermögen.
anne.c - 1. Mai, 21:50
Im Autoradio hörte ich am 23. April in einer 5-Minuten-Nachrichtensendung, dass der schwer verletzte Attentäter von Boston dieses und jenes gestanden habe. Daraufhin folgte eine nochmalige Beschreibung des Attentats während des Marathonlaufs - wie es verlaufen ist, wie viele Tote, wie viele Verletzte. So als hörten es die entsetzten Zuhörer zum ersten Mal. Dabei ist es acht Tage her. Unwillkürlich dachte ich daran, wie viele Tote durch Terror es in dieser Zeit in anderen Ländern gegeben hat, im Irak, in Syrien, in Pakistan. Sie sind vergessen, sobald die Nachricht vorbei ist, wenn es denn überhaupt Tote genug sind, um sie für nachrichtenswert zu halten.
In verschiedenen Artikeln oder Blogs las ich Verwunderung oder Entsetzen, wie verschieden in den Medien berichtet wird - je nachdem wo sich eine Katastrophe oder ein Terroranschlag zugetragen hat. Es wird so sein, dass sich auch in den Medien der Kampf zwischen "Idealismus" und "Materialismus" abspielt. Idealismus - jeder Mensch ist in den Nachrichten gleich wert, eine Katastrophe sollte nach ihrer Schwere gewichtet werden, aber nicht nach dem Land, in dem sie sich abspielt. Materialismus - eine Nachricht ist umso mehr wert, je mehr Aufmerksamkeit sie erreicht, und umso mehr Menschen sie interessiert. In diesem Spannungsfeld wird sich die Nachrichtenzusammenstellung abspielen. Wahrscheinlich neigt sich die Waage dem "Materialismus" immer mehr zu. Warum sonst würden die Nachrichtensendungen in den so genannten seriösen Medien immer mehr Boulevardcharakter annehmen? Auch in ARD-Nachrichten werden wir mit aufgeregten Nachbarn konfrontiert und es häufen sich dort mangels Informationen oft Spekulationen, die nicht selten unseriöse Vorwegnahmen sind. Zusätzlich mag sich auch viel Hysterie in die Nachrichtengestaltung eingeschlichen haben.
Jedem das Seine, heißt es seit alters her - wir als Publikum akzeptieren auch diese mediale Ausrichtung oder heißen sie per Einschaltquote sogar gut.
anne.c - 25. Apr, 10:09
Die Buchlesung von GG im Schweriner Theater konnte ich nicht besuchen. Zum einen weil die 250 Plätze schon lange im Voraus ausverkauft waren, zum anderen, weil ich davon erst aus der Zeitung erfuhr, als die Lesung schon stattgefunden hatte. Ob ich die Veranstaltung besucht hätte, wenn es mir möglich gewesen wäre? Vielleicht, aber viel mehr als Grass selbst hätte es mich interessiert, wie sich die Zuhörer ihm gegenüber verhalten. Beispielsweise ob es jemand gewagt hätte, ihm eine "kritische" Frage zu stellen oder ob eine interessante Diskussion zustande gekommen wäre.
Ein Artikel der Ostseezeitung geriet mir in die Hände, der den Abend mit GG beschreibt. Daraus ging recht gut hervor, dass der Abend so verlief, wie es zu erwarten gewesen war: Langweilig und in allem vorhersehbar. "Das Publikum stärkte Grass mit Applaus den Rücken und zollte ihm Respekt" - stand im Artikel. GG las eine Stunde lang aus seinem Buch "Grimms Wörter" und trank zwischendurch Rotwein. Im Podiumsgespräch scheint ihm niemand zu nahe getreten sein, dafür teilte GG gegen unfähige und duckmäuserische Kollegen aus und spottete über sie. Und wie es bei ihm üblich ist, "mischte er sich auch diesmal in die kleine und große Politik ein" und ermahnte die Schweriner Bürgermeisterin, dass Schwerin nicht zu einem Verwaltungszentrum verkommen, sondern dass in der Landeshauptstadt die Kultur nicht zu kurz kommen dürfe.
Unmerklich wie leise Hintergrundmusik rankte sich um den gesamten Artikel das Gedicht "Was gesagt werden muss", das - wie es betont wurde - Israel als Atommacht anprangerte. Die Journalistin gab sich Mühe, in ihre Zeilen Wortspielereien nach dem Schema einzuflechten: "Was gesagt werden muss, das musste er nun einmal offensichtlich sagen" und desgleichen. In Wirklichkeit sagte Grass überhaupt nichts. Die "duckmäuserischen" Kollegen waren nicht da, um sich zu verteidigen, die Oberbürgermeisterin strahlte ihn vor Glück an und Kultur war ihr ebenfalls unentbehrlich. So schien alles Reden aus Floskeln und Stereotypen bestanden zu haben. Die Überschrift des Zeitungsartikels lautete: "Zornig bleiben und nicht weise werden", eine Aussage, zu der sich GG stolz bekannte. Deuten kann man es, wie man will. Vielleicht sogar dahingehend, dass er aus seiner Mitgliedschaft in der Waffen-SS nichts gelernt hat und weiter zornig und uneinsichtig geblieben ist wie in alten Zeiten? GG beklagte die Uneinsichtigkeit anderer, des Zentralrats der Juden, der ihm eine antisemitische Haltung vorgeworfen habe. (Das zeigt wieder einmal die Zwickmühle, in der sich der Zentralrat befindet, der sich mit allen möglichen Politikern und Honoratioren gut stellen muss, sich in verschiedene Abhängigkeiten zu begeben hat, und dem sein zaghaftes Mahnen mehr vorgeworfen wird als anderen ihr entschiedenes Auftreten). GG beklagte, dass zu seinem Gedicht keine inhaltliche Diskussion möglich gewesen sei. Vor einem Jahr, als das Gedicht erschienen war, habe ich viele Beiträge darüber gelesen, die sich sehr intensiv mit dem Inhalt auseinander gesetzt hatten. So scheint GGs Lamentieren über diejenigen, die an seinem Gedicht etwas zu beanstanden haben, auch nur eine allgemeine Floskel zu sein.
Was ist nun das Resümee aus GGs Lesung? Für mich ist es die ernüchternde Einsicht, dass Kultur offensichtlich dort stattfindet, wo sich viele Menschen um einen Menschen mit hoher Popularität scharen, und wo dieser Mensch sein eigenes Wunschabbild darzustellen versucht, in diesem Fall den nicht weisen, zornigen Mann. Wo möglichst nichts Neues, Unerwartetes passiert, wo der mittelmäßige Wiedererkennungswert zum höchsten aller Maßstäbe erkoren ist. Eine statische, stagnierende Kultur im Sinne GGs bewirkt, dass viele Menschen bereit sind, mit Stereotypen vorlieb zu nehmen, statt sich einen eigenen, unverstellten Blick auf die Realität zu bewahren.
anne.c - 18. Apr, 17:37
Vor einiger Zeit blätterte ich in einem persönlichen Erinnerungsbuch, das die Geschichte des von Tschechen bewohnten polnisch-ukrainischen Dörfchens B. festhielt, dessen Bewohner nach dem Krieg zwangsweise vollständig in die Tschechoslowakei ausgesiedelt worden sind. Einer dieser Ausgesiedelten hatte sich große Mühe gemacht, die Geschichte des Dorfes, in dem auch unsere Verwandte lebten, bis in die kleinsten Details zu erforschen, mit vielen Tabellen, bis hin zu allen Ernteergebnissen.
Dann stieß ich auf das Kapitel "Tragische Schicksale von Zivilisten während des Krieges". Es gab Frauen, die an Typhus gestorben sind, weil sie schmutziges Wasser hatten trinken müssen, oder einen Jungen, der nichts ahnend mit einer Panzerfaust spielte und ums Leben kam. Ein anderer Junge beobachtete beim Kühehüten Soldaten, und als er dann einigen ausgerissenen Kühen hinterher lief, wurde er von diesen deutschen Soldaten von hinten erschossen, denn wer weglläuft, der ist verdächtig.
Dann eine Familie. Ein Ehepaar und die Schwester des Mannes, die mit einem Juden verheiratet gewesen, der bereits tot war. Nun war diese verwitwete Frau zu ihrem Bruder gezogen und versteckte in der Scheune Verwandte ihres Mannes. Nach der Entdeckung hat man an der Frau ein Exempel statuiert. Sie wurde an einen Lastwagen gebunden, der dann losfuhr und die Frau hinter dem fahrenden Wagen durchs Dorf schleifte, auf den ihre gesamte Familie geladen worden war. Vor den Augen der aller Bewohner rund um´s Dorf bis zum Tode. Alles was von Wert war, hat man der Familie geraubt. Alle Erwachsenen getötet. Nur die Kinder der „rein tschechischen“ Familie konnten durch eine beträchtliche Geldsammlung der Dorfbewohner von den Deutschen losgekauft werden.
Darauf war ich beim Lesen nicht vorbereitet gewesen, so konnte ich mich nicht wappnen und so schlug es mich so um, dass ich erst nach einer Weile wieder klar denken konnte. Diese Geschichten kenne ich schon, habe so viel gelesen, dass mich nichts überrascht. Doch urplötzlich dieser konkrete Fall...
Es kommt noch vieles dazu, was damit allem im Zusammenhang zu sehen ist. Jener bayrische Kirchenmusikdirektor, der an meinen Mann schrieb, dass die Juden so lange unversöhnlich bleiben, bis sie wieder einen Holocaust erleiden werden, und überhaupt hätten die Deutschen so viele „Holocausts“ begangen, dass die Juden sich nicht einbilden sollten, sie wären die Einzigen gewesen - das ist einmal eine ungewöhnliche Variante! Und Frau E., die zu der Zeit, als jene tschechische Frau in der Ukraine hinter dem Lastwagen zu Tode geschleift wurde, ein junges Mädchen war und drei Jahre später nach dem Krieg von Tschechen kein Waschwasser bekam und sich dann in der Elbe waschen musste, und dieses sei für sie bis heute das Unbarmherzigste, was sie im Krieg erlebt habe, jedenfalls wiederholt sie es immer wieder. Und die vielen Kirchenleute, deren großes Anliegen es ist, Denkmäler zu Ehren letztlich eben auch dieser Soldaten, die Frauen am Seil hinter Lastwagen schleiften, in den Kirchen aufzustellen und zu bewahren und die beleidigt sind, wenn es auch nur kritisch hinterfragt wird. Das alles ist allgegenwärtig!
In meiner "Sprüchesammlung" ist eine Zeile aus einem Gedicht von Czeslaw Milos:
Der du dem einfachen Menschen Unrecht getan,
und darüber noch lachst,
sei nicht so sicher,
der Dichter merkt es,
du kannst ihn töten,
es kommt ein neuer.
Und das ist eine winzige Verheißung!
anne.c - 11. Apr, 12:02
3. April - Morgennachrichten im Deutschlandfunk
"Das erste mal seit Wochen startete Israel wieder einen Angriff auf den Gazastreifen".
Es folgt eine Beschreibung des Angriffs bis dann das "Kleingedruckte" zum Vorschein kommt: Zuvor waren von palästinensischem Gebiet aus Raketen auf israelisches Gebiet abgeschossen worden. Verletzt wurde niemand. Dass dagegen "Raketen von palästinensischem Gebiet aus" bereits in den Tagen als Obama in Israel weilte, geschossen wurden, war nicht der Erwähnung wert. Wichtig ist nur das "Zurückschießen", die "Rache" oder auch "Zahn um Zahn" - wie man es oft in kirchlichen Kreisen hört.
Es ist so stereotyp, dass niemand mehr hinhört. Was soll man dazu sagen? Verdrehen von Ursache und Wirkung als Prinzip der medialen Berichterstattung! DLF setzt offenbar darauf, dass seinen so genannten seriösen Zuhörern diese Wortfetzen so lange um die Ohren fliegen, bis sie ganz sicher sind, wer in diesem Konflikt "Recht" und wer "Unrecht" hat. Dafür darf ein "seriöser" Sender die Tatsachen schon zurecht arrangieren.
Immer wieder höre ich als anerkennende oder auch befremdete Reaktion auf dieses Blog: Du bist für Israel! Das stimmt aber nicht, denn ich bin nicht für Israel, sondern ich bin dagegen, gegen Israel zu sein. Und dagegen, dass ein kleines Land zum Sündenbock gemacht wird für alle Schlechtigkeiten, die auf Erden begangen werden.
4. April - Mittagsnachrichten im Deutschlandfunk
DLF hat sich diesmal eine neue Variante des Verdrehens von Ursache und Wirkung ausgedacht. Diesmal wurde tatsächlich gemeldet, dass von palästinensischem Gebiet aus Raketen nach Israel geschossen wurden. Und DLF verschwieg auch nicht, wer den Raketenbeschuss ausgelöst hat: Es war der Tod eines Palästinensers in israelischer Haft. Sollte das etwa bedeuten, dass Tote Raketen abschießen können? Oder etwa, dass Palästinenser nach dem Motto: Auge um Auge, Zahn um Zahn handeln? Was der DLF "vergaß" seinen Nachrichten hinzuzufügen war, dass dieser Palästinenser in der Haft an Krebs gestorben ist. Die Todesursache wurde der Phantasie der Hörer überlassen. Das nennt man unredliche Berichterstattung.
anne.c - 3. Apr, 23:13
Es ist schon eine Weile her, als ich eine der hinteren Seiten der Zeitschrift "konkret" aufschlug und einen Schrei ausstieß, während ich schnell die Worte überflog: Frau Marianne R. in M. Irgendwie hatte ich auch noch eine nebenstehende Todesanzeige wahrgenommen, und ohne überhaupt weiteres zu lesen, war mir schon alles klar, was sich dann auch bestätigte: Meine Bekannte Marianne hatte in einer Anzeige in der FAZ den Soldatentod ihrer Brüder betrauert . Mit eisernem Kreuz darauf, es wurde von Russland- und Frankreichfeldzug geschrieben und „ihr Tod war nicht umsonst“, ja noch Absurderes, "ihr Anliegen war Völkerverständigung", "konkret" übte dann entsprechned herbe Kritik. Schon früher hatte ich erfahren, dass Anzeigen dieser Art inzwischen immer mehr gesetzt werden. Über diese Anzeige dachte ich nach, versuchte die persönliche Ebene herauszufinden und auch die politische und gesellschaftliche, um dann alles miteinander zu verbinden und in mein Gesellschaftsbild zu integrieren.
Solche Anzeigen, unabhängig davon von wem sie stammen, setzen geradezu den Nazigeist frei. Eisernes Kreuz - Symbol des Krieges, ohne jegliche Distanzierung davon. Russland- und Frankreichfeldzug als Völkerverständigung, und das war sie ja auch - nur hat man sich mit den Völkern eben auf die „deutsche Art“ verständigt. So ist es dann keine Lüge. Wenn ich mir bloß vorstelle, dass diese Anzeige von einer Theologin veröffentlicht wurde!
Und wenn ich mir weiterhin vorstelle, wie Mariannes Mann zum Pazifisten wurde, gegen Atombomben kämpfte, an Sitzblockaden teilnahm, wofür er sogar einmal verurteilt wurde, aber auch wie für ihn das jährliche Treffen seiner einstigen Flieger Staffel immer ein Höhepunkt war, was ich ihm nie übel nahm, denn man weiß wie gemeinsame Zeit unter extremen Bedingungen zusammen schweißen kann. Aber trotzdem fragte ich mich manchmal, ob es bei diesen Treffen wohl zu Diskussionen über den Sinn dieser Flieger-Einsätze gekommen sein mag).
Und wie die beiden immer so nett zu mir waren: Sie haben bei Weitem das meiste Geld gespendet, als ich einmal eine Sammlung für einen in Not geratenen, ihnen völlig unbekannten Ausländer machte. Zwei ihrer Kinder sind mit Ausländern verheiratet, ihre Tochter lebte ihr halbes Leben in einem französichen Dorf am Mittelmeer, und die gesamte Familie hat unzählige Urlaube dort verbracht, sie war in dem Dorf wie zu Hause. Sie haben wirklich Völkerverständigung gelebt, aber warum müssen sie ihren im Krieg umgekommenen Brüdern, die freiwillig oder gezwungen an einem Krieg teilnahmen, von dem klar ist, mit welch ungeheuren Verbrechen er verbunden war, bescheinigen: Was sie machten, war auch etwas in diesem Sinne von Verständigung?
Letztlich kann ich es mir nur so erklären, dass die Geschehnisse des Krieges wie bei vielen anderen Deutschen auch, so wenig mit ihrem Weltbild zu vereinbaren ist, dass sie sich ihre eigene „schöne Welt“ zurecht malten, wo sogar ein barbarischer Krieg zum Sinnbild für Völkerverständigung wurde. Und ein Zweites: Ein Krieg ist nicht zu Ende, wenn Friedensvertrag oder Kapitulation unterschrieben sind, denn die Kriegsschatten bleiben, generationenlang.
anne.c - 27. Mär, 13:15
Für die marxistische Wirtschaftstheorie ist das Privateigentum an Produktionsmitteln Dreh- und Angelpunkt für das Funktionieren der kapitalistischen Produktionsweise. Das wurde uns in der Schule im Marxismus-Leninismus-Unterricht beigebracht. Man sprach von der Diktatur des Proletariats, dessen Aufgabe es sei, die Grundprinzipien des Marxismus-Leninismus durchzusetzen. In diesem Zusammenhang müsse man nicht zimperlich sein, der Einzelne habe sich der Allgemeinheit unterzuordnen.
Um zu demonstrieren, wie diese großartige Maxime in der Wirklichkeit zur Anwendung gebracht wurde, erzähle ich, wie es einer Frau in der (damaligen) Tschechoslowakei erging. In den 40/50-ger Jahren des letzten Jahrhunderts war sie eine allein erziehende Mutter. In dieser Zeit war das eine absolute Seltenheit, verbunden mit großen Schwierigkeiten und gesellschaftlicher Ausgrenzung. Aber die junge Frau, Anna, wollte den Vater ihres Kindes nicht heiraten und ihre Tochter auch nicht im elterlichen Haus auf dem Dorf groß werden lassen. Sie zog in die in der nähe liegende Stadt K., mietete sich ein Zimmer und baute sich dort ihre Existenz auf. Eine Nähmaschine wurde zu ihrer Existenzgrundlage, ihre Küche war ihr Produktionsstandort. Sie nähte für die Bewohner der Stadt, und da sie sehr gut nähen konnte und alle ihre Sachen einen besonderen Chic hatten, gab es keinen Mangel an Kunden. Ihre "geächtete" Stellung wurde dabei toleriert. So hätte es lange weiter gehen können: Anna nähte und ihre Tochter Lisa war in ihrer Nähe gut versorgt .
Aber in der Tschechoslowakei - sie lag nun einmal im Einzugsbereich der Sowjetunion - brach 1948 "unvermutet" der Kommunismus aus. Ein Kennzeichen dieser Staatsform und darüber hinaus aller totalitärer Herrschaften ist es, dass jeder Mensch sich bis in die letzten Winkel seiner Privatsphäre dem Staat unterordnen muss. Schon bald entdeckten die Machthaber, dass in der Stadt ein subversives Element lebte: Eine Kapitalistin mit Privateigentum an Produktionsmitteln, nämlich Anna mit ihrer Nähmaschine. Das musste schnellstens unterbunden werden. Anna wurde in eine Konfektionsfabrik geschickt, wo sie wie am Fließband an der Fabrik-Nähmaschine saß und die Weisungen ihrer Brigadierin zu befolgen hatte. Was das für eine selbständige Frau ihres Formats bedeutete, kann man nur erahnen. In K. gab es nun keine vernünftige Schneiderin mehr und die Frauen mussten sich mit der Kleidung aus der Konfektionsfabrik begnügen. Die kleine Lisa musste zeitweise in einem Kinderheim untergebracht werden. Nach der Einschulung besuchte sie den Hort. Und Hort war in der damaligen Zeit ein Mittags- und Aufbewahrungsort für Kinder, die kein richtiges zu Hause hatten, und wo man die Zeit einfach absaß, bis man gehen durfte. Und die Zeit, als sie noch mit ihrer Mutter zu Hause sein durfte, erschien der kleine Lisa wie ein vergangener Traum.
Die Geschichte ist nicht weltbewegend, dafür sagt sie viel aus über totalitäre Staatsformen, zu denen der Kommunismus zweifellos gehört. Sie ist ein unbedeutendes aber alltägliches Beispiel, das aber ein wesentliches und erhellendes Licht auf die komplexe Realität des Kommunismus im 20. Jahrhundert wirft.
anne.c - 20. Mär, 18:11
Nachdem der venezolanische Präsident Chávez gestorben war, sah ich mir die Online-Leserzuschriften einiger großer Medien zu diesem Thema an. Nicht dass ich etwa heraus bekommen wollte, was für eine Figur Chávez gewesen ist, sondern ich wollte wissen, wie normale deutsche Bürger über ihn und sein Regieren denken. "Zeit"- Leser erschienen mir für so eine Studie durchaus repräsentabel.
Die in "ZEIT"-online veröffentlichten Artikel hatten eine ziemlich realistische Betrachtungsweise. Schon in den Überschriften war die Quintessenz enthalten: "Chávez hat das System erhalten und das Land ruiniert" und "Der Comandante hat das Erdöl benutzt, um sein sozialistisches Experiment in Venezuela zu finanzieren. Mit Chávez' Tod ist das System am Ende".
Man kann nicht behaupten, dass die besagten Artikel polemisch oder böse über Chávez berichteten. Sie versuchten, seiner Persönlichkeit gerecht zu werden, und das
Charisma zu hinter fragen, das auf seine Landsleute wirkte. Sie konnten und wollten aber nicht übersehen, dass das Land dank Chávez´ einerseits ideologischen und andererseits auch eigenwilligen Herrschaftsweise über eine vollkommen marode Infrastruktur verfügt und auf vielen Gebieten sehr herunter gekommen ist.
Von den vielen Leserzuschriften waren es knapp 20 %, die den Intentionen der Artikel zustimmten. Wenn man einige Zuschriften abzieht, die einen undefinierbaren Inhalt hatten, kann man sagen, dass gut 2/3 empört über das "ungerechte" Bild waren, das angeblich von Chávez gezeichnet wurde. An einigen Stellen hieß es: Über Tote darf man nicht schlecht schreiben!
Bezeichnend war schon die allererste Zuschrift, die ich vorfand:
"Wann werden die Deutschen aufhören den Hintern der USA und Israels zu küssen?" Eine Grundlage für diese Feststellung konnte man keinem Satz im Artikel entnehmen. Von Israel war dort überhaupt nicht die Rede (Das erinnerte mich an Tuvia Tenenbom, der bei seinem Deutschland-Aufenthalt festgestellt hatte: Wie abwegig auch das Thema sein mag, auf Israel kommen die Diskutanten immer!).
Weiter hieß es: Die Artikel seien unfair. Die USA könnten von einer Verfassung wie sie Venezuela hat, nur träumen. Vorher sei es in Venezuela auch nicht besser gewesen, und jetzt haben wenigstens die Armen etwas vom Ölreichtum, das sei wichtiger als eine intakte Infrastruktur. Eine absolute Gerechtigkeit sei ja sowieso nicht möglich. Wartet erst mal ab, bis sich heraus stellt, dass Chávez sehr viel Bleibendes geschaffen hat! Und so weiter. Die Leserschaft von "Zeit"-online outete sich als sozialistisch und als Verächter der USA, ja auch als links ideologisch. Oder wie soll man es sonst bezeichnen, wenn über einen verstorbenen linken Staatsmann nicht geschrieben werden darf, in welchem Zustand er sein Land hinterlassen hatte?
Wohl wissend, dass die Leser der "ZEIT" und ihrer online Ausgabe nicht identisch sein müssen und dass nicht jeder Schreiber einer Leserzuschrift den Charakter einer Zeitschrift widerspiegelt, so gibt es doch aufs Ganze gesehen Zusammenhänge. Wenn ich mir die Reklamen in der "ZEIT" vor Augen halte, die exquisiten Kreuzfahrtreisen in entlegene Teile der Welt, die ZEIT-Beilagen, in denen sich alles um exquisiten Schmuck, Mode, Lifestyle oder teure Autos dreht, die also alle an ein reiches Leserpublikum appellieren, dann ist die Begeisterung eines beträchtlichen Teils der Leserschaft für einen Beglücker der Armen nur schwer nachzuvollziehen.
anne.c - 14. Mär, 22:18